Heimlichtuerei oder Ehrlichkeit

  • Mich bewegt ein Thema zum Alkoholkonsum ziemlich. Ich habe bisher mit niemandem wirklich offen und ehrlich darüber geredet wieviel Alkohol ich getrunken habe und wie lange. Auch meine Abstinenz mache ich mit mir selbst aus und eben hier im Forum. Wem es auffällt, dass ich keinen Alkohol mehr trinke und auch fragt, dem sage ich aus gesundheitlichen Gründen. Das stimmt in gewisser Weise ja auch.

    Wie macht ihr das denn? Redet ihr darüber mit eurem Partner/in, Familie, Freunden oder Kollegen?
    Das ist für mich auch eine wahnsinnige Erleichterung diese ganze Geheimnistuerei hinter mir gelassen zu haben. Das Verstecken vom Vorrat, das heimliche Entsorgen und natürlich das Trinken selbst. Das war sehr schwer unauffällig und ungestört zu trinken. Danach die Fahne zu tarnen oder eben zu kaschieren wenn ich einen sitzen hatte. Jetzt im Nachhinein war das extrem anstrengend.

    Ich bin froh, hier auf das Forum gestoßen zu sein und endlich die Wahrheit sagen zu können. Offen und ehrlich, denn hier wird man verstanden. :)

  • Emily


    Das erste Jahr meiner Nüchternheit habe ich ähnlich wie du das ganze Thema mit mir selbst ausgemacht. Nachträglich betrachtet waren es Autobiographien nach denen ich mich ausgerichtet habe. All den Saufkumpels denen ich begegnete sagte ich das ich momentan nichts trinke. Damit hatte es sich. Ich war uninteressant. Mir kam das zugute. Normalen denen ich gegenüber meine feuchtfröhliche Vergangenheit erwähnte hatten ein gutgemeintes: "Da hast du ja einen starken Willen" oder ähnliches. Sie konnten es einfach nicht verstehen was da in meinem Innern abgegangen war. Mussten sie ja auch nicht. Sie hatten sicher ihre eigenes Ding.
    Dieses wirklich verstanden werden kam erst nachdem ich nach einem Jahr Trockenheit die Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker besuchte. Manchmal wenn jemand redete, glaubte ich kurz, er spricht von mir, doch woher sollte mich dieser Mensch kennen. Nun kurz und gut. Es ist kein persönliches Wissen vom Andern. Es sind nur die Situationen die sich verdammt gleichen. Einsam am Küchentisch mit einer Flasche Fusel oder sonstiger Grössenwahn nach vielleicht 2 Promille und vieles mehr in die Richtung. Hier sich öffnen können da geschieht dann Heilung.
    Ansonsten ein offenbaren bei den ganzen andern Leuten da ist es doch nur eine eigene Abwägung der familiären, beruflichen und sonstigen gesellschaftlichen Interessen. Ein kann aber muss nicht unbedingt würde ich mal sagen.


    Guten Abend

  • Hallo Brant was in meinem Inneren abgegangen ist, das weiß tatsächlich niemand. Auch im Entzug, kalter Entzug, habe ich ne Erkältung vorgespielt, damit ich wenigstens ein paar Tage ruhen und mich auf mich besinnen konnte. Dann bin ich auch direkt wieder zum Job. Habe dort aber gemerkt, dass mir die Arbeit schwer fiel. Deshalb habe ich Routinedinge gemacht und mich unauffällig etwas rumgedrückt. Mein mieses aUssehen noch auf die Folgen der Erkältung geschoben. Ich dachte mir, lieber arbeite ich weniger und langsam, als gravierende Fehler zu machen. Nach einigen Tagen hat sich das aber dann alles normalisiert. Habe Flaschenweise Wasser getrunken weil ich so schnell wie möglich das Gift rausschwämmen wollte. Jedenfalls hat niemand was gemerkt, dass ich mitten im Entzug stecke. Heute, so im Nachhinein finde ich das schon recht heftig und krass. Zum Glück habe ich das geschafft.

  • Hallo Emily,

    ich denke, ich kann nachvollziehen, warum du niemandem davon erzählt hast, was in deinem Inneren abgegangen ist. Du bist damit ganz bestimmt nicht allein.

    Bevor ich mich vor vier Jahren an dieses Forum wandte, wollte ich mir gewiss nicht eingestehen, ein Alkoholproblem zu haben. Das hätte für mich Versagen bedeutet.
    Für mich war das mein ganzes Leben ein Makel gewesen, aus einer Alkoholikerfamilie zu stammen, und ich hatte mich mein ganzes Leben lang darum bemüht, von diesem Makel wegzukommen.
    Und nun sollte ich selbst sozusagen in die Fußstapfen meines Vaters getreten sein? Ich doch nicht, ich war doch so ganz anders als er.

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    Edit: Nicht, dass ich selbst meinen Vater für einen „Versager“ gehalten hätte, das hab ich tatsächlich nicht, sondern nur selbst und mit ihm darunter gelitten, was sein Alkoholismus für furchtbare Auswirkungen für ihn selbst und unsere Familie hatte. Die Vorstellung von „Makel“ und „Versagen“ hatte ich wegen der allgemeinen Vorstellung in unserer Gesellschaft, was ein Alkoholiker sei, und der damit verbundenen Stigmatisierung. Mein Vater und meine Familie hat nie das Bild abgegeben, was man sich allgemein von einem Alkoholiker bzw. einer Alkoholikerfamilie vorstellt.
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    Doch weil ich erkannte, dass da etwas bei mir nicht stimmte, meldete ich mich hier an und stellte mich vor, weil ich glaubte, hier Menschen zu finden, dich sich mit sowas auskennen und mir Antworten und Hilfe geben könnten.

    Wer meine Anfänge hier gelesen hat, weiß, was für Antworten ich bekommen habe, wie ich gerungen habe. Und bin den Menschen, die sich hier mit mir eingelassen haben, dankbar, dass sie sich mit mir eingelassen haben. Sie waren mir eine unschätzbare Hilfe und sehr gute, offene und authentische Gesprächspartner.

    Eingeweiht habe ich meinen Mann erst nach ein paar Tagen und zwar ab dem Zeitpunkt, als ich mir meines Problems tatsächlich bewusst war. Vorher hätte ich das nicht gekonnt, denn ich hätte mir kein Eigentor schießen wollen, insbesondere da er mich schon mehrfach besorgt über meinen Konsum darauf angesprochen hatte, ich aber der Überzeugung war, er täte das nur, weil er wusste, dass mein Vater Alkoholiker war, und ich glaubte, dass er mir Unrecht tat und keine Ahnung hätte.

    Nun muss ich aber dazu sagen, dass mein Mann und ich ansonsten immer über alles geredet haben und das auch konnten. Ich weiß, dass das leider nicht in jeder Beziehung so ist. Im Laufe der Zeit habe ich meinem Mann dann vieles erzählt, was ich durch die Beschäftigung mit diesem Thema dazugelernt hatte. Er hat stets gut und interessiert zugehört.

    Andere, aber auch nur bestimmte Menschen, habe ich erst sehr viel später eingeweiht, dabei aber nicht unbedingt den Begriff „Alkoholiker“ fallen lassen, sondern lediglich erklärt, dass ich nicht mehr trinke, weil ich die Kontrolle über meinen Konsum verloren hätte.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo,

    Leute die mich länger kennen, haben natürlich gemerkt, dass etwas anderes ist. Anfänglich wurde mir immer noch was angeboten, jetzt nicht mehr. Habe mal was ähnliches gesagt, will mehr auf meine Gesundheit achten.

    Man muß das ganz klar sagen, da fällt einiges weg.

    Leute die mich neu kennen lernen, fragen überhaupt nicht. Den Konsum habe ich nie groß verheimlicht, musste ich auch nicht. Ich komme aus einem Umfeld /Haus, wo immer gerne Alkohol konsumiert wurde. Bin im Prinzip damit aufgewachsen.

    Den Einkauf wiederum, habe ich auf ein paar Geschäfte verteilt. Selbst wenn man da unter der Woche weniger trinkt, kam da ganz schön was zusammen. Wer mich näher kennt, kennt auch die ganze Geschichte.

    Gruß

  • Wenn wir mal ehrlich sind, "verheimlichten" wir unseren Konsum hauptsächlich vor uns selbst. Wir redeten schön, spielten herunter, bogen es so, dass es passt und präsentierten uns dann genau so, nicht nur bei Anderen.

    Ich weiß nicht, was ihr für Erfahrungen machtet, doch mir fiel auf, niemanden interessiert es wirklich, ob ich nun Alkohol trinke oder nicht.

    Wenn ich lästig werde, auffalle, störe, dann schon. Ein Abstinenzler wird unter Trinkenden ebenso akzeptiert, wie ein Kosumierer (nicht Besoffener!) bei Nichtverzehrern.

    ' Du trinkst kein Alkohol - o.k., dann trink halt 'ne Limonade ' : das ist doch normal.

    Ist man unter "Zechbrüdern", wird versucht zu überreden, damit bloß kein schlechtes Gewissen aufkommt, natürlich bei den Trinkenden.

    Selbst wenn ich sage ich bin oder war Alkoholiker, kommen vielleicht ein, zwei Fragen bei Interessierten oder welchen, die ein ähnliches Problem hatten oder haben, doch das war's schon.

    Alle (!!!) in meinem Umfeld wussten mein Konsum war alles andere als normal, man sah es mir förmlich an, auch wenn ich gerade nüchtern war - da brauchte ich nichts erklären oder mich gar "outen".

    Auch ich vermeide das stigmatisierende Wort Alkoholiker, zu schnell wird man für immer diesen Makel nicht mehr los.

    ... ich trank zu viel, nun trinke ich nicht mehr = das ist die Wahrheit. Wenn es jemanden interessiert, berichte ich darüber, doch kaum einen interessiert's, sofern er nicht betroffen ist.

  • Ich kaue schon ein bisschen länger auf einer Antwort herum. Also, ich habe ja eine persönliche, sehr offene Art nach außen entwickelt. Auch einfach deswegen, dass man mir deutlichst ansieht, dass ich mich verändert habe. Und das auch nicht nur optisch sondern auch mental und kommunikativ. Deswegen bekommt (bekam) man ja, gerade von Leuten, die einen schon länger kennen - Arbeitskollegen z.B. öfters mal die Frage oder die Anmerkung das einem auffiele, wie sehr man sich verändert hat.
    Und ich für meinen Teile lebe ja auch diese Veränderung, alleine durch eine ziemliche Veränderung durch einen neuen Klamottenstil, Frisur, es fehlen etliche Kilos etc. und ich kommunziere sehr positiv, bin sehr oft gut gelaunt etc. Das fällt halt (positiv) auf.

    Und deswegen halte ich mit meiner Geschichte auch nicht hinter den Berg, falls sie jemand hören möchte. Ich sage aber auch nicht "Hey, ich bin Alkoholiker, ich trinke nicht mehr". Auch weil mir diese Worte sehr fremd sind und ich mich damit auch nicht identifiziere.

    Ich erzähle durchaus offen, dass ich einige, sehr dunkle Jahre hinter mir habe. Und das einhergehend mit Depressionen (despressiven Verstimmungen), Alkoholmissbrauch etc. Und das ich das erkannt, als auch mich darauf herausgearbeitet habe. Bzw. mich immer noch herausarbeite, ich sehe das als einen immer fortwährenden Prozess, als Weg. Nur das der Alkohol jetzt keine Rolle mehr spielt sondern ich mich und mein künftiges Leben zum Projekt gemacht habe. Und einfach Bock auf gute Laune habe.

    In meinem Büro hängt auch, für jeden gut zu lesen der Satz: "Ich habe mir abgewöhnt, schlechte Laune zu haben". Und das bringt es ziemlich gut auf den Punkt.

    Also von daher, ich meine, während des Alkoholmissbrauches war es ja normal, sich immer schuldig zu fühlen, sich zu verstecken, sich schlecht zu fühlen etc. Da muss man sich, gerade WENN man erfolgreich den Kampf aufgenommen hat, doch herausputzen, das Krönchen rücken und sich sagen: "H e r e I am. I am back"! Und jetzt erst richtig. Ich für meinen Teil habe aus der tiefen Krise im Endeffekt eine riesen Portion Selbstbewusstsein rausgeholt. Und das war auch bitter nötig.

    Erstaunlicherweise, was aber eigentlich schade ist, wenn man offen ist und die richtigen Worte gefunden hat, zu kommunzieren wie es einem geht, was einem widerfahren ist und wie die jetzige Lebensausrichtung ist, fangen viele Menschen an einen entweder zu spiegeln oder werden leise. Weil man bei ihnen einen "wunden Punkt" gefunden hat. Gleichzeitig kann man, wenn man das möchte, künftig auch als Vorbild auftreten. Und ich hab ja erzählt, zwei Menschen konnte ich mitziehen und da freue ich mich drüber.

    Wobei das Mitziehen insofern nur Impulse waren, umgesetzt / umsetzten tuen es die Leute selber. Ich hab da nur mein eigenes Konzept erzählt, wie ich das gemacht habe / oder mache. Und eigentlich ist das alles ziemlich integrierbar in den Alltag. Man muss allerdings eine neue Sichtweise einnehmen als sich auch regelmäßig selber hinterfragen und sich Etappenziele setzen.

    Zusammengefasst kann sich ein jeder, der sich auf den Weg gemacht hat, ohne Alkohol zu leben und das auch noch glücklich schafft, sehr auf die Schulter klopfen. Denn, was kaum gesagt wird, mit einer glücklichen und zufriedenen Abstinez, ist man weiter als sehr viele Menschen, die denken, (regelmäßiger) Alkoholkonsum wäre normal.....ist er nämlich nicht. Die Sichtweise ist verschoben, dass ein Saufgelage und Abstürze z.B. auf dem Oktoberfest "normal" wären. Nein ihr Lieben. Das ist nicht normal. Das muss man sich nur ernsthaft vergegenwärtigen.

    Ich bekomme ja auch reichlich mit, wie sehr viele "ihren Alkoholkonsum" verteidigen. Hach, was wird das alles erzählt, von der Lebensqualität, vom Stressabbau beim "Glässchen Wein", vom wohlverdienten Feierabendbier, vom geilen, versoffenen Wochenende mit den Jungs, von dem man Dienstag und Mittwoch noch was hat.....

    Das ist "normal"?

    Also, für mich ist es normal, jeden Tag in der (Arbeitswoche) jeden Morgen top fit aus dem Bett zu springen. Für mich ist es normal, am Wochenende vielleicht eine Stunden später aufzustehen, wieder "top fit" im Bad zu stehen und dann 3 Stunden auf dem Rad zu ballern und ab dann für die Kinder da zu sein. Für mich ist es normal, IMMER, zu 100%, zu jeder Zeit, zuverlässig und verlässlich zu sein. Das ist NORMAL. Und nicht dauernd in sauer zu liegen.

    Ich finde dauernd nüchtern zu sein ziemlich geil. Muss ich echt sagen. Schade, dass es diesen Weg bedurfte, das zu erkennen. Aber nun gut, dafür leb ich das jetzt umso intensiver. Und das kann man ruhig zeigen. Es gibt keinen Grund für ein schlechtes Gewissen oder ein Versteckspiel. Keinen einzigen.

    Gruß!

  • Ich finde dauernd nüchtern zu sein ziemlich geil. Muss ich echt sagen. Schade, dass es diesen Weg bedurfte, das zu erkennen. Aber nun gut, dafür leb ich das jetzt umso intensiver. Und das kann man ruhig zeigen. Es gibt keinen Grund für ein schlechtes Gewissen oder ein Versteckspiel. Keinen einzigen.

    Ich erleb das alles nicht so intensiv wie Honk das von sich beschreibt, dafür sind meine Lebensumstände auch etwas anders, aber mit gewissen Abstrichen passt das, was er beschreibt, zu meiner eigenen Wahrnehmung.

    Was mir bei Honks Beitrag besonders gut gefällt, ist, wie er darin das Positive einer sogenannten „Zufriedenen Abstinenz“ zum Ausdruck bringt.
    Diese Aussicht, wie gut es einem mit einem abstinenten Leben gehen kann, die ich aus den Antworten meine Gesprächspartner vor vier Jahren herauslas, war es, die mir Mut machte, das ebenfalls anzustreben. Das hatte ich mir zuvor gar nicht vorstellen können.

    Erstaunlicherweise, was aber eigentlich schade ist, wenn man offen ist und die richtigen Worte gefunden hat, zu kommunzieren wie es einem geht, was einem widerfahren ist und wie die jetzige Lebensausrichtung ist, fangen viele Menschen an einen entweder zu spiegeln oder werden leise. Weil man bei ihnen einen "wunden Punkt" gefunden hat. Gleichzeitig kann man, wenn man das möchte, künftig auch als Vorbild auftreten. Und ich hab ja erzählt, zwei Menschen konnte ich mitziehen und da freue ich mich drüber.

    Mir ist das schon so manches Mal so ergangen, dass Leute dann angefangen haben, ihren Alkoholkonsum zu verteidigen. Ich höre dann zu, sage aber wenig bis gar nichts dazu, sondern denke mir eher meinen Teil.

    Abgesehen von meinem Mann, der ein gutes Jahr nach mir von sich aus abstinent geworden ist, obwohl er ganz gewiss kein Alkoholproblem hatte, haben sich zwei sehr gute Freunde von mir mich tatsächlich zum Vorbild genommen: Sie sind zwar nicht abstinent geworden, haben aber von sich aus ihren Alkoholkonsum hinterfragt und daraufhin drastisch reduziert Inzwischen trinken sie nur noch selten und, wenn, dann auch nur noch wenig. Und alle drei bemerken an sich, wie gut ihnen das tut.

    Grüße

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

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