Heimlichtuerei oder Ehrlichkeit

  • Mich bewegt ein Thema zum Alkoholkonsum ziemlich. Ich habe bisher mit niemandem wirklich offen und ehrlich darüber geredet wieviel Alkohol ich getrunken habe und wie lange. Auch meine Abstinenz mache ich mit mir selbst aus und eben hier im Forum. Wem es auffällt, dass ich keinen Alkohol mehr trinke und auch fragt, dem sage ich aus gesundheitlichen Gründen. Das stimmt in gewisser Weise ja auch.

    Wie macht ihr das denn? Redet ihr darüber mit eurem Partner/in, Familie, Freunden oder Kollegen?
    Das ist für mich auch eine wahnsinnige Erleichterung diese ganze Geheimnistuerei hinter mir gelassen zu haben. Das Verstecken vom Vorrat, das heimliche Entsorgen und natürlich das Trinken selbst. Das war sehr schwer unauffällig und ungestört zu trinken. Danach die Fahne zu tarnen oder eben zu kaschieren wenn ich einen sitzen hatte. Jetzt im Nachhinein war das extrem anstrengend.

    Ich bin froh, hier auf das Forum gestoßen zu sein und endlich die Wahrheit sagen zu können. Offen und ehrlich, denn hier wird man verstanden. :)

  • Emily


    Das erste Jahr meiner Nüchternheit habe ich ähnlich wie du das ganze Thema mit mir selbst ausgemacht. Nachträglich betrachtet waren es Autobiographien nach denen ich mich ausgerichtet habe. All den Saufkumpels denen ich begegnete sagte ich das ich momentan nichts trinke. Damit hatte es sich. Ich war uninteressant. Mir kam das zugute. Normalen denen ich gegenüber meine feuchtfröhliche Vergangenheit erwähnte hatten ein gutgemeintes: "Da hast du ja einen starken Willen" oder ähnliches. Sie konnten es einfach nicht verstehen was da in meinem Innern abgegangen war. Mussten sie ja auch nicht. Sie hatten sicher ihre eigenes Ding.
    Dieses wirklich verstanden werden kam erst nachdem ich nach einem Jahr Trockenheit die Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker besuchte. Manchmal wenn jemand redete, glaubte ich kurz, er spricht von mir, doch woher sollte mich dieser Mensch kennen. Nun kurz und gut. Es ist kein persönliches Wissen vom Andern. Es sind nur die Situationen die sich verdammt gleichen. Einsam am Küchentisch mit einer Flasche Fusel oder sonstiger Grössenwahn nach vielleicht 2 Promille und vieles mehr in die Richtung. Hier sich öffnen können da geschieht dann Heilung.
    Ansonsten ein offenbaren bei den ganzen andern Leuten da ist es doch nur eine eigene Abwägung der familiären, beruflichen und sonstigen gesellschaftlichen Interessen. Ein kann aber muss nicht unbedingt würde ich mal sagen.


    Guten Abend

  • Hallo Brant was in meinem Inneren abgegangen ist, das weiß tatsächlich niemand. Auch im Entzug, kalter Entzug, habe ich ne Erkältung vorgespielt, damit ich wenigstens ein paar Tage ruhen und mich auf mich besinnen konnte. Dann bin ich auch direkt wieder zum Job. Habe dort aber gemerkt, dass mir die Arbeit schwer fiel. Deshalb habe ich Routinedinge gemacht und mich unauffällig etwas rumgedrückt. Mein mieses aUssehen noch auf die Folgen der Erkältung geschoben. Ich dachte mir, lieber arbeite ich weniger und langsam, als gravierende Fehler zu machen. Nach einigen Tagen hat sich das aber dann alles normalisiert. Habe Flaschenweise Wasser getrunken weil ich so schnell wie möglich das Gift rausschwämmen wollte. Jedenfalls hat niemand was gemerkt, dass ich mitten im Entzug stecke. Heute, so im Nachhinein finde ich das schon recht heftig und krass. Zum Glück habe ich das geschafft.

  • Hallo Emily,

    ich denke, ich kann nachvollziehen, warum du niemandem davon erzählt hast, was in deinem Inneren abgegangen ist. Du bist damit ganz bestimmt nicht allein.

    Bevor ich mich vor vier Jahren an dieses Forum wandte, wollte ich mir gewiss nicht eingestehen, ein Alkoholproblem zu haben. Das hätte für mich Versagen bedeutet.
    Für mich war das mein ganzes Leben ein Makel gewesen, aus einer Alkoholikerfamilie zu stammen, und ich hatte mich mein ganzes Leben lang darum bemüht, von diesem Makel wegzukommen.
    Und nun sollte ich selbst sozusagen in die Fußstapfen meines Vaters getreten sein? Ich doch nicht, ich war doch so ganz anders als er.

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    Edit: Nicht, dass ich selbst meinen Vater für einen „Versager“ gehalten hätte, das hab ich tatsächlich nicht, sondern nur selbst und mit ihm darunter gelitten, was sein Alkoholismus für furchtbare Auswirkungen für ihn selbst und unsere Familie hatte. Die Vorstellung von „Makel“ und „Versagen“ hatte ich wegen der allgemeinen Vorstellung in unserer Gesellschaft, was ein Alkoholiker sei, und der damit verbundenen Stigmatisierung. Mein Vater und meine Familie hat nie das Bild abgegeben, was man sich allgemein von einem Alkoholiker bzw. einer Alkoholikerfamilie vorstellt.
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    Doch weil ich erkannte, dass da etwas bei mir nicht stimmte, meldete ich mich hier an und stellte mich vor, weil ich glaubte, hier Menschen zu finden, dich sich mit sowas auskennen und mir Antworten und Hilfe geben könnten.

    Wer meine Anfänge hier gelesen hat, weiß, was für Antworten ich bekommen habe, wie ich gerungen habe. Und bin den Menschen, die sich hier mit mir eingelassen haben, dankbar, dass sie sich mit mir eingelassen haben. Sie waren mir eine unschätzbare Hilfe und sehr gute, offene und authentische Gesprächspartner.

    Eingeweiht habe ich meinen Mann erst nach ein paar Tagen und zwar ab dem Zeitpunkt, als ich mir meines Problems tatsächlich bewusst war. Vorher hätte ich das nicht gekonnt, denn ich hätte mir kein Eigentor schießen wollen, insbesondere da er mich schon mehrfach besorgt über meinen Konsum darauf angesprochen hatte, ich aber der Überzeugung war, er täte das nur, weil er wusste, dass mein Vater Alkoholiker war, und ich glaubte, dass er mir Unrecht tat und keine Ahnung hätte.

    Nun muss ich aber dazu sagen, dass mein Mann und ich ansonsten immer über alles geredet haben und das auch konnten. Ich weiß, dass das leider nicht in jeder Beziehung so ist. Im Laufe der Zeit habe ich meinem Mann dann vieles erzählt, was ich durch die Beschäftigung mit diesem Thema dazugelernt hatte. Er hat stets gut und interessiert zugehört.

    Andere, aber auch nur bestimmte Menschen, habe ich erst sehr viel später eingeweiht, dabei aber nicht unbedingt den Begriff „Alkoholiker“ fallen lassen, sondern lediglich erklärt, dass ich nicht mehr trinke, weil ich die Kontrolle über meinen Konsum verloren hätte.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo,

    Leute die mich länger kennen, haben natürlich gemerkt, dass etwas anderes ist. Anfänglich wurde mir immer noch was angeboten, jetzt nicht mehr. Habe mal was ähnliches gesagt, will mehr auf meine Gesundheit achten.

    Man muß das ganz klar sagen, da fällt einiges weg.

    Leute die mich neu kennen lernen, fragen überhaupt nicht. Den Konsum habe ich nie groß verheimlicht, musste ich auch nicht. Ich komme aus einem Umfeld /Haus, wo immer gerne Alkohol konsumiert wurde. Bin im Prinzip damit aufgewachsen.

    Den Einkauf wiederum, habe ich auf ein paar Geschäfte verteilt. Selbst wenn man da unter der Woche weniger trinkt, kam da ganz schön was zusammen. Wer mich näher kennt, kennt auch die ganze Geschichte.

    Gruß

  • Wenn wir mal ehrlich sind, "verheimlichten" wir unseren Konsum hauptsächlich vor uns selbst. Wir redeten schön, spielten herunter, bogen es so, dass es passt und präsentierten uns dann genau so, nicht nur bei Anderen.

    Ich weiß nicht, was ihr für Erfahrungen machtet, doch mir fiel auf, niemanden interessiert es wirklich, ob ich nun Alkohol trinke oder nicht.

    Wenn ich lästig werde, auffalle, störe, dann schon. Ein Abstinenzler wird unter Trinkenden ebenso akzeptiert, wie ein Kosumierer (nicht Besoffener!) bei Nichtverzehrern.

    ' Du trinkst kein Alkohol - o.k., dann trink halt 'ne Limonade ' : das ist doch normal.

    Ist man unter "Zechbrüdern", wird versucht zu überreden, damit bloß kein schlechtes Gewissen aufkommt, natürlich bei den Trinkenden.

    Selbst wenn ich sage ich bin oder war Alkoholiker, kommen vielleicht ein, zwei Fragen bei Interessierten oder welchen, die ein ähnliches Problem hatten oder haben, doch das war's schon.

    Alle (!!!) in meinem Umfeld wussten mein Konsum war alles andere als normal, man sah es mir förmlich an, auch wenn ich gerade nüchtern war - da brauchte ich nichts erklären oder mich gar "outen".

    Auch ich vermeide das stigmatisierende Wort Alkoholiker, zu schnell wird man für immer diesen Makel nicht mehr los.

    ... ich trank zu viel, nun trinke ich nicht mehr = das ist die Wahrheit. Wenn es jemanden interessiert, berichte ich darüber, doch kaum einen interessiert's, sofern er nicht betroffen ist.

  • Ich kaue schon ein bisschen länger auf einer Antwort herum. Also, ich habe ja eine persönliche, sehr offene Art nach außen entwickelt. Auch einfach deswegen, dass man mir deutlichst ansieht, dass ich mich verändert habe. Und das auch nicht nur optisch sondern auch mental und kommunikativ. Deswegen bekommt (bekam) man ja, gerade von Leuten, die einen schon länger kennen - Arbeitskollegen z.B. öfters mal die Frage oder die Anmerkung das einem auffiele, wie sehr man sich verändert hat.
    Und ich für meinen Teile lebe ja auch diese Veränderung, alleine durch eine ziemliche Veränderung durch einen neuen Klamottenstil, Frisur, es fehlen etliche Kilos etc. und ich kommunziere sehr positiv, bin sehr oft gut gelaunt etc. Das fällt halt (positiv) auf.

    Und deswegen halte ich mit meiner Geschichte auch nicht hinter den Berg, falls sie jemand hören möchte. Ich sage aber auch nicht "Hey, ich bin Alkoholiker, ich trinke nicht mehr". Auch weil mir diese Worte sehr fremd sind und ich mich damit auch nicht identifiziere.

    Ich erzähle durchaus offen, dass ich einige, sehr dunkle Jahre hinter mir habe. Und das einhergehend mit Depressionen (despressiven Verstimmungen), Alkoholmissbrauch etc. Und das ich das erkannt, als auch mich darauf herausgearbeitet habe. Bzw. mich immer noch herausarbeite, ich sehe das als einen immer fortwährenden Prozess, als Weg. Nur das der Alkohol jetzt keine Rolle mehr spielt sondern ich mich und mein künftiges Leben zum Projekt gemacht habe. Und einfach Bock auf gute Laune habe.

    In meinem Büro hängt auch, für jeden gut zu lesen der Satz: "Ich habe mir abgewöhnt, schlechte Laune zu haben". Und das bringt es ziemlich gut auf den Punkt.

    Also von daher, ich meine, während des Alkoholmissbrauches war es ja normal, sich immer schuldig zu fühlen, sich zu verstecken, sich schlecht zu fühlen etc. Da muss man sich, gerade WENN man erfolgreich den Kampf aufgenommen hat, doch herausputzen, das Krönchen rücken und sich sagen: "H e r e I am. I am back"! Und jetzt erst richtig. Ich für meinen Teil habe aus der tiefen Krise im Endeffekt eine riesen Portion Selbstbewusstsein rausgeholt. Und das war auch bitter nötig.

    Erstaunlicherweise, was aber eigentlich schade ist, wenn man offen ist und die richtigen Worte gefunden hat, zu kommunzieren wie es einem geht, was einem widerfahren ist und wie die jetzige Lebensausrichtung ist, fangen viele Menschen an einen entweder zu spiegeln oder werden leise. Weil man bei ihnen einen "wunden Punkt" gefunden hat. Gleichzeitig kann man, wenn man das möchte, künftig auch als Vorbild auftreten. Und ich hab ja erzählt, zwei Menschen konnte ich mitziehen und da freue ich mich drüber.

    Wobei das Mitziehen insofern nur Impulse waren, umgesetzt / umsetzten tuen es die Leute selber. Ich hab da nur mein eigenes Konzept erzählt, wie ich das gemacht habe / oder mache. Und eigentlich ist das alles ziemlich integrierbar in den Alltag. Man muss allerdings eine neue Sichtweise einnehmen als sich auch regelmäßig selber hinterfragen und sich Etappenziele setzen.

    Zusammengefasst kann sich ein jeder, der sich auf den Weg gemacht hat, ohne Alkohol zu leben und das auch noch glücklich schafft, sehr auf die Schulter klopfen. Denn, was kaum gesagt wird, mit einer glücklichen und zufriedenen Abstinez, ist man weiter als sehr viele Menschen, die denken, (regelmäßiger) Alkoholkonsum wäre normal.....ist er nämlich nicht. Die Sichtweise ist verschoben, dass ein Saufgelage und Abstürze z.B. auf dem Oktoberfest "normal" wären. Nein ihr Lieben. Das ist nicht normal. Das muss man sich nur ernsthaft vergegenwärtigen.

    Ich bekomme ja auch reichlich mit, wie sehr viele "ihren Alkoholkonsum" verteidigen. Hach, was wird das alles erzählt, von der Lebensqualität, vom Stressabbau beim "Glässchen Wein", vom wohlverdienten Feierabendbier, vom geilen, versoffenen Wochenende mit den Jungs, von dem man Dienstag und Mittwoch noch was hat.....

    Das ist "normal"?

    Also, für mich ist es normal, jeden Tag in der (Arbeitswoche) jeden Morgen top fit aus dem Bett zu springen. Für mich ist es normal, am Wochenende vielleicht eine Stunden später aufzustehen, wieder "top fit" im Bad zu stehen und dann 3 Stunden auf dem Rad zu ballern und ab dann für die Kinder da zu sein. Für mich ist es normal, IMMER, zu 100%, zu jeder Zeit, zuverlässig und verlässlich zu sein. Das ist NORMAL. Und nicht dauernd in sauer zu liegen.

    Ich finde dauernd nüchtern zu sein ziemlich geil. Muss ich echt sagen. Schade, dass es diesen Weg bedurfte, das zu erkennen. Aber nun gut, dafür leb ich das jetzt umso intensiver. Und das kann man ruhig zeigen. Es gibt keinen Grund für ein schlechtes Gewissen oder ein Versteckspiel. Keinen einzigen.

    Gruß!

  • Ich finde dauernd nüchtern zu sein ziemlich geil. Muss ich echt sagen. Schade, dass es diesen Weg bedurfte, das zu erkennen. Aber nun gut, dafür leb ich das jetzt umso intensiver. Und das kann man ruhig zeigen. Es gibt keinen Grund für ein schlechtes Gewissen oder ein Versteckspiel. Keinen einzigen.

    Ich erleb das alles nicht so intensiv wie Honk das von sich beschreibt, dafür sind meine Lebensumstände auch etwas anders, aber mit gewissen Abstrichen passt das, was er beschreibt, zu meiner eigenen Wahrnehmung.

    Was mir bei Honks Beitrag besonders gut gefällt, ist, wie er darin das Positive einer sogenannten „Zufriedenen Abstinenz“ zum Ausdruck bringt.
    Diese Aussicht, wie gut es einem mit einem abstinenten Leben gehen kann, die ich aus den Antworten meine Gesprächspartner vor vier Jahren herauslas, war es, die mir Mut machte, das ebenfalls anzustreben. Das hatte ich mir zuvor gar nicht vorstellen können.

    Erstaunlicherweise, was aber eigentlich schade ist, wenn man offen ist und die richtigen Worte gefunden hat, zu kommunzieren wie es einem geht, was einem widerfahren ist und wie die jetzige Lebensausrichtung ist, fangen viele Menschen an einen entweder zu spiegeln oder werden leise. Weil man bei ihnen einen "wunden Punkt" gefunden hat. Gleichzeitig kann man, wenn man das möchte, künftig auch als Vorbild auftreten. Und ich hab ja erzählt, zwei Menschen konnte ich mitziehen und da freue ich mich drüber.

    Mir ist das schon so manches Mal so ergangen, dass Leute dann angefangen haben, ihren Alkoholkonsum zu verteidigen. Ich höre dann zu, sage aber wenig bis gar nichts dazu, sondern denke mir eher meinen Teil.

    Abgesehen von meinem Mann, der ein gutes Jahr nach mir von sich aus abstinent geworden ist, obwohl er ganz gewiss kein Alkoholproblem hatte, haben sich zwei sehr gute Freunde von mir mich tatsächlich zum Vorbild genommen: Sie sind zwar nicht abstinent geworden, haben aber von sich aus ihren Alkoholkonsum hinterfragt und daraufhin drastisch reduziert Inzwischen trinken sie nur noch selten und, wenn, dann auch nur noch wenig. Und alle drei bemerken an sich, wie gut ihnen das tut.

    Grüße

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Mit mir selber ins Reine zu kommen, das ist ein wichtiges Thema. Früher diese ganze Heimlichtuerei und sich selbst was vorzumachen sind Punkte welche nicht wirklich zu mir passen. Lügen und Ausreden gab es in Bezug auf die Trinkerei ebenso. Alkoholikerin zu sein nagt ehrlich gesagt auch am Selbstbewusstsein. Etwas wo ich nicht stolz drauf bin und es auch nicht ehrlich und offen darüber rede. Weiß gar nicht wie ich mich bei dem ganzen Gedankenkomplex fühle. Schäme ich mich sogar dafür? Ich weiß es nicht genau. Ist irgendwie wie ein schwarzer Fleck auf einer weißen Bluse. dEshalb möchte ich das aufarbeiten und mich mit mir versöhnen und wieder ins Reine mit mir kommen.

    Wie seid ihr denn mit dem Thema umgegangen? Habt ihr „drüber“ gestanden? Habt ihr es einfach in euch rein gefressen? Oder unter den Teppich gekehrt? Ist es überhaupt ein so wichtiges Thema um sich damit auseinandersetzen?

  • Alkoholiker finde ich ein wirklich hässliches Wort und es ist gesellschaftlich so stigmatisiert. Alkoholiker sind im öffentlichen Bewusstsein "Versager", die es nicht schaffen normal zu konsumieren. Das ist eine wirklich schädliche Denke. Wenn man das für sich annimmt, führt es leider nicht gerade dazu, dass man sich in seiner Nüchternheit besser fühlt. Im Gegenteil.

    Ich kann mich von diesem Gefühl nach einer gewissen nüchternen Zeit gut befreien. Wenn ich gesoffen habe, hab ich mich auch lausig als Versager gefühlt. Klar, ich bin ein absoluter Suchtmensch. Ich habe mein Leben lang dazu geneigt bewusstseinsverändernde Substanzen exzessiv zu konsumieren. Ich war halt ne Partymaus. Irgendwann ist da keine Party mehr und der Konsum geht trotzdem weiter - dann ist das nicht mehr so sexy und lustig wie damals, als man jung war.

    Es ist müßig sich darüber so zu grämen, Emily. Du hast es geschafft das Saufen zu überwinden und die Chance ein Leben zu führen, wo Du stolz in den Spiegel schauen kannst. Wenn ich unter Menschen bin, wo gerade viel gebechert wird - lässt sich nicht immer verhindern - denke ich mir auch oft warum soll ich mich eigentlich schlecht fühlen. Ich hab´s doch geschafft das zu überwinden. Die anderen fühlen sich auch unsicher in ihrem Konsum - ansonsten wäre es ihnen nicht so wichtig, dass alle mitsaufen. Und wenn ich dann eine Ausrede verwende, warum ich heute nicht mittrinke ist das nicht nur zu meinem Schutz, sondern auch für die anderen. Ich möchte, dass sich Menschen mit mir wohlfühlen. Und ich möchte mich wohlfühlen und auch meine Intimität bewahren. Niemanden geht es etwas an, warum ich nicht trinke.

    Vielleicht täusche ich mich, aber ich hab manchmal das Gefühl, dass Du Dich verpflichtet fühlst den Anderen "zu beichten" was Du schreckliches die letzten Jahre getan hast. Das musst Du nicht. Du kannst es nicht ungeschehen machen und Du solltest es auch nicht überdramatisieren. Du hast lediglich eine Suchterkrankung - Du hast niemanden umgebracht oder eine Straftat begangen.

    Wenn Du Dich "outest" kannst Du das nicht mehr zurücknehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob Du Dir zum jetzigen Zeitpunkt einen Gefallen tust. In engeren Runden habe ich mir schon angewöhnt zu sagen, dass ich in der Vergangenheit soviel gebechert habe, dass das bis zum Rest des Lebens reicht - ich hab mein Soll schon erfüllt. Da kann sich jeder seinen Teil zu denken.

    Hast Du das Gefühl zu lügen, weil Du nicht offen sagst was los ist?

    Beste Grüße Helga

  • Alkoholikerin zu sein nagt ehrlich gesagt auch am Selbstbewusstsein. ...

    Habt ihr „drüber“ gestanden? Habt ihr es einfach in euch rein gefressen?

    Hallo Emily,

    ich stand bzw. stehe 'drüber!

    Seitdem ich nicht mehr saufe, bin ich auch kein Alkoholiker mehr. Sicher, wenn ..., dann ...

    Ich schäme mich auch in gewisser Weise, wie ich mich für viele Dinge schäme/schämte, die ich versemmelte. Doch das ist vergangen!

    Wie ich mich jetzt verhalte, was ich jetzt tue, das ist entscheidend.

    Früher war ich Alkoholiker, bestimmt auch oft ein Idiot, manchmal auch ein Rücksichtsloser. Bin ich es heut' noch?

    Viele sagen, Alkoholiker (Süchtiger) bleibt man ein Leben lang, nur ein Raucher, der aufhörte bleibt es nicht, ein Kiffer, Kokser, Spieler bleibt es auch nicht. Wo ist da die Logik?

    Wenn ein Abstinenzler wieder trink, kifft, kokst, spielt, wird er wieder zu dem, zur Suchtperson. Das ist logisch!

    Aber immer "den Kelch der Angst" hochhalten, immer sich als "Sünder"/Süchtiger bezeichnen zu sollen ... das kratzt doch am Selbstbewusstsein!!!

    Ich sage gern: 'ja ich hab' gesoffen und nicht zu wenig. Jetzt tu' ich es nicht mehr.' Das gibt mir Selbstbewusstsein, das hilft mir. Ich bin mein lebenlang krank und werde immer süchtig bleiben, ist da eher kontrapoduktiv.

    Denn ich bin jetzt/heute weder krank, noch abhängig. Und das ist die Wahrheit!

  • Ich denke, dass es da zu differenzieren gilt. Sich deswegen zu schämen oder Schuldgefühle zu empfinden, weil man Alkoholkerin ist, ist kontraproduktiv. Das ist auch von Außen aufoktroyiert durch die Gesellschaft und deine Sozialisation. Du bist es halt. No shame. In den USA wird mit Abhängigkeitserkrankungen ganz anders umgegangen, da gehört das fast schon zum guten Ton, dass man mal in der Rehab war. 😅 In der Gesellschaft ist das Prinzip ‚Phönix aus der Asche‘ aber auch weitaus mehr etabliert. Hauptsache ist halt, dass man sich wieder berappelt. Ich hab das anfangs mal als Phlegma empfunden, dass ich Alkoholikerin bin, aber das hat nachgelassen mit der Zeit und etwas Abstand zum Trinken. Ich hab ja den Podcast und der hilft mir grundsätzlich, weil es wirklich total egal ist, was du in die Welt hinausposaunst. Alles ist schnelllebig und im Endeffekt interessieren sich die Menschen nur für sich. Diese Erkenntnis ist total befreiend, wenn man begreift, dass es kein Limit gibt. Alles wieder vergessen am nächsten Tag. 😄 Und im Endeffekt ist es auch total egal, denn so lange es dir gut geht, ist das völlig nebensächlich, ob du Alkoholikerin bist oder nicht.

    Das Andere ist die Schuld und Scham, die du verspürst aufgrund der Dinge, die du in der Vergangenheit getan oder auch nicht getan hast. Diese Gefühle hat jeder…Menschen mit Suchtproblematik was ausgeprägter. Ich kenne diese Gefühle auch gut. Was mir dabei hilft da das Maß nicht zu verlieren ist Folgendes: Die Vergangenheit kann ich mir nicht zum Vorwurf machen, sie ist vergangen und ich kann sie nicht ändern. Ich mache es heute anders und besser und das ist es, was zählt.

    Einmal editiert, zuletzt von Bighara (12. Januar 2025 um 19:40)

  • Vielen Dank euch allen. ich habe angefangen mich vor mir selbst zu schämen. Bisher bin ich damit gut gefahren, dass ich aus gesundheitlichen Gründen und Medikamnten keinen Alk trinke. Das stimmt auch 100%ig.

    Ich mache mir viel zu viel nen Kopf. Dramaqueen. Ich glaube ich lasse das Thema einfach mal los. Bin nun fast 8 Monate nüchtern. Ich brauche das Thema jetzt nicht mehr zu ergründen. Es war wie es war und jetzt ist es anders und das Thema ist keins mehr.

    Lieber mache ich mir Gedanken um schöne Dinge. Meditieren, Sport und Lesen sind auch gut für die Psyche.

    Fühle mich grad wie befreit und lasse diese belastenden Gedanken jetzt einfach los und hinter mir.

  • Mir hat bei der Versöhnung mit mir AmSees Signatur geholfen:

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

    Und ich versuche das immer auch auf meine Beziehungen zu anderen zu übertragen. Ich kann die Menschen nicht ändern, ich kann nur meine Einstellung oder mein eigenes Verhalten ändern.

    Ich habe vor einiger Zeit ein Video zum Thema Sucht gesehen, in dem beschrieben wurde, dass Konflikte, die zu kognitiver Dissonanz führen, Süchte auslösen. Diese können darüber gelöst werden, dass man seine Einstellung zu den Dingen hinterfragt.

    Wenn Du also gelernt hast "Man darf nicht lügen" und das so in Dir verankert ist, hast Du natürlich immer innerlich den Konflikt wenn Du lügst. Also wenn Du anderen irgendetwas (Krankheit/Medikamente...) erzählst warum Du nicht trinkst. Wenn Du aber Deine Einstellung zum Lügen änderst in der Form, dass es ok ist zu lügen, wenn man damit niemandem schadet und man sich selbst damit schützt, ist das Lügen gar nicht mehr konfliktbehaftet.

    Ich hoffe ich konnte das jetzt an diesem schlechten Beispiel irgendwie verständlich machen. Man kann das ja auf alle möglichen Lebenssituationen in denen man sich nicht wohl fühlt übertragen. Man muss seine Positionen gar nicht immer aufgeben, aber einfach mal hinterfragen: warum habe ich diesen Glaubenssatz. Ist er meine innere Überzeugung oder von außen anerzogen.

    Beste Grüße Helga

  • Helga das hilft mir wirklich weiter. Auch der Spruch von AmSee.

    Irgendwie wird es Zeit für mich das Thema einfach mal abzuhaken und es dabei zu belassen. Ich bin ja nun doch schon einige Monate nüchtern und könnte mich einfach mal darüber freuen. Stattdessen grübele ich und suche in den Krümeln. Das belastet mich sogar. Heute bin ich besonders über mich selbst erschrocken. Eine eigentlich halb so wilde Situation bezüglich Parken hat mich so dermaßen aggressiv gemacht wie ich das gar nicht von mir kenne. Ich habe mich so extrem über eine mir unbekannte Frau geärgert, habe sie gedanklich mit allen möglichen Schimpfwörter überschüttet und habe lange gebraucht um wieder runterzukommen. Mir gibt das zu denken. Ich werde jetzt einfach mal das ganze Thema ruhen lassen. Ich bin doch nüchtern und auch zufrieden. Werde mich auch nicht mehr mit der ganzen psychischen Prozess befassen. Einfach mal gut sein lassen und mich darüber freuen, dass ich den Absprung geschafft habe.

  • Helga's Vergleich "Du darfst nicht lügen" ist sehr plausibel!

    Du musst aber auch nicht jedem alles erzählen. Warum auch?

    Du bist wie du jetzt bist. Was nützt es, wenn du Anderen "die Wahrheit" (was ist das überhaupt?) erzählst und sie es sowieso nicht verstehen/nachempfinden können?

    Menschen, oft mir bedenklichen Konsum, fangen meist an zu diskutieren, auch um sich ihren Konsum schönzureden, um möglicher Weise den Anderen zu verunglimpfen, damit man selbst besser dasteht.

    Nicht- oder Wenigkonsumenten, interessiert dein alter oder neuer (Nicht-)Konsum nur wenig bis gar nicht. Permanente, fanatische Abstinenzler, leider auch oft in der Ex-Alkoholikerszene zu finden, beginnen viel zu schnell mit div. Predigten. Will man das alles? ... sich in ewige Diskussionen verstricken, sich rechtfertigen vor Menschen, die es gar nichts angeht?

    Wenn auf ich das gleiche Geschecht stehe, viel zu viele Handtaschen kaufe, häufig masturbiere, lieber Fernsehsoaps als Dokumentationen sehe, niemals grüne Gummibärchen essen würde ... oder oder oder - wen geht das etwas an? Nur weil ich es nicht jedem erzähle, lüge ich dann?

    Viele Überpsycholgisieren auch, besonders die Unwissenden vermuten, unterstellen und urteilen viel zu schnell.

    Wenn du mit deinem, nun alkoholfreiem, Leben besser zurechtkommst, ist das gut so.

    Wenn ein Trinker mit seinem Leben zurechtkommt, ist das für mich jedenfalls, völlig in Ordnung.

    👋

  • Paul du hast Recht. Für wen mache ich mir überhaupt nen Kopf? Hauptsache ich habe es hinter mir gelassen. Alles andere ist doch egal und ich bin niemand etwas schuldig. Muss mich auch gar nicht rechtfertigen. Ich versöhne mich jetzt einfach mit mir und lebe mein Leben mit klarem Verstand und klarem Kopf.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

    Den Spruch von AmSee schreibe ich mir hinter die Ohren. Und auch die Inspirationen von Helga merke ich mir.

  • Ich bin schon ein paar Jahre unfallfrei dabei und habe von Anfang an den Kreis der Eingeweihten sehr eng gezogen. Insbesondere die ach so lieben Arbeitskollegen habe ich nicht informiert, warum auch? Dort bin ich nie als Trinker aufgefallen.


    Falls ich Alkohol angeboten bekomme, reicht ein einfaches: "Nein danke aus." Erklärungen oder Rechtfertigungen gibt es von mir nicht (mehr). Mit früheren Zechkumpanen habe ich nichts mehr zu tun. Anderen Personen, die selbst wenig oder nichts trinken, ist es völlig wurscht, warum ich nichts trinke. Warum? Weil sie ein vernünftiges Verhältnis zum Stoff haben und im Gegensatz zu mir früher, ihr Leben nicht rund um die Pulle organisieren.

    Und wirklich neugierig waren zudem nur Leute, die zumindest ein sehr problematisches, wenn nicht gar süchtiges Trinkverhalten aufweisen. Denen halte ich durch mein Nichttrinken irgendwie den Spiegel vor. Der Anblick scheint ihnen, so wirkt es auf mich, nicht sonderlich zu gefallen.

    Ich entscheide immer noch selbst, wem ich was erzähle. Da ich seit mehr als 9 Jahren unterwegs bin, kennen mich nur noch wenige als heftigen Konsumenten. Für den Rest bin ich wahrscheinlich ein gesund lebender Mensch, der keinen Alk trinkt. Und was für einen Reim die sich letztlich klammheimlich auf mich machen, ist mir wurscht. In Abwandelung des Mottos des Fußballclubs Bayern München gilt für mich: "Ich bin ich".

  • Hallo Emily


    Ich möchte mal ein paar Gedanken von mir zum Thema beisteuern. Dieses "abhaken" hat bei mir nie so ganz funktioniert. Irgendwie kam das "Abgehakte" in welch einer Ausformung immer mal an die Oberfläche. Vor kurzem mal mein ganzer Jähzorn als eine Nachbarin glaubte mich mit ihrer Version manipulieren zu können. Nun es ist für mich zumindest nicht verkehrt auch diese Seite zu zeigen. Natürlich hat so ein emotionaler Ausbruch seinen Schatten. Diese Lawine bekommt leicht eine unkontrollierte Dynamik und wenn ich das STOP nicht kenne kann es übel ausgehen. Doch ich stehe dazu und kenne ziemlich die Mechanismen um mich wieder runterzufahren. Es zeigt mir halt das Menschliche in meinem eigenen Leben.
    Vielleicht sind solche Sachen auch geeignet um sich selber näher zu kommen, sich zu spüren. In bestimmten Therapien werden diese Situationen auch herbeigeführt um sich selber besser kennenzulernen. Da fällt mir die Geschichte ein die mir ein Freund mal erzählte. Er war zu Besuch bei einem Ehepaar das er ewig nicht mehr getroffen hatte. Als der Mann mal aus dem Zimmer ging, sagte mein Freund zur Frau: "Fällt dir eigentlich noch auf das ihr zwei nur noch aneinander vorbeiredet". Das ist es was passieren kann wenn man den Fokus nicht mehr auf die Wirklichkeit ausrichtet und sich einen neuen Ponyhof einrichtet.


    LG Brant

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