Liebe CeBe,
texte ruhig so viel, wie du magst, das stört hier niemanden, auch mich nicht.
Ja, ich, weiblich, bin jünger als du, aber gesundheitsbedingt - ich bin u.a. an MS und Depressionen erkrankt, was die eine oder andere größere Einschränkungen mit sich bringt, die andere in meinem Alter nicht haben - schaue ich inzwischen weniger darauf, wie viele Jahre theoretisch noch vor mir liegen könnten, sondern ich versuche nach Möglichkeit jeden Tag als geschenkte Zeit wahrzunehmen. Manche Tage sind besonders gut, andere Tage eher weniger, aber das gehört eben auch dazu. Zur Zeit geht bei mir wieder recht wenig, aber ich versuche mich davon nicht unterkriegen zu lassen, sondern das zu tun, was mir eben möglich ist.
Aber, ich glaube doch, dass ich schlagartig aufhören könnte. Diese kursierenden Tests sagen mir eigentlich immer, dass ich nicht körperlich abhängig bin. Also ich spüre diesen Suchtdruck zu bestimmten Tageszeiten. Vorher war das gegen Mittag und am späten Nachmittag. Und ich trinke ohne Probleme zwei große Gläser hintereinander, anschließend kann ich aufhören. Nicht, weil ich es kontrolliere, sondern weil es bisher tatsächlich reichte. Die Wirkung ist so: Ich fühle mich gut, rede zu viel und könnte auf keinen Fall mehr sicher Autofahren.
Dass du vermutlich noch nicht körperlich abhängig bist und bislang immer wieder Trinkpausen von ein paar Wochen einlegen konntest, heißt nicht, dass ein sogenannter Kalter Entzug ungefährlich für dich verlaufen könnte. Deshalb bitte ich dich, gut auf dich zu achten und ggf. nicht zu zögern, den Notarzt zu rufen.
Ja, das mit den zwei großen Gläsern hintereinander und dann sozusagen gesättigt zu sein, kenne ich auch. Damit habe ich mich immer wieder beruhigt, ja gar kein Alkoholproblem zu haben, weil ich glaubte, dass mein Körper das auf diese Weise ganz von allein kontrolliert. Und eine Flasche Rotwein am Abend (später auch zwei, am Ende noch mehr) hielt ich für völlig im Rahmen, machen andere doch auch und leben vor, wie gut es ihnen damit geht. Ich glaubte, das sei „Savoir-vivre“. …. Bis mir selbst dann mein eigener Konsum unheimlich wurde …
Diese Online-Tests habe ich häufiger gemacht, da kam stets nur „riskanter Konsum“ heraus. Irgendwie habe ich mich damit immer beruhigt, noch längst kein ernsthaftes Problem zu haben und weitermachen zu dürfen.
Dass ich so offen schreiben kann, hängt vor allem mit der Anonymität zusammen. Und gerade das zeigt wieder mal, wie stigmatisiert Alkoholiker sind. Wie das ganze schnell auf die Moralschiene geschoben wird oder angeblich mit schwachem Willen zusammenhängt. Dass ich hier bei uns nicht ins Gerede kommen will, ist eigentlich jedem klar, der Kleinstädte kennt.
Das ist in unserer Gesellschaft, in der Alkohol allgegenwärtig und selbstverständlich ist, wohl so, dass nur die wirklich auffallen, bei denen ihr Alkoholproblem unübersehbar geworden ist. So, wie Regeln unserer Gesellschaft im Umgang mit Alkohol nun einmal sind, kannst du bereits jahrelang Alkoholiker sein, ohne überhaupt nur auffällig zu werden.
Ich kenne das, was du von deiner Kleinstadt beschreibst, von der Gegend, in der meine Schwiegerfamilie, mit der wir in engem Kontakt stehen, leben: Dörfer bzw. Kleinstädte, wo jeder jeden kennt und sich die Gespräche nur darum drehen.
Was das Gerede betrifft: Du wirst nicht unbedingt auffallen, wenn du nicht mehr trinkst. Du musst noch nicht mal bekennen, ein Alkoholproblem zu haben, weil das eigentlich niemanden etwas angeht. So ein Bekenntnis kann ein Schutz sein, es kann aber auch hinderlich sein, nur du selbst kannst und wirst beurteilen können, was besser für dich ist. Ich selbst gehe nicht damit hausieren, ein Alkoholproblem zu haben, ich trinke einfach nicht, weil ich es nicht will. Ich hab schon eine ganze Weile keinerlei Bedürfnis oder Interesse mehr, Alkohol konsumieren zu wollen. Ich trinke einfach nicht, sondern bitte um ein Wasser oder ein anderes alkoholfreies Getränk, das ich gerne mag.
Viele Grüße
AmSee