Hallo in die Runde - Vorstellung

  • Hallo zusammen,

    1 Jahr und 2 Monate bin ich nun trocken und gelte somit als stabil abstinent. Ich gelte nicht nur so, sondern ich fühle mich auch so. Stabil abstinent, nachdem ich es 23 Jahre lang nicht war. Wer bin ich denn überhaupt? Ich bin weiblich, knapp 40 Jahre alt und Mutter eines Kindes im jugendlichen Alter. Ich bin den harten Weg gegangen und musste letztes Jahr in die Klinik gehen, weil ich nicht mehr klargekommen bin auf mich und mein Leben. Ich bin durch den Alkohol und die Sucht suizidal geworden. Die Trennung vom Alkohol musste also sein, wenn ich weiterleben wollte. Der Entzug, war das Schwerste, was ich bislang in meinem Leben durchziehen musste. Der Alkohol war da, bevor alles Andere da war, da er mit 16 Jahren in mein Leben getreten ist und sofort eine Funktion hatte. Ich habe nicht immer so schlimm getrunken, wie in den letzten Jahren. Wie das in der Sucht so üblich ist, war der Alkohol in unterschiedlicher Intensität in verschiedenen Lebensphasen bei mir präsent. Aber die letzten Jahre waren wirklich schlimm. Ich habe mich immer mehr von mir selbst entfernt, falls ich vor dem Entzug wirklich jemals bei mir gewesen bin. Letztes Jahr habe ich viele Monate in Klinik und ReHa verbracht...und in der Therapie mein Leben aufgeräumt. Ich habe verstanden, wo die Sucht herkommt und wie und warum sie sich in mein Leben gefressen hat. Heute fühle ich mich wieder wie ein "normaler" Mensch. Ich fühle wieder, was ich jahrelang nicht getan habe. Mein Kopf ist klar und funktioniert wieder wunderbar. Und seitdem der Alkohol weg ist, sind auch die Depressionen weg und ich bin nicht mehr suizidal. Es geht mir gut und ich bin zufrieden abstinent. Warum nicht glücklich abstinent? Glück ist ein kurzes, schnelles Hoch. Ein Kick. Ein High. Wie der Suff auch. Zufriedenheit ist die angenehmere Baseline in meinen Augen. Der Weg in die Nüchternheit hat viel Kraft gekostet, der Weg war hart und heftig, aber kein Vergleich zu dem, wo ich mit dem Alkohol zuletzt stand. In diesem Sinne...ich hoffe hier auf einen interessanten und angenehmen Austausch.

    Eure Bighara

  • Hallo Bighara


    Es freut mich das du hier aufgeschlagen hast. Das Forum hier sucht seit kurzem einen Neuanfang in einer sich rasch veränderten digitalen Welt und neue Ideen sollten oder müssten hier eigentlich willkommen sein.

    Ich habe hier vor Jahren mal einen Thread eröffnet Videos als Hilfe und ich denke das ein neuer Faden mit ähnlichem Titel vllt über Podcasts frischen Wind in diesen Bereich, was digitale Hilfe betrifft, bringen könnte.

    Desweiteren werden natürlich auch Autoren gesucht für geeignete Artikel https://alkoholforum.de/article-list/.

    Ich werde mir in näherer Zukunft mal eins deiner Podcasts anhören und meine Gedanken dazu zu Papier bringen.

    Das mal vorerst.


    LG Brant

  • Hallo Bighara,

    schön, dass du hierher gefunden hast und dich uns so ausführlich vorgestellt hast.
    Ich wünsche dir einen interessanten und hilfreichen Austausch hier und natürlich ein gutes Ankommen.

    So manches, was du teilst, kommt mir sehr bekannt vor. Ich selbst habe wegen meines Alkoholproblems nicht eine Klinik aufsuchen müssen, sondern den Absprung tatsächlich noch vorher geschafft, aber das andere kenne auch ich nur allzu gut.

    Mit dir hätten wir übrigens eine weitere „Expertin“ hier, die teilen kann, was während eines Klinikaufenthaltes so zu erwarten ist. Da dürfte u.U. so mancher Hilfesuchende von profitieren können.

    Warum nicht glücklich abstinent? Glück ist ein kurzes, schnelles Hoch. Ein Kick. Ein High. Wie der Suff auch. Zufriedenheit ist die angenehmere Baseline in meinen Augen.

    Das finde ich gut formuliert, denn „zufriedene Abstinenz“ bedeutet auch meiner eigenen Erfahrung nach nicht, dass immer alles „eitel Sonnenschein“ ist. Das ist es nicht, weil das Leben nicht so ist, und das muss es meines Erachtens auch gar nicht.

    Ich hab während meiner schlimmsten depressiven Phase, während der ich auch in einer Klinik war, weil nix mehr ging, mal manische Phasen erlebt. Das erste Mal fühlte sich das echt spitzenmäßig an, aber ich hab solche Phasen schnell fürchten gelernt und auch ihre Gefahren kennengelernt.

    Insofern ist diese Zufriedenheit, die du im Blick hast, als Baseline genau das, was auch ich im Blick habe. Momente des Glücks sind für mich dann wie die Perlen einer Kette. Als einzelne etwas ganz besonderes, an das ich mich gerne erinnere.

    Ich habe hier vor Jahren mal einen Thread eröffnet Videos als Hilfe und ich denke das ein neuer Faden mit ähnlichem Titel vllt über Podcasts frischen Wind in diesen Bereich, was digitale Hilfe betrifft, bringen könnte.


    Diese Anregung von Brant finde ich nicht schlecht, wenn darin allgemein über Podcasts informiert und diskutiert würde, ohne konkret für den einen oder anderen Werbung zu machen. Weitere Horizonte eröffnen könnte das meines Erachtens durchaus.

    Themen und Autoren für mögliche Artikel sind uns natürlich auch willkommen. :)


    Viele Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo Bighara,


    von mir an der Stelle ebenfalls ein herzliches Willkommen ;)

    Ich wünsch dir ein gutes Ankommen und immer einen guten Austausch.

    Ich habe verstanden, wo die Sucht herkommt und wie und warum sie sich in mein Leben gefressen hat. Heute fühle ich mich wieder wie ein "normaler" Mensch. Ich fühle wieder, was ich jahrelang nicht getan habe. Mein Kopf ist klar und funktioniert wieder wunderbar. Und seitdem der Alkohol weg ist, sind auch die Depressionen weg und ich bin nicht mehr suizidal. Es geht mir gut und ich bin zufrieden abstinent.

    Ich denke wir haben alle unsere Geschichte und jeder hat seinen eigenen Umgang mit der Sucht entwickelt, aber es läuf m. A. nach, immer auf eine ZUFRIEDENE Abstinenz heraus, um dauerhaft nüchtern zu bleiben.

    Ich kann das vollkommen nachvollziehen, wie du dich wieder als ein "normaler" Mensch fühlst. Mir geht es genauso und ich bin so dankbar, dass es so ist.

    Es ist schon irgendwie seltsam, dass durch das Weglassen des "Wunderheilmittels", was in der Vergangenheit Heilung vorgegaukelt hatte und als unabdingbar angesehen wurde, jetzt eine wirklich Heilung stattfindet. Und ich betrachte meine Nüchternheit nicht als Verlust, sondern als einen riesen Zugewinn, eine Chance um endlich der Mensch zu sein/ zu werden, der es nicht mehr nötig hat, sich durch Alk&Co zu verbiegen.

    Ich höre übrigens sehr gerne Podcast's von Menschen, die es "geschafft" haben, ich brauche dieses Identifizieren und diese positive Visionen. Und gerade, weil es Leute gibt, die mit dem Thema oder "ihrem Problem" in die Öffentlichkeit gehen, nimmt es meiner Ansicht nach sehr viel von dieser trostlosen Stigmatisierung weg. Niemand will gerne Alkoholiker sein, dann doch lieber eine "hippere" Sucht wie Kokain oder ähnliches. Aber letzendlich sind das nur Begrifflichkeiten und egal welche Droge, es läuft beim Süchtigen immer darauf hinaus, dass ihn letzendlich der Stoff, der anfänglich Lebensfreude, Glück, Zufriedenheit und Entspannung versprach, gerade DAS durch den Selbigen immer mehr genommen wird.

    Ich hatte vorhin nur mal ganz kurz in deinen Podcast reingehört, werde das aber bestimmt noch vertiefen und ich finde es wirklich gut, dass du auf die Weise einen Weg gefunden hast, um das Ganze zu verarbeiten.


    LG Rent

  • Hallo Bighara

    Ich habe mir Sucht, du bes e Jeföhl angehört und sehe es als einen mutigen Versuch von Dir die Welt der Süchte mit anderen Betroffenen zuteilen. Wie genau es auf die Leute wirkt, die du speziell erreichen willst, kann ich nicht sagen. Irgendwie fehlt mir da nach all meinen Jahren der Abstinenz sowas wie eine emotionale Betroffenheit zu so vielen Ereignissen. Meine wilde Zeit von damals fühlt sich für mich einfach nur wie verjährt an. Ohne so besondere Gefühlswallungen. Schwer zu beschreiben.
    Ich finde jedoch sehr gut das du diesen Weg der Bearbeitung deiner Suchtproblematik gehst und ich denke das es genügend Menschen gibt die in tiefere Resonanz mit dem was du mitteilst gehen können. Ich wünsch dir jedenfalls den nötigen Erfolg für dein ambitioniertes Vorhaben.


    LG Brant

  • Brant Reine Interessenfrage: Wenn du dich in der Hinsicht so von deinen Emotionen abschneidet bzw. von diesem abgeschnitten zu sein scheinst in Bezug auf die Sucht: Ist das nicht auch gefährlich in dem Sinne, dass man droht nachlässig zu werden, weil man denkt, dass die Sucht einen nicht mehr so recht betrifft?

  • Hallo Bighara,

    ich habe mir deine 3 Podcast's ebenfalls angehört. Und ja, was ich bis jetzt gehört habe, geht deiner schon (für den einen oder anderen) tiefer/ emotinaler oder zumindest in eine andere Richtung, als z.B. N.Stüben oder ähnliche.

    Die bisherigen Sucht-Podcasts haben mich nicht abgeholt, weil die nicht genug in die Tiefe gehen. Gerade auch, als ich mir bewusst wurde, dass ich ein Alkoholproblem habe, haben mir diese Podcasts immer nur mein Scheitern vor Augen geführt, denn ich habe es nicht einfach mal so geschafft mit dem Trinken aufzuhören

    Ich kann dich auch verstehen, was das in dir auslöst: So viele Leute schaffen es mal "locker" und ohne Qual mit dem Trinken aufzuhören. Nur du eben nicht. Ich denke aber auch, das z.B. N. Stüben auch mehr Leute abholt, die noch eher im Graubereich stecken und sich vielleicht ihrer "Krankheit" noch gar nicht richtig bewusst sind, sondern bei sich eher "nur" einen bedenkliche Konsum sehen. Und gerade weil dem Alkokoliker in JEDER Gesellschaftsschicht so ein negatives Stigma anhaftet und sich niemand damit identifizieren will, wird ja erst etwas unternommen, wenn das Haus schon halb angebrannt ist.

    Ich muss dir sagen, dass ich "vergangenheitstechnisch" (Erlebnisse in Kindheit und Jugend) recht gut deine Erlebnisse nachfühlen kann und ich wie du, als Erwachsener viele meiner Gefühle/ Ängste/ Defizite mit Alkohol sediert/ zu kitten versucht habe.

    Mir hat aber damals wiederum N. Stübens Denkweise (ein Leben ohne Alkohol ist keine Qual und der ALKOHOL ist für einen Großteil meiner Probleme verantwortlich) recht gut geholfen. Und viele Probleme kommen ja wirklich erst später, wenn die "Medizin" aufgehört hat zu wirken und es sich herrausstellt, dass dadurch neue Probleme innen wie außen gewachsen sind.

    Aber mir hat damals wirklich diese positive Botschaft (es ist möglich und keine Qual) und die Geschichten dieser "happy People" geholfen. Klar, in ihren Podcast kommen natürlich auch nur die Sieger-Geschichten rein.

    Mir hat das dieses Düstere genommen, "dieses auf ewig KRANK", auf ewig fremdbestimmt und ausgeliefert sein. Und ich habe gerade jetzt durch die Nüchterheit ein gesundes Fundament, meine Todo Liste mit den "B"-Aufgaben zu abzuarbeiten.


    Unterm Strich würde ich dir raten, mach einfach DEINEN Stiefel, lass DEINE Eindrücke/ Erfahrungen "fliesen" und du wirst bestimmt auch viele finden, die sich gerade in deiner Geschichte wiederfinden und identifizieren können.

    Und vor allem, mach es so, dass DIR es gut tut.

    LG Rent

  • Guten Morgen rent Ja, ich werde meinen Stiefel durchziehen, denn mein Ansatz ist ein ganz Anderer…ich möchte erklären, wie Sucht funktioniert. Ich stelle mich selbst als Beispiel zur Verfügung und möchte dem Hörer die Möglichkeit zur Reflektion geben. Im Endeffekt möchte ich zeigen, wie Therapie funktioniert und wo man als Betroffener hinschauen muss, wenn man wirklich für sich weiterkommen möchte.

    Ich kann das Positive bei N. Stüben verstehen, was dich da abgeholt hat. Diesen Effekt gab es anfangs bei mir auch, jedoch hab ich schnell gemerkt, dass sich alles auf ihre Programmteilnehner konzentriert und die Gesprächspartner nicht mehr Menschen sind, die auch auf anderen Wegen aus der Sucht gefunden haben. Außerdem…und das war, denke ich, das Entscheidende für mich: N. Stüben hat für mich an Identifikationspotential verloren, weil ich mitbekommen habe, dass sie 1) nicht so lange getrunken hat wie ich 2) ihre Funktion hinter dem Alkohol für mich zu trivial war 3) sie als Highperformerin ihr Leben ja doch ziemlich auf die Kette bekommen hat 4) sie hat ihre Kids erst bekommen, als sie trocken war 5) sie immer mehr zur Missionarin in Sachen Contra Alkohol geworden ist. Die hat selbst jahrelang getrunken und weiß also, wie geil der Rausch ist. Man sollte nicht versuchen gegen diesen ankämpfen zu wollen, den Kampf verliert man. Da hilft nur Sensibilisierung und Aufklärung. Das mit dem Contest-Gedanken und der Gläubwürdigkeit ist übrigens ein Phänomen, was ich auch in den Kliniken beobachten konnte. So sind die Menschen. Selbst in der Sucht noch im Leistungsgedanken unterwegs. 😅🤷‍♀️

  • Brant Reine Interessenfrage: Wenn du dich in der Hinsicht so von deinen Emotionen abschneidet bzw. von diesem abgeschnitten zu sein scheinst in Bezug auf die Sucht: Ist das nicht auch gefährlich in dem Sinne, dass man droht nachlässig zu werden, weil man denkt, dass die Sucht einen nicht mehr so recht betrifft?

    Es ist nicht so das ich mich von meinen Emotionen abgeschnitten fühle. Als Gefühlskrüppel oder Zombie würde ich mich nicht bezeichnen. Es ist vielmehr eine Entdeckung in einer Art und Weise zu sein die dem Leben eine neue Qualität gibt. Als ich mich ernsthaft mal fragte was den mein grösster Wunsch in diesem Erdensein für mich wäre da formte sich das Wort Stille in meinem Innern.
    Jetzt sind Wunsch und Wirklichkeit zweierlei Dinge und es ist erstmal nicht so leicht in einen Space des Angekommens zu sein, es zum Stllstand zu bringen. Damit meine ich das Getöse das bei mir wie bei allen Menschen in den Köpfen so abläuft.
    Es scheint fast so das in unserer Kultur Lebendigkeit mit emotionaler Berauschung gleichgesetzt wird und es scheint das diese Lebensweise in einer Konsumgesellschaft auch noch gefördert wird. Da pilgern jedes Wochenende hunderttausende ins Fussballstadion um ihren Verein zu huldigen und dem Rivalen zu hassen. Die Clubs und Discos sind voll von Leuten auf der Suche nach Zerstreung und Ablenkung. Filme und Nachrichten halten uns in einem Spannungsfeld. In diesem Umfeld ist es dem Individum gar nicht mehr möglich zwischen Sein und Schein zu unterscheiden. Wir werden das Gedankenkarussel.
    Einen Ausweg habe ich im Laufe der Zeit für mich gefunden. Es sind die Momente um sich Zeit für mich zu nehmen. Die morgendliche Meditation, die Spaziergänge und Wanderungen in der Natur, Also alles was mich erkennen lässt das ich dem Leben nichts mehr hinzufügen muss, das es so wie es ist in seiner Essenz schon vollkommen ist.
    Das war erstmal eine irritierende Feststellung für einen haltlosen Exsäufer wie mich. Wenn ich mich manchmal an die versoffenen Zeiten erinnere kommt es mir vor als wäre das eine ganz andere Person gewesen. Und das hat jetzt nichts mit Persönlichkeitsspaltung, mit dem Schizoman zu tun.
    Ich habe meine Lektionen gelernt. Diese schmerzhaften und leidvollen Erfahrungen von damals haben sich tief in mir eingebrannt. Es ist für mich keine Option mehr nochmals zur Flasche zu greifen.
    Das ich einen Weg gehe, wo ich zulasse das ich meine Sinne für Wesentlicheres verwende als einer thumben Vergnügungssucht zu frönen, hat nichts mit Nachlässigkeit zu tun. Es war und ist vielmehr das Erkennen das Abstinenz immer die Grundlage meiner Gedanken, Worte und Handlungen ist und immer sein wird.

    Gute Zeit

  • Guten Morgen rent Ja, ich werde meinen Stiefel durchziehen, denn mein Ansatz ist ein ganz Anderer…ich möchte erklären, wie Sucht funktioniert. Ich stelle mich selbst als Beispiel zur Verfügung und möchte dem Hörer die Möglichkeit zur Reflektion geben. Im Endeffekt möchte ich zeigen, wie Therapie funktioniert und wo man als Betroffener hinschauen muss, wenn man wirklich für sich weiterkommen möchte.

    Meine Gedanken dazu, Sucht ist nicht linear und gleich abzubilden. Als auch therapeutische Ansätze funktionieren bei jedem Menschen unterschiedlich.

    Ich berichte nur auf meiner Warte, ich habe ganz lange, sehr lange gebraucht um mir selber einzugestehen, ich habe ein Problem mit Alkohol. Und wie ich schon beschrieb, ich stand ziemlich an der Klippe, die Jahre davon waren viel von tiefen, depressiven Verstimmungen geprägt. Eigentlich war mein Alltag ein Dauerkater, der nur das durch Trinken ganz kurz wieder "normal" wurde, meistens abends - kurz, bis der Pegel schnell so hoch wurde, das ich wieder traurig war.

    Meine größte Hemmschwelle war es, die Alkoholsucht anzunehmen, weil ich ehrlich gesagt Angst vor dem "Danach" hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, Therapie zu machen. Warum? Weil alles, was ich darüber an Informationen bekam, negativ war. Ich konnte mir nicht vorstellen, diesen Weg zu gehen.
    Und ich wurde ja in meiner Meinung bestärkt, indem ich in meinen ersten Berührungspunkten, in Online-SHG´s, ordentlich auf die Mütze bekam. Und ich möchte ganz klar hier sagen, wenn ich zu dem Zeitpunkt irgendwo mehrfach gelesen hätte, ich könne nicht mehr Glücklich sein, Glück wäre nur ein kurzer Rausch: Ich würde heute noch trinken, ich weiß nicht wo ich heute wäre und wäre vermutlich auf dem Weg, alles wegzuwerfen.

    Wieder glücklich zu sein, ich selber zu sein, mich intensivst zu fühlen und zu spüren war mein größter Wunsch und mein Hauptantrieb den Alkohol liegen zu lassen. Glück und Rausch gleichzusetzen finde ich überhaupt nicht richtig. Rausch ist ein Augenblick, Glück ein anstrebender Dauerzustand.

    Aber ich erkenne absolut an, deswegen auch mein erster Satz, das jeder Mensch anders ist. Jeder geht mit Sucht und Abstinenz anders um, braucht andere Eckpfeiler und Ankerpunkte. Dinge, die ihm wichtig sind. Ich könnte mir vorstellen, das Suchtbearbeitung bei weitem stärker individualisiert werden könnte, ggf. auch sollte, weil auch die Suchtphasen und Suchtiefen m.E. ganz unterschiedlich sind.

    Ich habe eine Weile gebraucht um festzustellen, dass mein Weg individuell ist, nicht jeder auf die "GuteLauneBärUltraSportler" - Einstellung vom Honk anspricht.
    Aber dennoch hat meine Art der Suchtbewältigung Raum verdient, ich bin mir sicher, ich würde, ordentlich zusammengefasst, mit meiner Einstellung und Verarbeitungsweise Menschen ansprechen. Aber nicht jeden.

    Deswegen finde ich den Ansatz, dass Du Therapie erklären willst und Betroffenen zeigen möchtest, ein schwieriges Projekt, weil es das Potential hat, Leute zu verschrecken und abzuhalten.
    Ich bin ja auch fest der Meinung, alkoholsucht ist viel zu schambehaftet als auch viel zu etabliert in der Gesellschaft, es braucht mehr Aufklärung und Lifestyle um über Alkohol aufzuklären. "Soberness" muss cool werden. Auf "Rehab" gehen, kein Tabu sein sondern beklatsch werden.

    Und dafür stehe ich eben halt, weil ich feststelle: Nüchtern ist so geil und macht soviel Spaß, ich hab mein Leben wieder :) Und da kommt noch einiges auf mich zu und da freue ich mich tierisch drauf :)

    VG!

  • Honk , Danke dir für deine Gedanken. Das finde ich hochinteressant, was du schreibst.
    Teilweise finde ich selbst mich darin wieder, insbesondere in deinem letzten Satz:

    Nüchtern ist so geil und macht soviel Spaß, ich hab mein Leben wieder :) Und da kommt noch einiges auf mich zu und da freue ich mich tierisch drauf :)


    Seit ich „zufrieden abstinent“ bin, macht mir mein Leben so viel Spaß und Freude, wie es das niemals zuvor hatte. Insofern empfinde auch ich nüchtern sein sozusagen einfach nur „geil“ (in dem Sinne in dem ich dieses Wort auffasse und manchmal gebrauche 😄).

    Ich selbst hab den Absatz, warum Bighara es nicht „glücklich abstinent“ nennt, aber offenbar etwas anders aufgefasst als du. Ich selbst hab daran gedacht, dass mein Leben, so wie Leben nun einmal ist, nicht immer „eitel Sonnenschein“ ist. Und es drängte sich mir in diesem Zusammenhang auch die Erinnerung an meine manischen Phasen auf, die sich beim ersten Mal echt geil anfühlten, aber sich im Nachhinein als äußerst trügerisch und gefährlich herausstellten.

    Ich gebe dir Recht, dass „Glück“, so wie du und ich es offenbar erleben oder wahrnehmen, nicht mit dem Kick eines Rauschs gleichzusetzen ist, sondern tatsächlich etwas ganz anderes ist.

    Ich musste, als ich deine Zeilen las, daran denken, dass und wie Menschen schon seit Ewigkeiten auf der Suche nach dem Glück sind bzw. wie man glücklich werden könnte. „Vita beata“ - „glückliches Leben“ nannten es zum Beispiel römische Philosophen, mit denen ich mich näher beschäftigt habe.

    Also: Von meiner Seite deshalb DANKE für deine Gedanken.

    Deswegen finde ich den Ansatz, dass Du Therapie erklären willst und Betroffenen zeigen möchtest, ein schwieriges Projekt, weil es das Potential hat, Leute zu verschrecken und abzuhalten.

    Ich weiß noch nicht, wie Bighara das angeht oder angegangen ist, aber in diesem Zusammenhang fiel mir der Vortrag zum Anhören von Prof. Lindenmeyer Die Therapie ein. Ich selbst bin in dem Zusammenhang nicht auf den Gedanken gekommen, dass das verschrecken oder abhalten könnte. Ich hätte eher gedacht, dass das Angst nimmt. 🤔


    Viele Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Guten Morgen zusammen.

    Ich danke dir @AmSee für den link zur Therapie. Lindenmayer hat immer sehr gute Ansätze und Erklärungen, das Video kannte ich schon.

    Was mich betrifft, so bin ich auch ohne Therapie oder Reha vom Alkohol losgekommen.

    Für mich war es damals ganz klar, dass ich nicht in dir Klinik will-auch ich wäre damals abgeschreckt gewesen, wenn mir jemand gesagt hätte ,es geht nur mit .

    Für mich war damals die Erkenntnis so schlimm ,dass ich womöglich (!) sehr süchtig bin. Ich wollte es auf jeden Fall ohne Klinik schaffen und ich schwor mir,wenn es wieder scheitern sollte ,dann erst gehe ich in die Klinik.

    Ich denke -aus mir heraus gesprochen- dass das Thema Alkohol,Klinik, Reha,Nachsorge etc so schambehaftet war zu diesem Zeitpunkt, als ich mir vornahm, endgültig mit dem Alkohol aufzuhören.

    Der Schritt in die Klinik wäre für mich eine zu große Hürde gewesen. Ich spüre diese Not noch heute ,wenn ich nur daran denke.

    Oran-Gina

  • Ich denke , was Honk und auch die Anderen zum Ausdruck bringen wollen, ist, dass eben die Sucht/ ihre Mechanismen und auch die Wege daraus, bei jedem etwas anders funktionieren können.

    Für mich war es sehr wichtig, MEINEN Weg zu finden. Ich komme auch manchmal mit Dogmatismus nicht so gut klar und ich finde es ist nicht besonders hilfreich, wenn jemand anhand SEINER Erfahrungen eine Regel für alle aufstellen will. (Bitte nicht missverstehen, Bighara , sieh das nicht als Kritik gegen dich, aber es spiegelt in Ansätzen die Denkweise wieder: "NUR SO ist es richtig!", was ich übrigens an anderer Stelle als sehr kontraproduktiv für mich erlebt habe)

    Und wie die Denkweise z.B. von N. Stüben (oder auch anderen Podcastern) eben auch nur einen gewissen Teil der Leute mitnimmt, brauchen andere wiederum einen ganz anderen Weg, wie z.B. auch eine Therapie oder ähnliches, um ihren Weg zu starten/ zu gehen. Und ALLES hat seine Berechtigung.

    Und wie es dem einen hilft, sich als "Nichttrinker" (vgl. Nichtraucher) statt Alkoholiker zu sehen oder sein "Nichtmehrtrinken müssen/ wollen/ brauchen..." als Befreiung/ als echte Freiheit ansieht, braucht der Andere eben die klare Definition "Alkoholiker" um sich damit eine eindeutige Grenze zu setzen.

    Ich denke, es ist immer gut, seine Erfahrungen zu teilen, aber seine eigene Erfahrung immer nur als EINE Möglichkeit und VIELEN anzusehen.

    Vielleicht ist jetzt auch gegenseitig einiges missverstanden worden und ich denke, es geht im Grunde darum:

    Ein dauerhaft zufriedenenes (und wie ich das für mich auch erlebe, "glücklicheres") Leben ohne Alkohol & Co zu führen.

    LG Rent

  • Hallo an Alle! Ich denke auch, dass wir hier ein wenig aneinander vorbeireden. Mir geht null darum zu sagen ‚Mein Weg ist richtig, folgt mir‘. Wer den Podcast auch gehört hat, sollte wissen, dass ich das auch in keinem Satz sage. Ich stelle mich hin und sage: Das war mein Weg in die Sucht hinein und so ging er aus der Sucht hinaus rein die Abstinenz. Ich halte meine Zuhörer für mündig und ich möchte die Möglichkeit zur Reflektion geben, für sich selbst Parallelen oder auch nicht ziehen zu können. Wahrscheinlich werde ich einige mit meiner Art abschrecken, einige vielleicht auch nicht. Ich persönlich bin ein offener, direkter und ehrlicher Mensch…daher entspricht diese Art der Herangehensweise im Podcast meiner Wesen und was authentisch ist, ist gut. Kann nicht jeder mit umgehen, aber ich bin ja auch nicht auf dieser Welt, um es allen Recht zu machen. 😅

    Im Hinblick auf Therapie und Abstinenz: Ich habe es ohne Therapie nicht geschafft und ich freue für jeden, der es ohne Therapie schafft. Ich habe gelernt, dass der Blick auf sich selbst in der Regel verstellt ist. Wir sind das Produkt unserer Prägungen und aus jahrezehntelangen Mustern auszubrechen, indem man sie erkennt und verändert, ist wahnsinnig schwierig und erfordert viel Kraft. Ich habe für mich in der Therapie verstanden, dass ich in einem extremen Leistungsgedanken unterwegs bin und diese Ansprüche an mich so hoch gewesen sind, dass ich diese nicht erfüllen konnte. Unsägliche Versagensangst. Hier hat der Alkohol reingegrätscht. Ich laufe mit Glaubenssatz rum, dass ich nicht liebenswert bin, weswegen ich in Beziehungen immer in die Anpassung gegangen bin und mich nicht gezeigt habt, aus Angst vor Ablehnung. Auch hier hat der Alkohol gegriffen, um Bindungsbedürfnisse zu befriedigen. Und und und. Wie der Alkohol gegriffen hat und welche Muster ihn befeuert haben, habe ich erst durch den Blick von Außen sehen können, als ich die Zeit und Ruhe hatte, um mich mit mir selbst zu beschäftigen und dafür hatte ich in der Klinik die entsprechende fachmännische Begleitung. Wie schon geschrieben: Ich habe mein Leben aufgeräumt und die großen Baustellen geschlossen. Das war mein Weg, den ich gehen musste, um ein ganzheitliches Verständnis der Sucht für mein Leben zu erlangen und um auch die richtigen Stellschrauben in mir zu drehen, um die Veränderung herbeizuführen, dass die Sucht zukünftig nicht mehr in mein Leben grätscht. 23 Jahre Alkohol mit dem Beginn in der Jugend, also einem noch nicht abgeschlossenen Reifeprozess, hinterlassen Spuren und schlagen Schneisen, die etwas anders ausfallen, wenn man erst mit z.B. Mitte 30 in die Sucht reinrutscht. Mit Mitte 30 ist als man Mensch und Charakter ‚fertiger‘ und das ist nicht wertend und negativ gemeint, sondern hat was mit Lebenserfahrung, Entwicklung und Reife zu tun.

    Honk Nur unsere Basisemotionen betrachtend empfinden wir Angst, Scham, Trauer, Wut und Freude. Vier nicht so schöne Emotionen, eine positiv besetzte Emotion. Die nicht so schönen Emotionen erleben wir stärker und nachhaltiger, weil sie uns evolutionär gesehen am Leben erhalten haben. Die Freude gibt es, damit wir das Leben als lebenswert erachten und uns nicht direkt nen Strick nehmen (Vorsicht, wieder bewusst provokant formuliert), weil nur in negativen Emotionen rumlaufen halt echt scheisse ist. Glück ist als Basisemotion nicht vorhanden. Und das aus gutem Grund: Glück ist ein Hoch und bedeutet für den Körper Stress. Positiver Stress zwar, aber es ist Stress. Deswegen dauert der Glücksmoment auch keine Stunde an, sondern ist in der Regel halt…kurz und knackig. Reicht doch auch. 😁 Ich freue mich für dich, dass du eine glückliche Abstinenz erlebst und das für dich so werten kannst. Ich habe die ersten sechs Monate auch wie auf Wolken laufen empfunden, aber dieses Dauerhigh ist verschwunden. Für mich ist Balance das große Zauberwort. Ich strebe nicht nach Glück, ich strebe nach Balance aus allem, was das Leben mir zu bieten hat und wenn ich das hinkriege, dass der Anteil der Freude größer wird und der Anteil der Angst kleiner, dann habe ich sehr viel für mich erreicht bzw. ich empfinde dies schon so und deswegen bin ich: Zufrieden. ♥️

  • Um meine Vorstellung mal abzurunden und damit ihr ein bisschen besser nachvollziehen könnt, aus welcher Welt ich komme: Biographisch bedingt, bin ich ein sehr kontrollierter Mensch. Ich habe als Kind gelernt, dass Emotionen Schwäche bedeuten, dass diese nicht erwünscht sind und daher bin ich sehr reguliert. Der Alkohol hatte auch die Funktion von Unbeschwertheit, Leichtigkeit und Ausgelassensein - Kontrolle abgeben also. Seitdem ich abstinent bin, geht es mir natürlich viel besser, aber die Abstinenz hat auch eine Kehrseite: Meine Kontrolle greift wieder völlig ein. Mir fehlt die Leichtigkeit, die Freude, denn meine Kontrolle greift bei allen Emotionen ein. Die Kontrolle ist so tief in mir verankert, dass ich Stück für Stück das loslassen üben muss. Seitdem der Alkohol weg, habe ich keine großartigen Amplituden mehr. Wie gesagt, die Baseline ist super angenehm, aber es gibt halt kaum - wenn dann nur sehr partiell - mal Ausschläge nach oben und nach unten. So fühlt sich Stabilität an, denke ich. Aber es ist auch etwas verloren gegangen und die Akzeptanz des ‚Verlustes’, was der Alkohol mir u.a. gegeben hat, als Gewinn für mich zu werten, führt dazu, dass ich mein Leben auch ohne diese Leichtigkeit als zufrieden und toll empfinde. Die Kontrolle ist ja nicht per se schlecht, sie hat mir auch schon durch viele Situationen im Leben durchgeholfen bzw. hilft mir immer noch. Aber: Sie dämmt halt auch die Freude ein und damit muss ich leben. Es ist halt einfach so. 🤷‍♀️

  • Hallo Bighara, 🙋‍♀️

    hallo im anderen Thread.😉

    Kommen wir erstmal zum Zitieren. Brauchst du da Unterstützung?

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Bighara , prima. Ansonsten einfach fragen, wenn was unklar ist.

    Nun zu deiner Vorstellung:

    So manches, was du hier über dich geteilt hast, kommt mir seeeehr bekannt vor, wobei ich mir nicht sicher bin, ob deine Entwicklung ähnlich wie meine verlaufen ist. Mir hat man meine Emotionen - bis auf die Wut - nicht absichtlich ausgetrieben, aber ich hatte schon früh das Empfinden, dass Emotionen gefährlich sind. Deshalb war dieser Teil bei mir auch lange unterentwickelt. Nicht, dass ich keine gehabt hätte, aber ich hab stets versucht, das unter Kontrolle zu halten.

    Ich weiß nicht, wie das bei dir war, aber bei mir brach insbesondere meine Wut, wenn das Fass sozusagen überlief, vulkanartig und unkontrolliert aus mir heraus. Wenn das geschah, habe ich mich stets zutiefst geschämt, denn ich wusste und man signalisierte mir ja auch stets, wie unerwünscht das war.

    Worauf ich mich verlassen habe und stets verlassen konnte, war mein Verstand. Auch wenn ich viel zum Grübeln neigte und sehr oft den Alkohol brauchte, um in meinen Gedanken etwas Ruhe reinzubringen.

    Unbeschwertheit, Leichtigkeit, Ausgelassensein kannte ich nicht. Wie denn auch und woher?
    Sowas kriegte ich nur unter Alkoholeinfluss hin.

    Auch ich war extrem durch den Leistungsgedanken geprägt, ich war Perfektionistin und meine Ansprüche an mich selbst waren irre hoch und im Grunde nicht erfüllbar.
    So manche Nachtschicht am Schreibtisch war Alkohol mein Begleiter.

    dass ich in einem extremen Leistungsgedanken unterwegs bin und diese Ansprüche an mich so hoch gewesen sind, dass ich diese nicht erfüllen konnte. Unsägliche Versagensangst. Hier hat der Alkohol reingegrätscht. Ich laufe mit Glaubenssatz rum, dass ich nicht liebenswert bin, weswegen ich in Beziehungen immer in die Anpassung gegangen bin und mich nicht gezeigt habt, aus Angst vor Ablehnung.

    So wie du das schreibst, ging’s mir fast mein ganzes Leben.

    Ich war Perfektionistin, steckte alle meine Energie darein, meinen Beruf so perfekt wie nur möglich auszuüben. Ich habe alles mögliche durchdacht und bedacht, und bestmöglich geplant.

    Bis das dann irgendwann gar nicht mehr ging.

    Als ich vor inzwischen acht Jahren völlig am Abgrund stand, ich hatte extreme Suizidgedanken, Todessehnsucht, nichts ging mehr, war der Gang in eine Klinik mein letzter Ausweg. Ich war dort allerdings nicht wegen Alkohol, sondern wegen schwerer Depressionen.

    Seitdem ich abstinent bin, geht es mir natürlich viel besser, aber die Abstinenz hat auch eine Kehrseite: Meine Kontrolle greift wieder völlig ein. Mir fehlt die Leichtigkeit, die Freude, denn meine Kontrolle greift bei allen Emotionen ein.


    Das kann ich nachvollziehen, wobei das bei mir nicht aufgrund von Abstinenz geschah, sondern weil nur durch den Klinikaufenthalt, der mich lediglich wieder stabilisiert hat, mein Perfektionismus nicht überwunden war und mein Alltag im Prinzip noch immer wie vor dem Klinikaufenthalt.

    Ich kehrte zurück in meinen Alltag, meinen Beruf und wurde dann zwei Jahre später durch den Ausbruch einer MS-Erkrankung völlig aus der Bahn geworfen.
    Da war endgültig nix mehr mit Leistung, nix mehr mit Perfektion. Und wieder bin ich in ein sehr tiefes Loch gefallen. Was war ich denn noch wert?

    Ich hatte die Wahl: Untergehen oder einen neuen Weg finden.

    Ich hab mich für den neuen Weg entschieden. Mich dummerweise zwischendurch mit Alkohol therapiert, was erstmal gut ging. Bis für mich dann doch nicht mehr übersehbar war, dass ich ein neues ernsthaftes Problem bekam. In meiner Not hab ich mich dann an dieses Forum gewandt.

    Ich konnte noch ohne Aufenthalt in einer Suchtklinik da raus, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch an dem Scheideweg gestanden hätte, den du beschreiben hattest.

    Bis hierhin erstmal. Du bist mit deiner krassen Geschichte gewiss nicht allein.

    Liebe Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Ich weiß nicht, wie das bei dir war, aber bei mir brach insbesondere meine Wut, wenn das Fass sozusagen überlief, vulkanartig und unkontrolliert aus mir heraus. Wenn das geschah, habe ich mich stets zutiefst geschämt, denn ich wusste und man signalisierte mir ja auch stets, wie unerwünscht das war.

    So, am Laptop lässt es sich wesentlich leichter zitieren als am Handy. :D Ich habe zur Wut einen guten Zugang, hatte ich schon immer. Ich mag die Wut, sie lässt mich aktiv werden. Schamgefühle hatte ich deswegen daher auch nicht. Allgemein habe ich es eh nicht so mit der Scham. Liegt auch an meinem biografischen Hintergrund. Ich bin den Weg aus der gefühlten Gesellschaft schon sehr früh angetreten und fühle mich der gesellschaftlichen Mitte nicht zugehörig. Aber das auch schon spätestens, seitdem ich Mutter geworden bin. Ich hatte mit meiner Peer-Group quasi nichts mehr gemeinsam.

    Dieser Leistungsgedanke von dem du auch schreibst, der killt einen so richtig. Ich bin meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht worden, die wie auch bei dir sehr hoch waren, und das hat zu einer immer größeren Leere gefüllt, auf die ich dann Unmengen Alkohol gekippt habe. Ich wollte diese Leere nicht spüren und irgendwas musste da halt rein. Erst als ich mir in der Klinik dann eingestanden habe, dass ich mehr aus mir hätte machen können und hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben bin...also, eine ziemlich schonungslose Ist-Analyse, hat zu einer inneren Heilung geführt. Ich habe mir zugestanden, dass ich nicht perfekt bin und auch Schwächen habe. Das eingestehen von Schwächen war -in dem Hamsterrad, in dem ich gelaufen bin - nicht mehr möglich. Es war totaler Irrsinn.

    Die körperliche Einschränkung durch die MS-Erkrankung muss für dich als Perfektionistin ein herber Schlag gewesen sein. Der Körper zeigt einem Grenzen auf. Ich habe letztes Jahr einen Bandscheibenvorfall gehabt und kann seitdem keine längeren Strecken mehr laufen. Zum ersten Mal funktioniert mein Körper nicht mehr so, wie es seit knapp 40 Jahren gewohnt gewesen bin. Es stellt eine Einschränkung meiner Lebensqualität dar, aber es gilt für mich, sich der Situation anzupassen und das Beste daraus zu machen. Ich kann mir nicht annährend vorstellen, was eine MS-Erkrankung bedeuten muss.

    Dass mit der Freude macht mir in der Abstinenz am Meisten zu schaffen. Mein Suchtgedächtnis weiß noch, dass ich mir die Freude, das Hoch, die Leichtigkeit schnell durch den Alkohol in mein Leben holen könnte. Sich Freude bei so durchgehend mitlaufender Kontrolle auf natürlichem Wege zu verschaffen, stellt für mich eine Herausforderung dar. Andererseits empfinde ich nun kleine Dinge des Alltags als sehr bereichernd und an diesen kann ich mich erfreuen. Wenn die Freude auf natürlichem Wege in mein Leben kommt, ist das ein viel besseres Gefühl als im Suff, weil klarer und ehrlicher. Aber nichtsdestotrotz...ich weiß ja, dass es diese Amplituden gegeben hat und mein Suchtgedächtnis weiß dies auch. In der Hinsicht muss ich sehr achtsam sein, weil das bei mir ein Einfallstor zur Sucht darstellt. Kontrolle ist für mich Fluch und Segen zugleich irgendwie.

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