Es fällt mir wirklich schwer nachzuvollziehen, warum jemand, der aus einer Sucht aussteigt, ein Problem damit hat, dass andere die Droge (noch) konsumieren. Es ist vielleicht Allen Carrs "Gehirnwäsche" geschuldet, die bei mir möglicherweise besonders gut anschlug. Aber ich erlebte es sowohl beim Ausstieg aus der Nikotinsucht als auch aus der Alkoholsucht so, dass ich zwar durchaus Entzugsprobleme hatte, aber niemals diejenigen beneidete, die das Suchtmittel noch konsumierten. Ich wollte raus aus der Spirale, und jeder, der noch drin war, taugte allenfalls als negatives Beispiel, das mich auf meinem Weg bestärken konnte.
So wie ich das sehe, ist der Ausstieg aus einer Sucht ein Akt der Befreiung. Und warum soll ich auf diejenigen neidisch sein, die sich noch nicht befreien konnten?
Ich habe kein Problem damit, dass andere noch Alkohol konsumieren. Es ist eher ein neutrales Beobachten ohne Emotionen.
Da ist kein Verlangen mehr, kein Neid, kein tropfender Zahn. Nichts und das ist so eine Befreiung.
Ich merke aber auch, dass das ehemalige Trinken teilweise noch mit sozialen Interaktionen verknüpft ist.
Dort wird mir teilweise noch ein Verzicht vorgegaukelt oder eher, das Gefühl "mittrinken" zu müssen, um "dabei" zu sein.
Es ist nicht das eigentliche Verlangen nach Alkohol, sondern eher das Bedürfnis, "dazugehören" zu wollen.
Aber ich gehöre doch dazu, bin dabei, nur das ich KEINEN Alkohol mehr trinke.
Und auch diese Momente werden immer weniger, sie werden sogar manchmal von dem Eindruck überdeckt, etwas wirklich Schlimmes durchgestanden/ überstanden zu haben, was sich ein Nüchtsüchtiger überhaupt nicht vorstellen kann.
Mir wird auch immer mehr bewusst, was für riesengroßer Schatz diese Nüchternheit für mich ist, da können die anderen gerne ihr "Prosit auf die Gemütlichkeit singen".
Bei mir war das kein Neid auf andere Alkohol Konsumierende, den ich gespürt habe, sondern Selbstmitleid, weil ich mich ausgeschlossen fühlte.
Ich kenne das auch noch sehr stark aus meiner langjährigen Trinkpause und habe immer gehofft, dass es mit der Zeit vergeht.
Da ich aber dem Alkohol immer als einen Teil von mir gesehen habe und ihm jahrelang nachgetrauert habe, hat es sehr lange gedauert, bis dieses Gefühl weniger wurde. (klar die Zeit heilt auch sehr viel und arbeitet für mich)
Aber damals war es immer noch lange latent vorhanden, weil ich eben dem Alkohol in meinem Denken immer noch Raum gegeben/ ein Platz reserviert habe.
Nun ist es kein Selbstmitleid mehr, sondern ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, nicht mehr trinken zu müssen.
Ich sehe das ziemlich ähnlich bis gleich. Und kann auch wirklich bestätigen, dass mir der Rauchstopp beim Trinkstopp auf jeden Fall geholfen hat. Der Rauchstopp war für 1-2 Wochen echt die Hölle. Dazu ist die Alkoholabstinenz ehrlich gesagt ein Spaziergang. Ich schiebe das auf die Verknüpfungen, die beim Rauchen deutlich mehr waren als beim Trinken.
Bei mir war es ähnlich, der Rauchentzug war echt mit das Schlimmste, was ich miterlebt habe. Ich hatte teilweise wochenlang ein Gefühl als würde ich mich mit einem mir fremden Körper durch dicken Brei quälen und als wäre die Erde ein Planet, auf den ich nicht hingehöre, das war so was von strange...
Meine vielen Alkoholentzüge habe ich in dem Hinblick auch etwas "gemäßigter" erlebt, der körperliche Entzug/ die Entgiftung waren immer recht schnell durch, die psychischen "Unpässlichkeiten" waren schon etwas geringer als beim Rauchtenzug.
Aber das Gefühl der eigenen Fremdheit, mit dem Alkohol einen Teil von mir aufgegeben zu haben und ein Gefühl der Verlassenheit und nicht mehr zu dieser Welt zu gehören, waren auch noch lange da.
Und auch dieses Craving, was ich eben kurz vor dem Beginn meiner jetzigen Abstinenz erlebt habe, will ich nie wieder.
Aus meiner Sicht braucht der Alkohol länger als Nikotin zum echten und dauerhaften Andocken. Er hat sich sozusagen sehr leise und gemütlich von hinten angeschlichen und es braucht auch wieder seine Zeit, bis er sich entgültig wieder "ausschleicht" und ich auch diese Gehirnwäsche in jedem Detail wieder loswerde, die ich mir selber verpasst habe und verpassen lassen habe.
[Nur nochmal zum kalten Entzug:
Ich bin in den vergangenen Jahren mit meinen kalten Entzügen immer echt naiv, gedankenlos und fahrlässig an die Sache herangegangen (ich hatte mich ja nicht als "echter" Alkoholiker gesehen, sondern nur als jemanden, mit einem fetten Alkohol&Suchtproblem)
Im Nachhinein gesehen bin ich wirklich so dankbar, dass alles gut gegangen ist.]
Was ein wenig länger stehen blieb, war mein "Getränkelager" mit den leeren und vollen Bierflaschen im Schuppen wo mein Fahrrad parkt. Das hab ich glaub ich 4-6 Wochen bewusst aufgebaut gelassen und habe jeden Morgen und jeden Nachmittag mein Fahrrad da geparkt und mir die Unmenge von Flaschen angeguckt. Und natürlich auch den Geruch in der Nase gehabt. Und ich hab mir jedes Mal gesagt, so ein Haufen Scheiss kipp ich mir nicht nochmal in den Hals.
Nach den 4-6 Wochen hab ich dann meiner Frau gesagt, ich bin soweit und habe den Scheiss dann mit ihr zusammen entsorgt und sauber gemacht.
MEINE Getränke hatte ich kurz nach meiner Initialzündung kurzerhand an eine Bekannten weitergegeben, mit dem Hinweis, dass ich nicht mehr trinke.
Es war vielleicht auch auch ein (kleines) öffentliches Bekenntnis oder einfach nur Flucht nach vorn.
Meine letzten Opioide hatte ich schwereren Herzens entsorgt (hab die damals gehütet wie ein Kleinod und man bekommt sowas ja auch nicht im Discounter zu kaufen)
Die letzte Tablette hatte ich an dem Tag genommen, als ich meinen "Zerbruch" hatte.
Seit dem war, wie auch auf den Alkohol kein Verlangen mehr darauf, aber ich hatte mich trotzdem sehr schwer getan, mich von der letzten Packung zu trennen.
Es war vielleicht so ähnlich, wie bei dir und deiner Billig-Wodkaflasche Honk oder vielleicht ein Stück dieser trügerischen "Sichertheit", ein Artefakt aus dieser schrägen Sucht-Welt, die nun gottseidank hinter mir liegt, behalten zu wollen.
Wie auch immer, der Arzneischrank ist nun frei von Dingen, die ich missbraucht habe und wo früher die Bierkästen standen, steht jetzt ein Kasten mit Spezi und Wasser.
Und ich bin so dankbar, dass es so ist, wie es jetzt ist...