"Warum?" oder die Suche nach der Ursache

  • Hallo und guten Morgen!

    Mojo hat am 9.Juli 24 in der Linksammlung auf einen Artikel hingewiesen, dessen Thema mich gerade sehr beschäftigt, deshalb setze ich ihn hier mal rein (Das ist Dir hoffentlich recht, Mojo):

    https://www.lifeandlove.de/ursache-sucht/

    Viele von Euch haben sich bestimmt schon gefragt, warum ihnen das so passiert ist. Ich denke, es gibt ganz viele Ursachen dafür, und auch in diesem Artikel ist mir die Erklärung etwas zu einfach. Es geht hier aber um Sucht allgemein und nicht speziell um Alkohol, und genau das fand ich interessant. Ob das jetzt wissenschaftlich belastbar ist- keine Ahnung. Für mich selbst habe ich da Parallelen gefunden.

    Deshalb fasse ich jetzt mal mein eigenes "Heißes Eisen"an:

    Ich bin überzeugt davon, dass mein Alkoholismus irgendwie mit der Situation in meiner Familie zu tun hat. Als Kind wusste ich natürlich nicht, dass ein Trinker ein kranker Mensch ist. Mein Vater war Alkoholiker, angeblich seit seiner Studienzeit. Und ich hatte Angst vor ihm. Ich weiß auch aus eigenem Erleben, dass seine Mutter ebenfalls getrunken hat. Er war labil, würde ich heute sagen, extrem empfindlich und misstrauisch gegenüber allen Aussagen, die er nicht einordnen konnte, hat überall Kritik herausgehört ("Was meinst Du damit?"). Es gab immer Streit zwischen meinen Eltern, er hat gebrüllt und Türen zugeschlagen. Sogar in der Nacht Möbel zertrümmert, während ich nebenan im Bett lag und Angst hatte.

    Wir hatten damals einen sog. "Holzstall" für Feuerholz, da war eine Axt. Die habe ich versteckt, weil ich dachte, er tut meiner Mutter damit etwas an. Große Küchenmesser haben mir noch jahrzehntelang Angst gemacht.

    Aber mittlerweile ist mir etwas klar geworden: Er war ein schwacher und kranker Mensch, der die Kontrolle verloren hat, wenn Alkohol im Spiel war.

    Meine Mutter war einerseits co-abhängig, sie hat ihn ständig auf der Arbeit entschuldigt (er sei krank), so oft kann gar niemand krank sein. Sein Chef war gleichzeitig sein Schwager, der hat das gedeckt. Er war auch Stammtischbruder meines Vaters, Spiegeltrinker. Ich musste als 14-Jährige meinen Vater oft vom Stammtisch loseisen und dann mit ihm durch den ganzen Ort laufen nach Hause. An den so genannten Krankheitstagen wurde morgens Haferschleim gekocht, ich wusste damals nicht, warum.

    Andererseits aber hat meine Mutter ihn im Streit übelst beleidigt und niedergemacht. Heute weiß ich, dass sie die Stärkere war, außerdem ziemlich gefühllos. Mir gegenüber gab es nie etwas Liebevolles, z.B. mal in den Arm genommen zu werden oder getröstet. "In deinem Alter ist man nicht krank", "Gelobt sei, was hart macht", "Wenn du nicht sofort aufhörst zu heulen, gibts mit dem Kochlöffel", "Das ist nicht nötig, du bist groß genug", wenn ich mal -da war ich noch nicht in der Grundschule - abends zugedeckt werden wollte oder bei ihr auf dem Schoß sitzen.

    Ich habe mich auch ziemlich isoliert und hatte wenig Freundinnen. Das alleine sein in meinem Zimmer war für mich normal.

    Die Angst vor Liebesentzug oder überhaupt Ängste sind bei mir geblieben. Urvertrauen, oder das Gefühl, es könnte irgendwas gut gehen gab es nicht. Dabei ist nie irgendetwas richtig schiefgegangen in meinem Leben.

    Trotz des schlechten Beispiels in der Familie wurde ich alkoholabhängig. Oder gerade deswegen?

    Weshalb ich das hier so ausbreite? Wenn jemand von Euch ähnliche Erfahrungen gemacht hat und diese positiv verarbeiten konnte, würde ich mich über einen Kommentar sehr freuen. Es hat mit der Scham zu tun, die ich so gerne ablegen würde. Und mit dem Selbstwertgefühl, dass ich so gerne hätte. Wie automatisch denke und spreche ich es sogar aus (zu oft gehört als Kind?) "Dazu bin ich zu blöd" "Das kann ich sowieso nicht" "Ich bin vielleicht ein Kamel (ein Trampel, ein Schaf)". Solche Sachen, die bei anderen auf ziemliches Befremden stoßen.

    Also ich merke gerade beim Durchlesen, dass ich hier herumjammere. Aber der Grund für diesen Post ist ja, dass ich Leute mit ähnlichen Erfahrungen suche. Und diese müssen natürlich auch wissen, mit wem sie es zu tun haben. Deshalb lasse ich es stehen.

    Wie gesagt, erst jetzt fange ich an, darüber nachzudenken! Ich bin im letzten Lebensviertel, wie man so schön sagt (Wenn ich denn 100 würde). Und ICH BIN SEIT DREI WOCHEN ABSTINENT!

    Liebe Grüße

    CeBe

  • Hallo CeBe,

    Danke dir für dein Teilen. Ich möchte dir gerne darauf antworten.

    Erstens möchte ich dir sagen, dass das überhaupt kein Herumjammern ist, was du da geteilt hast, im Gegenteil fängst du gerade an, nach den Ursachen zu suchen, warum auch du trotz des schlechten Beispiels deiner Familie in die Alkoholabhängigkeit geraten bist, und bist dabei auf Erfahrungen und Prägungen gestoßen, die dir als junger Mensch widerfahren sind.

    Du bist mit solchen Fragen und auch solchen Erfahrungen nicht allein. Ich habe mir solche Fragen auch gestellt und mir sind als junger Mensch ebenfalls entsprechende Erfahrungen und Prägungen widerfahren.

    Es war ein bisschen anders als bei dir und doch in gewisser Weise ähnlich.
    Ich habe von meinen Eltern wohl mehr Zuneigung und Liebe erfahren als du und dennoch kenne ich diese Ängste, das fehlende Urvertrauen, den beständigen Gedanken, es werde etwas schief gehen, das fehlende Selbstwertgefühl, die Selbstabwertung durch entsprechende verinnerlichte Glaubenssätze, die Scham und das Gefühl von tiefer Einsamkeit sehr gut.

    Ich wusste als Kind schon sehr früh, dass mein Vater ein Alkoholiker war und dass das eine Krankheit war. Das war durch Rückfälle, die ich schon in meinem frühen Lebensjahren mitbekam, kein Geheimnis. Er war deswegen ja auch immer mal wieder im Krankenhaus und in entsprechenden Therapieeinrichtungen. Meine gesamte Kindheit und Jugend war von den Gedanken und Sorgen um ihn, von Ängsten, Hoffnung und Enttäuschung geprägt. Im Grunde drehte sich immer alles nur um ihn. Seinetwegen sind wir auch so oft umgezogen und ich hatte in meiner Grundschulzeit mehrere Schulwechsel.

    Wenn er trank, wurde er mitunter meiner Mutter gegenüber gewalttätig, dabei betrachteten die beiden sich ansonsten als ihre besten Freunde. Ich hab sie oft vor ihm beschützt und sie ist nachts so manches Mal zu mir in mein Zimmer geflohen und hat bei mir im Bett geschlafen, weil sie Angst vor ihm hatte. Ich selbst hatte keine Angst vor ihm, dafür gab’s eigentlich auch nie einen Anlass, auch wenn sein Blick und seine gesamte Körperhaltung gegenüber meiner Mutter durchaus furchterregend waren.

    Ich habe meine Mutter nicht als stark erlebt oder wahrgenommen, im Gegenteil, aber wenn ich heute über sie nachdenke, dann erkenne ich, dass sie dennoch stark war, denn anders als mein Vater hat sie, obwohl sie in jungen Jahren in die Abhängigkeit von Barbituraten und Alkohol geriet und immer mal wieder an Depressionen litt, ihre beiden Töchter nie im Stich gelassen, ist nie rückfällig geworden und hat alles getan, was in ihrer Macht stand. Leider war sie eben nicht stark genug, meinen Vater zu verlassen, als sich ihr die Möglichkeit bot. Auch sie war co-abhängig, wie ich heute weiß.

    Solche Glaubenssätze, wie die sie nennst, fielen bei uns auch und ich hab sogar die, die meine Großeltern gegenüber meinen Eltern geäußert haben, für mich verinnerlicht und zu meinen eigenen gemacht. Entlarven konnte ich das erst im Laufe einer Therapie.

    Ich habe mich eigentlich nicht selbst isoliert, aber ich war isoliert, da ich keine Freunde hatte. Ich war stets anders als die anderen in den verschiedenen Klassen, in denen ich war, und so war und blieb ich stets Außenseiterin. Meine Schwester und ich kamen, weil wir verschieden sind, nicht so gut miteinander zurecht, sie fand aber im Gegensatz zu mir Freunde in ihren Klassen. Ich war viel allein und so lernte ich, mich selbst zu beschäftigen und irgendwie mit meiner Einsamkeit umzugehen.


    Was da hinter dir und auch hinter mir liegt, dürfte bei vielen Menschen, die in eine Alkoholabhängigkeit oder eine andere Abhängigkeit geraten, eine Ursache sein. Entsprechende Muster erkenne ich rückblickend, nach allem was ich inzwischen über sie in Erfahrung gebracht habe, auch bei meinen Eltern und sogar bei meinem Großeltern. Auch der Vater meines Vaters war Alkoholiker, mein Vater hat mir einiges darüber erzählt.


    Ich konnte das, was geschehen ist, in den letzten Jahren endlich positiv verarbeiten, aber ich habe dafür professionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssen, weil ich alleine nicht weiterkam.

    Was ich dir aber empfehlen kann, ist, dich mal näher mit dem Thema „Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien“ zu beschäftigen. Hier findest du dazu zum Beispiel einige weiterführende Informationen: Infos für erwachsene Kinder aus Suchtfamilien

    Liebe Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo CeBe,

    Herumjammer ist völlig in Ordnung! Wehklagen, seinem Unmut Luft verschaffen, seine Sorgen von der Seele reden/scheiben ... man kann es nennen wie man will, es muss 'raus, sonst frisst es einen auf.

    Die Ursachen der Sucht ... ist doch die Sucht nach Glück, Zufiedenheit, einem positiven Gefühl.

    Alkohol gibt/gab uns das Gefühl. Das lernten wir, das trainierten wir uns an, oft schon in der Jugend - bei mir war's jedefalls so.

    Was macht uns zufrieden, was befriedigt uns? Der eine frisst, der andere säuft, spielt, kokst oder terrorisiert sein Unfeld u.s.w. - das macht doch niemand weil er so zufrieden ist!

    Die Sucht nach Anerkennung in der Gemeinschaft verleitet uns doch, erreichen wir diese nicht, verfallen wir (Menschen) oft ins Extreme. Manche werden sogar Diktatoren oder Attentäter.

    Oft wird der Grundstein in der Jugend gelegt, da lernen wir, kopieren, versuchen uns anzupassen, das prägt uns.

    Je älter wid werden, desto schwieriger wird es sich umzugewöhnen, zu groß ist die Versuchung auf Bewährtes (Funktionierendes/Erlerntes) zurückzugreifen. Wir sind geprägt, wurden es, durch Dritte oder uns selbst ... im Laufe der Jahre. Auch Ratten tun das, erst wenn der Erfolg (Befriedigung) ausbleibt bzw. sie etwas Besseres/Anderes finden, gewöhnen sie sich um. Menschen tun auch nichts anderes, so lange sie + Alkohol funktionieren, kommt kaum einer auf die Idee etwas zu verändern.

    -> Wenn ich also weiß, was mich unzufrieden macht bzw. wie ich zufrieden werden könnte ... könnte (!) ich mich ändern, trotz schwerer Kindheit/Vergangenheit. Doch will ich das? Oder gefalle ich mir mittlerweile in meiner Opferrolle?

  • Vielen lieben Dank AmSee für alles, was Du geschrieben hast. Ich habe bei Deinem Link zu Nacoa jetzt dass Infoblatt gelesen und bin völlig platt: Das ist wie ein Spiegel für mich. Die Auswirkungen von Suchtfamilien auf die bereits erwachsenen Kinder sind exakt meine.

    Nie habe ich früher darüber nachgedacht, warum ich bin wie ich bin. Fast alle Punkte bzw. dort beschriebenen Verhaltensweisen treffen auch auf mich zu. Man entspricht dann eben nicht dem Typ Mensch, der heute vorherrscht, weil man nichts für sich selber tun kann oder will. Beim Shoppen gehen bin ich nicht nur einmal mit irgendwelchem Kochgeschirr oder Bettwäsche heimgekommen statt mit Klamotten oder neuen Schuhen. Du lieber Himmel! "Irgendwie verkorkst", so habe ich mich gesehen, als eine Art 1b-Ware. Dabei war das alles nur in meinem eigenen Kopf, niemand hat sowas jemals zu mir gesagt. Aber Lob oder mal ein Kompliment annehmen ging auch nicht, das habe ich immer zurückgewiesen oder ins Lächerliche gezogen.

    Wenn man sich so verhält, wie in diesem Infoblatt beschrieben, ist man ja ziemlich nützlich für andere. Das wird mir gerade klar.

    Die große Frage wäre noch, ob dann wieder die Familien (Partner und Kinder) dieser erwachsenen Kinder darunter zu leiden haben in ihrem Leben. Wie sich das fortsetzt.

    Es brauchte scheinbar diese Krise (mein Mann stirbt und ich trinke immer mehr), um endlich aktiv zu werden, in diese Selbsthilfegruppe zu gehen. Wenn ich nicht immer tiefer in die Alkoholfalle geraten wäre, wäre das weiter so geblieben! Gut, dass ich das erkannt habe und es wohl noch nicht zu spät für mich ist. Ich werde ernsthaft daran arbeiten.

    Liebe Grüße

    CeBe

  • Hallo Paul, was Du schreibst sehe ich auch so, aber nach dem Lesen der Seite, die AmSee oben verlinkt hat, fällt doch noch ganz viel mehr Licht auf das alles. Das mit dem Rattenexperiment ist schlüssig, aber auch das ist nur ein einziger Aspekt im ganzen Problem. In dem Artikel steht eben auch, dass es nicht nur chemisch abläuft, wenn man süchtig wird. Also was das Heroinwasser anrichtet bei den Ratten.

    Die anderen Süchte, z.B.Wetten, Spielen,Kaufen und wasweißich, die laufen ja nicht über von außen zugeführte Chemie ab.

    Und nein, ich gefalle mir nicht in meiner Opferrolle und ich will das alles ändern!

    LG CeBe

  • -> Wenn ich also weiß, was mich unzufrieden macht bzw. wie ich zufrieden werden könnte ... könnte (!) ich mich ändern, ...

    Eigentlich geht's doch nur da 'drum (s.o.).

    Chemie, Ausschüttung div. Botenstoffe, haben alle eine Ursache, viele genetisch bedingt, natürlich, evolutioninär, viele erlernt.

    Saufen, rauchen & Co. erlernten wir doch, wir oder anderer koditionierten uns. Allein, auf einer Insel, isoliert, würde eine Spezies selten derartige Eigenschaften entwickeln.

    Na klar die Gesellschaft, unser Umfeld ... wir versuchen uns anzupassen, zu gefallen ...

    Verhaltensmuster werden kopiert, in dem Glauben, dass es uns das Überleben (Anerkennung) sichert.

    Wie also erlange ich Bewusstsein/Wissen, bevor ich irgend einer schädlichen Droge erliege? Kann man das nicht erlernen oder sind wir wirklich so blöd? Und lernen erst wenn's weh tut?

  • Also Paul, es ging mir um das Thema: Ursachen von Sucht. Zunächst habe ich mich auf den Link von Mojo bezogen, wo genau diese Frage aufgegriffen wird.

    Weiterhin fragte ich, wie Eure eigenen Erfahrungen sind- auch auf diesen Artikel bezogen.

    Und schließlich kam für mich eine sehr nachvollziehbare Antwort aus dem Link von AmSee, der oben aufrufbar ist.


    Das geht meiner Meinung nach etwas tiefer als es einfach die Sucht nach Glück, Zufriedenheit usw. ist. Ich bin gar nicht unglücklich oder unzufrieden gewesen und habe trotzdem mit dem Trinken angefangen. Mein Leben war ganz ok.

    Gerade deshalb ist mir ja das "Warum" wichtig. Und da ich hier im Forum schon viel gelernt habe und auch umsetzen kann, frage ich die Community nach Erfahrungen.

    Dass es mit der Familie zu tun hat, kann ich nachvollziehen und kann sogar meinen Frieden damit machen. Meine Eltern sind schon sehr lange tot und haben die Schäden an ihren Kindern mit Sicherheit nicht bewusst verursacht.

  • So einfach, wie Paul das oben darstellt, ist das meiner Kenntnis der Thematik nach nicht, sondern tatsächlich sehr viel komplexer.

    Ich wusste durchaus, was mich unzufrieden macht, aber trotz all meiner Bemühungen konnte ich das früher nicht ändern. Mir ging das, als ich durch dieses Forum hier zum ersten Mal mit den Persönlichkeitsmerkmalen von erwachsenen Kindern aus suchtkranker Familie (Abkürzungen dafür sind ACA, EKA, EKS) vertraut wurde, ganz ähnlich wie CeBe . Das war auch für mich wie ein Spiegel.

    Übrigens habe ich mich nie als Opfer betrachtet, sondern mich stets herausgefordert gefühlt, selbst Verantwortung für mein Leben zu übernehmen und das zu ändern, was ich ändern kann.

    Junge Menschen, die in solch dysfunktionalen Familien aufwachsen, wie es Familien mit mindestens einem suchtkranken Elternteil in der Regel sind, erlernen aus purem Selbstschutz in solch unsicherer Umgebung bestimmte Bewältigungsstrategien, auch „Copingstrategien“ genannt, und sie erlernen und verinnerlichen sogenannte negative Glaubenssätze.

    Und genau diese Copingstrategien, die für das Überleben in ihren Familien wichtig waren, sind im späteren Leben als Erwachsene teilweise eher hinderlich oder sogar lebensfeindlich. Sie und die negativen Glaubenssätze lassen sich aber, weil sie so früh und so tief in uns eingeprägt sind, ja sogar unser ganzes Wesen ausmachen, unsere Persönlichkeitsmerkmale geworden sind, nicht einfach so ablegen, selbst wenn uns bewusst geworden ist, dass wir uns selbst im Weg stehen.

    Mich zum Beispiel durchflutet noch heute immer mal wieder der Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug.“ Dann fühle ich mich klein, wertlos, allein und hilflos. Ich arbeite noch daran, das zu ändern, denn dieser negative Glaubenssatz ist falsch. Ich weiß das, ich weiß inzwischen auch, woher diese innere Überzeugung rührt, aber wenn dieser Satz mich durchflutet, dann nützt mir dieses Wissen nichts.

    Und weil wir uns aufgrund dieser Persönlichkeitsmerkmale in einem Zustand permanenter Überforderung befinden, sind wir eben auch anfällig für Suchterkrankungen. Alkohol wird aus verschiedensten Gründen missbraucht, die einen trinken, um überhaupt mal entspannen zu können, andere trinken, um sich zu belohnen, wieder andere trinken, um Gefühle nicht fühlen zu müssen. Und wir alle, die wir hier gelandet sind, wissen, dass das eine ganze Weile sogar recht gut funktioniert. Bis es dann eben irgendwann nicht mehr funktioniert….


    Mein Vater hat, so vermute ich aufgrund dessen, was ich über ihn weiß, immer wieder dann mit dem Trinken angefangen, wenn ihm alles über den Kopf wuchs und er sich völlig überfordert fühlte. Ich gehe davon aus, dass er depressive Phasen hatte. Er ist auch in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen.


    Deshalb fängt die eigentliche Arbeit für uns, wenn wir denn abstinent geworden sind, tatsächlich erst an. Und da gilt es für uns, negative Glaubenssätze zu entlarven und mit ihnen umgehen zu lernen, alte inzwischen schädliche Copingstrategien zu überwinden und tragfähige neue Denk- und Verhaltensmuster zu erwerben.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Kann man das nicht erlernen oder sind wir wirklich so blöd? Und lernen erst wenn's weh tut?

    Heute, im Nachhinein, kann ich diese Frage, für mich, eindeutig mit JA beantworten.

    Ich war ein typischer Verdränger, ein Nicht-wahr-haben-woller, was nicht sein durfte, konnte nicht wahr sein. Hatte ich diese Verdrängungstaktik von meinen Eltern übernommen? Wollte ich immer gefallen, ließ meine Erziehung/Prägung kein Zeigen von Schwäche zu?

    JA.

  • Guten Morgen, Paul!

    Aus Deinen Kommentaren zum Thema kann ich jetzt doch Deine Gründe für den Alkoholkonsum herauslesen. Ich hatte zunächst nur wahrgenommen, dass Du ziemlich verärgert über alles mögliche bist und wollte mich ganz aus der Diskussion hier herausnehmen. Es lag ein bisschen am Ton, der mir zugesetzt hat.

    Aber Du scheinst ja auch schlechte Erfahrungen zu haben. So wie die anderen hier, denke ich.

    Und klar, es ist auch deutlich zu spüren, dass es Dir gerade nicht gut geht. Wenn bei Dir Unzufriedenheit ein Auslöser ist, hoffe ich sehr, dass Du diese Klippe jetzt umschiffen kannst und keinen Rückfall riskierst.

    Dass ich geschrieben habe, dass ich zufrieden war, ist natürlich für Dich eher blöd zu lesen. Ich kenne das in anderen Zusammenhängen gut: Wenn ich mich mies fühle und das mal ausspreche (was entsprechend schwer fällt) und als Antwort zu hören bekomme: "Mir geht´s aber gut", könnte ich auch die Krätze kriegen.

    Deinen letzten Satz habe ich mir noch mal durch den Kopf gehen lassen, besonders auch das JA am Ende.

    "Dass nicht sein kann, was nicht sein darf" ist ja eine Redensart, die sagt, dass man eine Tatsache nicht anerkennen kann. Weil man sie ablehnt oder unerträglich findet. So ging es mir in den Tagen nach dem Tod meines Mannes.

    Und immer gefallen wollen, das war bei mir auch so, verbunden mit dem sicheren Gefühl, dass ich oder das, was ich tue keinem gefällt. Ziemlich verdreht, das alles. Aber so war es.

    Und keine Schwäche zeigen: "Gelobt sei, was hart macht", war so ein Spruch meiner Mutter. Auch nicht so toll, wenn man gerade krank ist als Kind oder sowas.

    Mein Beispiel: Ich trauere Tag und Nacht um den Verlust meines Mannes, der im März gestorben ist. Und "Dank" meiner Erziehung bleibt das in mir drin, ich weine irgendwie nach innen. Niemals vor anderen. Dann bekomme ich zu hören, wie gut ich das doch verkrafte. Dass ich zur Zeit lachen kann, findet mancher merkwürdig. Dabei ist auch das nur die Folge meiner Erziehung. Viel lieber würde ich mich hier auf den Marktplatz stellen und mein ganzes Elend herausschreien! Und so lasse ich es zu, dass vielleicht gedacht wird, ich wäre gar nicht traurig. So steckt jeder in diesem Korsett aus Elternhaus, Prägung, Genen und Umwelt drin. Du auch. Das soll keine Schulmeisterei sein, nur meine Meinung.

    Eine große Erfahrung für mich war und ist, dass kein einziger Mensch immer Glück hat im Leben. Und die heutige so oft beschworene "Resilienz" kann man auch nicht erzwingen.

    Aber ich lerne gerade auch, dass Menschen durch andere Menschen aufgefangen werden können. Durch Verständnis, und dass man offen über seine Probleme schreiben kann. Das ist schon die halbe Miete, meinst Du nicht?

    CeBe

  • Ich denke jeder hat seine eigenen Gründe süchtig zu sein, auch wenn ich hier im Forum viele Überschneidungen sehe. Genauso wie ich mangelnde Aufklärung über Drogen für zu einfach halte, empfinde ich den Artikel als zu einfach gestrickt - und zwar aus eigenen Beobachtungen heraus. Ich kenne mindestens 2 Familien (meine eigene und meine Schwiegerfamilie), wo von 3 Geschwistern 2 süchtig geworden sind und 1 Kind komplett suchtfrei ist.

    Die Suchtforschung ist noch lange nicht am Ende. Ich glaube eher, dass hier ganz klar auch genetische Komponenten verantwortlich sind wie suchtaffin man ist und auch welche Copingstrategien man entwickelt um schwierige Lebenssituationen zu ertragen. Wenn es nur das liebevolle Umfeld wäre, würde ich seit mind. 15 Jahren nichts trinken.

    Ich bin seit 15 Jahren glücklich verheiratet und mein Mann trinkt fast nie - vielleicht zweimal im Jahr, wenn die Party so nett ist, dass er dazu Lust hat. Ganz anders sein Bruder und die Schwester. Der Bruder ist Kiffer und die Schwester trinkt. Die drei sind altersmäßig dicht zusammen und in einer intakten Familie aufgewachsen, keine Gewalt, keine Trennung. Der Bruder lebt auch in einer intakten Ehe - und das kann ich so sagen, weil ich da Einblick habe, wir sind sehr eng.

    Warum habe ich die letzten 15 Jahre weitergetrunken, obwohl ich in einer guten Partnerschaft bin? Ich habe zwischendrin immer wieder Trinkpausen gehabt auch mal 2 Jahre. Alkohol ist meine Medizin. Ich komme mit schlechten Gefühlen überhaupt nicht zurecht. Ich kann nicht weinen - außer, wenn mein Haustier stirbt. Ich habe in meiner Kindheit viel körperliche und seelische Gewalt erlebt und würde heute in der Rückschau sagen, dass ich mich damals von meinen Gefühlen abgespalten habe, um das ganze zu ertragen. Eine Überlebensstrategie. Und als Erwachsene habe ich das einfach beibehalten - funktioniert ja. Mein Mann ist unglaublich tolerant, was meine Schwächen angeht und hat deshalb nie Druck auf mich ausgeübt, was die Trinkerei angeht - ich denke er hat gesehen, dass das meine Medizin ist. Trotzdem hat er mir oft zu verstehen gegeben, dass das für mich irgendwann ein Problem werden kann.

    Warum habe ich nun aufgehört? Zum einen, weil ich merke, dass das körperlich nicht mehr lange gut geht und weil ich den intrinsischen Wunsch nach Freiheit habe. Ich habe früher auch geraucht und am meisten hat mich genervt, dass ich meine Tagesstruktur immer in 90 Minuten Taktungen einteilen musste. Zuhause konnte ich natürlich immer rauchen, aber im beruflichen Kontext nicht. Und so begab es sich, dass ich auf dem Fußweg nach dem Sport plötzlich dachte "wie doof bin ich eigentlich?" Ich habe meine Kippe an einer Laterne ausgedrückt und sie in den dort hängenden Mülleimer samt Schachtel geworfen. Es war ein kurzer Lichtblick, eine spontane Erkenntnis, die ich glücklicherweise nicht vorbeiziehen ließ, sondern sofort umsetzte. Und auch hier war nichts mit "besseres Sozialleben, das zu Drogenabstinenz führte".

    Warum ich die Trinkere angefangen habe, finde ich mittlerweile nicht mehr wichtig. Viel wichtiger für das nüchtern werden ist für mich die Frage warum trinke ich JETZT. Ich bin nicht mehr das abhängige Kind, sondern ein freier selbstbestimmter Mensch. Vielleicht ist das auch ein Schritt zum Erwachsen werden die Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. Der Blick auf das Früher ist schmerzhaft, vor allem wenn ich mir die Frage stelle, was wäre gewesen wenn...? Aber am Ende des Tages führt diese Rückschau nicht zum Ziel und da denke ich dann an AmSees Signatur :)

    Und für mich ist auch ein wichtiger Aspekt: was bereitet mir Freude, was macht mich glücklich und was möchte ich gerne tun? In einer konsumorientierten Welt, wo das Glück der anderen auf Insta, FB und YT so perfekt dargestellt wird, kann man ja fast nur unglücklich sein ;( Mittlerweile werden dort nicht nur "Dinge" konsumiert, sondern auch Achtsamkeit. Was früher mein Haus, mein Auto, mein Boot war, ist heute meine Smoothiebowl aka what I eat in a day, meine Achtsamkeitsübungen aka mindful body, meine Nachhaltigkeit aka ich kaufe mir jedes Jahr immer noch genausoviel Schrott, hat aber das richtige Label - "meine Flugananas hat aber ein CO2 Label!" -> So, wie finde ich jetzt den Weg von der Ananas zurück zur Sucht.

    Genauso wie das richtige Umfeld aus der Sucht herausführen kann, kann das Umfeld auch hineinführen - auch ganz ohne schreckliche Kindheit, siehe social media. Ich glaube, ganz unwissenschaftlich, nicht an einen Onefitsall-Ansatz. Und solche Endlosaufsätze kommen dabei rum, wenn ich kränkeld auf dem Sofa liege und gerade nichts anderes tun kann ^^

    Beste Grüße Helga (sowohl mein eigener Name, als auch alle Namen in meinen Beiträgen sind frei erfunden, um real existierende Personen zu schützen)

  • Hallo Helga, danke für Deinen Beitrag.

    Ich finde gut, dass sich hier gerade ein paar unterschiedliche Erfahrungen bzw. Meinungen zeigen. Die beiden verlinkten Artikel kann ich , zumindest auf mich bezogen, sehr gut nachvollziehen. Aber natürlich trifft das auf andere nicht unbedingt zu.

    Deshalb wollte ich meine Gedanken mit Euch teilen und um Eure bitten. Wissenschaftliche Artikel dazu lesen hilft mir auch.

    Meine Frage nach dem "Warum" wird sich nicht genau und schon gar nicht für alle gleich beantworten lassen. Ich suche nach Gründen und erkenne erst dann, wenn ich sie irgendwo lese, ob bzw. dass sie auf mich zutreffen.

    Der Satz von Kierkegaard: "Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts" passt für mich dazu. Um das rückwärts verstehen geht es mir zur Zeit, das vorwärts leben lerne ich dann vielleicht auch noch.

    Herzliche Grüße

    CeBe

  • Hallo Miteinander,

    ich denke, die Suche nach dem „Warum?“ gehört für so manchen von uns zur Verarbeitung bzw. zum Verarbeitungsprozess dazu.

    Auch für mich war das wichtig, das zu klären. Gerade, weil ich doch so ein mahnendes Beispiel in meiner Familie hatte, hätte mir das doch eigentlich nicht passieren dürfen. So dachte ich jedenfalls. Auch ich hatte diese Vorstellungen und Vorurteile im Kopf, was ein Alkoholiker sei und wie es dazu komme. Ich hab mich mein ganzes Leben lang dafür geschämt, Tochter eines Alkoholikers zu sein, und ich hab versucht, den Makel auszugleichen.
    Und dann war’s mir doch passiert, obwohl ich doch, wie ich überzeugt gewesen war, Acht gegeben hatte. Was hab ich mich geschämt!
    Und weil ich mich schämte und verstehen wollte, was da passiert war, begab ich mich auf die Suche nach dem „Warum?“

    So wie Helga glaube ich auch nicht an einen Onefitsall-Ansatz. Das, was ich in den letzten Jahren so an Erfahrungsberichten gelesen habe, spricht schon dagegen.

    Daher wäre es gewiss gut, wenn auch noch andere ihre Gedanken und ihre Erfahrungen teilen mögen.


    Viele Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Na gut, dann hier auch von mir ein Beitrag hierzu. Ich habe angefangen zu trinken, weil es mir nicht gut ging. Die innerfamiliäre Situation war unerträglich, starke negative Gefühle, viel Druck, innerer Schmerz und Leid bei der jugendlichen Bighara. Ich konnte meine Gefühle nicht adäquat regulieren und der Alkohol hat mir genau bei diesem Prozess geholfen. Er hatte genau die Wirkung, die ich damals gebraucht habe und die ich wollte. Er hat geholfen, nichts hat so gut geholfen wie der Alkohol. Darum bin ich in der Sucht gelandet.

    Einmal editiert, zuletzt von Bighara (12. August 2024 um 21:30)

  • Ja, Bighara. Das ist m.E. ein Hauptgrund:Es geht einem nicht gut. Wahrscheinlich können viele, die als Jugendliche anfingen das nachvollziehen:

    Die innerfamiliäre Situation war unerträglich, starke negative Gefühle, viel Druck, innerer Schmerz und Leid bei der jugendlichen Bighara. Ich konnte meine Gefühle nicht adäquat regulieren und der Alkohol hat mir genau bei diesem Prozess geholfen.

    Dazu kommen dann die eigenen Persönlichkeitsmerkmale. Wer sensibel ist und eher eine unglückliche Grundstimmung hat, den erwischt es leichter, glaube ich. Ich habe die Menschen mit dem "dicken Fell" oft beneidet. Die haben nie den großen Weltschmerz gekriegt.

    Wobei ich dieses so betonte positive Denken manchmal zum K... finde! Und erstaunlich: In einem großen großen Land, wo nur positive thinking zählt, hat so gut wie jeder seinen Therapeuten. Die kommen auch nicht zurecht in ihrer Welt. Das muss dort ein richtiger Wirtschaftszweig sein!

    Aber wenn man sich alles zu Herzen nimmt und sich den Umständen ausgeliefert fühlt, was soll man als Jugendliche/r dann machen? Was für ein Jammer, was für eine vergeudete Lebenszeit und Kraft! Ich bin erst viel später da hinein gerutscht, aber ich hatte auch das Glück, früh aus dem Elternaus auszuziehen.

    Dazu kommen dann die vielen Jugendlichen, die trinken, weil sie zu einer Gruppe gehören wollen und sich diesem Gruppenzwang wieder nicht entziehen können. Die können die Folgen ja überhaupt nicht überschauen in ihrer Lebensphase. Da wird was angelegt, was das ganze Leben kaputtmachen kann.

    Aber auch bei Dir lese ich wieder die Familiensituation als Hauptgrund oder vielleicht auch nur als Auslöser heraus. Wie auch immer die Situation war, was auch immer ein Kind belasten kann.

    Dazu muss es aber auch in einem Menschen selbst angelegt sein. Denn das ist ja so, wie Sparkassen_Helga schreibt: Eines der Kinder entwickelt eine Sucht, die anderen nicht. Meine beiden Schwestern haben das Problem z.B.nicht. Aber mein Cousin mütterlicherseits. Dessen Familie war liebevoll und ganz anders als meine. Und der kann auch nicht mit meinem Trinkervater verwandt sein! Dessen Vater war Spiegeltrinker. Ah, und die Mutter hat immerzu "Doppelherz" getrunken und bis zu ihrem Tod mit 97 Jahren sehr gerne Sherry.... Wenn es auch genetisch bedingt ist bei mir, dann kommt es jedenfalls von zwei Seiten.

    Lassen wir mal die Wissenschaft sich weiter abrackern, obwohl uns das auch nicht hilft.

    Man weiß ja wohl schon länger, wie Kinder am besten aufwachsen sollten und was schlecht für sie ist. Trotzdem können oder sogar wollen es nicht alle Eltern so. Wenn man sich mal in früheren Jahrhunderten umschaut, war es gar nicht so viel besser. Es wurde nur nicht so kommuniziert.

    Was für ein Durcheinander!

    Trotzdem habe ich heute nicht mehr das Gefühl des Alleinseins. Niemals hätte ich mich so öffnen können wie ich es hier anonym tun kann. Danke an Euch alle!

    CeBe

  • Wer sensibel ist und eher eine unglückliche Grundstimmung hat, den erwischt es leichter, glaube ich. Ich habe die Menschen mit dem "dicken Fell" oft beneidet. Die haben nie den großen Weltschmerz gekriegt.

    Ich finde keine Worte dafür. Bighara schreibt davon, dass die innerfamiliäre Situation unerträglich war, starke negative Gefühle, viel Druck, innerer Schmerz und Leid bei der jugendlichen Bighara. Und Du bewertest das als sensibel?

    Kinder aus einem gewalttätigen Elternhaus haben ein verdammt dickes Fell. Sie sind meist mit Überleben beschäftigt und haben wenig Zeit für großen Weltschmerz.

    Beste Grüße Helga (sowohl mein eigener Name, als auch alle Namen in meinen Beiträgen sind frei erfunden, um real existierende Personen zu schützen)

  • Ich finde keine Worte dafür. Bighara schreibt davon, dass die innerfamiliäre Situation unerträglich war, starke negative Gefühle, viel Druck, innerer Schmerz und Leid bei der jugendlichen Bighara. Und Du bewertest das als sensibel?

    Ich hab den Eindruck, dass hier ein Missverständnis vorliegt.
    Könnte es sein, dass dich da etwas getriggert hat?

    Ich denke nicht, dass CeBe da eine Bewertung vornehmen wollte, sondern ich habe den Eindruck, dass sie da gerade etwas bei sich selbst entdeckt und dafür Worte und Erklärungen sucht.

    Ich bitte zu bedenken, dass es völlig normal ist, in den ersten Wochen und Monaten emotional empfindlich zu sein. So, wie du, Helga, gerade empfindlich reagiert hast, so dürfte auch CeBe gerade emotional empfindlich sein. Ich bitte darauf Rücksicht zu nehmen.

    Kinder aus einem gewalttätigen Elternhaus haben ein verdammt dickes Fell. Sie sind meist mit Überleben beschäftigt und haben wenig Zeit für großen Weltschmerz.

    Ich würde von mir auch nicht behaupten, dass ich ein sogenanntes „dickes Fell“ gehabt hätte, obwohl ich in der damaligen Zeit und auch später als Erwachsene mit Überleben beschäftigt war.
    Und großen Weltschmerz habe ich durchaus immer mal wieder gespürt.

    Freundliche Grüße

    AmSee (als Moderatorin und Vollmitglied)

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Ich möchte gerne kurz noch etwas zum Thema „Sensibilität“ schreiben.

    Als ich mich mit dem Thema „Erwachsene Kinder aus dysfunktionalen Familien“ beschäftigt habe, stieß ich auch auf die Information, dass Kinder in solchen Familien (nicht unbedingt jedes!) entwicklungsbedingt eine besondere Form der Sensibilität entwickeln. Das hat etwas mit der häuslichen Situation zu tun, mit dem ständigen Auf-der-Hut-Sein-Müssen, um sich entsprechend anpassen zu können.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Helga, ich verstehe Deine Empörung nicht ("Ich finde keine Worte..") Natürlich schreibe ich von mir und meinen Empfindungen. Und auch von Erfahrungen, die ich mit Menschen gemacht habe.

    Es geht auch gar nicht um ein gewalttätiges Elternhaus, sondern um eine dysfunktionale Familie. So habe ich Bighara jedenfalls verstanden.

    Ich kann auch nicht glauben, dass dort jeder vorher sensibel gewesene Mensch hart wird und seine Sensibilität verliert. Ich selbst bin sehr dankbar dafür, dass sie mir geblieben ist.

    In diesem Forum habe ich mittlerweile mehrere sehr sensible Menschen kennengelernt, die durchaus aus Problemfamilien stammen. Und ich habe im Laufe meines Lebens auch erfahren, dass glücklich aufgewachsene Menschen manchmal wenig Empathie haben, weil sie sich gar nicht vorstellen können, wie eine Kindheit noch sein kann.

    Aber klar, es gibt immer graduelle Unterschiede. Auch den Begriff Sensibilität kann man unterschiedlich definieren.

    Ich bewerte es auch als sensibel - oder nenne es empfindsam- , wenn jemand eben kein dickes Fell entwickeln kann. Ich selbst habe leider auch keines.

    CeBe

  • Ich komme mit schlechten Gefühlen überhaupt nicht zurecht. Ich kann nicht weinen - außer, wenn mein Haustier stirbt. Ich habe in meiner Kindheit viel körperliche und seelische Gewalt erlebt und würde heute in der Rückschau sagen, dass ich mich damals von meinen Gefühlen abgespalten habe, um das ganze zu ertragen. Eine Überlebensstrategie.

    Das ist etwas, was mir sehr bekannt vorkommt, wobei ich selbst irgendwann dann doch weinen konnte und mich offenbar auch nicht gänzlich von meinen Gefühlen abspalten konnte. - Versucht habe ich das. Ich hab das Lied „I am a rock“ von Simon&Garfunkel nicht nur damals oft gehört und lange Zeit wörtlich genommen…


    Was bleibt einem Kind denn auch anderes übrig, wenn es nicht lernen konnte, mit sogenannten schlechten Gefühlen umzugehen, weil es zum einen gefährlich war, die rauszulassen, und zum anderen niemand für es da war, der vorlebte, wie man damit richtig umgeht?

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

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