Die erste Zeit nach dem Ausstieg

  • Hallo, wie habt Ihr denn die erste Zeit nach dem Ausstieg erlebt? Es wird wohl bei jedem etwas anders sein, aber trotzdem gibt es sicher auch Gemeinsamkeiten. Ich habe für mich entdeckt, dass Ablenkung am besten ist. Etwas tun, bloß nicht herumsitzen und nachdenken. Mir helfen schon Haushaltstätigkeiten, oder das Haus verlassen und eine halbe Stunde gehen. Meine Konzentrationsfähigkeit ist im Moment nicht gut, also erledige ich besser zur Zeit keinen wichtigen Papierkram. Zahlendreher z.B.machen sich nicht so besonders bei Banküberweisungen...

    Für mich ist heute Tag 6 ohne Alkohol, also noch der totale Anfang. Das Haus ist komplett Alk-frei. Die vielen "guten, schönen und teuren" Gläser kann ich jetzt nicht weggeben, das bringe ich nicht fertig. Und wenn ich im Forum lese, wie lange viele schon nüchtern sind, denke ich spontan gleichzeitig: Das möchte ich auch und: Das schaffe ich nie. Diese Mitglieder bewundere ich sehr!

    Meine Gefühle sind eigentlich positiv (aber wieso nur "eigentlich"?). Den vermeintlichen Trost in der augenblicklichen Misere gibt es nicht mehr. Das ist toll und schwierig gleichzeitig. In den ersten vier Tagen war es schlimm, ich war noch nie so nervös und auch so ungeschickt. Ständig ist mir etwas aus der Hand gefallen, ich hatte kalte Füße mit Wollsocken und habe zu viel gegessen. Bei Kontakten mit Leuten am Telefon habe ich denen das Ohr blutig gequatscht, ohne Grund. Es hat sich alles irgendwie anders und fremd angefühlt.

    Aber allein, dass ich jetzt nachmittags nüchtern das Haus verlassen kann und nicht ganz alleine mit dem Weißwein hier herumsitze, das ist schön.

    Eine ganz erstaunliche Erfahrung: Durch das ständige Lesen im Forum und auch in Büchern zum Thema habe ich schon eine gewisse Abneigung entwickelt. In einem ziemlich seichten Buch (Roman, leichte Lektüre für die Nacht) habe ich es kritisch gesehen, dass jemand ein Glas Whisky trinkt. Sowas wäre mir vorher nicht aufgefallen. Und in einem Film im TV empfand ich es als unsympathisch und unangenehm, dass die Frauen dort ständig mit einem Weinglas in der Hand da saßen. Und tranken natürlich. Kein Gefühl von Neid bei mir!

    Ob das gerade mal nur ein Selbstschutz ist, oder ob ich tatsächlich schon umdenken kann? Nach so kurzer Zeit? Da traue ich mir nicht so ganz über den Weg, denn wir haben früher ja auch jedes Jahr die 7 Wochen Alkohol-Fasten gemacht. Ich will aber trocken werden und mich nicht auf die Zeit nach den 7 Wochen freuen, so wie früher. Das ist schon etwas anderes.

    Also, es würde mich sehr interessieren, wie es bei Euch war. Wo waren die Versuchungen? Was hat Euch dann geholfen, wenn eine Situation schwierig wurde?

    Außerdem bin ich gespannt, ob ich das jetzt richtig gemacht habe. Ich habe ja noch keinerlei Erfahrung mit dem Schreiben im Forum. Gleich werde ich sehen, ob dieses Thema dort erscheint, wo ich es haben will.

    In der Hoffnung auf Antworten liebe Grüße

    CeBe

  • Hallo CeBe,

    oh, das ist ganz an mir vorbeigegangen, dass Du nun schon trocken bist. Herzlichen Glückwunsch zur ersten Woche. Die ersten Tage sind schlimm. Ich kenne das auch - die Fahrigkeit, Nervosität, einfach nichts läuft rund. Das wird aber nach 3-4 Wochen viel einfacher.

    Ich würde mir aber irgendetwas suchen, was Dich fesselt. Vielleicht etwas Neues, was nicht mit Alkohol verknüpft ist. Langeweile und rumsitzen sind gefährlich. Liest Du gerne? Malst Du gerne? Möchtest Du eine Sprache oder ein Instrument lernen? Yoga magst Du ja nicht :) Idealerweise irgendetwas, was Dir Spaß macht und worin Du Dich verlieren kannst. Ich spiele leidenschaftlich gerne Golf. Das kann man alleine machen, mit anderen, als Wettbewerb, im Urlaub... eine Runde dauert 4 Stunden und der Tenor bei allen Golfern: auf der Runde sind meine Gedanken und Sorgen beruhigt, ich denke an nichts. Mir ist immer ein Hobby mit Bewegung wichtig, um innere Anspannung abzubauen. Im Winter besuche ich gerne Volkshochschulkurse. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei.

    Gibt es bei Dir etwas, was Dich die Zeit vergessen lässt?

    Beste Grüße Helga (sowohl mein eigener Name, als auch alle Namen in meinen Beiträgen sind frei erfunden, um real existierende Personen zu schützen)

  • Moin CeBe,

    ich bin jetzt 18 Tage ohne Alkohol und kann Dir nur empfehlen durchzuziehen, die Belohnung bekommst Du wenn Du realisierst das alles, aber wirklich auch alles, nüchtern viel schöner, besser und reflektierter ist, wenn Du für Dich selber Deine Benefits erkennst und Dir selber Belohnungen gönnst dir kein Geld kosten, z.B. bewusst im Wald Spazierengehen oder beim Nordic Walking um den See die Umwelt und die Schönheit zu erkennen. Ich bin irgendwann die Tage an einem schönen Morgen um 6.30 Uhr mit ABBA im Ohr der Sonne entgegen spaziert, Sonnenbrille auf und einfach los. War toll,...zumal ich sonst Metal höre 8o Die nächsten Tage heißt es noch durchhalten. Ich wünsch Dir viel Erfolg :)

  • Guten Morgen Helga und Scrat!

    Danke an Euch für die schnelle Antwort.

    Helga, so ein paar Sachen aus Deinen Vorschlägen liebe ich und mache ich. Z.B lesen, Musik hören und Nordic Walking schon immer. Letzteres natürlich erst, seit es das gibt, aber seitdem täglich. Vorher zusammen mit meinem Mann, aber jetzt alleine. Es ist sehr einfach, da unser Haus am Waldrand liegt und man "hinten raus" gehen kann. So einen Monat nach seinem Tod habe ich im April wieder damit angefangen (ich wäre sonst durchgedreht hier) und bin mit Pfefferspray in der Hosentasche und viel Angst losgegangen...

    Eine Sprache oder ein Instrument lernen traue ich mir nicht zu in meinem Alter. Ich bin ja angeblich sprachbegabt, was Aussprache und Gefühl für Sprachen betrifft. Aber leider kann ich mir überhaupt keine Vokabeln mehr merken. Das ärgert mich schrecklich, ist jedoch mit fast 76 normal, glaube ich. Das Volkshochschulprogramm von unserem Landkreis habe ich mir schon geholt und das Angebot ist wirklich gigantisch! Trotzdem, es sperrt sich zur Zeit alles, alles in mir, ich will am liebsten nur in meinen 4 Wänden sein. Das liegt mit daran, dass die Trauer um meinen Mann von Tag zu Tag mehr wird. Anders kann ich es nicht erklären. Ich habe auch die beiden obligatorischen Wochenenden mit alten Freunden abgesagt. Beide Gruppen meinten, es würde mir gut tun, aber ich kann es nicht. Es sind sozusagen mehrere Baustellen gleichzeitig, zumal bei diesen Treffen auch Alkohol getrunken wird. Da bin ich mit Bewegung in der Natur besser dran, so wie Du beim Golfen.

    Ich bin so froh, dass ich den Alkoholausstieg begonnen habe!

    Und Scrat: Du bist schon weiter als ich (dreimal so lange, oh je!) und klingst sehr zufrieden, Glückwunsch! Auch Helga spricht von erst mal 3 Wochen. Das ist jetzt mein Nahziel, vielleicht wird es dann leichter. Dein Helfer, Bewegung in der Natur, ist auch für mich wesentlich! Wobei ich keine Musik im Ohr habe, aber das ist halt Gewohnheit bei Euch Jüngeren. Musik ist für mich hier zu Hause, wo sie zur Zeit leider verkümmert. Das kommt wieder. Wenn ich mich kultiviert fühlen will, ist es Klassik. Wenn es unter die Haut gehen soll, ist es Rock. Das mag komisch klingen, wenn es von einem alten Menschen kommt, ist aber Fakt. Ich hatte das große Glück eines guten Mutter-Tochter-Verhältnisses. Die (Tochter) hat mich gut versorgt mit neuen Impulsen, denn in unserem Bekanntenkreis war nicht so viel los damit. Mein Mann und ich waren leider schon zu alt, als es mit den riesigen Open Airs anfing. Ich wäre bei Queen und in Wacken gewesen, und nicht nur dort. Mit Sicherheit! Da ich in der Beatles-Zeit aufgewachsen bin, wurde schon damals ein Grundstein gelegt für die Musikrichtung. Wir haben alles durchlebt, was aus Großbritannien und den USA kam. Das ist absolut verinnerlicht und ich habe sogar eines der alten Stücke bei der Beisetzung der Urne meines Mannes im Wald gespielt (nicht ich natürlich, aber gestreamt).

    Also, macht´s gut und habt einen schönen Sonntag.

    CeBe

  • Hallo CeBe

    Hallo, wie habt Ihr denn die erste Zeit nach dem Ausstieg erlebt?

    Es wird wohl bei jedem etwas anders sein, aber trotzdem gibt es sicher auch Gemeinsamkeiten.

    Es ist schwierig für mich den eigenen Weg hier auszubreiten. Nicht weil ich mich scheue darüber zu schreiben, eher um den Lesern nicht das Gefühl zu geben bei mir war / ist es ja doch nicht zu schlimm. Und diese zu lockere Einstellung der eigenen Alkoholproblematik gegenüber ist nicht gerade förderlich einen erfolgreichen Weg der Abstinenz, der Heilung zu beschreiten.
    Also ich war ja obdachlos und mein erster abstinenter Tag führte mich morgens vom Schlafplatz im Park in ein MacDonald Restaurant wo ich ausgiebig frühstückte. Dann ging ich in die Suppenküche wo ich duschte und mir neue Kleidung geben liess.
    Am Abend ging ich in die Notschlafstelle für Drogenabhängige wo ich die nächsten Wochen verbrachte. Bis ich halt über das Wohnungsamt eine Wohnung bekam.
    Die Notschlafstelle war tagsüber geschlossen und so hatte ich genügend Zeit auf einer Parkbank abzuhängen oder ähnliches und auf einen erlösenden Brief des Amts zu warten.


    Wenn ich heute auf die Leute schaue die am Anfang ihres Weges stehen fällt mir auf das sie oft den Fokus auf das legen was sie nicht haben und nicht auf das was sie haben. Und davon hätten sie unbefangen gesehen reichlich. Nur schätzt man diese Dinge oft nicht oder nur gering. Einen Tisch, ein Bett, eine Dusche zum Beispiel.


    Wenn ich mir diesen Aspekt so betrachte bin ich sehr, sehr dankbar wie es für mich gelaufen ist.


    Freiheit ist doch nur ein Wort dafür, wenn
    nichts mehr da ist, das man verlieren kann.
    Nichts ist zwar nichts, aber es ist frei.

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    PS.
    Unter anderem von AmSee13 , Greenfox , Gerchla und Susanne68 geschrieben ist bei den Artikeln ist eine kleine Zusammenfassung die das hier angestupste Thema vertieft.

    Teamwork
    10. November 2023 um 06:08

    LG Brant

  • Hallo Brant, hab vielen Dank für Deine offene Antwort.

    Nein, dass Du eine lockere Einstellung bzw. Schreibstil zur Problematik hast, kann ich überhaupt nicht erkennen. Dass Dein Leben wieder in die so genannten "geordneten Bahnen" gekommen ist, freut mich sehr.

    Niemals, wenn ich Deine Beiträge und Deine eloquente Ausdrucksweise gelesen habe, hätte ich gedacht, dass Du auf der Straße gelebt hast! Wenn Alkoholabhängigkeit dazu führt, ist es ja doppelt schlimm.

    Ich verstehe jetzt auch, warum Du mir den Tipp mit dem Buch von Thomas Steiger gegeben hast. Ich habe es mir gebraucht gekauft und lese es zur Zeit. Es ist erschütternd und beschreibt alles ganz schonungslos. 5 lange Jahre!

    Du schreibst in einem anderen Beitrag, dass Du zu Beginn Deines Ausstiegs aus dem Suff viel gelesen hast darüber. Ich habe das auch so gemacht und tu es immer noch. Es hilft mir ungemein, mich ständig mit dem Thema zu beschäftigen. Das muss richtig bei mir im Gehirn verdrahtet werden, damit das Wissen um die Gefahr jederzeit abrufbar ist. Leute, die nicht gut lesen können oder es auch nicht wollen, haben diese Hilfe nicht.

    Hoffentlich hast Du in Deiner Zeit als Obdachloser nicht solche Dinge erleben müssen! So viel Gewalt und Elend, besonders auch zwischen den Betroffenen. Alkohol und Elend scheinen jede Empathie und jede Fairness anderen gegenüber zu zerstören.

    Das Buch geht mir ziemlich an die Nieren, auch weil seine Eltern offensichtlich nichts mehr von ihm wissen wollten. Ich bin erst ungefähr in der Mitte, d.h. sehr gespannt, wie er es geschafft hat, da wieder heraus zu kommen. Worüber ich sehr staune, ist sein Lebenswille.

    Es gibt - so denke ich - kaum Kommunikation zwischen den "normalen" ( bewusst in Anführungszeichen) Menschen und den durch das Netz gefallenen.

    Ich muss mir da an die eigene Nase fassen: Wir haben hier im Ort einen Mann, der offensichtlich keinen festen Wohnsitz hat. Ob er irgendwo eine Platz zum Schlafen hat, weiß ich nicht. Er ist zwar nicht schmutzig oder so, aber er hält sich immer im Freien auf und hat seine ganze Habe in großen Tragetaschen am Fahrrad hängen.

    Jahrelang saß er auf einem liegenden Baum auf einem Parkplatz in unserer Nähe, immer waren Leute bei ihm zum Reden. Fast jeden Tag sind wir ihm begegnet auf Wegen, die von den Autobahn- Raststätten/Parkplätzen kommen. Mit Säcken voller Pfandflaschen aus den Mülleimern dort. Außer guten Tag und hallo haben wir nichts zu ihm gesagt, da waren Berührungsängste auf unserer Seite.

    Irgendwann habe ich dann mal irgendwelchen Smalltalk angefangen, weil er quasi in die gleiche Richtung wie wir ging und ich, naja, irgendwas sagen wollte. Und daraus wurde ein langer Monolog, in dem er auf alles und Jeden geschimpft hat. Die Politik, die Stadtverwaltung, wo überall Geld zum Fenster rausgeschmissen wird, die Ausländer. Er wurde immer lauter dabei. Also, das Gespräch war unangenehm, wenn auch aus seiner Sicht nachvollziehbar. Danach war wieder nur noch hallo und guten Tag. So wird es wohl auch bleiben, denn ich lebe alleine und will nicht mal, dass er mitkriegt, wo ich wohne. In seinem Revier nämlich.

    Dabei schafft er sich auch kleine Annehmlichkeiten. Er saß früher oft vor einer Bäckereifiliale und trank Kaffee, jetzt macht er das in einem Cafe in der Ortsmitte. Da liest er auch die Zeitung. Scheinbar kommt er ganz gut zurecht mit seiner Situation. Er hatte auch immer die zum Wetter passende Kleidung, die war ganz deutlich von der Kleiderkammer.

    Tja, warum schreibe ich das alles. Dieser Mann hat uns sehr beschäftigt im Kopf, aber wir haben absolut nichts für ihn getan. Aus Bedenken, er würde sich irgendwie an uns hängen? Wir wollten ihm auch kein Geld geben, er sollte uns nicht anbetteln oder dann auf uns schimpfen. Der Wald und die Wege dort sollten für uns schön bleiben.... Betrunken schien er nie, obwohl er auch öfter mal mit einem Bier auf der Bank saß.

    Obwohl ich über die Umstände nichts weiß, denke ich: Er ist ein bedauernswerter Mensch, der mir aber leider eher unsympathisch ist. Ich will keinen Kontakt, womit sich hier mal wieder der Kreis schließt.

    Ich wünsche Dir, dass Du nie wieder in solche Verhältnisse gerätst!

    Liebe Grüße von CeBe

  • Hallo Miteinander,

    als ich hier vor bald vier Jahren aufschlug, war ich noch nicht so weit, tatsächlich gänzlich aussteigen zu wollen. Ich hatte mich angemeldet, weil ich mir Sorgen wegen meines Konsums machte, und suchte ausgerechnet hier Hilfe. Ich gehöre wohl zu jenen, die „nur“ psychisch vom Alkohol abhängig waren, aber eine Unterscheidung zwischen körperlich abhängig und psychisch abhängig spielt, das ist mir im Laufe der Zeit klar geworden, im Grunde keine Rolle. Meine Gedanken kreisten täglich um meinen Konsum und gut ging’s mir damit schon eine Weile nicht mehr.

    Ich war ziemlich unsicher, Scham spielte zweifellos auch eine Rolle, aber die Anonymität hier und die Bereitschaft der damals hier aktiven Nutzer, mir zu antworten, machte es mir leichter, mich meinen Problem zu stellen.

    Die Antworten, die ich hier bekam, waren mir eine enorme Hilfe, und ich war dankbar für den offenen und ehrlichen Austausch. Ich hab zu jener Zeit sehr viel hier gelesen und geschrieben sowie nebenbei ein paar der Bücher gelesen, die hier in der Literaturecke empfohlen werden.

    Durch die gedanklichen Anregungen hier, durch sehr viel Selbstreflektion und aufgrund der eigenen positiven Erfahrungen mit meiner Abstinenz wurde mir schließlich klar, dass es besser für mich war, gar nicht mehr Alkohol zu trinken. Ich kannte mich gut genug, um zu wissen, dass das sehr viel leichter für mich war, als der Versuch, meinen Konsum unter Kontrolle halten zu wollen.

    Ablenkung hatte ich in dem Sinne nicht nötig, denn das viele Lesen und auch das gedankliche Sortieren durch Schreiben beschäftigte mich sehr.

    Nach ein paar Tagen stellte ich fest, dass ich besser schlief und mich morgens in der Regel erholt fühlte. Meine Grundstimmung wurde besser und ich fühlte mich stabiler und auch stärker.

    Allmählich besserte sich meine Konzentrationsfähigkeit und ich konnte nach einiger Zeit unerwartet Dinge angehen, die ich sonst für unmöglich hielt oder nur mit vielen Pausen erledigen konnte.

    Was ich aber auch feststellen musste, war, dass ich emotional empfindlich war. Zwischendurch fehlte mir immer mal wieder die innere Balance, um mit Kritik umgehen zu können.

    Eine ganz erstaunliche Erfahrung: Durch das ständige Lesen im Forum und auch in Büchern zum Thema habe ich schon eine gewisse Abneigung entwickelt. In einem ziemlich seichten Buch (Roman, leichte Lektüre für die Nacht) habe ich es kritisch gesehen, dass jemand ein Glas Whisky trinkt. Sowas wäre mir vorher nicht aufgefallen. Und in einem Film im TV empfand ich es als unsympathisch und unangenehm, dass die Frauen dort ständig mit einem Weinglas in der Hand da saßen. Und tranken natürlich. Kein Gefühl von Neid bei mir!

    Das ging mir, wenn ich mich recht erinnere, ganz ähnlich. Überhaupt wurde mir viel bewusster, wie omnipräsent Alkohol in Film, Fernsehen, Büchern und in meinem sonstigen gesellschaftlichen Umfeld ist. Neid kam da auch bei mir nicht auf, eher so eine Art Hinterfragen dieser Omnipräsenz.


    Das, was in dem Artikel, auf den Brant verwiesen hat, zusammengetragen worden ist, sind Fragen und Themen, denen ich - und auch andere, mit denen ich im Austausch stand - im Laufe des ersten Jahres begegnet bin.

    Viele Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo CeBe


    Die Obdachlosigkeit war ja bei mir nicht sehr lang. Ca. drei Wochen bis zu dem Tag an dem ich dann bis heute aufhörte Alkohol zu trinken und die paar Wochen danach noch in der Notschlafstelle bis die kleine Wohnung dann da war. Diese Obdachlosigkeit war sozusagen mein Wecker der bimmelte und mir sagte: "Es ist Zeit aufzuwachen und sich dem Leben, wie es ist, also sozusagen nackt, zu stellen. Das Kartenhaus meiner Träume, Wünsche und Phantasien konnte einstürzen.
    Mit Obdachlosen heutzutage, es gibt ja immer mehr im reichen Deutschland, kann ich nichts anfangen. Ich weiss wo sie wirklich Hilfe finden können und denke jede Münze in ihren Becher verlängert nur ihr Leid.
    Das Buch "Der Penner" war vllt die grösste Unterstützung in meinem ersten Abstinenzjahr. Vllt war es diese schonungslose und gnadenlos ehrliche Art wie der Autor mit seiner Problematik umging, die mich bestärkte auch für mich einen Weg heraus aus der Sucht zu finden. Was jetzt nicht im Buch vorkommt, Thomas Steiger arbeitete die Jahre danach in der Suchthilfe. Solche Leute wie er werden da wohl dringend benötigt!


    Ich wünsch dir noch einen sonnigen und klaren Mittwoch.
    Brant

  • Guten Morgen, ich melde mich auch mal wieder

    Zur Zeit läuft es bei mir nicht so besonders. Der erste abstinente Tag ist gerade mal zweieinhalb Wochen her (mir kommt es viel länger vor, aber der Kalender weiß es besser...). Auch mein Gefühl, dass der Entzug doch nicht so schlimm wird, lässt nach. Es ist schon unangenehm.

    Wenn ich dann von anderen lese, wie lange sie schon völlig trocken sind, kommt sofort der Gedanke: Nie im Leben schaffe ich das! Dann mach ich ganz bewusst das, was mehrere schrieben, mir nämlich sehr deutlich ins Gedächtnis rufen, wie grässlich das alles war in der Trinkzeit.Das hilft im Augenblick noch. Und hier viel drüber lesen natürlich. Das nützt mir in diesem Stadium viel mehr als das (angelesene) Fachwissen zum Thema. Theoretisch Rad fahren geht auch schlecht, oder theoretisch wissen, wie eine Zitrone schmeckt.

    Wie gut, dass ich endlich aus meiner Blase herauskomme und sehe, wie sich andere fühlen. Und klar, die eine Person kann ihre furchtbaren Erfahrungen verarbeiten, um anderen damit zu helfen und sie zu unterstützen, die andere eben nicht. Das spürt man.

    Eines musste ich an mir selbst erfahren: Dass Verbitterung schadet und alles mögliche verhindert, was das Leben gut machen kann. Das wird besser, aber hauptsächlich durch den Austausch im Forum. Mit den "normalen"Menschen wäre es unmöglich. Zumindest kenne ich niemand in meinem Umfeld, dem ich mich so öffnen könnte und vor allem, der mir zuhören würde. Wer will sich auch mit den Problemen anderer befassen, und zwar ohne Neugier oder sogar Sensationslust?

    Ein wirklich bescheuertes Gefühl macht sich in diesen Tagen aber in mir breit: Ich schäme mich für mein Selbstmitleid, und dass ich die Verantwortung für meine Trinkerei anderen in die Schuhe schieben wollte. Und weil ich hier gelesen habe, wie traurig der Werdegang zum Alkoholiker sein kann und wie viel Lebenszeit für den Ausstieg gebraucht wurde bei fast allen hier, schäme ich mich erst recht. Dann denke ich, dass ich ja noch Glück im Unglück hatte.

    Aber wer weiß es, ich bin noch total am Anfang. Soviel für heute, danke fürs Lesen!

    CeBe

  • Moin CeBe,

    du hast eine sehr gute Beobachtungsgabe deiner Gefühle - behalte dir das bei. Aber sei vorsichtig mit der Bewertung und bleib vielleicht einfach nur bei der Wahrnehmung deiner Gefühle. Gefühle sind Hinweisgeber, sonst erstmal nichts. Sie sind einfach da. Und es sind deine Gefühle und haben daher ihre Berechtigung. Aber vielleicht gehst du auch ein wenig zu hart mit dir ins Gericht…schonmal was vom inneren Kritiker gehört? 😉 Hast du dir schonmal über die Funktion von Scham Gedanken gemacht? Ich finde nämlich, dass Scham zu früheren Zeiten Sinn und Zweck hatte, aber heutzutage in unserer individualistischen Gesellschaft irgendwie nicht mehr so recht anwendbar ist. Oder? Und dabei ist Scham ein echt starkes Gefühl…es ist sehr unangenehm und macht dazu noch passiv. Ich mag die Scham nicht besonders. Wenn ich merke, dass ich mich schäme, dann registriere ich das zwar, aber gebe da nicht sonderlich viel drauf. Scham ist nämlich auch anerzogen und wenn du - so wie ich - aus einem verklemmten Elternhaus kommst, dann haste die Scham andauernd vor der Tür stehen. 😂 Daher…schäme dich nicht für deine Gefühle. Bitte wiege auch nicht dein Leid mit dem Leid Anderer ab. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und dein Leid ist dein Leid. Für dich war es nunmal schlimm und das langt doch völlig. Ich hatte in der Klinik einige ältere Damen und Herren, die hatten ihr Leben lang nichts mit Alkohol am Hut, aber haben dann in der Rente und nach dem Verlust des Partners mit dem Trinken angefangen: Einsamkeit ist brutal. Dieses Gefühl kennt jeder von uns und weiß, was das anstellen kann. Gehe nicht so hart mit dir ins Gericht.

    Woher weißt du eigentlich, dass du dich deinem Umfeld nicht anvertrauen kannst? Hast du es schonmal probiert?

  • Guten Morgen, CeBe,

    ich kann das nur unterstützen, was Bighara dir bereits geantwortet hat.

    Den ersten Teil des Entzuges, den körperlichen Entzug, dürftest du nun hinter dir haben, nun erlebst du mehr oder minder intensiv den anderen Teil, den psychischen Entzug. Und da kommen nicht gerade selten viele Gedanken und Gefühle hoch, auch emotional ist man da in der Regel sehr empfindlich. Was ich dir damit sagen will, ist, dass das ganz normal ist.

    Wenn ich dann von anderen lese, wie lange sie schon völlig trocken sind, kommt sofort der Gedanke: Nie im Leben schaffe ich das!

    Das klingt für mich nach einem dieser negativen Glaubenssätze, die du verinnerlicht hast. Zu diesen negativen Glaubenssätzen hatte ich dir schon mal etwas geschrieben. An denen ist, wenn man sie mal aus echter Distanz betrachtet, in der Regel nicht viel dran. Wenn du dein Leben so betrachtest, was hast du denn da nicht wirklich schon alles geschafft? Das dürfte gar nicht mal so wenig sein, oder?

    Das Trocken-Sein hat auch für die, die es inzwischen schon lange sind, mit den ersten Schritten angefangen. Mir zum Beispiel hat anfangs der Gedanke „Heute trinke ich nicht.“ geholfen.

    Irgendwann wurde das Nüchtern-Sein dann zum Selbstläufer, insbesondere da mich die positiven Erfahrungen auf meinem neuen Weg bestärkten. Auch ich habe mir die schlechten Erfahrungen meines alten Weges immer wieder vor Augen geführt, um keine Gedanken aufkommen zu lassen, dass dieser Weg für mich nochmals eine Option wäre.

    Wie wäre es, wenn du das Beispiel anderer, die schon lange trocken sind, als Mut machend betrachtest?


    Liebe Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Dazu noch etwas:

    Ein wirklich bescheuertes Gefühl macht sich in diesen Tagen aber in mir breit: Ich schäme mich für mein Selbstmitleid, und dass ich die Verantwortung für meine Trinkerei anderen in die Schuhe schieben wollte. Und weil ich hier gelesen habe, wie traurig der Werdegang zum Alkoholiker sein kann und wie viel Lebenszeit für den Ausstieg gebraucht wurde bei fast allen hier, schäme ich mich erst recht. Dann denke ich, dass ich ja noch Glück im Unglück hatte.

    Scham ist, wie Bighara schon geschrieben hat, ein echt starkes Gefühl. Man spürt es, wenn einem bewusst wird, dass man gegen irgendwelche Regeln verstoßen hat. Scham ist, auch das hat Bighara schon geschrieben, letztlich nur ein Hinweisgeber.

    Wer sich schämt, macht sich klein und passiv, in der Hoffnung, dass das Gegenüber den Regelverstoß vergibt.

    Die Verantwortung für die eigene Trinkerei bei anderen zu suchen, ist übrigens ziemlich typisch bei Alkoholikern. Wer aber aussteigt, befreit sich unter Umständen auch aus der Opferrolle, in der er sich wähnt, und beginnt, die Verantwortung für sich und sein Handeln selbst zu übernehmen. Nicht selten überkommt einen dabei auch Scham, wenn einem bewusst wird, was man so alles angestellt hat. Insofern ist das, was dir gerade widerfährt, völlig nachvollziehbar.

    Wie wäre es, wenn du für dich den Begriff „Selbstmitleid“ durch den Begriff „Selbstmitgefühl“ ersetzst? Zwischen Mitleid und Mitgefühl besteht nämlich, das musste ich auch erst lernen, ein gewaltiger Unterschied. Und Mitgefühl für dich selbst zu empfinden, ist überhaupt nicht verkehrt. Das zeugt von Empathie für dich selbst. Und die ist berechtigt. Punkt.

    In den Alkoholismus rutscht man schleichend hinein. Über Ursachen dafür haben wir uns ja bereits an anderer Stelle ausgetauscht. Mitgefühl für sich selbst und das Bedürfnis, es nun anders zu machen, sind ein guter Ansatz, um zu heilen.

    Viele Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo Bighara und AmSee13

    Bighara,

    Ihr habt in allem, was Ihr schreibt, recht. Ich versuche mal, darauf einzugehen. Leider neige ich schon immer dazu, alles und jeden zu bewerten bzw. einzuordnen. Das das nichts taugt, davon bin ich auch überzeugt. Aber das war eben so in der kleinen Blase, in der ich so lange gelebt habe.

    Ich spüre sowieso, dass sich da was ändert zur Zeit. Ich fange zum Beispiel an, andere Menschen zu mögen. Das mag auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, aber bisher wollte ich eigentlich nur mit meinen engsten Bezugspersonen zusammen sein. Das ist anders geworden, und ich bin natürlich auch auf neue Kontakte angewiesen (Die alten lieben Freunde sind entweder schon verstorben oder leben über ganz Deutschland verstreut irgendwo)

    Jetzt, wo ich ganz alleine lebe, genieße ich die kleinen Schwätzchen unterwegs, dafür hatte ich früher keine Zeit. Oder habe sie mir nicht genommen. Mit dem ewigen Misstrauen gegenüber anderen habe ich mir auch oft selbst Steine in den Weg gelegt, das weiß ich.

    Mein Mann und ich, wir waren ein enges Gespann. Aber die Berufe und auch die jeweiligen Kollegen waren sehr verschieden und haben nie wirklich zum jeweils anderen Partner "gepasst". So hatte dann eher jeder seine eigenen Leute und die wenigen Paare, mit denen wir beide befreundet waren, sind nicht mehr vollständig (einer tot) oder wie oben gesagt, sehr weit weg. So wurden wir zu einer Doppelpackung.

    Es gibt halt auch ein Alter, in dem man sich nicht mehr ganz schnell mal ins Auto setzt und mehrere Hundert Kilometer fährt für einen kurzen Besuch. Ich schon gar nicht, ich wäre auf die Bahn angewiesen 😧.

    Ach so, mich meinem Umfeld anvertrauen: Mein Umfeld ist ein bisschen schwierig. Ich habe eine noch lebende Schwester, in einem Altersheim weit weg. Die ist 9Jahre älter als ich und in einer beginnenden Demenz. Aber schon vorher war das ein Problem, weil sie auf jeden Menschen neidisch ist im Sinn von missgünstig. Da habe ich manche schlechte Erfahrung mit ihr. Sonst lebt von der Familie niemand mehr, bis auf die jüngere Generation. Von denen will ich auch nicht hören, dass ich in die Fußstapfen vom Opa getreten bin.

    Hier in der Nachbarschaft mich outen - klares Nein! Die Gründe kennen wir ja. Und es mal probieren, das riskiere ich lieber nicht. Du wirst als Alkoholiker eben auch bewertet und eingeordnet, so ist es nun mal in unserer Gesellschaft. Das kann ich sogar verstehen. Mit allen Begleiterscheinungen sind wir während der Konsumzeit oft nicht so angenehme Zeitgenossen. Wir stören.

    Deshalb möchte ich mich nur ganz wenigen Menschen anvertrauen oder am liebsten nur anonym wie hier im Forum.

    Und AmSee:

    Ja, genau so erlebe ich das gerade. Körperlich geht es mir gut, aber die psychische Abhängigkeit bleibt. Gestern habe ich noch in irgendeinem Thread geschrieben, dass ich cool und gelassen durch die Weinabteilung im Supermarkt spaziert bin. Ich hätte es besser wissen müssen, denn heute Nacht waren die Regale voller Flaschen alle virtuell bei mir im Schlafzimmer! Gottseidank nicht im Keller.

    Heute, bei Tageslicht ist das schon wieder vorbei. Es ist einfach das passiert, wovon ich vorher gelesen hatte und es war wohl noch viel zu früh für diese Konfrontation.

    Zum negativen Denken:

    Ich fürchte, das ist ein Charaktermerkmal, schwer wegzukriegen. Bei aller Schwarzseherei ist ja am Ende trotzdem immer alles gut gegangen. Da gibt es 1000 Beispiele.

    Niemand hat mir jemals gesagt, ich hätte nicht genug auf die Reihe gebracht im Leben, aber ich konnte es einfach nicht glauben! Ganz rationell betrachtet, war alles gut. Es gab keine Katastrophen, nichts wirklich Schlimmes in meinem Erwachsenenleben. Wenn ich eine Liste machen würde, was mir alles gelungen ist, die wäre gar nicht so kurz. Aber das ist der Kopf, der weiß das. Der Bauch glaubt es nicht.

    Zur Zeit, mit klarem Kopf, kann ich besser daran arbeiten als vorher, wo die vermeintliche Lösung immer gut gekühlt zur Hand war.

    Für einen Rat bin ich Dir dankbar: Dass ich es als Mut machend betrachten soll, wenn so viele schon lange trocken sind. Als Ansporn, DASS ich es schaffen kann.

    Dass ich die alte Erinnerung: Du bist nichts, Du hast nichts, Du kannst nichts (O-Ton Papa) und die 50 Pfennig Taschgeld im Monat gehören Dir auch nicht, die kann ich Dir wieder wegnehmen, dass ich das verinnerlicht habe, wundert mich nicht.

    Und Am Schluss noch etwas zum Thema Scham: Der Begriff kann wohl sehr unterschiedlich interpretiert werden. Ich habe aber auch noch nicht viel darüber nachgedacht. Sich für seine Gefühle schämen, auf keinen Fall. Aber gerade in unserer Zeit, in unserer individualistischen Gesellschaft, wie Bighara schreibt, fände ich Scham oft angebracht.

    Beispiele für mich sind die erschreckende Schamlosigkeit, mit der betrogen und belogen wird. Wer nicht das Finanzamt austrickst, wird für etwas unterbelichtet gehalten, manche Politiker lügen schamlos das Blaue vom Himmel herunter, wenn jemand beim Klauen erwischt wird, wird er aggressiv.

    Individualismus ist wunderbar, aber man sollte sich doch trotzdem nicht überall seine eigenen Regeln machen? Es ist doch wie mit der Freiheit: Die ist absolut wichtig und richtig, solange man anderen nicht schadet.

    Jetzt zur Erheiterung noch eine persönliche Scham-Geschichte: Vor Ewigkeiten sind wir öfters eine bestimmte Runde durch die Felder mit dem Rad gefahren. Da war ein riesiger Acker mit Petersilie und ich habe angehalten und mir ein Sträußchen gepflückt. Ganz ohne mich wie ein geübter Dieb umzuschauen. Natürlich war auf dem Nachbaracker ein junger Bauer, der mir dann beim Vorbeifahren in den Lenker gegriffen und mich vom Rad geholt hat. Ich bekam eine ordentliche Strafpredigt, habe angeboten, die Petersilie zu bezahlen, er hat sich 10 Euro geben lassen und mir noch nachgerufen, die sei frisch gespritzt, giftig, essen könne man die nicht. Ob das überhaupt sein Acker war?

    Das war mein Klau-Erlebnis, und die Scham hat dazu geführt, dass wir bestimmt zwei Jahre lang dort nicht mehr vorbeigefahren sind. Und meine schöne orange Jacke habe ich zu den Altkleidern getan, damit man mich nicht von weitem identifizieren kann. Also sowas! Der Gedanke, dass der ja auch ein Handyfoto hätte machen können von mir, der kam erst später.

    Heute amüsiere ich mich drüber, damals hat es mich belastet.

    Euch beiden liebe Grüße

    CeBe

  • Wenn ich dann von anderen lese, wie lange sie schon völlig trocken sind, kommt sofort der Gedanke: Nie im Leben schaffe ich das!

    Es gibt auch eine andere Reaktionsmöglichkeit.

    Ich habe bewusst in der ersten Zeit Erfahrungsberichte erfolgreicher Suchtaussteiger gelesen, denn deren Erfolg zeigte mir, was möglich ist. Und vor allem, dass es möglich ist und was es bedeutet, endlich wieder frei zu sein. Diese Freiheit, die diese Menschen bereits Tag für Tag erleben durften, die wollte auch ich erleben.

    Das motivierte mich und ließ mich durchhalten.

    Alles Gute
    Bassmann

  • Danke Bassmann-neu für Deinen Kommentar. So ähnlich hatte es auch Am See formuliert. Nämlich dass genau diese Erfolgsbeispiele Mut machen können. Da fange ich gerade an, umzudenken. Das ergibt wirklich deutlich mehr Sinn, als sich entmutigen zu lassen.

    Lieben Gruß

    CeBe

  • Hallo CeBe


    Wenn Erinnerungen auftauchen dann war / ist es bei mir so das sie mich manchmal erschrecken, dann erstaunen und letztlich amüsieren. Sie zeigen halt nur mein Menschsein und das ist Gott sei Dank nicht perfekt. Die Bestrebungen übermenschlich zu sein führen doch nur zur Identität eines falschen Heiligen oder zu sonstigem Wahnwitz. So wichtig es ist wenn diese alten Bilder auftauchen, blockieren sie ja auf irgend eine Art und Weise ein entspanntes Leben im Jetzt und Hier, so vorteilhaft ist es auch nur der Zeuge bei diesen ganzen Dramen zu sein.
    Es ist der Verstand der da unermüdlich am Werke ist. Er möchte Herr im Hause sein. Durch die ganzen Hirnaktivitäten hält er die Illussion einer eigenen Existenz aufrecht. Denn bei bewussteren hinsehen ist leicht zu erkennen das der Mind nicht mal eine Strohpuppe ist. Vllt haben in alten Zeiten die Menschen bei bestimmten Jahresfesten diese Puppen aufwändig gefertigt und dann verbrannt um sich solcher Wahrheiten zu vergegenwärtigen.
    Wenn es nicht die Scham ist, dann der nächste Griff hin zum Neid. Die Andern haben so viel und ich kaum etwas! Das ist ein uraltes Spiel ohne Gewinn für das eigene Selbst.

    Die Zeit wird es mit sich bringen das zu erkennen.


    LG Brant

  • Guten Morgen, CeBe,

    Leider neige ich schon immer dazu, alles und jeden zu bewerten bzw. einzuordnen. Das das nichts taugt, davon bin ich auch überzeugt. Aber das war eben so in der kleinen Blase, in der ich so lange gelebt habe.

    das war bis noch vor ein paar Jahren bei mir nicht anders. Ich habe das reine Wahrnehmen, ohne das Wahrgenommene zu bewerten oder irgendwelchen Kategorien zuzuordnen, auch erst lernen müssen. Man kann das tatsächlich trainieren, in dem man seine Aufmerksamkeit rein auf das Wahrnehmen dessen, was die fünf Sinne erfassen, richtet, und auch auf Gefühle, die man in seinem Inneren spürt.
    Heute betrachte ich es als Geschenk, das ich das lernen durfte und konnte. Also: Nur Mut. 🎈



    Was deinen Alkoholtraum betrifft: Solche Träume hat so mancher von uns auch schon gehabt. Wen hat so etwas nicht schon beunruhigt? … Sowas ist aber normal, das Unterbewusstsein spielt eben nach seinen eigenen Regeln.
    Im Wachzustand konntest du dann ja auch feststellen, dass sich keine Weinflaschen in deinem Schlafzimmer und auch nicht im Keller befanden. Beruhigend, nicht wahr? 😉


    Triggern kann grundsätzlich alles Mögliche. Angst muss man davor meines Erachtens nicht haben, nur wissen, dass es passieren kann, und für den Fall der Fälle Lösungsstrategien parat und geübt haben.
    Man kann sich die Automatismen, die da im Gehirn ablaufen, abtrainieren. Es gibt sogar Studien darüber.

    Sich mutig und unvorbereitet auf Selbstversuche zu stürzen, wenn man frisch abstinent ist, davon würde ich aber eher abraten, man muss sich ja am Anfang nicht unbedingt überfordern. Oder? 😉

    Niemand hat mir jemals gesagt, ich hätte nicht genug auf die Reihe gebracht im Leben, aber ich konnte es einfach nicht glauben! Ganz rationell betrachtet, war alles gut. Es gab keine Katastrophen, nichts wirklich Schlimmes in meinem Erwachsenenleben. Wenn ich eine Liste machen würde, was mir alles gelungen ist, die wäre gar nicht so kurz. Aber das ist der Kopf, der weiß das. Der Bauch glaubt es nicht.

    Auch der Bauch kann das lernen, wenn du entsprechend (selbst-)fürsorglich mit ihm umgehst.
    Du hast als Kind - Beispielsätze deine Vaters hast du genannt - etwas gelernt, was du verinnerlicht hast.
    Das war und ist bei mir nicht anders. Ich selbst habe aber im Laufe der letzten Jahre gelernt, mich mit diesem sogenannten Inneren Kind zu beschäftigen und ihm in der Gegenwart die Fürsorge angedeihen zu lassen, die es damals vermisst hat. Die Vergangenheit lässt sich nicht verändern, aber in der Gegenwart für sich und verletzte Innere Kinder zu sorgen, ist möglich.

    Viele Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Dir auch einen guten Morgen!

    Mit dem Ausdruck "Inneres Kind" konnte ich nie etwas anfangen. Eine frühere Kollegin hat mal eine Verhaltenstherapie gemacht und damals davon gesprochen. Deine Erklärung ist absolut logisch für mich.

    Dann will ich mal versuchen, etwas für mein inneres Kind zu tun. Ich finde das spannend und freue mich sogar drauf, eine neue Aufgabe zu haben. Sowieso lerne ich gerade, mit mir selbst besser umzugehen, das ist ein gutes Gefühl!

    Zum reinen Wahrnehmen fällt mir noch ein, dass das für alles Mögliche gut ist: Also eine schöne Wolke am Himmel als schöne Wolke wahrnehmen und nicht sofort denken: Bestimmt wird das Wetter jetzt schlecht. Mir fallen unendlich viele Beispiele ein, wo es diese beiden Möglichkeiten gibt. Und vor kurzem hätte ich auch sofort gesagt:Ja aber....

    Du gibst mir viele gute Denkanstöße!

    Liebe Grüße

    CeBe


  • Hallo Brant , auf Deinen letzten Satz, die Zeit betreffend hoffe ich! Und auf Gelassenheit allgemein. Und ich hoffe auch, dass ich es irgendwann hinkriege, mal einen einzelnen Satz als Zitat einzufügen. Habs probiert, aber es kam dann immer Dein ganzer Post in das Textfeld. Oder es hat zufällig geklappt und ich wusste hinterher nicht mehr, warum.

    LG

    CeBe

  • Guten Morgen an Alle!

    Seit 3Wochen bin ich nun abstinent und weiß eigentlich gar nicht, wie es mir wirklich geht. Die erste Zeit war gut und ich war schon ganz sicher, dass das so bleibt. Aber nein, seit ein paar Tagen rumort es bei mir im Kopf mit Gedanken wie: Vielleicht bin ich doch nicht "so richtig" abhängig, ich könnte es ja mal ausprobieren. Mal ein Glas Wein trinken... Hab ja sonst nicht Schönes mehr im Leben, lauter solchen Kram.

    Der Schlaf in der Nacht wird immer weniger, weil ich bestimmt jede Stunde aus dem Bett muss mit Krämpfen in Fuß oder Wade. Das war eine Zeitlang nicht, ist aber wieder zurück. Das hoch dosierte Magnesium habe ich nicht so gut vertragen und das Chininpräparat (Limptar) musste ich auch absetzen. Das half gegen die Krämpfe, darf aber nicht auf Dauer eingenommen werden.

    Gleichzeitig ist da die große Angst, dass dann der ganze Zirkus von vorne losgeht. Meine exzessive Beschäftigung mit dem Thema Alkohol scheint mir gerade kräftig in die Quere zu kommen. In einem Video wurde der Leiter einer Suchtklinik interviewt von einem trockenen Alkoholiker. Ich finde es leider nicht mehr zum Verlinken. Dort hieß es dann, für die einen ist das Glas während der Abstinenz ein "Ausrutscher", der wieder ausgebügelt werden kann, für die anderen bedeutet es den Rückfall.

    Dazu kommt eine total miese Stimmung zur Zeit, die auch verschiedene Gründe haben kann: Es kann der Entzug sein, es kann aber auch die große Trauer um meinen Mann sein, die mir so zu schaffen macht.

    Dass ich mich in jedem zweiten Wort verschreibe, ist auch so etwas. Ich bin nur am Korrigieren, deshalb höre ich lieber mal auf.

    Kennt Ihr diese Situation von Euch selbst auch, und was habt Ihr dann dagegen unternommen?

    Liebe Grüße

    CeBe

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