Neu hier im zweiten Anlauf

  • Hallo,

    Zeit für einen Zwischenbericht.
    Mir geht es immer noch gut bis sehr gut und bisher komme ich ganz gut zurecht bis auf kleine Ausnahmen. Eine davon möchte ich kurz mal schildern. Vielleicht gibt es Erfahrungen, die ihr mit mir teilen wollt und die für mich Licht ins Dunkel bringen. Ich war gestern zum Kaffee bei meiner Oma und meine Mutter war zu Besuch (wohnt mehrere 100 km entfernt von uns) und plötzlich ohne Vorwarnung und vor allem ohne Anlass hatte ich plötzlich das starke Verlangen am Abend was zu trinken. Das hat mich völlig überrannt! Ich habe nie bei meiner Oma Alkohol getrunken und schon garnicht am Kaffeetisch. Ich weiß überhaupt nicht wo der Drang plötzlich herkam! Das hat mich mehr verunsichert als der Drang an sich! Ich hatte einige Minuten damit zu tun und als ich dann zu Hause war, war auch eigentlich wieder gut (und natürlich habe ich auch nichts getrunken), aber die Situation hat mich stark verunsichert...
    Kennt ihr sowas? Was könnte das sein und wie geht ihr damit um? In Analogie dazu verspüre ich merkwürdigerweise überhaupt keinen Drang zu Trinken wenn ich zu Hause abends auf dem Sofa sitze, ehemals mein "Standard Konsumort". Das macht es so unberechenbar für mich: Da wo ich es erwartet hätte, ist nichts und in einer Situation wo ich überhaupt keine Bezugspunkte zum Alkohol hatte überfällt es mich plötzlich!?
    Ich wünsche euch ein schönes Wochenende
    femme

  • Hallo femme,

    ich habe bei mir festgestellt, dass bestimmte Gefühle, die ich hatte/habe, den Drang zu trinken ausgelöst haben. Und im Zusammenhang mit bestimmten Situationen, die diese bestimmten Gefühle auslösen, dabei oft selber nichts mit Trinken zu tun haben, entstand dann der Wunsch zu trinken.

    Manche Menschen, bzw. meine Haltung zu ihnen, löste auch bestimmte Gefühle aus. Bei mir war das mitunter die Ex-Schwiegerfamilie, auch manchmal meine Mutter, mein Ex-Mann etc.

    Daher war es für mich wichtig, meine Gefühle zu beobachten und ernstzunehmen, was sie mir mitteilten. In meinem Fall auch therapeutisch Dinge aufzuarbeiten.

    Welche Gefühle verbindest du mit der Situation, die du beschrieben hast?

    Viele Grüße und ein schönes Wochenende dir.

    Camina

  • Es muss nicht der Ort sein, der Dich so getriggert hat - es kann auch eine Situation sein oder ein Gesprächsthema.
    Oder (es KANN sein - ist nur ein Szenario in MEINEM Kopf) einem von beiden geht es eventuell schlecht und Dir ging kurz Durch den Kopf, dass es durchaus das letzte derartige gemeinsame Beieinander sein könnte. Oder etwas völlig anderes.

    Wie gesagt - es sind nicht immer Ort oder Szenarien (Treffen mit betsimmten Menschen), die Einen triggern.
    Bei mir kam dieses fiese Männchen mit dem Holzhammer nach ca. anderthalb Jahren Trockenheit in einem Moment, wo ich mir einfach nur dachte "Verdammt, geht's mir gut!" Und das Männeken schrie dann in meinem Kopf "Und zur Belohnung trinkst Du jetzt eine Flasche Wodka! Los jetzt!!" Und es hat mich verdammt viel Mühe gekostet, die Stimme zu übertönen und diesen "Anfall" zu überwinden - Ich habe dann schließlich eine Flasche Wodka (Wasser) getrunken!

    Speichere es in Deinem Hinterkopf ab, dass solche Anfälle auch von alleine vorüber gehen und man nicht (Alkohol) trinken MUSS!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Ich glaube das Unterbewusstsein speichert einiges an Informationen was nicht konkret abrufbar ist. Ich kenne dieses Triggern auch,manchmal scheint es aus dem Nichts zu kommen,total Zusammenhanglos...aber ich denke wir können uns unsere Gefühlswelt nicht rational erklären,diese unangenehmen „Überraschungen „ zähle ich dazu.
    Aber genau wie Green es beschrieben hat erging es mir auch schon...es ging mir fast zu gut!! Ich wollte unbedingt trinken um das Gefühl irgendwie erträglicher zu machen...schwierig zu beschreiben. Aber nicht umsonst heisst es auch bei den Aa „wenn‘s dir schlecht geht,geh zum Meeting. Wenn’s dir gut geht, Renn zum Meeting.“ damit will nicht gemeint sein,dass einem Freude und Euphorie nicht gegönnt sei,sondern eben der Umstand,dass Freude ein häufiger Auslöser für Trinkdrang ist. Ich kann das wirklich auch bestätigen,bei Wut und Trauer bin ich achtsam, bei Euphorie weniger und an Emotionen finde Ich dieses am schwierigsten zu erleben.

    Lg Rina

  • Hallo!

    Suchtdruck und das Verlangen nach dem Stoff gehören für die allermeisten Einsteiger in die Abstinenz einfach dazu. Da musst Du jetzt durch. Der Druck wird dich noch öfter- so war es zumindest bei mir- heimsuchen.

    Mir wurde nach meinem ersten heftigen Druck von einem erfahrenen Abstinenten mit auf den Weg gegeben: "Jede Triggerabwehr macht dich für die Zukunft stärker."

    Du siehst, dass ein Druck sich auch plötzlich einstellen kann. Du weißt jetzt, dass er nicht ewig dauert und Du in der Lage bist, dagegen zu halten. Das ist doch eine prima Erfahrung.

    Das schrieb ich an anderer Strelle im Forum:

    Meine bislang bewährten Gegenmaßnahmen bei Saufdruck:

    1.)
    Erst mal inne halten. Evt. sind es ganz ganz profane Dinge wie Hunger oder Durst. Gegen Hunger hilft essen und gegen den Durst Minaralwasser, am besten mit viel Kohlensäure. Haut man sich davon einen 3/4 l zügig rein, ist zumindest das unmittelbare Verlangen nach Alk erst mal gebannt.

    2.)
    Das sofortige Befassen mit Beschäftigungen, die einem Spaß machen.

    3.)
    Ggf. ein sofortiger Ortswechsel. Eine andere Umgebung setzt erst mal neue Reize.

    4.)
    Kontaktaufnahme mit Vertrauensperson: Partner; Freund; Teilnehmer einer analogen SHG, das Schreiben hier im Forum.

    5.)
    Laufschuhe an und raus in die Natur, rennen, joggen, zügiges Gehen, aber nicht in Richtung der nächsten "Tränke". Alternativ aufs Fahrrad und anständig kurbeln.

    6.)
    Bei mir ganz nützlich, mich selbst innerlich zur Ordnung rufen, indem ich mir sage :"Halt! Stopp! Da stimmt was nicht, denn ich will saufen!"


    Suchtdruck dauerte bei mir nie stundenlang, sondern war meist binnen einer Stunde verflogen.

    Nur beim allerersten Mal wurde ich einen ganzen Nachmittag lang gleich mehrfach gepiesackt. Das war bislang jedoch ein Einzelfall.

    Soweit ich informiert bin, wurde bislang fast jeder abstinente Alki irgendwann mal von Suchtdruck heimgesucht. Bei mir vornehmlich dann, wenn ich in Situationen komme, in denen ich früher getrunken habe. Aber auch das legt sich mit der Zeit.

    Vielleicht ist ja was für dich dabei.

    Gruß
    Rekonvaleszent

  • Guten Morgen,

    danke für eure Beiträge. Ja, so habe ich es auch vermutet: Gefühle.
    Was habe ich gefühlt? Anspannung. Meist ist es eine angespannte Situation wenn wir (mein Sohn, meine Partnerin, ich) mit meiner Mutter respektive meinen Eltern zusammen sind. Das ist eine Konstellation, in der es oft zu Konflikten (innerlich) kommt. Da ich üblicherweise diese Konflikte nicht verbalisiere, sondern mit mir allein austrage, da ich kein Einsehen auf beiden Seiten spüre habe mich wohl offensichtlich sonst in das abendliche Trinken geflüchtet und die Gedanken an den immer wieder aufkeimenden Konflikt vorerst ertränkt. Das könnte es durchaus sein.

    Und Rina und greenfox: Es stimmt, ich habe auch eher das Bedürfnis ein "Belohnungsbier" zu trinken, wenn der Tag gut war oder anstrengend oder ich was geschafft habe. Ich muss wohl eher die Momente wachsam beachten, in denen es mir gut geht!

    Lieber Rekonvaleszent: deine "Liste" habe ich tatsächlich hier schon an anderer Stelle gelesen danke für die Auffrischung!
    Was mir auch hilft in meiner momentanen Phase der Abstinenz ist, das habt ihr auch öfters erwähnt, auszuhalten und zu wissen, das Verlangen hält nicht Stunden/ewig. Natürlich stecken noch große Anteile in mir drin, die Impulse senden bei jedwedem Leidensdruck (immer) sofort nachzugeben, aber daran arbeite ich ja nun indem ich NICHT nachgebe und eben "leide". Ich rechtfertige das, indem ich mir sage, dass ich mir das schließlich auch selbst eingebrockt habe.

    Auch der Punkt mit dem Unterbewusstsein ist m.E. sehr zutreffend.
    Ich träume auch sehr viel rund um den Alkohol. Meist sind es "Rückfallträume", die mich dann aus dem Schlaf aufschrecken lassen.
    Ist alles neu für mich, da ich eigentlich ein Mensch bin, der viel grübelt. Ich hatte nie das Gefühl, keinen Zugang zu meinen Sorgen und/oder Gefühlen zu haben. Aber vermutlich verhält sich das hier anders, weil so viele Bereiche davon betroffen sind und der Sucht eine lange Vorgeschichte vorausgeht, die eng mit meiner Biografie verknüpft ist. SO habe ich das nie betrachtet: Ich hielt die Sucht stets für MEIN Problem, bei mir gewachsen, von mir gepflegt. Jetzt erkenne ich Stück für Stück, dass ich das vielleicht nicht so solitär betrachten kann und sollte. Das ist nicht leicht. Ich wurde stets darauf hingewiesen, dass es ja "nicht immer die Anderen sein können" was eigentlich heißen sollte: Wenn etwas schief läuft, liegt die Schuld stets und zwar immer immer und ohne Ausnahme bei MIR und sonst niemandem. Das man so etwas jahrelang verinnerlichen kann ist unglaublich. Ich kämpfe Tag für Tag dagegen an und es hat mich einiges an Selbstwert gekostet.

    So, jetzt schweife ich wohl ab.

    Alles Liebe
    femme

  • ---Zwischenbericht---

    Guten Morgen,

    ich wollte heute mal wieder schreiben, wie es mir geht.
    Die ambulante Reha hat bereits begonnen wie ihr vielleicht im anderen Thread auch gelesen habt.

    1. Soweit geht es mir eigentlich auch gut, aber ich habe seit gut einer Woche wieder sehr häufig das Verlangen zu trinken. Scheinbar tritt es immer dann auf, wenn ich entweder gestresst bin oder etwas schönes am Tag gemacht habe (Ausflug etc.) und dann den Tag abrunden will (mit Alkohol nixweiss0).
    Ich kann nicht sagen, dass ich nur mit größter Mühe widerstehe aber es ist schon ein intensives Verlangen.
    Strategie im Moment: Einfach "aussitzen". Merke aber deutlich eine Lücke und ein Defizit an Entspannung/Abschalten.

    2. Was mir darüberhinaus vermehrt aufgefallen ist, dass ich sogenannte "Phantom Symptome" habe (keine Ahnung, ob es das Wort tatsächlich gibt, trifft es aber am ehesten...) und das verunsichert mich fast mehr als die vorgenannte Problematik. Ich habe manchmal arge Konzentrationsstörungen und leichte sogenannte Merkstörungen. Das natürlich besonders auf der Arbeit! Ich hoffe, das es nichts irreversibles ist (denn diese Symptomatik hatte ich zu Konsumzeiten ebenfalls am Ende) und es vielleicht daran liegt, dass ich zum einen im Moment sehr stark auf mich und meine "Symptome" schaue und andererseits stark mit mir beschäftigt bin was die Abstinenz und deren Verlauf angeht. Kennt das jemand?

    3. Ich habe zwar viele positive Veränderungen an meinem Körper (zum Glück!) bemerken können, allerdings gelingt es mir nicht wie sonst (und das sonst bezieht sich auch auf Konsumzeiten!!) meine übliche Joggingrunde zu absolvieren, d.h. statt 5 und mehr km schaffe ich nichtmal 3!! Ich fühle mich in der Hinsicht sehr unfit!? Das stört sehr, denn ich habe mich besonders darauf gefreut, endlich wieder regelmäßig Laufen zu gehen.

    So, das war`s eigentlich was mich im Moment umtreibt.
    Ich bin jetzt in der 6. Woche und immer noch sehr froh, ohne Alkohol zu leben.

    Bis bald

    Alles Liebe..

    femme

  • Ich bin jetzt in der 6. Woche und immer noch sehr froh, ohne Alkohol zu leben.

    Na, das ist doch gut 44.

    Und dass Du dieses Trinkverlangen hast - dem Du ja offensichtlich NICHT nachgegeben hast :D - würde ich doch mal in Deiner Therapierunde ansprechen einschließlich der Strategie, wie Du diesem Verlangen (bisher) begegnet bist (siehe auch meinen Ausführungen in Deinem anderen Thread!).

    Weiter so!

    Gruß wikende091
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo liebe Femme,
    was macht die Therapie?
    Bist du gut durch die Krise gekommen?

    Lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Hallo, ich wollte mal wieder von mir hören lassen. Ich habe inzwischen 7 Monate der Abstinenz geschafft und bin nach wie vor (seit März 2020) in der ambulanten Reha: Einmal Gruppe, einmal Einzelgespräch und alle 14 Tage eine SHG. Ich bin froh darüber, denn ich kämpfe - jeden Tag. Will heißen ich habe die erste Euphorie hinter mir gelassen, will immer noch abstinent sein, aber spüre meine Grenzen und häufig das Verlangen zu trinken. Ich wüsste nicht wo ich wäre ohne die Therapie. Inzwischen habe ich meinen Job gekündigt, weswegen ich eigentlich studiert hat das arbeite nun woanders. Das hat eine Krise ausgelöst aus der ich noch nicht ganz raus bin. Meine Beziehung kränkelt vor sich hin und insgesamt habe ich das Gefühl nichts funktioniert wie es soll. Ich nehme das so hin und arbeite Tag für Tag daran dass es besser wird. Aufgeben ist keine Option.
    Klingt alles recht negativ beim Durchlesen und tatsächlich ist meine Grundstimmung auch konstant schlecht. Aber ich erwarte keine Wunder und gehe den Weg erstmal weiter, denn alles andere würde nur noch mehr zerstören.
    Bis zum nächsten Mal.
    Alles Liebe

  • Hallo Femme,

    Schön dass du dich mal wieder gemeldet hast ! Und Glückwunsch zu 7 Monaten alkfrei!

    Ich möchte dir nur sagen, dass auch ich mich durch die ersten Monate durchkämpfen musste...muss ich manchmal immer noch weil immernoch Situationen mit Trinkdruck auftreten. Die „Anfangsphase“ kann sich wirklich ziehen, du gehst eine grosse Veränderung in deinem Leben durch, lass dir Zeit...Und sei stolz auf das geschaffte, du bist auf einem guten Weg!

    Ich habe heute zum Teil, nach bald 15 Monaten Abstinenz, das Gefühl nicht wirklich zu wissen wer ich bin und wo ich hin will. Ich komme meinem Kern wieder näher, sehe mein wirkliches Wesen aber es ist gerade so ein Weg des Entdeckens. Bin sehr ruhig geworden, lese viel, bin ständig in der Natur und es ist nicht mehr viel vom Partytiger übrig. Früher war es der Fall „je lauter, je mehr Leute desto besser „, jetzt ist es eher das Gegenteil.

    Ich habe auch akzeptiert, dass ich gewisse Dinge nicht mehr tun kann, manchmal ist das schmerzhaft. Es ist ein neues Leben das du dir aufbaust. Der Alkohol hinterlässt Spuren und eingefahrene Strukturen, wie du musste ich mich aus gewissen eingefahrenen Wegen rauskämpfen und neue Möglichkeiten finden. Ich konnte mir zum Glück auch immer sagen dass Trinken keine Option ist...in schwierigen Phasen sagte ich mir sogar „wenn ich für den Rest des Lebens traurig sein muss dann ist es halt so aber ich bin immer noch besser trocken traurig als trinkend traurig“.

    Aber es wird mit der Zeit wirklich immer einfacher und besser, das Leben ist unglaublich viel schöner ohne den Nebel, die stressige Suchtprganisation, den Druck schnell nach Hause zu müssen um zu trinken, die Sorge es könnte nicht genug Alk da sein,die unzähligen verlorenen Katertage, die Scham, Blackouts...

    Bleib dran liebe Femme, sei geduldig mit dir. Deine Beziehung muss die neue Lebensweise auch erst lernen, dein Umfeld geht mit deiner Abstinenz auch Veränderungen durch. Es ist auch für die Partner nicht einfach, die Alkprobleme fallen womöglich weg es kommen dafür aber neue. Erlebe ich so in meiner Beziehung jedenfalls.

    Viel Mut und Kraft, Deine Entschlossenheit wird dir Recht geben, es kommt gut!

    Rina

  • Hallo Femme,

    ich möchte einfach nur ein paar Gedanken von mir zu Deinen Zeilen da lassen.

    Erst mal möchte ich sagen, diese Einstellung von Dir:

    Zitat

    Aufgeben ist keine Option.

    finde ich super und es ist auch die einzig richtige! Auch wenn es jetzt nicht so toll läuft, aber wenn Du aufgibst wird 1. alles noch viel viel schlimmer und 2. ist die Chance weg Deine Situation langfristig zum Positiven zu verändern. Deshalb ist es absolut richtig das Aufgeben keine Option ist. Und finde es super, dass Du das so siehst und jetzt auch so durchziehst.

    Jetzt aber zu meinen Gedanken.

    Die Anfangseuphorie ist weg. Das ist eigentlich ganz normal und wird immer wieder von ganz vielen Alkoholikern so geschildert. Ich selbst kann das gar nicht so von mir sagen. Bei mir war es schon so, dass ich am Anfang ziemlich überwältigt (positiv) davon war, was da gerade mit mir passiert. Ich habe das in den ersten Wochen und Monaten besonders auch körperlich gemerkt. Plötzlich purzelten die Pfunde nur so runter und ich fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Fitter, heller in der Birne, wacher im Geiste. ABER: Meine psychische Verfassung ging einen ganz anderen Weg. Hier war sozusagen ein Trümmerhaufen an Gefühlen, hier waren riesige Schuldgefühle die mehr und mehr ein Problem für mich waren und hier war auch sowas wie: "wie soll ich das alles nur schaffen, da sind so viele Altlasten und so viele neue Probleme".

    Ein Gefühl jedoch hat mich sozusagen von Anfang an begleitet, übrigens bis heute. Das war das Gefühl der Dankbarkeit, dass ich nicht mehr trinken musste und auch so gut wie nie von Suchtdruck belastet wurde. Also schon ein wenig anders als das bei Dir ist.

    Trotzdem will ich Dir meine Gedanken schreiben, vielleicht kannst Du was für Dich mitnehmen.

    Da war also der "körperliche Teil" bei mir, der super lief und immer besser wurde. Und da war die Psyche, die auch nach Monaten noch im Eimer war bzw. auch immer wieder neue Herausforderungen hatte. Ich habe mich kurz nach meinem Ausstieg von meiner Frau und damit meinen Kindern getrennt was für mich eine extrem schlimme Situation war. Dazu kamen dann noch Dinge aus meiner Alkoholvergangenheit die ich jahrelang verheimlicht hatte und die jetzt natürlich nach und nach auf den Tisch kamen. Schlimme Dinge, wirklich schlimme Dinge. Es gab für mich aber keine Alternative. Da waren Sachen dabei, die ich "für immer" hätte totschweigen können. Aber genau das wollte ich eben nicht. Ich wollte wirklich reinen Tisch machen um ganz neu anfangen zu können.

    Mein Plan war es, mein Leben notfalls auch komplett zu verändern, wirklich notfalls alles zu verändern, wenn mir es das ermöglicht ein zufriedenes Leben ohne Alkohol zu führen. Deshalb auch die Trennung von meiner Frau, was wirklich vor allem durch meine Kinder meine bisher schwerste Entscheidung war. Ich ging durch die Hölle. Ich wollte auch diese ganzen negativen Gefühle zu lassen, sie nicht durch irgend einen Aktionismus (ich wusste z. B. das mir Sport eine gute Ablenkung verschafft hätte) verdrängen. Ich wollte das alles spüren, durchdenken, erleben und erfühlen um dann aber auch abschließen zu können. Ich habe diesen Weg bewusst gewählt und ich kam dann auch schnell an den Punkt wo ich merkte, dass ich das alleine nicht schaffen werde.

    Deshalb nahm ich mir Hilfe. Wie Du ja auch. Bei mir war es ein Mönch der es mir ermöglichte mit ihm über meine Situation, meine Ängste, meine Gefühle zu sprechen. Viele viele Gespräche über viele Monate hatten wir. Und so konnte ich wirklich richtig aufarbeiten und auch abschließen. Und dann tatsächlich neu anfangen.

    Ich denke also, es sind mehrere Schritte notwendig, zumindest war das bei mir so. Basis: Nicht mehr trinken, das ist klar. Und dann wirklich klar Schiff machen auch wenn man erst mal denkt, das geht doch nicht, das kann ich nicht tun, das wird mich aus der Bahn werfen. Hätte ich meinen Job z. B. als Problem gesehen, so kann ich Dir versichern, dass ich auch diesen hingeworfen hätte. Sofort und auch dann, wenn ich erst mal keine Alternative gehabt hätte. Ich wollte wirklich alles weg haben was mich belastet hat.

    Ich weiß, dass sich das jetzt recht einfach liest. Und es war alles andere als einfach. Alleine meine Trennung hat mich literweise Tränen im Vorfeld gekostet, immer wieder stundenlanges Wachliegen, nachdenken ob ich diesen Schritt gehen soll oder nicht. Immer wieder ein abwägen von Konsequenzen, ein Verwerfen und ein neuerliches in Betracht ziehen. Aber irgendwann muss dann auch mal eine Entscheidung her. So oder so und zu der muss man dann auch stehen, dahinter stehen.

    Wenn ich Dich so lese, dann denke ich mir, da sind einige Dinge die nicht so toll laufen. Du schreibst von Deinem Job, der wohl nicht das ist was Du Dir vorgestellt hast und Du schreibst auch von Deiner Beziehung, die nicht so läuft wie sie es vielleicht sollte. Ich kenne Dich nicht und ich will mir nicht anmaßen Dir hier jetzt irgendwas zu raten.

    Ich selbst bin der Meinung, dass man sich selbst gegenüber klar sein muss, was man will und was einem gut tut und was nicht. Und dass man das was einem nicht gut tut verändern muss. Ein Ausharren in Situationen die einen Belasten ist temporär sicher kein Problem und sowas passiert auch immer wieder. Auf einen längeren Zeitraum jedoch ist das hochgefährlich. Vor allem für einen Alkoholiker, weil er natürlich immer in Gefahr ist, wieder auf sein "Entspannungsmittel" Alkohol zurück zu greifen. Deshalb ist es m. E. so wichtig, dass man mit sich und seinem Umfeld, seinem Leben, ins Reine kommt. Das beseitigt, was einem nicht gut tut, was schadet und sich dem zuwendet, das einem zur Zufriedenheit bringt.

    Das ist ein Prozess und das bedarf auch immer wieder von neuem ein Hinschaufen, ein Justieren, etc.

    Ich denke, Du befindest Dich noch in der Phase wo Du heraus finden musst, was Du eigentlich möchtest. Was Du von Deinem Leben eigentlich jetzt erwartest, wer Du gerne sein möchtest, wo Du hin willst. Und wenn Du Dir darüber mal im Klaren bist, dann wirst Du auch erkennen welche Veränderungen es dafür braucht. Ich habe das bei mir so erlebt. Ich brauchte etwa ein Jahr ohne Alkohol bis ich mit dem Gröbsten durch war.

    D. h. ich hatte meine Trennung vollzogen, ich lernte mit meinen extremen Schuldgefühlen umzugehen, ich wurde mir klar darüber, wer ich eigentlich sein will und wie ich mir mein zukünftiges Leben vorstelle, ich wurde mir klar darüber, was für ein Mensch ich sein möchte und noch mehr solche Dinge. Ich habe auch meine Trinkgründe gesucht und gefunden. Ich begann zu verstehen, warum ich trank, wieso ich den Alkohol als Hilfmittel gewählt hatte.

    Nach diesem Jahr war es natürlich nicht vorbei. Es begann dann langsam diese Zeit des immer wieder Hinschauens, des Korrigierens, etc. Und das dauert im Grunde bis heute an und ist wohl ein immerwährender Prozess.

    Ich wünsche Dir alles alles Gute! Vielleicht war was für Dich dabei was Dir einen Denkanstoss geben kann. Bleib dran und lass mal ab und an was von Dir hören.

    LG
    gerchla

  • Liebe Rina, lieber Gerchla,

    danke für eure gehaltvollen Beiträge und das Teilen euer Gedanken, die mich sehr bewegt haben.
    Ihr habt oft den Kern getroffen.
    Ich weiß tatsächlich im Moment nicht, wo es hingehen soll, wer ich sein will, wie mein Leben aussehen soll.
    Das alles verunsichert natürlich sehr und es macht mir auch zuweilen Angst.
    Doch ich habe zum Glück Unterstützung, ohne die ich mir nicht vorstellen diesen Weg zu gehen! Ich habe in der Woche zwei Termine (Einzel und Gruppe) und alle 14 Tage SHG.
    Soweit wie du lieber Gerchla bin ich leider noch lange nicht :-\ : Alles was mir nicht gut geht hinter mir zu lassen...Es war schon ein Kraftakt für mich (und meine Therapeutin ;D ), die Arbeit zu kündigen! Ich musste erst eine neue Anstellung sicher haben, bevor ich es geschafft habe! Wobei dieses "Muss" ich mir (noch immer) selbst auferlegt habe... Aber es ist unwahrscheinlich schwer, die gewohnten Strukturen zu verlassen und vor allem zu erkennen, was einen selbst schädigt bzw. dazu führt, dass man Gefahr läuft wieder Trinken zu wollen! Und das mit dem Aktionismus kenne ich auch, betreibe häufig auch wie ferngesteuert entsprechendes Verhalten. Ich schaffe es einfach (noch) nicht, wie du Gerchla, negative Gefühle mit allem was dazu gehört auszuhalten. Doch weiß ich wohl, dass ich dahin kommen muss. Ich stolpere noch in Kompromissen und Ambivalenzen. Ich befinde mich erst auf dem Weg des "Erkennens". Und das ist manchmal sehr heftig. Ich gehe davon aus, so wie ihr schreibt, dass ihr das alles kennt... Ich komme gefühlt gerade nur langsam voran und erwische mich immer wieder beim Aushandeln. Doch der Kopf ist schon einen Schritt weiter. Ich weiß, ich muss gradliniger werden, mir neue Strukturen erarbeiten und eben nicht ausharren, weil hoch risikohaft. Das hast du sehr gut auf den Punkt gebracht Gerchla!!!
    Was mir auch immer bewusster wird, dass ich die Trinkgründe finden muss. Da tappe ich noch völlig im Dunkeln, aber die Frage taucht in der Gruppe immer mal wieder auf: "(...) was kannst du gerade nicht aushalten, sodass du denkst, Trinken zu müssen?" Ich sehe da ein wenig den Schlüssel für den nächsten Schritt. Denn wenn ich das herausfinde, so denke ich, dann kann ich aktiv daran arbeiten. Im Moment spüre ich nur, dass ich Ersatzhandlungen vornehmen will, aber ich erkenne den Auslöser häufig nicht. Das ist tatsächlich Arbeit und bedarf nicht selten der Hilfe meiner Therapeutin. Und dann kommt häufig das Gefühlschaos. Ich wünsche mir, selbst in der Lage zu sein, mein selbstschädigendes Verhalten zu erkennen, um daran arbeiten zu können. Mir war nicht einmal bewusst, dass ich das bisher regelmäßig getan: Mich selbst in Situationen gebracht, die mir schaden. Ich hatte immer das Gefühl, mit mir wird gemacht. Das war auch ein Perspektivwechsel, den ich nie allein hätte vollziehen können.
    Ich arbeite oft die Einzeltermine im Anschluss nochmal auf. Da löst sich dann wirklich oft der ein oder andere Knoten. Das gibt mir Hoffnung. Es ist schön, dass sich was bewegt, auch wenn es mir manchmal echt an Geduld fehlt. Und es ist soviel!

    Ich habe mir vorgenommen, hier im Forum wieder häufiger vorbeizuschauen. Ich habe anscheinend sehr hohen Bedarf im Moment, trotz der analogen Anbindung!

    Alles Liebe!

    femme

  • Doch ich habe zum Glück Unterstützung, ohne die ich mir nicht vorstellen diesen Weg zu gehen! Ich habe in der Woche zwei Termine (Einzel und Gruppe) und alle 14 Tage SHG.
    ... Ich habe anscheinend sehr hohen Bedarf im Moment, trotz der analogen Anbindung!

    Hallo, Femme!

    Es ist doch gut, dass Du alle Hilfe annimmst, die Dir geboten wird - und sie nicht liegen lässt!
    Und jeder hat seinen eigenen Bedarf.
    Ich bin z.Bsp. anfangs - das heisst im ersten Jahr - in der Woche 3 Mal zu einem Termin gegangen: 1x Einzelgespräch bei einem Therapeuten und 2x Gruppe.

    Das hat mir unheimlich geholfen und mir mit der Zeit auch Selbstsicherheit gegeben. Und als ich mich dann sicherer fühlte, konnte ich auch die Termine reduzieren. Zuerst die Einzelgespräche auf 14tägig, danach monatlich - dann konnten wir sie beenden. Und schließlich habe ich auch aus Zeitgründen eine Gruppe aufgegeben - wobei mir das verdammt schwergefallen ist, da ich die Jungs und Mädels zwischenzeitlich alle ins Herz geschlossen habe und mich nicht wirklich entscheiden konnte. Also musste ich eine Münze werfen …

    Aber wie heisst es so schön in einem Lied der Puhdys: "Alles hat seine Zeit - Steine sammeln, Steine zerstreu'n …"

    Also - geh DEIN Tempo und nimm die Hilfe an, die DIR richtig und wichtig erscheint!

    Du weisst ja, wo Du uns findest.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Liebe Femme,

    nochmal ein paar Gedanken, die mir beim Lesen Deiner Zeilen so in den Kopf kamen:

    Zitat

    Soweit wie du lieber Gerchla bin ich leider noch lange nicht :-\


    Es geht gar nicht darum so weit zu kommen oder so weit sein zu wollen wie es vermeintlich ein anderer ist. Denn das ist im Grunde eine sehr relative Angelegenheit. Du hast ein anderes Umfeld als ich, Du hast einen anderen Charakter als ich, Du hast ganz andere Erfahrungen in Deinem Leben gemacht die Dich prägten, eine andere Lebensgeschichte als ich. Kurz: Du bist ein ganz anderer Mensch als ich. Ich glaube, es geht immer nur darum den eigenen Weg zu finden. Und diesen Weg, und das halte ich für ganz wichtig, im eigenen Tempo immer ein Stückchen voran zu gehen. Im Grunde geht es darum sein Leben zu gestalten, und zwar so zu gestalten, dass man damit zufrieden ist (idealerweise auch glücklich wobei ich das für eine sehr individuelle Sache halte). Das man mit sich selbst und uns seinem Leben im Reinen ist empfiinde ich als entscheidend. Ich bin davon überzeugt, dass man dann keinen Grund mehr hat Alkohol zu trinken. Denn letztlich trank man ja immer "nur", weil man sich erhoffte, dass der Alkohol etwas bewirtk, etwas verändert. Alkohol trinken ist immer eine Flucht aus der Realität die man ganz offensichtlich nicht ertragen kann oder will.

    Insofern möchte ich Dir sagen: Du bist auf Deinem Weg, auf Deinem ganz persönlichen Weg. Wenn Du von anderen hier liest und es sind Dinge dabei, die Du für Dich als gut oder wichtig oder nachahmenswert empfindest, dann ist das sehr schön. Denn das ist ja ein Stück weit auch der Sinn dieses Forums. Schnappe Dir diese (Denk-)Anstösse und "baue" sie so in Deinen Weg ein, dass es für Dich passt. Und tue das immer alles in Deinem Tempo. Überfordere Dich nicht, nichts ist schlimmer als sich selbst unter Druck zu setzen und zu überfordern. Greenfox hat das ja auch schon geschrieben. Gehe lieber langsam aber dafür absolut konsequent voran.

    Zitat

    Alles was mir nicht gut geht hinter mir zu lassen...


    Letzlich läuft es darauf hinaus. Wobei es ja oft gar nicht so einfach ist herauszufinden, was einem eigentlich nicht gut tut. Und auch wenn es sich vielleicht so liest als hätte ich das halt alles mal einfach so gemacht kann ich nur sagen: Es war ein langer, teils sehr schmerzhafter und von (Selbst-)Zweifeln geprägter Prozess.

    Hier spielte bei mir auch das Finden meiner Trinkgründe eine wichtige Rolle. Bei mir lagen diese in meiner Kindheit, in meiner Erziehung. Ohne das ich jetzt damit sagen will, dass eine schlechte Kindheit oder Jugend gehabt hätte. Nein, war eigentlich alles prima. Meine Eltern haben mich so gut erzogen so gut sie das eben konnten. Und auch so, wie sie selbst eben geprägt waren. Es war zumindest bei mir keine offensichtliche und klare Angelegenheit sondern ich musste schon recht tief "einsteigen" um mir selbst klar zu werden, wie ich zu dem Menschen werden konnte, der ich dann letztlich war.

    Wenn ich heute zurück blicke auf die Monate nach meinem Ausstieg, dann liegt das alles recht klar vor mir. Da waren einige elementare Entscheidungen zu treffen von denen ich heute weiß, das, wenn ich anders entschieden hätte, wahrscheinlich alles schief gegangen wäre. DAMALS jedoch, sah das ganz anders aus. Da wusste nur eines, das aber aus tiefstem Herzen heraus: ICH WILL NIE WIEDER TRINKEN und ICH WILL MEIN LEBEN WIEDER SELBST GESTALTEN. Das wusste ich und alles andere war ein riesiger Haufen von emotionalem Chaos.

    Ich möchte Dir ein Beispiel geben: Meine Trennung, von der ich hier ja schon häufiger geschrieben habe. Meine damalige Frau, die nun wirklich alles andere war als eine schlechte oder böse Frau, wäre mit mir sehr gerne den Weg in ein neues Leben gegangen. Das hat sie mir auch gesagt. Normalerweise hätte ich dankbar auf die Knie fallen müssen, dass ich überhaupt so eine Chance bekommen hätte. Aber statt dessen hatte ich ganz viele andere Gedanken im Kopf. Und diese Gedanken sagten mir, dass ich es mit dieser Frau und dieser gemeinsamen Lebengeschichte nicht schaffen werde dauerhaft trocken zu bleiben. Ich stellte all meine Gefühle in Frage, ich versuchte heraus zu finden: Was empfinde ich eigentlich für meine Frau? Liebe? Und welche Rolle spielen dabei meine Kinder? Bei ihnen war ich vollkommen klar, da brauchte ich mich meiner Gefühle nicht versichern. Da wusste ich: Ich liebe meine Kinder über alles - und genau desweg fiel mir auch diese Entscheidung so schwer.

    Es wäre also auch absolut nachzuvollziehen gewesen, wenn ich wegen meiner Kinder an dieser Beziehung festgehalten hätte. Diese Beziehung die ja nur ich allein kaputt gemacht hatte. Es war meine Schuld, mein Versagen. Ich war der Täter, nicht meine Frau. Trotzdem traf ich die Entscheidung mit zu trennen, mit allen Konsequenzen. Denn ich spürte, dass ich nur so wieder die Kontrolle über mein Leben erlangen kann und nur so dauerhaft ohne Alkohol leben werde können. Ich liebte sie nicht mehr, uns Verband eine gemeinsame lange Vergangenheit und zwei wunderbare Kinder. Aber nicht die Liebe. Nun ist wahrscheinlich auch Liebe etwas Relatives und es mag viele geben, die funktionierdende Beziehungen auf viel weniger aufbauen als das was ich damals hatte. Aber ich musste für MICH entscheiden, es ging um MEIN Leben. Und was sich vielleicht erst mal egoistisch anhört (die armen Kinder, die arme Frau) war letztlich die einzig richtige Entscheidung für mich. So konnte ich Abstand gewinnen, so konnte ich mich selbst in den Fokus nehmen, so konnte ich meine Suchtkrankheit aufarbeiten und verstehen lernen und so konnte ich sie dann letztlich auch dauerhaft überwinden. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass ich auf jeden Fall gescheitert wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte.

    Diese Entscheidung war die schwerste in meinem Leben, die Zeit nach dieser Entscheidung war geprägt von Gefühlschaos. Jedes Treffen mit meiner Ex-Frau, jedes Treffen mit meinen Kindern riss neue Wunden auf. Alte konnten nich verheilen und ich begann mehr und mehr in einer Flut von Schuldgefühlen zu versinken. Du merkst, ich habe nicht einfach heldenhaft irgendwelche schlauen Entscheidungen getroffen weil ich ja ein ach so kluger Kopf war. Nein, es war ein Prozess des immer wieder Nachdenkens, Zweifelns und manchmal auch Verzweifelns. Und doch kamen dazwischen dann mehr und mehr die Momente der Zuversicht, wo ich einfach merkte, dass es Zeit braucht und das ich Zeit brauche. Und ich merkte auch, dass ich unbedingt Hilfe brauche, vor allem was die Aufarbeitung meiner Schuldgefühle betraf. Und ich bin sehr dankbar, dass ich das erkennen durfte. So wie Du das ja für Dich auch erkannt hast.

    Am Ende war es dann der von mir hier schon oft erwähnte Mönch, der mich in zahlreichen Gesprächen zurück in einer geordnetes, in ein ruhigeres und klareres Leben geführt hat. Er gab mit genau die Hilfe die ich gebraucht habe. Er hat mir auch gelernt mit meiner Schuld zu leben, mit ihr umzugehen und sie als Fundament für mein zukünftiges Leben zu betrachten. Er hat mir klar gemacht, dass meine Sucht und das diese schlimmen Jahre mir bei der Gestaltung meines neuen Lebens eine große Hilfe sein können. Wenn ich meine Lehren daraus ziehe und wenn ich mir die Dankbarkeit, die ich wegen der Überwindung dieser Lebenskrise spürte, auf Dauer bewahren könnte.

    Ich habe Dir das jetzt nochmal etwas ausführlicher geschrieben weil ich denke, dass Du Dich gerade auch genau diesem Prozess befindest. In Deinem Tempo und mit Deinen Helfern um Dich herum. Ich denke, Du machst das sehr gut. Du hast erkannt, woran Du arbeiten möchtest, Dir ist klar, wo Du bei Dir Defizite siehst. Auch wenn Du diese vielleicht im Moment noch nicht abstellen kannst. Alleine das Erkennen und daran Arbeiten ist schon sehr viel wert.

    Und wenn ich Dir noch einen Gedanken schildern darf: Stell Dich selbst in den Mittelpunkt. Du bist der wichtigste Mensch in Deinem Leben. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Man kann sein Leben nur richtig aktiv gestalten, wenn man mit sich im Reinen ist. Und nur dann hat man auch genug Kraft für andere da zu sein, anderen zu geben, auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Ist das nicht der Fall, geht immer nur Energie verloren und man selbst bleibt auf der Strecke. Man gestaltet nicht, man steht auf der Stelle oder sprintet erst los um dann plötzlich wieder komplett zurück zu fallen. Das ist besonders für uns Alkoholiker brandgefährlich weil wir dann Gefahr laufen zu glauben, der Alkohol könnte unsere Energiereserven wieder auffüllen. Deshalb ist es so wichtig, dass man auf sich selbst am meisten achtet, sich nicht überfordert. Nicht automatisch das tut, von dem man glaubt das andere es von einem erwarten. Sondern nur das, was man selbst möchte und was einem nicht schadet.

    Phuu, wieder viel geworden. Alles alles Gute für Dich.

    LG
    Gerchla

  • ...und da bin ich schon wieder ::)

    Danke auch dir greenfox für deinen Beitrag. Bezüglich der Frequenz der (analogen) Termine kann ich nur sagen, dass das auch eine Entwicklung war. Damit meine ich, dass ich anfangs geneigt war die Gruppe öfter mal ausfallen zu lassen und hauptsächlich die Einzeltermine wahrzunehmen. Nach kurzer Zeit gab es da (natürlich) eine Ansage von den Verantwortlichen der Therapieeinrichtung. Klingt vielleicht jetzt banal, aber da erst ist mir das erste Mal richtig klar geworden, wie sehr ich die (ich nenne es) Nachsorge brauche!! Ich habe zuerst bockig reagiert, da ich spontan Urlaub angemeldet habe und zu hören bekam ich könne nicht so kurzfristig Urlaub nehmen in der Therapie, das wäre gegen die Vereinbarung und schon garnicht drei Wochen am Stück :o. Da dachte ich natürlich erstmal, ich lass mir doch nicht vorschreiben wann und wie lange ich meinen Urlaub nehme! Zumal ja auch Corona zahlreiche Urlaubspläne umgeschmissen hat... Dann aber überdachte ich die Alternative, möglicherweise ein Therapieende zu riskieren und das schlug mir sehr auf den Magen. Ja, ich habe es tatsächlich körperlich gespürt. Und alles in mir schrie förmlich: Nein, das riskierst du nicht!!! So klar konnte ich meine Gefühle lang nicht mehr wahrnehmen!
    Solche Situationen habe ich in letzter Zeit öfter und ich erkenne in diesen meine Entwicklung. Ich habe schon lange nicht mehr so präzise gefühlt, was ich will: Ohne Alkohol leben und (professionelle) Hilfe auf dem Weg annehmen.
    In vielen anderen Lebensbereichen fällt mir das, wie bereits angesprochen, noch immer sehr schwer (zu definieren was meine Ziele sind) und oft läuft das ausschließlich über die Gefühlsebene. Genau das macht aber auch die Schwierigkeit aus: Ich habe sehr große Probleme damit, meine Gefühle zu validieren. Da möchte ich auf einen Punkt in deinen Ausführungen eingehen, lieber Gerchla: Ich habe auch festgestellt, dass viele meiner Verhaltensweisen aus meiner Erziehung resultieren und ich viele Werte übernommen habe, die bei näherem hinschauen jedoch nicht meine eigenen sind. Nur habe ich das nie erkannt. So zweifle ich oft an meinen Gefühlen und Werten. Ich habe mich nur noch angepasst in der Hoffnung, dass wenn die anderen es so tun muss es ja gut sein. Mich dabei aber völlig verlassen. Nun bin ich ganz am Anfang und auf der Suche nach mir. War mir nicht klar, dass das so schwer ist. Was will ich? Wer will ich sein?

    Ein Beispiel: Ich habe in der Firma gekündigt, in der ich 18 Jahre angestellt war und nochmal ein Studium absolviert um in einem bestimmten Arbeitsfeld arbeiten zu können. Dann bekam ich auch in diesem Bereich eine Anstellung und bin nach nur einem Jahr total gescheitert. Nicht an den Aufgaben, sondern an mir selbst. Ich hatte kein standing im Team und habe mich ständig verbogen (freiwillig) bis ich mich schließlich selbst nicht mehr ertragen konnte in der Rolle, die ich mir selbst zugeschrieben hatte. Schließlich sah ich keinen anderen Weg als zu kündigen. Den Job, für den ich 3,5 Jahre durch das Studium gerast bin. Im Verlauf der Therapie habe ich das nach und nach bearbeitet und gesagt bekommen, dass es vielleicht nicht DER JOB ist, den ich machen muss/möchte/sollte. Das war wie ein Donnerschlag. Zuerst schockiert und dann aber total hilfreich! Ich war zuvor völlig unfähig Optionen zu erkennen und einen Perspektivwechsel zu vollziehen. Ich bin mit der Maxime aufgewachsen, was man anfängt, bringt man auch zu Ende. Für mich war klar, ich habe versagt. Ich habe aus meinem Berufswunsch ein MUSS gemacht was dazu führte, dass sämtliche Missstände von mir ausgeblendet wurden. Nur weg waren sie dadurch nicht. Als ich irgendwann die Augen nicht mehr verschließen konnte traf es mich mit voller Wucht und ich dachte es gibt keinen Ausweg. Ich muss doch da bleiben! Das wollte ich doch schließlich. Ich war fest davon überzeugt und habe nicht gemerkt, wie sehr ich mich damit geschädigt habe.
    Dieses Exempel kann ich stellvertretend auf viele Bereiche meines Lebens anwenden. Und das ist der Punkt: Dass ich lerne genau hinzuschauen, statt internalisierte Erwartungen, die nicht unbedingt meine eigenen sind, unreflektiert zu übernehmen und erfüllen zu wollen. Koste es was es wolle! Das (mit Hilfe!) zu erkennen war wie ein Schlüssel. Und hat mich ganz schön aus der Balance gebracht! Ich sehe das inzwischen aber als eine große Chance. Obwohl es natürlich nicht leicht fällt, dies auch konsequent umzusetzen.

    Danke lieber Gerchla, dass du mir nochmal verdeutlicht hast, dass es auch bei dir ein langer, schwerer Weg war! Tatsächlich hat es sich sehr straight gelesen... Dennoch bewundere ich deine konsequente Bearbeitung deiner ich nenne es mal "Aufgaben".

    Ich fühle mich immer noch eine wenig planlos im Sinne von: Wie soll ich das alles regeln?? Muss es wirklich so radikal sein? Ja! Muss es mitunter. Und immer wieder muss ich an die Angst ran!
    Ich weiß nicht ob ich meine Beziehung beenden sollte. Ich merke jedoch Konflikte, die immer wieder aufkeimen und denen ich mich ausgeliefert fühle. Einfach weil ich verharre. Aber ich brauche dafür Zeit und ich habe mich damit vertröstet ein Schritt nach dem anderen zu gehen und alles nach und nach abzuarbeiten. Doch merke ich, wie es schwelt unter der Oberfläche und ich fühle mich ohnmächtig und nehme ein Gefühl der Hilflosigkeit war. Die ich selbst erzeuge, weil ich nicht aktiv werde. Ich spüre auch, dass es mich in alte Muster zurückverfallen lässt und der Wunsch aufkeimt, die Probleme betäuben zu wollen...

    So. Das ist viel heute und scheint mir irgendwie wirr zu sein.
    Deshalb ende ich heute hier.

    Alles Liebe
    *femme*


  • Was mir auch immer bewusster wird, dass ich die Trinkgründe finden muss. Da tappe ich noch völlig im Dunkeln, aber die Frage taucht in der Gruppe immer mal wieder auf: "(...) was kannst du gerade nicht aushalten, sodass du denkst, Trinken zu müssen?"

    ich schreibe mal hier. Obwohl ich völlig anders ticke als Gerchla oder vielleicht auch Du, kommts mir so vor, als ob das vielleicht als Idee was bringen könnte. Ansonsten einfach drüberlesen und weg damit.

    Wenn ich das mit den Trinkgründen immer lese, denke ich manchmal, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
    Ich habe ja schon oft geschrieben, dass ich aus einem trinkfreudigen Elternhaus komme. Vor mir mussten sie den Kirschlikör schon verstecken, als ich noch ein ziemlich kleines Kind war. Ich mochte das wie Schokolade und ich wurde die ersten Jahre auch sehr lustig, wenn ich was erwischt hatte. Und ich glaube, das erklärt schon ziemlich viel von den Trinkgründen, die angenehme Wirkung. Ich persönlich glaube, Gier ist eine ziemlich natürlicher Bestandteil der menschlichen Existenz, ein Überbleibsel aus der Zeit, als man noch nicht einfach in den nächsten Supermarkt gehen konnte, sondern es Vieles nur manchmal und in knapper Menge gab, so das man gucken musste, genug davon zu bekommen. Eine Überlebensstrategie, die durch wenige Generationen Überflussgesellschaft nicht überschrieben wurde.

    Oder anders gesagt, ich bin (im Einklang mit vielen Suchtforschern übrigens) davon überzeugt, dass "Problemtrinker" - also Leute, die mit dem Alkohol irgendetwas verdrängen - die Minderheit sind. Die meisten trinken erst mal wegen der angenehmen Wirkung. Und zwar im positiven Sinn, es geht um "haben". Sie wollen also mit dem Alkohol nicht von etwas weg, sind nicht auf der Flucht, sondern sie wollen wo hin, haben ein Ziel, nämlich das angenehme Gefühl. Evolitionär gesehen begleiten angenehme Gefühle etwas, was das Überleben fördert..bestes Beipiel Sex. Und Alkohol zeigt Kohlenhydrate, und Kalorien an, etwas, was man früher dringend brauchte. Heute kämpfen wir gegen die Verfettung, aber das war ja die meiste Zeit der menschlichen Geschichte nicht so.

    Ich hatte sicherlich einige Probleme in meinem Leben und auch in meinem Elternhaus, aber als ich in mich gegangen bin, bin ich zu dem Schluss gekommen, das das alles mein Trinken eben nicht erklärt. Erstens hatte ich eine Menge Probleme überhaupt erst durchs trinken, sprich wenn ich von vorne weg einen anderen Weg gegangen wäre, hätte ich die gar nicht bekommen (dafür wahrscheinlich andere ;))und zweitens habe ich einfach aufgehört, andere Lösungen zu suchen, da ich mir durch Alkohol und Drogen das Wohlbefinden (lange zumindest) recht einfach sicherstellen konnte und deswegen zu weiteren Bemühungen schlicht zu faul wurde. Ich musste mich gar nicht anstrengen, musste doch nur was konsumieren und dann gings mir gut.

    Dass das dicke Ende dann nachkam und ich dann irgendwann vor einem Scherbenhaufen stand, ist für mich erst mal nur die unmittelbare Folge des jahrezehntelange Konsums. Aber ohne die unmittelbare Wirkung der Droge kaum zu erklären. Ich glaube nicht, dass es da ein Grundproblem bei mir gab, das sich nicht auch anders als durch Suchtentwicklung hätte lösen lassen, das war nur der Weg, den ich gegangen bin, weil es halt erst mal recht einfach und angenehm war. Und ich glaube, das ist ziemlich "natürlich", jedenfalls natürlicher als sich anzustrengen, nur um sich anzustrengen. Leistung ist ja eigenlich kein "Wert an sich", sonden man strengt sich je erst an, wenn man anders nicht zum Ziel kommt, zumindest ist das bei mir so. Sonst liege ich lieber in der Sonne, salopp gesagt.

    Drogen haben nun mal Suchtpotential, einen gewissen Prozentsatz erwischt es, und das bleibt über Jahrzehnte und in sämtlichen Gesellschaftsformen etwa gleich, ist eine Eigenschaft der Droge Alkohol an sich. Wenn Du lange genug konsumierst (und dementsprechende Disposition hast), wirst Du abhängig, schietegal, was Du für ein Mensch bist. Deswegen sagt man ja, es kann jeden erwischen. Das ist eine multifaktorielle Angelegenheit, genetisch, sozial, lebensgeschichtlich. Klar ist es eine Krankheit, die man - wie Zuckerkrankheit - durch sein eigenes Verhalten teilweise selbst zu verantworten hat, dann warum hat man nicht früher aufgehört, aber das ganze persönliche dabei ist zum Teil einfach geistiger Overhead nach meinem Empfinden. Zum Aufhören braucht man es im Grunde nicht, dafür gibts es genügend Beispiele. Wenn Du das Glas lange genug stehen lässt, entwickelst Du Dich von ganz alleine nüchtern weiter, denke ich. Nur weil das schwer fällt, sucht man überhaupt nach den Ursachen in der Hoffnung, dass man es sich dadurch leichter macht. Was aber nur zum Teil funktioniert, denn bei vielen klappt es eben trotz Ursachenforschung nicht, während andere einfach aufhören. Also der Zusammenhang erscheint mir überhaupt nicht zwingend, sondern eher zufällig. Bei den einen klappt es so, bei den anderen nicht.

    Suchtentwicklung hat auch sehr viel damit zu tun, dass die negativen Konsequenzen erst mal ausbleiben, wegen denen man sich sonst eher bremsen würde. Angehende Alkoholier zeichnen sich unter Anderem dadurch aus, das sie weniger Kater kriegen und die angenehmen Wirkungen stärker spüren, das hat auch was mit körperlichen Unterschieden und dem Stoffwechsel zu tun, nicht nur mit der Psyche. Wer den Alkohol besser "verträgt", hat nachgewiesenmaßen ein höheres Suchtrisiko..damit beschäftigen sich ja ein paar Leute auch wissenschaftlich. Natürlich ist auch die Psyche dabei, denn Körper und Geist lassen sich nicht trennen und körperliches Befinden wirkt sich z.b unmittelbar auch auf die Stimmung aus. Aber der psychische Aspekt wird hier (im Forum) im allgemeinen sowieso sehr stark betont und nach meinem Dafürhalten eventuell zu sehr. Da kommen andere Aspekte machmal zu kurz vor lauter Kopfkino - meine ganz persönliche Meinung.

    Dass einem "danach" viele Probleme erst auffallen, ist für mich zum Teil logische Folge dessen, dass man viele verdrängen konnte, solange das Trinken für Wohlbefinden gesorgt hat. Man hat sie nicht erledigt, so lange Trinken gereicht hat. Deswgen hängen sie einem nach. Ansonsten ist das für mich zum großen Teil aber nicht unbedingt der Sucht geschuldet, denn es sind zu großen Teil ganz normale Problem die Nicht-Süchtige auch haben. Psychlologen haben nicht nur wegen Süchtigen so lange Wartezeiten, sondern deswegen, weil der Bedarf ganz allgemein sehr hoch ist.

    Ich ganz persönlich glaube, dass das nicht zuletzt damit zu tun hat, dass man viel zu sehr an sich selbst rumzuschrauben versucht und sich nicht einfach mal so sein lassen kann, wie man ist. Man verbiegt sich zu sehr und man ist das gewohnt, weil schon Erziehung zu erheblichen Teilen nicht anderes als Verbiegen ist. Ich bin Einzelkind, mir wurden die Erwartungen täglich aufs Butterbrot geschmiert, und ich glaube das ist ein ganz großer Teil, den man hinter sich lassen sollte. Wo wäre ich eigentlich gelandet, wenn ich schon als Kind einfach hätte machen können, was ich wollte, und vielleicht noch mit Hilfestellung und nicht nur mit Forderungen? (Natürlich habe ich auch was mitgenommen, Fähigkeiten, Eigenschaften, das muss ich deswegen nicht grundsätzlich bekämpfen, aber damit bin ich auch "falsch abgebogen", kann das also schon mal hinterfragen)
    Das hat mich z.B. dann beschäftigt, als ich eine Weile trocken war. Was wäre denn aus mir geworden, wenn man mich nicht immer angeschoben und getrieben hätte? Und was wird aus mir, wenn ich diese Rolle meiner Eltern nun nicht (internalisiert als Über-Ich) weiterführe, sondern mich einfach mal "sein" lasse? Wie bringe ich eigentlich diesen ganzen Überbau aus Erwartungen an mich selbst weg und spüre mich? Wie merke ich, wo ich hinlaufen würde, wenn ich mich einfach mal "gehen" lasse, wenn ich es einfach laufen lasse, statt mich selbst nur anzutreiben? Denn an sich hatte ich eher Angst, die Kontrolle mal zu verlieren, wenn ich nüchtern war, ich war da eher überkontrolliert. Ich hab mich sogar gefragt, ob das nicht lange Funktion meines Suffs war, da mal nicht so kontrolliert zu sein. Das ist aber auch schon wieder "psycho"...faktisch war es jedenfalls so. Ich habe ja gezielt auf den Kontrollverlust hingetrunken, ich liess mich dann gehen, anders als z.b ein Spiegeltrinker. Und nüchtern hab ich mir die Möhre wie dem Esel selbst hingehalten, Ziele verfolgt die gar nicht meine waren, bei eingehenderer Betrachtung. Die also eher abstrakt waren, was "her machten", mit denen ich mich aber nicht wohlgefühlt habe..weswegen es mich nicht hin gezogen hat. Die Unterschiede zwischen "treibe ich mich - oder zieht es mich" - wurden für mich relativ wichtig. Ist es mir ein wirkliches Bedürfnis, dann merke ich das...wobei da bei mir die Übung durch Meditation so über die Jahre eine Rolle spielt, denn da merke ich ziemlich deutlich, wie es mir geht.

    Es gibt genügend Untersuchungen, dass Leistungsdenken und Selbstoptimierung nicht unbedingt glücklich machen, zufriedenstellender wäre es oft, den lieben Gott einfach mal einen guten Mann sein zu lassen (ist hier bei uns ein Sprichwort) und einfach mal in den Tag hinein zu leben, wie man gerade Lust hat. Natürlich sollte der Kühlschrank dabei gefüllt sein, Essen ist schliesslich ein Grundbedürfnis. Kennst Du die Maslowsche Bedürfnispyramide?

    Befragungen an Sterbenden, was sie in ihrem Leben im Rückblick wirklich bereuen und was sie vielleicht anders machen würden, wenn sie noch mal die Möglichkeit hätten, ergeben regelmässig, das die meisten im Rückblick aus ihrer Sicht zu viel gearbeitet und zu wenig "gelebt" haben, zu wenige Freundschaften gepflegt und sich schöne Tage gemacht haben. Ja, hinterher ist man bekanntlich immer schlauer, jedenfalls versuche ich, das manchal zu berücksichtigen, da ich ja anders auf mein Leben zurückblicken möchte, wenn es mal so weit ist. Im Übrigen halte ich genau diee Fragestellung, wie will ich eigentlich mal auf mein Leben zurückblicken, für sehr sinnvoll, wenn man nicht so genau weiss, wo man hin will. Was werde ich unbedingt gemacht haben wollen, was ist unabdingbar, was nur "nice to have", was brauche ich gar nicht? Prio 1, Prio 2 , Prio 3... und das muss ja auch nicht starr bleiben, sondern manches ändert sich auch mit dem Älterwerden noch mal. Also kann man zum Teil auch "auf Sicht fahren" . Auf jeden Fall sind es oft eher die "kleinen Dinge" und nicht nur die großen Würfe, auf die man nach meiner Erfahrung auch achten sollte. Man lebt schliesslich jeden Tag und nicht nur in der Zukuft irgendwann. Dann hat man irgendwann auch tatsächlich gelebt. Und Wege entstehen beim Gehen.

    Jetzt reichts aber ;D

    Gruß Susanne

  • Liebe Femme,

    ich möchte Dir einfach nochmal sagen, dass Du Dich für mich sehr klar liest. Ich empfinde Dich als sehr reflektiert, Du erkennst Deine Baustellen, Du weißt wo Du ran musst.

    Du schaffst es nur (noch) nicht das alles zu Deiner Zufriedenheit umzusetzen. All das was Du da als Aufgaben für Dich identifiziert hast, all die Gedanken und Gefühle die Du gerade zu ordnen versuchst, das Finden Deiner Ziele, Deiner Lebensaufgabe, all das braucht vor allem Eines: ZEIT

    Und diese Zeit solltest Du Dir unbedingt nehmen. Denn das was Du jetzt hier an Zeit investierst ist die beste Investition Deines Lebens! Beispiel von mir: Ich habe in den ersten Monaten wirklich fast täglich einen Spaziergang von mindestens einer Stunde (meist mehr) gemacht. Es gab nur wenige Ausnahmen wo dieser Spaziergang nicht statt fand. Ich lebte damals in einer größeren Stadt und hatte sozusagen immer die gleiche Wegstrecke. Zu einem Schrebergarten und dann in einen Wiesengrund und wieder zurück. Diese Zeit war "reserviert" für meine Gedanken. Ich glaube ich habe das zunächst gar nicht bewusst so geplant. Aber nach und nach "brauchte" ich diesen Spaziergang, diese Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Ich kam zur Ruhe, ich war für mich, manchmal hatte ich auch Begleitung mit der ich dann aber eben genau über diese Themen sprach. Es war enorm wertvoll für mich. Jeden Tag gedanklich an meinen Problemen arbeiten um dann oft auch einfach nur vor unbeantworteten Fragen stehen.

    Diese Fragen nahm ich dann aber mit zu meinen Helfern. Zu meinem Mönch oder auch zu meinem besten Freund. Zwei Menschen die höchst unterschiedlich sind. Nicht selten habe meine offenen Fragen unabhängig mit beiden diskutiert, weil ich oft konträre Antworten bekam. Und am Ende entscheidet man dann natürlich immer selbst. Man kann Hilfe haben soviel man will, es bleibt immer "nur" Hilfe. Die eigentliche Arbeit, die eigentlichen Entscheidungen kann und muss man ganz alleine treffen.

    Diese Zeit damals, die Tatsache das ich sie mir genommen habe (und mich nicht z. B. vor den Fernseher gesetzt habe), war im Nachhinein mit das beste was ich getan habe. Das war manchmal sehr schmerzhaft, weil es ja natürlich nicht nur sachliche oder gar schöne Gedanken waren die ich da wälzte. Es war oft belastend, manchmal war ich verzweifelt und wollte ganz schnell mit meinen Helfern kommunizieren. Am Ende war es aber für mich genau richtig.

    Ich dachte damals auch daran nicht so viel zu grübeln und mir statt dessen lieber "was Gutes zu tun". Ich dachte daran wieder mit dem Laufen zu beginnen. Ein Sport, von dem ich wusste, dass er mir sehr viel bringen würde weil ich als junger Erwachsener einige Jahre allerbeste Erfahrungen damit gemacht hatte. Und dann sagte mein Hirn: "NEIN, lass es! Du weißt was passiert. Du wirst ganz schnell die Euphorie spüren, wie Du fitter und fitter wirst, wie es Dir körperlich und auch psychisch besser und besser geht und wirst voll in dieser Sportart aufgehen. Lass es genau deswegen".

    Und ich ließ es. Warum wirst Du Dich jetzt wahrscheinlich fragen. Hört sich doch alles prima an, wirst Du Dir jetzt vielleicht denken. Ich wollte ERST mit meiner Suchtvergangenheit abschließend und zwar umfassend. Ich wollte ERST all meine belastenden Probleme abarbeiten, frei werden für einen Neustart. Ich hatte große Angst davor etwas zu verdrängen, etwas nach hinten zu schieben, irgendwo einen Deckel drauf zu machen wo aber keiner drauf gehört. Und vor allem: Ich wollte mein Wohlbefinden nicht wieder zentral von etwas anderem abhängig machen. Nichts anderes wäre das nämlich gewesen. Und was wäre denn dann passiert, wenn ich körperlich mal nicht mehr in der Lage gewesen wäre "meinen" Sport zu machen? Woraus hätte ich dann meinen Sinn, meine Zufriedenheit gezogen?

    Mittlerweile laufe ich seit vielen Jahren wieder. Langdistanzen und so rund 50 km in der Woche. Ich begann wieder nachdem ich das Gefühl hatte mit dem Gröbsten durch zu sein. Heute sind die Stunden die ich beim Laufen oder auch Radfahren verbringe meine Auszeit, meine Denkzeit. Aber eben unter ganz anderen Voraussetzungen als das damals war. Es ist kein Weglaufen mehr, kein Trinkersatz mehr. Es ist ein (mein) Hobby, das mich erdet und mir Ausgleich verschafft.

    Ich möchte noch was zur Zufriedenheit sagen. Ich schreibe ja oft, dass es m. E. darauf ankommt ein zufriedenes Leben im Einklang mit sich selbst zu erreichen. Dann verschwinden die Gedanken an Alkohol, dann spielt er keine Rolle mehr weil er keine Funktion mehr einnehmen kann. Ich glaube eben, dass das dann die zentrale Aufgabe ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Anfangs, also nach den Ausstieg aus der Sucht (und wenn man mal die ersten wirklich großen Brocken weg hat) relativ gesehen einfacher ist zufrieden zu sein. Je gesfestigter man jedoch ist, je weiter Weg der Alkohol scheint, desto schwieriger wird es diese Zufriedenheit zu erreichen oder aufrecht zu erhalten. Es scheint mir so zu sein, dass derjenige der eigentlich alles hat, dem es objektiv gesehen gut geht, wo eigentlich alles passen müsste, schwerer zufrieden sein kann als derjenige, dem es eigentlich nicht so gut geht.

    Es scheint mir so, dass man wenn man "unten" ist, mit viel einfacherern, kleineren Dingen zufrieden ist als wenn man "oben" steht. Vielleicht erklären sich dadurch einige Rückfälle die erst nach vielen Jahren der Abstinenz geschehen. Ganz wichtig ist für mich in diesem Zusammenhang immer der Begriff der Dankbarkeit. Ich empfinde es als eine zentrale Aufgabe von mir, mir immer wieder, ich sage jetzt mal täglich, klar zu machen wie gut es mir geht und was für ein wunderbares Leben ich führen darf. Und ich tue das wirklich täglich, ich habe diese Gedanken jeden Tag. Seit vielen Jahren worüber ich dann auch wieder sehr dankbar bin.

    Ach und wenn sich das nun so liest, als wäre immer alles rosarot und völlig problembefreit: Nein das stimmt natürlich nicht. Es gab, seit ich trocken bin, auch wirklich schlimme Ereignisse in meiner Familie, es sind Dinge passiert die man nicht als "gehört halt zum Leben dazu" deklarieren könnte. Es gab auch schon Schläge, richtige Schläge. Oder auch einfach mal ganz normale Phasen wo es eben nicht so läuft, wo es z. B. in der Arbeit schlecht läuft, man an sich zweifelt, man überlegt ob man nicht doch nochmal was anderes tun sollte, etc. Und gerade in solchen Zeiten ist es m. E. so wichtig, dass man seinen "Auftrag" kennt, dass man seine Ziele kennt und dass man weiß wer man sein möchte, wie man sein möchte. Und darüber den Frieden mit sich selbst schließen kann. Dann kommt man gut und unbeschadet durch die schweren Lebensabschnitte, die uns nicht mehr trinkenden Alkoholikern selbstverständlich genauso bevorstehen wie anderen Menschen auch!

    Alles Liebe und

    LG
    gerchla

  • Liebe Susanne, lieber Gerchla,

    danke für eure Beiträge. Auch für deine Perspektive Susanne :D
    Ich teile da auch deine Meinung, dass man sicherlich vornehmlich wegen der Wirkung getrunken hat. Und manchmal muss man vielleicht garnicht so tief graben, um Kausalitäten zu finden. Das ist ohnehin sehr individuell...ich war schon immer ein Grübler und "Durchdenker"(nicht immer zu meinem Vorteil, aber es ist unheimlich schwer, das abzustellen 8) ). Dennoch erscheint es mir persönlich wichtig hinzuschauen was ich in den letzten Jahren damit versucht habe "wegzulösen".. Und ich merke - jetzt in meiner Trockenphase - welche Situationen mich nah an den Alkohol bringen und ich bin der Meinung, dass ich da einfach ran muss, denn mir fehlen eindeutig Lösungsstrategien!! Ich denke auch nicht, dass es (bei mir) reichen würde einfach das Glas stehen zu lassen, wie du schreibst. Das habe ich beim ersten Mal probiert, 1,5 Jahre geschafft und bin dann nahtlos wieder durchgestartet. Hatte vielleicht auch andere Ursachen, aber ich merke in der jetzigen Therapiephase (vorher hatte ich ja keine), dass ich Unterstützung brauche. Und noch viel wichtiger: Das diese Unterstützung mir hilft.
    Um deinen Beitrag Susanne zu beantworten: ich nehme mir natürlich wie bei allen anderen die Denkanstöße mit, die ich meine nutzen zu können ;D Und deshalb ist es natürlich schön, verschiedene Perspektiven zu lesen! Danke 44.
    Lieber Gerchla, deine Ausführungen zum Thema Laufen fand ich interessant. Das ist mir bei mir auch aufgefallen, nur habe ich es nicht beachtet...Ich bin gelaufen und wollte damit viel kompensieren. Das artete schnell aus und jetzt habe ich aktuell keine Zeit zum Laufen und somit auch kein Ventil mehr ...
    Und die Zeit die Veränderungen braucht ist manchmal nur schwer mit Geduld auszuhalten. Aber dennoch bleibe ich ja dran.
    Manchmal bin ich nur sehr erschrocken darüber, wie dicht ich noch dran bin am Alkohol. Das nehme ich die meiste Zeit garnicht wahr! Gestern beispielsweise hatte ich einen schlimmen Beziehungsstreit wo auch jetzt noch nicht klar ist, ob die Beziehung überhaupt noch existiert. Von den emotionalen Dingen mal abgesehen fühle ich mich total hilflos, da ich einfach keine Wohnung finde und ja auch noch meinen Sohn (14) habe (also nicht einfach gehen kann, wie ich das sonst gemacht habe, wenn mir was emotional zu viel wurde). Fakt ist, dass wenn sie gestern gegangen wäre ich schon den Plan hatte direkt Alkohol zu kaufen um das irgendwie aushalten zu können. Das macht mir Angst. Denn es ist ja nunmal alles am Kippen in der Partnerschaft und nur eine Frage der Zeit bis die Trennung vollzogen wird. Und dann aufeinander hocken weil sie nicht auszieht und ich nichts finde ist die Hölle für mich. Deswegen 7 Monate Abstinenz zu gefährden ebenfalls, aber ich ich habe im Kopf keine Idee was ich sonst dagegenhalten könnte außer Klappe halten und die Beziehung weiter mitschleppen. Doch auch das macht mich ja unterschwellig unzufrieden und vor allem abhängig!

    Ich wünsche euch einen schönen Sonntag.

    Alles Liebe
    femme

  • Liebe Femme


    Dennoch erscheint es mir persönlich wichtig hinzuschauen was ich in den letzten Jahren damit versucht habe "wegzulösen".. Und ich merke - jetzt in meiner Trockenphase - welche Situationen mich nah an den Alkohol bringen und ich bin der Meinung, dass ich da einfach ran muss, denn mir fehlen eindeutig Lösungsstrategien!! Ich denke auch nicht, dass es (bei mir) reichen würde einfach das Glas stehen zu lassen, wie du schreibst.

    ich habe das Glas auch nicht einfach nur so stehen lassen. Erst mal schon. Aber an sich war ich (und bin ich) der Überzeugung, dass Aufhören ja nicht die Kunst (für mich) war. Die Kunst für mich war, nicht wieder anzufangen.

    Ich habe ja jede Woche für drei Tage aufgehört. Und dann tagsüber nie. Stur wie ein Ochse. Auch, weil ich genau wusste, wo mein Trinkstil hinführen wird. Aber da aufhören lange auch nicht in Frage kam, musste ich das ja irgendwie händeln. Also über regelmässige Trinkpausen um runterzukommen und dem Körper Erholungsmöglichkeiten zu geben. Damit ich nicht zu schnell komplett am Ende bin.

    In die Suchtberatung bin ich tatsächlich (auch) mit der Erwartung gegangen, dass da meine Trinkgründe mit mir zusammen analysiert werden. Ich hatte da Einzelgespräche mit einer Psychologin.
    Die Trinkgründe waren da aber nie Thema. Das eine wichtige war das Aufschreiben meiner Suchtgeschichte als Hausaufgabe und wohl auch als Vorbereitung auf eine Therapie. Dabei war dann auch noch so ein Multiple-Choice-Bogen zum Ankreuzen, in welchen Situationen man denn regelmässig trinkt. Das waren bei mir schlicht alle. Es gab bei mir keine Situationen, in denen ich nicht regelmässig getrunken habe, das kam bei mir nur darauf an ob es gerade "genehmigter Trinktag" war oder nicht. Und natürlich habe ich mich zu bestimmten Anlässen besonders beherrscht.

    Was wir - also die Psychologin und ich - genauer analysiert haben, war, ob mein Selbstbild stimmig ist, also ob ich überhaupt so reagiere wie ich das denke. Dabei kam erst einmal heraus, das ich viel weniger Ängste vor Anderen habe, als ich immer dachte. Ich sah mich immer als Aussenseiter, weil ich dachte ich reagiere automatisch total ablehnend und abwehrend, aber das war nicht zu verifizieren. Und das andere, was sehr genau bearbeitet wurde, war genau der Moment, wenn ich in den Laden gegangen bin und mir den ersten Flachmann geholt habe. Das war auch der kritische Moment, bei mir war der Saufdruck nämlich vorbei, wenn ich diesen Moment überwunden hatte. Und dieser Moment wurde dann sehr genau analysiert, wie fühlt sich das körperlich an und soweiter. Es ging im Grunde drum, dass ich das unter Kontrolle halten kann, wenn es mir bewusst ist.

    Und obwohl ich ja eine ziemlich lange Karriere hatte, Drogen und zum Teil bis zu drei Liter Schnaps, wenn ich entsprechend drauf war, war das bei mir ziemlich komplett durch. Ich hatte die Schnauze voll und nach relativ kurzer Zeit der Nüchternheit gab es da auch nichts mehr, dem ich nachgetrauert hätte oder wo ich noch mal hin zurückwollte.

    Natürlich bin ich auch X-Mal an Situationen hingelaufen, wo ich dachte, da hast Du früher getrunken. Ich war auch gestresst, teilweise ein Nervenbündel, schlecht gelaunt. Steckte irgendwie darin fest, das mir das Leben trotzdem nur schwer von der Hand ging, dass vieles einfach zäh war. Aber nachdem ich dann mal nüchtern war und auch merkte, dass ich das wohl bleiben kann, fiel mir das schon auf, das es ja noch schlechter war, so lange ich noch getrunken hatte. Von daher habe ich mich auch nie dem Gedanken hingegeben, wie schön das doch wäre, zu trinken. Mir war irgendwie klar, wenn ich das jetzt nicht schaffe, dann wars das wohl.

    Und das bringt mich auf den Gedanken, dass Du doch auch lange geschrieben hast, wie sehr Du unter Deiner Trinkei eigentlich leidest. Du hast zwar sehr viel weniger getrunken als ich, aber ich entsinne mich, das Du da doch auch sehr viel mit allem Möglichen gekämpft hast, mit Deiner Unzufriedenheit, mit Deinen Ängsten. Wenn Du jetzt dem Trinkdruck nachgeben würdest, wärst Du doch genau wieder dort. Das kann es ja eigentlich nicht sein, wo es Dich hin zieht.
    Anderseits ist es aber auch so, nachgewiesenermaßen, das sich Menschen in ihrem bekannten Elend sicherer fühlen als auf unbekannten Neuland, selbst wenn das Neuland eigentlich besser ist. Weil man das Andere wenigstens kennt und sich in unbekanntem Gelände unwohl fühlt. Und es ist vielleicht gerade diese Unsicherheit, die Dein Sucht-Ich mit dem Bier "behandeln" - betäuben, bekämpfen möchte. Ist ja schliesslich auch ein übliche Anwendungsindikation für Alkohol, weniger ängstlich zu werden. Könnte ich mir jedenfalls vorstellen.
    Nicht zu vergesen, das Alkohol das Dopaminsystem (u.A.) aus dem Gleichewicht bringt, die ganze Motivation und das Belohnungserleben sich dadurch ändert und dass das seine Zeit brauchen kann, bis sich das normalisiert.

    Und man muss ja auch klar sagen, obwohl es Dir schwer fällt, Du kannst ja auch nüchtern bleiben. Du sitzt trotz allen Schwierigkeiten selbst an der Steuerung und lässt Dich nicht von der Sucht steuern. Also bist Du dem auch nicht komplett ausgeliefert. Und ich denke, einiges von dem, was Du hier anfangs, noch trinkend so beschrieben hast, müsste doch eigentlich auch besser geworden sein, keine Selbstvorwürfe mehr weil Du trinkst etc. Und Du wusstest zumindest unbewusst wohl ganz genau, was Du an der Therapie hast und dass es sich zu kämpfen lohnt, also es gibt da ja eindeutig auch eine Haben-Seite.

    Bei mir wars dann halt so, dass ich den ersten, automatischen Trinkimpuls - der aus der Gewohnheit und Sucht einfach kommt - dann nahtlos mit dem verbinden konnte, wie es nach drei oder 4 Tagen endet.
    Bei Gesprächen mit einigen anderen (Mehrfachrückfälligen) kam es mir so vor, als ob die eben das nicht können oder erfolgreich erst mal ausblenden. Bei denen (also zumindest bei welchen mit denen ich wirklich drüber geredet habe) kommt - wie bei mir in aktiven Zeiten auch - nur der Gedanke, wie schön jetzt die erste Erleichterung, oder das Anfluten und das Beschwipst-Sein wäre.
    Mit den Folgen beschäftigen sie sich dann später, Hauptsache erst mal "abreagiert". Natürlich ist dieses Denken emotional gesteuert, und Suchtdruck ist am Ende ja auch eine Emotion, ein spürbares Gefühl , und je drückender dieses Gefühl ist, desto schöner erscheint es, dem dann nachzugeben. Oder es läuft sowieso automatisch ab wie Autofahren auch.
    Aber genau da kannst Du Deine Fähigkeit, das bis zum Ende zu durchdenken, vermutlich ganz gut einsetzen. Es ist nämlich nicht nur so, dass Emotionen das Denken beinflussen, sondern dass man durch Denken auch seine Emotionen beeinflussen kann.

    Und die Lösung ist oft tatsächlich die, so eine kritische Situation nüchtern zu durchleben und am eigenen Leibe und mit allen Sinnen zu erfassen, dass das geht und wie es einem damit geht. Und dann (so ging es mir) regelmässig (bewusst) feststellen, dass das ja alles nüchtern mindestens genau so gut geht, wenn nicht besser. Wenn Du hinterher dann guckst, wie war es und wie wäre es unter Alkoholeinflisuss gewesen, ist das bei mir fast immer eindeutig. Das dauert, natürlich, bis man die Situationen alle durchhat und die alten Erfahrungen durch Neue ersetzt sind. und Geduld ist hier ja auch regelmässiges Thema. Aber irgendwann stellst Du fest, dass Du den Alkohol zu nichts mehr brauchst.

    Gruß Susanne

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