Der Ausstiegspunkt - wann ist es möglich

  • zielorientierten Ansatz geben muss…wenn man sich ein Ziel sucht, was sehr attraktiv ist, dann wird man auch Motivation und Willen zur Veränderung aufbringen. Beispiel: Ich will unbedingt einen Marathon laufen (aus welchen Gründen auch immer) und ordne dieser Zielerreichung nun alles unter (höre auf zu Saufen, gehe trainieren, stelle meine Ernährung um). Nur als Beispiel.

    Das kann ich auch voll und ganz unterschreiben.

    Allerdings war mir damals noch nicht klar ,wie den um Himmels Willen meine Ziele aussehen oder sich gar anfühlen mögen ,wenn ich nicht mehr trinke,da ich es ja gar nicht kannte ,wie sich so etwas dauerhaft anfühlt.

    Aber der Wille war da meine alten Mechanismen mit dem Alkohol nicht mehr praktizieren zu wollen.

  • Ich habe und gewinne durch meine Nüchternheit viel mehr dazu, als das, was hinter mir liegt und im Prinzip nur eine verklärte Illusion ist/ war.

    Was genau gewinnst du durch deine Nüchternheit?

    Ich kann deinen Satz bestätigen, aber es fällt mir schwer ,meinen Mehrgewinn zu definieren.

    Es ist eine Mischung aus : Freiheit, Echtheit (?), keine Verklärung mehr , Wohlbefinden, Authentizität.

    Hallo Oran-Gina ,

    ich habe heute lang überlegt, wie ich dir meinen Mehrgewinn veranschaulichen kann.

    Du bringst die Sachen ja im Prinzip schon selber gut auf den Punkt: Es ist eine Mischung aus : Freiheit, Echtheit (?), keine Verklärung mehr , Wohlbefinden, Authentizität.

    Ich würde vielleicht noch eine höhere Stressresistenz bzw. Gelassenheit und vor allem eine achtsamere, liebevollere Sicht/Wahrnehmung auf mich und meine Umwelt hinzufügen und das "Paket" vielleicht als neues, echteres? Lebensgefühl bezeichnen. Beinahe wie früher als Kind, bevor ich Alk&Co für mich entdeckt hatte. Es ist aber auch ein Lebensgefühl/ Wahrnehmung meines Lebens wonach ich schon in Suchtzeiten Sehn"sucht" hatte. Ein Leben, was von mir gelebt wird, ein Leben wo ich meine Entscheidungen nicht mehr unter die Suchtmechanerie stellen muss und ich frei von Suchtdruck, Scham- und Schuldgefühlen, frei von Ängsten und verzerrter Selbwahrnehmung bin.

    Vermutlich waren bei mir auch die Schuld(gefühle) ein großer Faktor gewesen, welche mich sehr gefangen genommen haben und verhinderten, dass mein Leben in den Flow kommt bzw. mich von meinem echten Leben getrennt haben. Und diese Schuld trage ich nun nicht mehr mit mir herum. In Verbindung mit noch vielen anderen positiven "Nebeneffekten" (kein Crawing mehr, Ausgeglichenheit und gesunden Schlaf, insgesamt besseres Körpergefühl und Wohlbefinden und in der Überzeugung, das "Richtige" getan zu haben, abends nüchtern ins Bett zu gehen und morgens nüchtern aufzustehen) erlebe ich das als eine große Befreiung und einen großen Gewinn.

    Mein Leben hat natürlich nach wie vor Höhen und Tiefen, aber ich habe jetzt eine andere Sichtweise auf viele Dinge. Alles was gut klappt, aber auch das, was ich versemmele oder was ich nicht in der Hand habe, schreibe ich nicht mehr der Droge oder den Nachwirkungen selbiger zu, sondern kann jetzt alles zu einem gewissen Teil gelassener und ohne latente Schuld betrachten. Das nimmt mir auch viel von diesem Getriebensein und diesem um alles kämpfen, mich immer verbiegen/ verstellen/ etwas verheimlichen zu müssen.


    Ich habe hier nochmal meinem vorherigen Beitrag zitiert, um die Suche nach diesem Lebensgefühl/ dieser klaren Wahrnehmung zu verdeutlichen, welche für mich eine große Motivation war, "sehnsüchtig" das Exit anzustreben.

    Vielleicht klingt das auch etwas paradox, ich habe sozusagen über die Sucht und die Sehnsucht, womit ich eigentlich vor mir weglaufen wollte, zu mir gefunden bzw. bin natürlich immer noch dabei :)

    Der Rausch/ die Droge war ein Teil meiner inneren Suche. Einer Suche nach Freiheit und dem wahren Selbst, was wahrscheinlich unter vielen dicken Schichten dysfunktionaler Prägung und Erziehung, sozusagen unter einer ungünstigen Konditionierung von innen und von außen steckt. Ich versuche dieses erlebte Gefühl der Freiheit und des “wirklich Seins”, diese “Golden Moments” auch nebenher in meiner Geschichte abzubilden. Und ich habe diese Erfahrungen, die klaren Momente nicht nur auf Droge gehabt, sondern oft auch in kürzeren oder längeren Zeiten meiner nüchternen Episoden. Es fühlt sich an, wie ein Leben, was wirklich gelebt wird, beinahe wie ein Geschenk. Sozusagen MEIN Leben, was hinter dieser ganzen Fassade aus Sucht, falschen Kompromissen, Schönrederei, Lügen, Selbstanklagen und Ängsten steht.

    Vielleicht haben ja auch viele dieses “echte” Leben schon immer und denken überhaupt nicht darüber nach, weil es für sie “normal” ist. Nur war es bei mir eben nicht so. Aber auch in Gesprächen z.b. mit meiner Frau, aber auch mit anderen tauchte immer wieder die Frage auf, warum man denn immer seinem Leben hinterher rennt, getrieben wird und entweder in einer (verklärten) Vergangenheit oder in Zukunftssorgen festhängt, sozusagen nie im “Jetzt” lebt. Oder eben dafür Drogen, den Rausch benötigt, um kurzzeitig diesen Zustand zu erreichen bzw. um sich mal kurzfristig auszuklinken.


    Ich hoffe, ich konnte das irgendwie etwas erläutern. Es ist schwer, Dinge, Gefühle und Wahrnehmungen zu definieren, die man nicht richtig fassen kann, die sich aber für mich richtig anfühlen.

    LG Rent

  • Ich hoffe, ich konnte das irgendwie etwas erläutern. Es ist schwer, Dinge, Gefühle und Wahrnehmungen zu definieren, die man nicht richtig fassen kann, die sich aber für mich richtig anfühlen.

    Hallo rent,


    Du hast das sehr plastisch geschildert, danke für deine lange Antwort, die mehr als ausführlich und auch sehr gut nachvollziehbar für mich ist.

    Du hast das so beschrieben, wie ich es auch wahrnehme, allerdings wäre es mir schwer gefallen das so zu erläutern-ich hatte es ja eher kurz zusammengefasst in einzelne Stichpunkte.

    Was mir noch eingefallen ist beim Lesen deiner Antwort (aber das hattest du auch schon umschrieben ),ist die Erfahrung mit Schwierigkeiten auch ohne Alkohol umzugehen, das hat mich so nach und nach auch selbstbewusster gemacht.

    Anfangs war es Stolz, nicht getrunken zu haben obwohl es schwierige Phasen gab aber mit der Zeit war es ein festeres und sichereres Gefühl, mit allem schon irgendwie fertig zu werden auch ganz ohne den Alkohol und noch viel später war mir klar ,dass es sogar noch viel besser klappt ohne ihn !

    Da ist etwas gewachsen in mir und das hat mich zufriedener werden lassen aber auch gelassener, obwohl ich auch wirklich sehr viele Phasen hatte in dieser Zeit ,die nicht leicht waren.

    Auch jetzt gibt es Themen in meinem Leben ,die herausfordern und belastend sind ,aber ich habe jetzt eine ganz andere Möglichkeit damit umzugehen und raube mir nicht noch zusätzlich Energie durch Alkoholkonsum,weil ich eben nicht mehr trinke.

    Ich wache morgens nüchtern auf und habe meine ureigene Kraft und meinen Verstand zur Verfügung und keinen vernebelten Kopf, keine Schuldgefühle,keine Sorgen um meine Gesundheit bedingt durch Alkoholmissbrauch. Es fühlt sich so an als würde ich gut bei mir stehen,ich bin mir selbst mehr eine verlässliche Partnerin geworden, auf mich ist Verlass und ich betreibe mit mir keinen Alkoholmissbrauch mehr ,was wiederum zur Folge hat ,dass ich im Gegensatz zu früher viel mehr nach mir und meinem Wohlbefinden schauen kann...

    Es ist gut ,dass ich das alles noch mal so niedergeschrieben habe. Im Alltag ist es mir so gar nicht bewusst ,da mache ich mir kaum Gedanken darüber. Vieles fühlt sich mittlerweile so selbstverständlich an und doch ist es für mich hin und wieder wichtig ,mich damit bewusst auseinandersetzen.

    LG Oran-Gina

  • Es ist gut ,dass ich das alles noch mal so niedergeschrieben habe. Im Alltag ist es mir so gar nicht bewusst ,da mache ich mir kaum Gedanken darüber. Vieles fühlt sich mittlerweile so selbstverständlich an und doch ist es für mich hin und wieder wichtig ,mich damit bewusst auseinandersetzen.

    Die Vorzüge und Vorteile einer nüchternen und suchtbefreiten Lebensweise kann man sich meiner Meinung nach gar nicht oft genug bewusst machen. Und es kann zusätzlich auch stärken und tragen, wenn man die Veränderungen, die man selbst geschaffen hat, auch immer wieder mal bewusst sieht.

    Das geht mir heute noch nach vielen Jahren so. Wirklich oft beobachte ich mich, wie ich in bestimmten Momenten kurz innehalte, und dankbar sehe, dass ich gute und schöne Dinge in meinem Leben habe, die es für mich nur gibt, weil ich damals aktiv das Steuerruder herum gerissen habe. Meine Familie, mein Beruf, bewusste einfache Momente und mehr...

    Und gerade darum frage ich mich selbst manchmal eben auch (ich hadere nicht, ich habe meinen Frieden damit) warum ich da nicht früher drauf gekommen bin?!

    Ja, die Akzeptanz in der Gesellschaft spielt da sicher eine große Rolle. Dem hinzu die stigmatisierende Sicht, die sich über Jahrzehnte zur Alkoholproblematik entwickelt und etabliert hat. Es gibt in unserer Gesellschaft sozusagen nur ein entweder/oder. Schwarz oder Weiß. Es gibt den Alkoholkranken Menschen, der leider irreparabel geschädigt ist, und dessen Krankheit nur zum Stillstand gebracht werden kann. Und ansonsten gibt es darüber hinaus in der Wahrnehmung der Gesellschaft anscheinend nur Leute, bei denen alles Bestens und in Ordnung ist. Ich empfinde diese Sichtweise als fatal.

    Wie viele Menschen flüchten über Jahre, oder gar Jahrzehnte immer und immer wieder vor den Schreckensbildern des "Alkoholismus" in ihre Suchtproblematiken zurück. Auch mir ging es so. Ich konnte und wollte es einfach nicht wahr haben, unheilbar krank zu sein, mein Leben lang auf der Hut vor verstecktem Alkohol in Lebensmitteln sein zu müssen, für immer und ewig achtsam zu sein, das Problem auf ewig in der Selbshilfegruppe zu thematisieren und mehr.

    Und ich stelle (für mich persönlich!) tatsächlich fest, dass diese ganzen Dinge auf mich in der Form und in der krassen Ausprägung nicht zutreffen. Für mich persönlich, in meinem Suchtausstieg, waren und sind tatsächlich andere Dinge dann wirklich entscheidend und ausschlaggebend dafür dass ich meine Alkohol- und Suchtproblematik bewältigen konnte.

    Und ich versuche das irgendwie manchmal zu greifen zu bekommen. Was ist oder war denn das eigentlich wirklich entscheidende? Auch darum meine Fragen hier an Euch. Wobei ich euch allen übrigens wirklich sehr dankbar bin für alle Eure vielen und interessanten Beiträge und Gedanken.

    LG, Mojo

    Einmal editiert, zuletzt von Mojo (6. Mai 2024 um 18:53)

  • Ja, die Akzeptanz in der Gesellschaft spielt da sicher eine große Rolle. Dem hinzu die stigmatisierende Sicht, die sich über Jahrzehnte zur Alkoholproblematik entwickelt und etabliert hat. Es gibt in unserer Gesellschaft sozusagen nur ein entweder/oder. Schwarz oder Weiß. Es gibt den Alkoholkranken Menschen, der leider irreparabel geschädigt ist, und dessen Krankheit nur zum Stillstand gebracht werden kann. Und ansonsten gibt es darüber hinaus in der Wahrnehmung der Gesellschaft anscheinend nur Leute, bei denen alles Bestens und in Ordnung ist. Ich empfinde diese Sichtweise als fatal.

    Wie viele Menschen flüchten über Jahre, oder gar Jahrzehnte immer und immer wieder vor den Schreckensbildern des "Alkoholismus" in ihre Suchtproblematiken zurück. Auch mir ging es so. Ich konnte und wollte es einfach nicht wahr haben, unheilbar krank zu sein, mein Leben lang auf der Hut vor verstecktem Alkohol in Lebensmitteln sein zu müssen, für immer und ewig achtsam zu sein, das Problem auf ewig in der Selbshilfegruppe zu thematisieren und mehr.

    Und ich stelle (für mich persönlich!) tatsächlich fest, dass diese ganzen Dinge auf mich in der Form und in der krassen Ausprägung nicht zutreffen. Für mich persönlich, in meinem Suchtausstieg, waren und sind tatsächlich andere Dinge dann wirklich entscheidend und ausschlaggebend dafür dass ich meine Alkohol- und Suchtproblematik bewältigen konnte.

    Du hast die Problematik in den drei Absätzen wunderbar zusammengefasst. Das kann ich genau so vollends unterschreiben. Und ich kann es nur wiederholen und wiederholen: Dieses Schwarz / Weiss Denken hat mich möglicherweise davon abgehalten, früher nüchtern zu werden. Weil ich mich in keiner Weise mit dem s/w Gedanken und allem was damit einher gehen KÖNNTE identifizieren WOLLTE. Das war für mich unvorstellbar. Ist es ja bis heute. Und meine Erfahrung!! hat mich jetzt, 438 Tage später gelehrt, mein Weg, den ich mir damals zurecht gelegt habe, hat genau so, mit meinem Hurra Patriotismus, bis heute funktioniert und hält mich ebenso stabil.
    Mir hat damals der Podcast von Natalie Stüben sehr geholfen, weil dort ja dieses sehr positive Mindset der Alkoholabstinenz dort auch transportiert wird und die Dame damit auch sehr erfolgreich ist.
    Die Reaktion der Nennung des Namens hat damals an anderer Stelle genau folgende Reaktion verursacht, weiß ich noch wie heute: "Über die Dame reden wir hier nicht.....".
    Ich fühlte mich belehrt wie ein Kind von seiner Omma, der einen auf die Finger bekommen hat, als hätte er "Scheisse" gesagt.

    DOCH, wie müssen darüber reden, ganz viel darüber reden, LAUT darüber reden das Alkoholabstinenz etwas absolut erstrebenswertes ist. Ich bekomme alleine die Pimpernellen wenn ich lesen muss: "Ohne Alkohol ist ein zufriedenes Leben möglich". Alter Leute, ich will kein zufriedenes Leben das möglich wäre. Ich will ein GLÜCKLICHES Leben. Zufrieden ist absolutes Mittelmass. "....und wie gehts Dir?...Joah, soweit ganz gut, ich bin zufrieden"......

    Zufrieden mag für jeden vielleicht etwas anderes bedeuten und eine andere Wertung haben. Aber in Kombination mit den ganzen, negativ notierten Attributen, die einer Alkoholabstinenz anhaften, ist das Wort "zufrieden" absolut zu niedrig angesetzt. Jedenfalls, wenn ich das aus meiner Marketingbrille sehe. Und das Marketing für ein Leben ohne Alkohol ist absolut desaströs und treibt weiter Leute in den Alkoholismus oder lässt sie dort verharren.
    Ich hab gestern durch Zufall eine sehr kritische Berichterstattung über das Phänomen der MPU gesehen (Reschke Fernsehen). Und da wurden die aktuellen Zahlen genannt von Vorfällen, die auf Alkohol im Straßenverkehr zurückzuführen sind. Unglaublich, dass wir als Gesellschaft das zulassen, als normal erachten und genau mit den Leute auch noch fettes Geld verdienen.

    Und die Leute, die abstinent werden wollen, müssen, so jedenfalls das Images, sich den Rest ihres Lebens knechten, geisseln, sich täglich ihrer Krankheit stellen und die Peitsche auf den Rücken hauen. So jedenfalls meine Wahrnehmung und Erfahrung! in der Auseinandersetzung mit der Abstinenz damals. Und die Ärzteschaft / Medien befeuern das Klischee auch noch.

    Boah, ich bin da schon wieder auf 180, gerade WEIL ich in meinem Umfeld so viele Menschen kenne, die eine Abstinenz dringend gut gebrauchen könnten, sich aber überhaupt nicht vorstellen können, das eine Abstinenz eine echt gute Sache ist. Weil die Leute einfach nicht korrekt und vollumfänglich informiert sind. Und die Alkohollobby lacht sich dabei ins Fäustchen.

    Jetzt hab ich aber OT abgeledert, habe fertig, das musste raus. Jetzt brauch ich Kuchen ;)

  • Danke auch für Deine Gedanken hier wieder Honk

    Ich denke übrigens dass das in keinster Weise irgendwie OT ist. Ich habe ja im Startpost für den Thread die Fragen aufgestellt, u.A.:

    Zitat

    Was hat Dich lange Zeit daran gehindert auszusteigen?

    Was war entscheidend dafür, dass es Dir dann schließlich doch gelungen ist?

    Und ich finde schon dass das Beschriebene da absolut mit rein gehört.

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