Hallo Thorsten,
Deine Zeilen klingen nach einem interessanten Leben. Du hast immer wieder Ziele im Leben. Du bist es gewohnt, Deine Ziele zu erreichen.
In der Reha meinte die Phsycholgin, dass ich ein Ziel getriebener Mensch bin und daher in den Phasen eines mir wichtigen Ziel gar nicht auf die Idee komme zu trinken. Also, muss ich wohl nur das richtige Ziel finden…
Ich kenne Dich nicht, sondern nur Deine Zeilen hier im Forum. Wenn man die verschriftlichten Worte eines unbekannten Menschen liest, erzeugt dies stets ein Bild im Kopf. Das Bild eines "getriebenen Menschen" passt ganz gut zu dem, was bei mir gerade im Kopf rumschwirrt. (Vielleicht aber auch fälschlicherweise; es ist eben nur ein spontanes Bild in meinem Kopf.)
Ich tue etwas, um etwas zu erreichen. Dieses "Um zu"-Denken ist ja für manche Lebensaspekte zweifelsohne sehr sinnvoll: Ich studiere, um später mal einen tollen Job auszuüben, ich übe den Job sehr engagiert aus, um mit dem angehäuften Vermögen mir später xy zu leisten. Ich trainiere für einen Stadtlauf, um yz zu erleben. Irgendwann hast Du xy oder yz - und dann?
Ich hatte mal einer Frau zugehört, die über ihre Erfahrungen, die sie während ihrer Reise auf dem Jakobsweg erlebte, berichtete. Zunächst mal stellte sich das Ganze eher ernüchternd dar: Sie hatte ihr festes Tagespensum, lief den Weg entlang, bekam Blasen, ihre Knie schmerzten, ... Sie hatte der "Beschreitung" des Jakobsweges quasi einem Projektcharakter verpasst. Zwar ohne PowerPoint und Projektplanungssoftware, aber ansonsten reihte es sich von der Art der "Abarbeitung" in das ihr gewohnte Schema ein. Irgendwann war sie so erschöpft (und enttäuscht), dass sie einen anderen Weg wählen musste. Sie hatte zwar weiterhin das ursprüngliche Ziel grob vor Augen, schlenderte aber nunmehr gemütlich durch die Gegend, verweilte dort, wo ihr danach war, führte inspirierende Gespräche, schritt manchmal auch sehr schnell voran, aber nur dann, wenn ihr gerade danach war ... und, auf einmal passierten Dinge in ihr, die sie zu Beginn ihrer Reise nicht für möglich gehalten hätte. Sie empfand sowas wie spontanes Glück. Die Dankbarkeit, an diesem Ort sein zu dürfen, vielleicht auch die Dankbarkeit für das Dasein an sich, war plötzlich für sie wahrnehm- und erfahrbar. Sie hatte Kontakt zu der Welt um sich herum bekommen, anstatt einen Projektplan abzuarbeiten.
Wofür bist Du eigentlich dankbar in Deinem Leben? Du musst das hier nicht niederschreiben. Es reicht in diesem Fall ein Selbstgespräch mit Dir.
Ok, ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass er unter 40 läuft. Naja im Mai war der Lauf und ich habe jegliche Art von Training gemacht, die notwendig war um die Chance auf einen Sieg zu haben.
Ich bin an dem Tag eine 39,20 gelaufen und habe natürlich gewonnen und zwar auf den letzten 500 Metern.
Das klingt in meinen Ohren ziemlich kompetitiv. Gehört zum Leben dazu, aber ist eben nur eine Facette neben weiteren Facetten.
Die Entscheidung darüber, was Dir wichtig ist in Deinem Leben, liegt ausschließlich in Deiner Hand. Wie sieht's denn aus, wenn Du Dir gedanklich Dein Leben aus der Perspektive von 2034 - also aus einer Perspektive in 10 Jahren - anschaust: Hast Du ein gutes Gefühl bei der Vorstellung, Dein Leben in den nächsten 10 Jahre im Großen und Ganzen linear fortzuschreiben. Also grundsätzlich so weiterleben, wie Du es jetzt tust? Oder würdest Du im Jahr 2034 vielleicht so etwas wie Trauer über "ungelebte" Facetten Deines bisherigen Lebens empfinden?
Gut, Du bist jetzt hier wegen Deines Alkoholkonsums. 10 Flaschen Rotwein pro Woche. Was ist denn Dein diesbezügliches Ziel? Wobei, Du hast ja bereits geschrieben, dass die Idee, Dich vom Alkohol zu befreien, für Dich aktuell keinen "Arbeitssinn" ergibt.
Ich erkenne es bisher ja nicht als Ziel an, welches einen für mich erreichbaren arbeitssinn ergibt. Denn es wäre ja nur ein Sieg für mich und nichts was ich mit irgendwem sinnvoll battlen kann. Ist es eine Leistung aufzuhören, ohne ein hartes Training?
Ok, für Dich sind anscheinend in erster Linie Dinge gut oder sinnvoll, wenn diese ein "hartes Training" erfordern und/oder ein "battlen" beinhalten. Mich machen mitunter auch Dinge glücklich, die einfach so passieren, aber egal ...
mein Erschöpfungsgrad größer als mein Aktivleben….
Ganz ehrlich: Neben allem Respekt vor Deinem Schaffensdrang und Deinen Erfolgen im Leben hatte für mich allein schon das Lesen der selbstgewählten Beschreibung Deines Leben etwas Anstrengendes. Da fehlte mir so was wie Leichtigkeit und Freude, aber vielleicht hast Du uns auch einfach nicht darüber berichtet.
Nochmal kurz zum Thema Alkohol: Das blöde an Suchtmitteln ist halt, dass diese sich "abnutzen", d.h. jeder Süchtige entwickelt eine so genannte "Toleranz" gegenüber seinem Suchtmittel. Das heißt konkret für Dich: In wenigen Monaten wird Deine bisherige Wochendosis in Höhe von 10 Flaschen Rotwein nicht mehr die gleiche Menge Dopamin [das ist chemische Vorstufe zum Glücksempfinden oder dem Gefühl einer Belohnung] in Deinem Gehirn erzeugen, wie die bisherige 10-Flachen-Dosis es bisher tut. Es gibt jetzt drei Möglichkeiten: Entweder Du trinkst die gleiche Menge weiter; dann bist Du jedoch irgendwann quasi ständig "auf Entzug", weil Dein Hirn die bisherige Belohnungsintensität aufgrund des Abnutzungseffektes jeder Droge vermissen wird. Du könntest natürlich auch stetig die Dosis erhöhen, also etwa jeden Tag 2 Flaschen Wein trinken, um Dein Alkohol-induziertes Glücksempfinden auf einem ähnlichen Level wie bisher zu halten. Dass diese Variante Dich nach einer gewissen Zeit zerstört, dürfte Dir klar sein, da nach kurzer Zeit auch die 2 Flachen pro Tag zu wenig sein werden. Andererseits scheint die Endlichkeit Deines Lebens für Dich gar kein so wirklich trauriger Gedanke zu sein [vielleicht ist das sogar Teil Deines Problems? --- zumindest hieße das für mich im Umkehrschluss, dass Dir Dein(e) Leben(szeit) gar nicht so viel Wert sein kann]. Es gibt auch einen dritten Weg, der allerdings kein einfacher ist: Sich aus den Fängen der Sucht zu befreien.
It's up to you.
Für mich manchmal ganz hilfreich: Ich lebe hier nicht "auf Probe", sondern bin mitten in der Aufführung meines Lebens.
Und wie wir alle wissen, haben wir nur dieses eine Leben.
Es gibt kein Zweites.
Punkt.
- FORTUNE -