Hallo zusammen,
ich, 58, starte mit der Euch sicherlich bestens bekannten Abwandlung des Ikea-Slogans, die aber meines Erachtens eines gut zum Ausdruck bringt: Unser aller Leben ist endlich. Es ist deshalb geradezu eine Verpflichtung, in den wenigen tausend Tagen unseres Dasein, unser Leben (erfüllt) zu leben. Alkohol und Nikotin sind für mich diesbezüglich keine guten Unterstützer (mehr).
Ein Blick zurück: Vor zwei Jahren trank ich eigentlich jeden Tag. Keine extremen Mengen, aber eben regelmäßig - und mit einer nicht zu leugnenden Dynamik in den letzten Jahren. Gleiches beim Rauchen: Zuletzt war es so circa eine Schachtel pro Tag. Gerade beim Rauchen verspürte ich einen enormen in der Intensität stetig steigenden Suchtdruck. Ich wurde zum ausschließlichen Erfüllungsgehilfen meiner Nikotin-Sucht. Beim Alkohol gab's diesen besagten Suchtdruck nicht im gleichen Maße, aber er machte es sich trotzdem in nahezu allen Lebensbereiche von mir bequem und war ein gern gesehener Gast.
Nach mehreren halbherzigen Versuchen, mich vom Nikotin zu verabschieden, habe ich in der ersten Jahreshälfte 2021 meinen Konsum beider Drogen deutlich eingeschränkt: Beim Trinken gab's viele trinkfreie Tage, und wenn ich trank, dann geringere Mengen als vormals. Geraucht habe ich zu dem Zeitpunkt nur noch Vormittags und beschränkte mich auf 4 bis 5 Zigaretten pro Tag. Die Bilanz nach ein paar Monaten: Anstrengend und bringt nix. Blöder geht's ja eigentlich nicht. Bringt nix im Sinne von: Ich hab' beim besten Willen keine wirklich überzeugenden Vorteile feststellen können, während die damit verbundenen Einschränkungen für mich nahezu täglich spürbar waren. Ergo: Gescheitert. Ich habe mir dann zum Geburtstag ein Jahr Gesundheit geschenkt: Keine Zigaretten und kein Alkohol in den nächsten 365 Tagen. Das war einer meiner besten Entscheidungen meines Lebens. Nach circa 2 Wochen hat alles viel intensiver gerochen und geschmeckt. Das erinnerte mich an meine Kindheit: Der typisch salzig-markante Duft an der Nordseeküste sowie der Duft von österreichischen Wäldern kam mir wieder in Erinnerung. Keine Game-Changer, aber immerhin. Nach circa 6 Wochen schlief ich von einem Tag auf dem anderen plötzlich viel tiefer. Das setzte sich fort und hält bis heute an. Es war und ist ein tolles Gefühl. Nach circa 2 Monaten gab's wiederum ein Novum: Ich empfand beim Wandern so was wie spontanes Glück. Kann ich tatsächlich nicht besser beschreiben: Diese schöne Gefühl rauschte einfach durch meinen Körper. Gefühle - auch ausgelöst von vermeintlichen Nebensächlichkeiten - sind auf einmal wieder da. Das war ein Game Changer - zweifelsohne.
Na ja, es waren zugegebenermaßen glückliche Rahmenbedingungen im Spiel: 2021 bin ich in eine neue Wohnung gezogen, die in einer zauberhaften Umgebung liegt. Da macht schon jeder Spaziergang/Wanderung einfach Spaß. Ich hatte letztlich in mehrerlei Hinsicht einen Neustart (und etwas Fortune): Zu dem Zeitpunkt habe ich vieles vom Kopf auf die Füße gestellt. Manifestiert hat sich das allein schon auf materieller Ebene dadurch, dass nahezu kein Möbelstück den Umzug überlebt hat.
Was ich gelernt habe: Nicht mehr trinken heißt eben nicht nur, nicht mehr zu trinken. Nicht mehr rauchen heißt eben nicht nur, nicht mehr zu rauchen. Das Ganze hat mich natürlich durchgeschüttelt, es gab auch Zweifel. Keine Frage. Vor einigen Wochen habe ich übrigens "Einfach nüchtern" von Annie Grace gelesen. Klasse Buch, klasse Autorin. Die Quintessenz war für mich, dass wir so, wie wir sind, "vollständig" sind; es bedarf keiner Drogen, die man täglich einwerfen muss, um sein Leben (erfüllt) zu leben - im Gegenteil. Besonders deutlich wird das beim typischen Zigarettenkonsum: Die ersten zwei oder drei Zigaretten "erzeugen" vielleicht noch sowas wie ein Glücksgefühl (richtiger: bilden dieses nach), aber die 14. Zigarette um 15:30 Uhr wurde zumindest von mir nur noch geraucht, um dem elenden Verlangen nach Nikotin nachzukommen. Vermeidung von Unglück ist eben was ganz anderes als Glück. (Zu Beginn der Abstinenz habe ich mir deshalb stets die Situation um 20:30 Uhr vorgestellt). Noch was anderes: "Erst wird gesät - anschließend wird geerntet." Klingt ähnlich banal wie mein abgewandelter Ikea-Slogan zu Beginn, aber auch hier gab's (für mich) eine Botschaft: Glück auf Knopfdruck gibt's nun mal nicht (dauerhaft); es bedarf schon einer Anstrengung - eben des Aktes des Aussäens -, um (später) die Ernte einzufahren zu können. Alkohol & Nikotin versprechen eine sofortige anstrengungsfreie Ernte, können aber dieses Versprechen letztlich nicht (dauerhaft) einhalten. Wir leben halt nicht im Paradies. Leider? Zum Glück?
Letztens habe ich mir mal die hypothetische Frage gestellt, ob ich mein damaliges Leben mit Nikotin & Alkohol gerne ungeschehen machen würde, wenn ich es denn könnte. Beim Alkohol ist meine Antwort: Nö. Ich schrieb eingangs, dass der Alkohol ein "gern gesehener Gast" in meinem Lebens war. Das trifft's nicht wirklich: Er war ein guter Freund, ich mochte ihn und er hat mir so manch schöne Stunde mit mir selbst und mit zusammen mit anderen beschert, die ich ehrlich gesagt auch gar nicht missen möchte. Beim Nikotin sieht's anders aus. Da dürfte auch gerne jede stinkende Zigarette rückwirkend aus meinem Mund verband werden.
Hier also ein (kleiner) Einblick in mein Leben: Ich staunte mitunter selber als sich so nach und nach viele Puzzle-Stückchen ineinander schoben, ohne dass ich behaupten möchte, dass nunmehr ein Gesamtbild vor mir läge. Dazu sind mein Respekt vor beiden Drogen und die Einsicht in meine Fehlbarkeit viel zu groß.
Genießt den Sommer
- Fortune -