• Moin, moin zusammen,

    ja, da kann ich mich auch mit einreihen.
    Mein Therapeut hat das 4-Ohren-Modell auch mit mir besprochen und auch meinen Mann dazu eingeladen. Gemeinsam haben wir viele Beispiele gefunden wo einfach nicht das richtige Ohr angesprochen wurde und ich habe gelernt das zu hinterfragen bevor ich in "Traurigkeit versinke". Manchmal gelingt es dann ganz gut die jeweilige Situation auch mit einer Portion Humor aufzudröseln. Aber wie so vieles bei mir ist das von der Tagesform abhängig.
    Neuerdings schlüpft dann auch mein Mann in die "Opferrolle" aber ich merke, wie ich doch gestärkt (und informiert) uns dort wieder hinaus manövrieren kann.
    Als ich noch getrunken habe ist mir das nicht gelungen!!! Da war ich ständig traurig.
    So, Arbeit ruft, Euch allen einen schönen Tag und

    viele Grüße
    Ina

  • Hallo,
    ich danke euch allen sehr für euer Feedback.
    Susanne du hast geschrieben:

    Zitat

    Die meisten Leute sind nachweislich nicht mal in der Lage, sich selbst richtig zu kennen.


    Dazu gehöre ich wohl auch....natürlich kenne ich meinen Namen, mein Gewicht, kenne meine Leibgerichte und Hobbys usw. Ja, und trotzdem sagt mein Bauchgefühl,
    dass es in mir noch viel zu erforschen gibt. Fähigkeiten, von denen ich bis dato noch gar nichts weiß ? Dinge und Gefühle in mir, die ich verdränge oder einfach nicht beachte oder zulasse?
    Weiß ich wirklich, was in mir steckt? Ignoriere ich nicht viel zu oft meine innere Stimme, mein Bauchgefühl? Manchmal denke ich wirklich, dass ich das Leben eines Anderen lebe,
    obwohl ich weiß, wofür mein Herz in Wahrheit brennt. Ich stehe mir sozusagen selbst im Weg.
    Lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Guten Morgen!
    Heute Morgen im Badezimmer sah ich mal wieder bewusst in den Spiegel und betrachtete meinen verunstalteten Körper. Spontan kam mir wieder der Begriff Selbstliebe in den Sinn.
    Wie kann ich mich mit dieser weiblichen Fehlerhaftigkeit selbst annehmen/lieben?
    Auch in der Therapie sprechen wir ja vermehrt davon, wie wichtig es für einen Suchtkranken ist , „sich selbst zu lieben“ „sich selbst zu finden“, „sich selbst etwas gutes tun“,
    oder „gesunden Egoismus“ leben.
    Sind Selbstliebe und Selbstwertgefühl Voraussetzungen für eine Kommunikation auf Augenhöhe mit meinen Mitmenschen? Kann ich Selbstliebe wirklich lernen oder ist es nur ein Modewort?
    Es gibt ja die biblische Aussage „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ . Hier wird doch Selbstliebe vorausgesetzt? Ist demzufolge eine gegenseitige Wertschätzung nur dann möglich,
    wenn ich meinem Gegenüber den gleichen Stellenwert wie mir selbst gebe? Und wo beginnt die Grenze von der Selbstliebe zur Selbstverliebtheit bis hin zur künstlich überzogenen Selbstliebe= Narzissmus?
    Viele, viele Fragezeichen.. nixweiss0 und ich denke mich wahrscheinlich mal wieder zu tief in irgendetwas rein…
    Liebe Grüße an alle Mitlesenden von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Hallo Britt,

    ich finde das sind sehr interessante Gedanken die Du da hast. Was ist eigentlich Selbstliebe und wann wird sie zu Narzissmus? Oder ist Narzissmus etwas ganz anderes (das ist meine Meinung) und hat mit Selbstliebe ansich gar nichts zu tun. Für mich bedeutet Selbstliebe, dass ich mich selbst annehme, so wie ich bin. Bezogen auf meine Suchtvergangenheit bedeutet sie für mich, dass ich meine Schuld annehme, sie als wichtigen Teil meines Lebens sehe, nicht hadere mit dem was gewesen ist sondern es akzeptiere. Selbstliebe bedeutet für mich, dass ich mit dem was ich heute tue, dass ich mit meinen Gedanken und Handlungen im Reinen bin, dass ich es gut finde, wie ich jetzt bin, was ich jetzt denke, wie ich jetzt handle. Selbstliebe bedeutet für mich auch, dass ich weiß, was ich mir Wert bin, was ich für mich akzeptiere und was ich ablehne. Da sind wir dann wohl wieder bei dem "mit sich im Reinen" sein.
    Bitte nicht falsch verstehen: Das bedeutet nicht, dass ich mir einen Persilschein für die Schandtaten damit ausstellen möchte. Wenn ich mir jedoch immer wieder sagen würde, was für schlechter Mensch ich doch eigentlich bin, was ich alles Schlimmes gemacht habe und dass ich deshalb gar kein "Recht" darauf habe, mich selbst zu lieben, dann wäre ich nicht in der Lage ein neues, ein besseres (nicht nur für mich sondern auch für andere) zu führen.

    Die Basis für Selbstliebe ist für mich, dass ich mich allumfänglich akzeptiere, mit all meinen Schwächen und all meinen Sünden aus der Vergangenheit. Da fällt mir ein: Hier kann der Glaube (ich kann jetzt mal nur vom Christilichen sprechen, die anderen kenne ich nicht so gut) natürlich sehr hilfreich sein. Denn er "erlaubt" es ja jederzeit, dass man seine Sünden bereut, diese einem dann vergeben werden und man ein neues Leben beginnen kann. Eine gute Sache, finde ich, sofern man das für sich annehmen kann.

    Selbstliebe hat für mich absolut überhaupt nichts mit meiner Körperlichkeit oder meinem Äußeren zu tun. So wie ich von Menschen erwarte (oder erhoffe), dass sie mich mit meiner Persönlichkeit wahr nehmen und nicht als das was ich durch körperliches Aussehen und Kleidung darstelle, so versuche ich auch die Menschen immer nach ihrem Inneren zu beurteilen. Wobei mir das Wort beurteilen hier gar nicht gefällt, denn ich will nicht beurteilen. Vielleicht passt hier das Wort "kennenlernen" besser.

    Das waren jetzt mal spontan meine Gedanken zu Deinen Gedanken. Und ich finde nicht, dass Du da zu tief einsteigst. Ich finde das sind genau die Gedanken, die einem bei der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit weiter bringen können.

    Alles Gute, liebe Britt und
    LG

    gerchla

  • Bei mir war es so, dass, als ich schon trocken war, ich ein Tier hatte, das sehr krank war und das ich gesund gepflegt habe. Ich habe dieses Tier geliebt und ich habe so ziemlich alles getan, um dieses Tier wieder auf die Beine zu bringen, was mir auch gelang - mithilfe des Tierarztes natürlich, aber die tägliche Pflege machte ich.

    Ich habe keine Kinder und ich wollte auch noch nie welche, vermisse sie daher auch nicht, aber ich glaube, wenn "es" trotz Verhütung passiert wäre, hätte ich es akzeptiert und wenn dieses Kind zufällig behindert gewesen wäre, dann hätte ich mich darum genauso gekümmert wie um dieses Tier.

    Diese Überlegungen bzw eigentlich eher Erlebnisse und Vorstellungen haben mich darauf gebracht, dass ich mit mir selbst doch eigentlich genauso pfleglich umgehen könnte, wie ich es mit dem geliebten Tier gemacht habe. Das Tier kann ja nicht reden, ein kleines Kind auch nicht, aber es sendet Signale aus, an denen Du merkst ob es sich wohlfühlt oder nicht. Und wenn Du es liebst, versuchst Du, Dich so zu verhalten, dass es sich wohl fühlt, und genau diese Sensibilität kannst Du auch für Dich selbst entwickeln.

    Ich bin früher, vor allem zu den Höhepunkten meiner Suchtkarriere, absolut rücksichtslos mit mir selbst umgegangen, habe die Signale meines Körpers ignoriert, Raubbau an mir selbst betrieben, es war mir oft ziemlich egal, ob es mir schlecht ging, ich war knallhart zu mir, wer abends saufen kann, kann morgends auch aufstehen. Wenn ich mir ein Ziel gesetzt hatte, habe ich mich, bildlich gesprochen, zum Teil mit der Peitsche hinter mir selbst stehend, da hin getrieben. Das hat mir beim Trockenwerden geholfen, weil ich etwas ausgehalten habe und nicht gleich in Tränen ausgebrochen bin, aber es machte mich halt nicht glücklich. Die weicheren Seiten musste ich erst entdecken.

    Das mit der Selbstliebe fing an, indem ich mich als Mensch mit Macken akzeptiert habe. Genauso wie das Tier, das hatte auch Macken, da fiel mir das doch auch leicht. Früher mochte ich mich nur, wenn ich irgendwo sehr gut war, das ist aber letzlich nichts anderes als der Erziehungsstil der Eltern internalisiert, Zucker wenn Du gut bist, Peitsche wenn Du versagst (und ich habe ja tatsächlich auch noch ordentlich Schläge bekommen)..bei mir in der ganzen Familie zog sich das teilweise bis heute durch, dass man "Versager" verachtet und ich dachte zwar, dass ich mich davon abgegrenzt hätte, aber mir selbst gegenüber sah ich das unbewusst genau so. Ich , Alkoholiker, Versager, Du bügelst das gefälligst wieder gerade. Das hat mit Selbstliebe absolut nichts zu tun. Mit Selbstliebe hat es aber zu tun, wenn ich dann mit meinem süchtigen Anteil innerlich darüber verhandle, dass es mir auf Dauer gesehen ja auch viel besser geht, wenn ich das lasse, das mache ich dann unzweifelhaft für mich und nicht, um mich irgendwo oder irgendwem zu "beweisen".

    Ein Teil meiner Selbstliebe fing an, als mir mein Therapeut plausibel machte, das ich mir viele der Verhaltensweisen, die ich an mir selbst hasste und mit denen ich mir schadete, zu einer Zeit in meinem Leben angeeignet hatte, in der ich diese Verhaltensweisen zum Überleben brauchte und ich es vielleicht auch nicht besser wusste. Das waren also einmal Verhaltensweisen, die sogar zum damaligen Zeitpunkt gut und geeignet waren, nur jetzt waren sie halt nicht mehr angemessen. Also einerseits war es das zunehmene Verständnis für mich und anderseits die Denke "Nobody is perfekt, also warum soll ich es denn sein?", die mir halfen, mich selbst besser zu akzeptieren.

    Ein weiterer Teil fing mit dieser Behinderung an. Ich musste mich ja damit abfinden, dass ich manches, was ich gerne gemacht habe, nicht mehr machen konnte, ausserdem hatte ich die ersten beiden Jahre massive Schmerzen, Muskelkrämpfe und schlaflose Nächte, zum Teil habe ich das bis heute, habe mich nur dran gewöhnt. Also es ist halt auch ein Mangel, wenn auch ein anderer, den Du vor dem Spiegel siehst, und mich hat es auch verletzt, dass mich, die ja früher sportlich fit war, plötzlich jeder Rentner überholen konnte. Die Kombination Schlafmangel, Schmerzen und narzisstische Verletzung hat mich da schon mal ziemlich angekratzt, ich hatte zu tun, das in mein leben zu integrieren und mich wieder "Du bist in Ordnung" zu fühlen.
    Da habe ich mir die Frage gestellt, ob ich mich bis an mein Lebensende darüber grämen und unglücklich sein will, oder ob ich mich nicht lieber darum kümmere, trotzdem mit meinem Leben zufrieden zu sein und das Beste daraus zu machen, was natürlich erforderte, das ich eine Menge gelesen, mich mit Fachleuten unterhalten und dann letztlich mein eigener Experte geworden bin. Und ich mache alles - für mich - was mir dabei helfen kann, ein möglichst erfreuliches und befriedigendes Leben zu führen und meine Gesundheit, so lange wie nur möglich, in einem möglichst guten Zustand zu erhalten. Und ich kümmere mich auch um meine Interessen. Das ist zumindest mal Ausdruck meiner Selbstliebe, den Begriff selbst kann ich so wenig wirklich in Worte fassen wie den Begriff Liebe an sich, das ist für mich ein Gefühl, das ich nur umschreiben kann.

  • Noch ein Punkt.

    bei uns in der Familie hat es ja sehr viel Hass und gegenseitige Verletzungen gegeben, und ich habe als Kind ja erst mal sehr viel eingesteckt, aber beim Austeilen war ich, als ich mal größer wurde, genau so gut.

    Meine Eltern haben nach der Scheidung bis zum Tod meines Vaters nie wieder ein Wort gewechselt, meine Mutter hatte ihm bis kurz vor seinem Tod nie verziehen, ich war für jeden meiner Elternteile Kind des anderen Elternteils, war schon von daher falsch und Ziel des Hasses, benahm mich dann aber auch so, dass der Hass eine Grundlage bekam, die aus meinem eigenen Verhalten resultierte. Also ich wurde ein bösartiges Problemkind, an dem sie gewiss keine Freude hatten und irgendwie war das auch meine Rache. Zum Teil war es aber auch Selbstschutz, "Rühr mich bloß nicht an", weil mir das ja auch nicht gut tat, so wie es lief, und miese Laune und Verweigerung sind ist halt schon sehr geeignete Mittel, um sich Abstand zu verschaffen.

    Dass wir dann viel später wieder zusammengefunden haben und ich meinen Vater betreut habe und mit meiner Mutter heute gut auskomme und jeder den Anderen sein lässt wie er/sie ist, hatte auch sehr viel mit gegenseitigem Verzeihen zu tun, und damit auch, dass ich akzeptiert habe, dass ich das Kind meiner Eltern bin, von denen ich sehr viele Eigenschaften übernommen habe, für die ich mich auch gehasst hatte, so lange ich meine Eltern gehasst hatte. Ich musste mich ja von meinem ungeliebten Elternhaus distanzieren, aber die ererbten Eigenschaften trug ich aber in mir und wurde sie ja nicht los.
    Und das hat auch mit Selbstliebe zu tun, indem ich dieses Verhältnis bereinigen konnte, kam ich auch besser mit mir ins Reine. Ich hatte aber zuvor schon meine Eltern praktisch gezwungen, das sie mich nehmen mussten, wie ich bin, weil ich sonst den Kontakt gar nicht wieder aufgenommen hätte. Sie mussten mir also auch entgegenkommen, das war keine einseitige Sache. Das ist aber auch ein Punkt, wo ich mich halt ganz in Ordnung finde, ich vertrete einerseits meine Interessen, und komme mit meinem Gegenüber dann trotzdem wieder zusammen, wenn es beiden Seiten wichtig ist. Wenn ich meinem sterbenden Vater nicht geholfen hätte, weil ich noch Rechnungen von früher offen gehabt hätte, wäre ich mir selbst wesentlich weniger sympathisch gewesen.

  • Guten Morgen,
    Es gibt ja eine ganz Reihe von Anzeichen, die auf eine (Alkohol)-Sucht hinweisen. Wenn mind. 3 dieser Anzeichen (gilt auch für andere Suchtmittel) zutreffen, stellt ein Arzt die Diagnose Akoholabusus:
    - Ein starkes Verlangen/Zwang etwas zu konsumieren
    - Kontrollverlust
    - Physische und psychische Entzugserscheinungen
    - Konsumieren um Entzugssymptome zu vermeiden
    - Toleranzentwicklung (immer größere Mengen konsumieren, um einen gewünschten Zustand zu erreichen)
    - Eingeengte Verhaltensmuster
    - Interessen werden zugunsten des Alkohols vernachlässigt
    - Anhaltender Konsum wider besseren Wissens (schädliche Folgen und Probleme in Familie, Arbeitsplatz und sozialem Umfeld)

    Ich musste nicht täglich trinken und hatte auch keine körperlichen Entzugserscheinungen und doch trafen 3 dieser Punkte auf mich zu.
    Krank im Sinne des SGB ist man, wenn ein Arzt eine Diagnose auf Grundlage eines ausführlichen Gespräches sowie einer körperlichen Untersuchung stellt. Er bescheinigt die Behandlungsbedürftigkeit.
    Da ist es meiner Meinung nach völlig egal, zu welchem der 5 Trinktypen (nach Jellinek) man sich einordnet.

    LG von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Rückblick:

    Zitat

    Re: Ich bin Britt
    « Antwort #123 am: 06. Januar 2019, 15:44:04 »
    Hallo,
    meine Feiertage waren perfekt und harmonisch. Am Mittwoch hatte ich starken Suchtdruck. Habe mit meinem Mann darüber gesprochen. Um einen Rückfall zu verhindern, habe ich mich vorsorglich mit 0 ‰ in die qualifizierte einweisen lassen.
    Jetzt sitze ich im Cafe mit Hotspot und möchte das gerne teilen. Jeder sagt, dieser Schritt zeigt Stärke und dennoch schäme ich mich in Grund und Boden.
    Liebe Grüße von Britt


    Kaum zu glauben, es ist 1 Jahr her....viel ist passiert....Die (Notfall)Telefonnummer der "Käseglocke" ist nach wie vor immer in meinem Portmonee.
    Ich werde nicht zögern, diese Nummer wieder zu wählen, sollte ich Krisen/Gefühle nicht aushalten können und der Druck mich überfällt. Damals schämte ich mich in Grund und Boden.
    Doch wie gravierend das schlechte Gewissen auch gewesen sein mag: Heute kann ich es ansehen, damit umgehen, es nutzen und loswerden. Meine Art, auf Schuld-/und Scham zu reagieren, ist Reflexion, Aktivität und Veränderung.
    Danke auch an alle, die mich hier in diesem Forum bis hierher begleitet haben. Ich habe viel gelernt.
    Lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Guten Morgen in die Runde,
    Abstinenzparadigma vs. Akzeptanzparadigma:
    In Anlehnung von Susannes Posts will ich mal hier meine Gedanken dazu schreiben. Grundätzlich finde ich es gut, dass hier „Profis“ das Thema von verschiedenen Seiten betrachten, den eigenen Standpunkt klären.
    Für mich brachte der Alkohol Ersatz, NIE Befriedigung. Wenn ich etwas ersetzen will, hat etwas gefehlt. Ein Abstinenzende als Therapieziel? Hmmm. Ich werde nach der aktuellen S3-Leitlinie
    „ Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnose und Behandlung" der DG-Sucht behandelt. Meine Behandlung zielt also auf eine dauerhafte Abstinenz und nicht auf eine substitionsgestützte Behandlung.
    Mag sein, dass dieser Ansatz bei Opioid-Abhängigen greift, ich weiß es nicht .
    Entgegen der Akzeptanzbefürworter fühle ich mich mit meiner Abstinenzentscheidung aber nicht fremdbestimmt, bin kein Opfer oder unselbstständig.
    Habe ich keine Eigenverantwortung und Handlungskompetenz, nur weil ich eine „Aufnahmeprüfung“ abgelegt habe?
    Ich kann nur für mich sprechen: Ich erhalte trotz meiner Abstinenzentscheidung eine effektive und menschenwürdige Therapie. Ich werde akzeptiert, wie ich bin.
    Und ich bin auch davon überzeugt, dass besonders in der sozialen und beruflichen Reintegration die abstinenzorientierte Therapie einen größeren Erfolg verzeichnet.
    Unterm Strich bleibt zu hoffen, dass das Abstinenzmodell in der Suchthilfe nicht zum Relikt aus einer vergangenen Zeit wird.

    Lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Da die Wissenschaft die positiven Wirkungen des Alkohols zunehmend kassiert hat und es keinen risikofreien Konsum mehr gibt, es bleibt immer ein Gift, kann ich mir genausogut vorstellen, das Abstinenz auf jeden Fall gesellschaftsfähig bleibt. Man kann damit ja nichts falsch machen. Warum sollte die Suchthilfe also davon abrücken, dass es unter allen Möglichkeiten die Beste ist und für diejenigen, die das wollen, sowieso? Das Andere ist eher ein Zusatz, kein Ersatz.

    Gruß Susanne

  • Hallo Britt,

    nun habe ich auch dich in zwei Tagen über deine Jahre hier begleitet...

    Am Anfang war ich jedesmal "beruhigt" und vor allem berührt, wenn ich dein "ich trinke nicht" wieder las. Ich lernte früh in der Therapie: es darf mir auch schlecht gehen ohne Suchtmittel - das hat mir manchmal geholfen.

    Dann die Beschreibung deiner Ehe. Ich habe meinen letzten Mann verlassen, als ich 5 Jahre trocken war. Manchmal finde ich es schade, denn er war von allen der einzige, den ich wirklich gern hatte (lieben ist für mich sehr schwierig), aber er konnte auch nicht wirklich etwas mit der trockenen ichso anfangen... So drücke ich dir die Daumen, dass du eine gute Möglichkeit findest - mit oder ohne Mann. Einsam ist nicht leicht. Aber gemeinsam einsam auch nicht.

    Dann deine "Gehversuche" in der Therapie: da lächelte ich am meisten - diese Freude über die neuen Einsichten! So ging es mir auch :)

    Zwischendurch die guten Kommentare hier <3 Besonders das Gedicht von dem Mensch erster Klasse - mir wohlvertraut und sooo hilfreich.

    Last but not least: Der Krebs. Bei mir war er in der Gebärmutter. Ich hatte 2015 eine Total-OP, wo zusätzlich noch 43 Lymphknoten "zur Sicherheit" entfernt wurden. Das kleine Sch...ding war drei Millimeter "groß", bescherte mir Todesangst und eine 43 cm lange Narbe (vom Brustbein bis zum Schambein).

    Und doch, wenn ich heute in den Spiegel schaue, und diese grauhaarige, vernarbte alte Frau sehe muss ich tatsächlich meist lächeln. Denn nur eine Frau, die gar nichts kann, muss schön sein *zwinker*

    Und du bist bestimmt eine sehr gute Polizistin, und dafür danke ich dir <3

    Sehr netten Gruß,

    ichso

  • Guten Morgen,
    Warum bin ich alkoholsüchtig geworden, gibt es dafür einen Grund und bringt es mir was, es zu wissen?
    Das war gestern Thema in der Gruppe. Und da erinnerte ich mich spontan an den Satz, den du lieber Gerchla immer wieder schreibst.: Es gibt keinen Grund zu trinken, aber es gibt einen Grund für die Sucht.
    Nur für ein Gruppenmitglied war die Frage nach dem Warum unwichtig. Er meinte, es würde ihm nichts bringen, er könne ohnehin nichts mehr daran ändern. Er sei abhängig geworden,
    weil er schlicht und einfach zu viel soff (und schlief ein…)
    Der Abend wurde dann sehr emotional. Es „sprudelte“ nur so aus jedem heraus. Mein Fazit nach diesem Abend: Alkoholsucht hat multifaktorielle Ursachen, es gibt nicht „den einen“ Grund.
    Ich betrachte mich als leicht emotional verwundbare Person. Diese Verwundbarkeit entwickelte sich ( ebenso wie die Sucht) schleichend.
    Vom Mich-Arrangierens (Ja-Sager) über viele Zwischenstopps bis fast hin zur folgenschweren Katstrophe, nämlich den Ausweg aus diesen für mich unerträglich empfundenen Lagen
    im Alkohol zu suchen. Wie sieht es bei euch aus? Stellt ihr euch auch die Frage nach dem „Warum“?
    Danke für`s Lesen und lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Ich halte die Frage nach dem "Warum" für sehr wichtig - alleine schon, um präventiv nicht wieder in dieselben Fallen zu tappen, dieselben Fehler zu machen.

    Aus Fehlern lernt man. Heisst es.

    Nur für ein Gruppenmitglied war die Frage nach dem Warum unwichtig. Er meinte, es würde ihm nichts bringen, er könne ohnehin nichts mehr daran ändern. Er sei abhängig geworden, weil er schlicht und einfach zu viel soff (und schlief ein…)

    Wenn ich immer wieder gegen Wände renne und mich verletze - sollte ich dann nicht die Augen aufmachen oder langsamer laufen oder … herausfinden, WARUM ich immer wieder gegen die Wände renne?

    Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, wie tief man buddelt.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Ist das nicht nur so lange relevant, wie man noch nicht süchtig ist und der Suchtdruck einen noch nicht zwingt, Gründe zum Trinken zu finden (was meiner Ansicht nach mit Rechtfertigungsdruck zu tun hat, sich selbst oder Anderen gegenüber), weil man es ohne schlicht nicht mehr aushält? Und was ist mit dem Automatismus, eines geht noch, weils grad einfacher ist, mit den Folgen beschäftigen wir uns später - also trinken, ohne überhaupt drüber nachzudenken?

    Die Suchtforschung sagt ja auch, es ist ein multifaktorielles Geschehen, liegt an genetischen und persönlichen Veranlagungen, dem persönlichen sozialen Umfeld und der Art, wie man das erlebt (zwei Kinder, die gleich erzogen werden, können das ganz unterschiedlich wahrnehmen und sich ganz unterschiedlich entwickeln), Erlebnissen und nicht zuletzt daran, dass Alkohol überall und leicht verfügbar ist. Typische Suchtpersönlichleiten wurden dagegen nicht gefunden, es kann jeden erwischen, hat auch mit der Droge Alkohol selbst zu tun.

  • Ich habe hier im Forum und auf anderen Kanälen von Menschen gelesen, die sagen, dass sie sich über ihre Trinkgründe keine Gedanken gemacht haben. Ich kenne auch persönlich Menschen, sogar im engeren Umfeld, die sich keine Gedanken über ihre Trinkgründe gemacht haben oder machen wollten. Und ich spreche jetzt von Menschen, die entweder von sich sagen, dass sie schon länger ohne Alkohol leben oder von Menschen, von denen ich durch persönlichen Kontakt weiß, dass sie schon länger ohne Alkohol leben. Und weil sich das jetzt so ließt, als wäre ich nur von solchen Menschen umgeben und es gäbe gar keine anderen, möchte ich noch dazu sagen, dass der Großteil derer die ich kenne (teils nicht persönlich sondern "nur" virtuell), sich recht intensiv mit ihrer Sucht und auch den Trinkgründen außeinander gesetzt hat. Soweit ich das überhaupt beurteilen kann.

    Ich kenne z. B. jemanden gut und persönlich, der noch heute (ist jetzt, glaube ich fast 15 Jahre trocken) fest der Meinung ist, dass er zurecht getrunken hat. Weil sein Leben anders nämlich gar nicht zu ertragen gewesen wäre. Denn da waren ja dieser und jener, der ihm übel mitgestpielt hat und dann noch der Druck durch xy, etc. Dieser Mensch hat also vereinfacht gesagt noch nicht mal das Bewusstsein, dass seine Trinkerei (unter der u. a. nicht wenige Angehörige litten) falsch, oder sagen mir mal, zumindest für sein Umfeld (Kinder, Partner, etc.) nicht besonders lustig war und es besser gewesen wäre, es wäre nie zur Sucht gekommen. Das fehlt dort m. E. wirklich, ich habe mit dieser Person zahlreiche Gespräche geführt und denke, dass ich das beurteilen kann. Und trotzdem ist dieser Mensch 100%ig seit fast 15 Jahren trocken. Auslöser war eine schwere Sturzverletzung im Suff und der anschließende Schwur nicht mehr zu trinken. Punkt. Mehr nicht. Sowas gibts. Keine Therapie, keine SHG, kein Psychologe, keine Suchtberatung. Nichts. Einfach nur diese Verletzung und der Schwur nie mehr zu trinken.

    Was ich damit sagen will. Es gibt nichts was es nicht gibt. Einige sagen ja auch, es reicht ihnen vollkommen aus, sich an die negativen Erfahrugen mit Alkohol zu erinnern um abstinent zu bleiben. Sie sehen keinen Sinn darin zu hinterfragen, wieso sie getrunken haben. Es war halt so und jetzt ist es aber glücklicherweise anders und sie wollen nie mehr dort landen, wo sie mal waren.

    Ich bin bei Susanne, wenn sie sagt, dass ja irgendwann die Gründe, weshalb man vermehrt zur Flasche gegriffen hat nicht mehr relevant sind. Sie sind eben dann nicht mehr relevant, wenn süchtig ist und wegen der Sucht trinkt. Selbst wenn sich diese Gründe dann in Luft auflösen sollten (an solche Situationen erinnere ich mich in meiner Suchtzeit auch) wird man weiter trinken. Und sich ggf. dann halt "neue" Gründe suchen. Eben dieses klassische "ich trinke weil" - es heute zu warm, zu kalt, zu windig, einfach alles sche...e, mein Hund mich nicht mehr liebt, etc.

    Ich hatte einige Situationen, wo ich mir als bereits süchtiger Mensch vorgenommen hatte, wenn dieses oder jenes Problem überstanden ist, dann gehe ich es an, dann höre ich auf. Ich habe es nie geschafft, denn ich war eben süchtig.

    Und trotzdem bin ich ein Verfechter für die "Finde Deine Trinkgründe"-Variante. Denn ich denke, wenn die Sucht dann tatsächlich mal überwunden / zum Stillstand gebracht ist, können diese Gründe wieder hochrelevant werden. Um einen Wiedereinstieg in die Sucht zu vermeiden / verhindern. Ich schreibe das alles immer nur aus meiner eigenen Sicht, meinem eigenen Erleben heraus. Bei anderen mag das anders sein, wird es sogar ziemlich sicher anders sein.

    Durch das Aufarbeiten und das Ergründen des wieso, weshalb, warum habe ich soviel über mich selbst und über mein bisheriges Leben erfahren und gelernt wie nie zuvor. Ich habe dabei auch erfahren, dass es nicht den einen Grund gab. Ich habe aber gleichzeitig "erarbeitet", dass es bei mir einige besonders wichtige Faktoren gab, die mich in den Alkohol flüchten ließen. Ich konnte Muster erkennen, erlernte (falsche) Muster aber auch nicht erlernte Kompetenzen im persönlichen/zwischenmenschlichen Bereich. Dadurch, dass mir das bewusst wurde, konnte ich genau daran arbeiten, wiederum ganz bewusst daran arbeiten. So konnte ich mich verändern, mein Verhalten, meine Denkweise. Bei mir war es so, dass dadurch der Alkohol immer mehr an Bedeutung verlor.

    Bei mir waren nur ganz am Anfang die Gedanken bezüglich der erlebten negativen Auswirkungen des Alkohols stark präsent. Da war natürlich dieses: Ich möchte nie mehr so tief sinken, ich möchte nie mehr derart am Boden sein. Das war anfangs ein Schutz vor "dummen Gedanken", wobei sich das bei mir einigermaßen in Grenzen hielt. Und je länger ich mich dann mit den Gründen, meinem Leben, meinen Zielen, etc. beschäftig habe, desto weniger "wichtig" waren die Gedanken an die negativen Seiten des Alkohols. Denn mir wurde mehr und mehr klar, dass er mir beim Erreichen meiner Ziele nie, also zu keiner Zeit, helfen kann. Er hat für mich überhaupt keinen Nutzen. Und was meine ehemals "wichtigen" Trinkgründe betraf: die kannte ich ja und da hatte ich längst ganz bewusste Gegenstrategien, also eine veränderte Verhaltensweise, erlernt.

    Es ist ein wenig schwer zu beschreiben, aber ich denke Ihr wisst was ich meine.

    Also jedem das Seine. Ich für mich kann nur positiv über Aufarbeiten und Gründe finden berichten und bin deshalb auch der Meinung, dass es ein guter Weg ist. Wobei es dann letztlich jeder selbst wissen muss. Denn wie wir ja wissen: Viele Wege führen zum Ziel, welcher es dann für einen persönlich aber letztlich ist, muss man selbst heraus finden. Manchmal auch durch try and error.

    LG
    gerchla

  • Ich bin da schon dabei, dass ich mich auch damit beschäftigt habe, in welchen Situationen ich zur Flasche gegriffen habe. Nun ja, als ich so einen Suchtbericht schreiben musste, war so ziemlich jede Situation mal dabei. Ich konnte bei jeder Gelegenheit trinken, es aber auch bei jeder Gelegenheit manchmal bleiben lassen, insofern habe ich daraus nur abgelesen, dass Alkohol insgesamt einen hohen Stellenwert in meinem Leben hatte.

    Wie das bei mir angefangen hat, familiäre Nachahmung und dass das bei mir einfach gewirkt hat, dazu ein paar andere Faktoren und ich deswegen dabei geblieben bin, ist aber nur das Eine. Das hab ich ja auch schon reichlich beschrieben.

    Als ich aufgehört habe, war der Hauptfaktor, dass ich nach erfolgreicher Stressbewältigung regelmässig in ein Loch gefallen bin und eine innere Leere verspürt habe. Ich hatte Einzelgespräche in der Suchtberatung mit einem Psychologen, wo wir das genau rausgearbeitet haben, was genau in diesem Moment passiert. Im Prinzip war es auch die halbe Miete, wenn ich diesen Moment der inneren Leere anders überwunden habe, dann war der Tag gerettet.
    Also im Prinzip sah ich in dem Moment nicht mehr viel Sinn darin, dem nachzugehen, wie es dazu gekommen war. Ich hatte ein Problem im hier und heute, das ich lösen musste.

    Diese ganze Unzufriedenheit, mit der ich später, schon trocken, nochmal zu kämpfen hatte, hatte sicher damit zu tun, dass ich manches nicht richtig bewältigt hatte, und auch damit, dass ich in den vielen Jahren meiner Karriere auch manches ziemlich verbockt hatte, mit dem ich mich nun mehr oder weniger abfinden musste. Aber was da jetzt genau Ei uns was Henne war, also was zuerst da war und damit als Ursache gelten konnte, war für mich nie ganz eindeutig.

  • Hallo Toni,
    Guckst du: ;)
    Wikipedia
    Versuch und Irrtum (englisch trial and error) ist eine heuristische Methode, Probleme zu lösen, bei der so lange zulässige Lösungsmöglichkeiten versucht werden, bis die gewünschte Lösung gefunden wurde. Dabei wird oft bewusst auch die Möglichkeit von Fehlschlägen in Kauf genommen. In der Umgangssprache bezeichnet man diese Vorgehensweise als „Ausprobieren“.
    LG von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~


  • Wie sieht es bei euch aus? Stellt ihr euch auch die Frage nach dem „Warum“?

    Das habe ich getan. Den einen Grund, weshalb ich in die Sucht abglitt, gibt es nicht. Es ist wie fast immer im Leben, ein bunter Strauß von einzelnen Faktoren, die in ihrer Zusammenschau zu dem Ergebnis des Suffs führten.

    Ich war überrascht wie viel ich aus einzelnen Schildderungen betroffener Süchtiger für mich herausfiltern konnte. Da gab es häufig Parallelen.

    Für mich war diese Herausarbeitung von Ursachen wichtig für das Verständnis meiner Abhängigkeit, warum ich so geworden bin.

    Daher kann ich nur raten, sich ebenfalls auf die Suche nach den Ursachen zu begeben.

    Wenn Einzelne meinen, sie hätten auch so alles im Griff, dann ist das halt ihr persönlicher Weg, der nicht der meine ist. Bleiben sie clean, machen sie für sich alles richtig.

    Gruß
    Rekonvaleszent

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