• - Über die Geduld -


    Man muss den Dingen
    die eigene, stille
    ungestörte Entwicklung lassen,
    die tief von innen kommt
    und durch nichts gedrängt
    oder beschleunigt werden kann,
    alles ist austragen – und
    dann gebären…

    Reifen wie der Baum,
    der seine Säfte nicht drängt
    und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
    ohne Angst,
    dass dahinter kein Sommer
    kommen könnte.

    Er kommt doch!

    Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
    die da sind, als ob die Ewigkeit
    vor ihnen läge,
    so sorglos, still und weit…

    Man muss Geduld haben
    Mit dem Ungelösten im Herzen,
    und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
    wie verschlossene Stuben,
    und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
    geschrieben sind.

    Es handelt sich darum, alles zu leben.
    Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
    ohne es zu merken,
    eines fremden Tages
    in die Antworten hinein.

    Rainer Maria Rilke

  • Rainer Maria Rilke (Brief an Franz Xaver Kappus)

    ...Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.

  • November

    Solchen Monat muß man loben:
    Keiner kann wie dieser toben,
    keiner so verdrießlich sein
    und so ohne Sonnenschein!
    Keiner so in Wolken maulen,
    keiner so mit Sturmwind graulen!
    Und wie naß er alles macht!
    Ja, es ist ′ ne wahre Pracht.

    Seht das schöne Schlackerwetter!
    Und die armen welken Blätter,
    wie sie tanzen in dem Wind
    und so ganz verloren sind!
    Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
    und sie durcheinander wirbelt
    und sie hetzt ohn′ Unterlaß:
    Ja, das ist Novemberspaß!

    Und die Scheiben, wie sie rinnen!
    Und die Wolken, wie sie spinnen
    ihren feuchten Himmelstau
    ur und ewig, trüb und grau!
    Auf dem Dach die Regentropfen:
    Wie sie pochen, wie sie klopfen!
    Schimmernd hängt′ s an jedem Zweig,
    einer dicken Träne gleich.

    Oh, wie ist der Mann zu loben,
    der solch unvernüft′ ges Toben
    schon im voraus hat bedacht
    und die Häuser hohl gemacht;
    sodaß wir im Trocknen hausen
    und mit stillvergnügtem Grausen
    und in wohlgeborgner Ruh
    solchem Greuel schauen zu.

    Heinrich Seidel (1842 - 1906)

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

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