Hallo Hermann,
bin gerade bisl in Zeitdruck, will aber dazu kurz was schreiben:
ZitatEigentlich habe ich in meiner Kindheit alles gehabt was man braucht
Da steht dieses "eigentlich". Vielleicht hast Du es, wie ich es auch oft mache, ohne weitere Hintergedanken an den Anfang Deiner Aussage gesetzt, vielleicht aber ist dieses "Eigentlich" mehr als es scheint. Du hast alles gehabt, sprichst aber von einem eiseren Regiment Deiner Eltern..... Da denke ich: was meint er mit alles gehabt? Ein Dach übern Kopf und materiell gut versorgt oder meint er, dass er sich immer angenommen und geliebt gefühlt hat von seinen Eltern? Oder beides? Diese Frage kannst nur Du selbst Dir beantworten.
Es könnte sein, dass darin ein Schlüssel für Dich verborgen liegt. Aber natürlich kann ich komplett falsch liegen, ich schreib' Dir nur was ich denke. Vielleicht ist auch einfach nicht angemessen Dir sowas hier offen in diesem Forum zu schreiben. Sag mir bitte offen, wenn Dich das stört oder ggf. kannst Du auch via PN mit mir in Kontakt treten.
Was Du dann sozusagen im letzten Absatz so beschreibst ist für mich nichts anderes als die "ganz normale" Sucht. Ich kenne das alles von mir. Es ist schlicht die Sucht, die Dir all diese Gedanken einflüstert und je länger Du nichts getrunken hast (sofern Du nicht dauerhaft abstinent lebst), desto lauter wird die Stimme: jetzt hast Du soooooo lange nix getrunken, siehst du, da kannst du doch gar kein Problem haben. Oder: du hast doch bewiesen das du aufhören kannst, da kannst du doch jetzt was trinken und dann kannst ja auch wieder aufhören. ETC.
Ich hatte ja auch Phasen wo ich Trinkpausen eingelegt habe, welche ich dann irgendwann mal gebrochen habe. Mein längste Trinkpause dauerte fast ein Jahr. Ich kenne dieses Gefühl, wenn man dann doch wieder zur Flasche gegriffen hat sehr gut. All die Gedanken und das "hin und her" der selbigen, die Du in Deinem Text formuliert hast, die kenne ich auch. Auch den Versuch irgendwelche Mechanismen zu erkennen, wann man zur Flasche greift und wann nicht und es sich dann nicht erklären können, warum das so ist. Bei mir gabs lange z. B. auch einen Punkt (zeitlich gesehen), wenn ich den überschritten hatte, dann "brauchte" ich an diesem Tag nicht mehr zu trinken. Das waren Situationen, wo es halt aus irgendwelchen Gründen nicht ging und wenn es dann z. B. abends 22 Uhr war und ich hätte jetzt trinken können, dann war kein Bedürfnis mehr da und ich ging einfach schlafen. Ein Tag ohne Alkohol. Meist holte ich das dann am nächsten Tag nach, und dann sogar mit gutem Gewissen (schließlich hatte ich ja "bewiesen", dass ich verzichten kann).
Ich möchte aber betonen, dass das mit zunehmender Dauer der Sucht alles hinfällig wurde. Irgendwann musste ich trinken, komme was wolle. Selbst bei Krankheit (z. B. fieber) trank ich, weniger zwar aber ich trank. Also ich kenne das alles und ich möchte Dir einfach sagen, dass es aus meiner Sicht wenig Sinn macht, sich damit "aufzuhalten". Das bringt Dich nicht weiter, jedenfalls nicht wenn Du dauerhaft komplett weg von dem Zeug willst. Du solltest handeln, nur Du allein hast es in der Hand. Und bin davon überzeugt, dass es nur funktioniert, wenn Du etwas veränderst. Ich kenne einige Alkoholiker persönlich, habe mittlerweile aber auch von vielen die ich nur temporär traf/las (hier im Forum z. B.) deren Geschichte gehört/gelesen und mir ist niemand in Erinnerung, der den Absprung dauerhaft geschafft hätte ohne sein Leben (wenigstens in einigen Bereichen) elementar zu verändern. Darum auch der Spruch: Nur nicht mehr trinken reicht auf Dauer nicht aus. Und davon bin ich auch wirklich überzeugt. Ich will damit aber nicht sagen, dass man automatisch immer gleich alles über Bord werfen muss und automatisch immer neu anfangen muss. Also alles komplett neu und komplett anders "machen" muss. Es ist höchst individuell, wie diese ganze Sucht eben eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Auch wenn sie von außen betrachtet immer ähnlich zu sein scheint. Aber das ist sie nicht, die Wege hinein sind höchst individuell und die Wege heraus ganz genau so.
Bei mir war z. B. so, dass ich mich von meiner Frau getrennt habe (kurze Zeit nachdem ich aufgehört hatte), nicht weil sie mich nicht mehr wollte (im Gegenteil) sondern weil mir bewusst wurde, dass ich es nicht schaffen werde ohne Alkohol zu leben, wenn ich bei ihr bleiben würde (und sie war/ist wirklich kein Monster oder so, sie war Opfer, ich der Täter). Hört sich für Dich jetzt wahrscheinlich reichlich bescheuert an und will das jetzt hier auch nicht in die Tiefe ausführen aber es war so. Mit dieser Trennung veränderte sich mein ganzes Leben radikal. Mein Job z. B., der blieb mir und war mir sogar eine Stütze. Bei anderen ist genau der Job "das Problem", bei wieder anderen ist es einfach das gesamte Umfeld, verstehst Du was ich sagen will. Und bei nochmal anderen ist es gar nix von diesen Dingen sondern "einfach" nur die Tatsache, dass da psychische Belastungen aufgrund von Erlebnissen in der Kindheit nie aufgearbeitet wurden. Oder, oder, oder.... Aber da muss man eben ran und das ist schon eine große, herausfordernde Aufgabe. Das ist das was ich meine mit: nur nichts mehr trinken reicht auf Dauer nicht aus, jedenfalls nicht wenn man bereits süchtig ist.
Ok, jetzt muss ich aber los.
Alles Gute und
LG
gerchla