… liebe Mitleser. Ich bin seit ca. 10 Monaten ein "stiller" Mitleser und ziehe dennoch aus den Diskussionen hier wichtige Erkenntnisse für mich und viele hilfreiche Impulse. Zu mir: Ich bin nun seit ca. 13 Monaten trocken. Ich habe keine klassische Langzeittherapie oder ähnliches gemacht sondern bin irgendwie über andere "Umwege"? zu der Abstinenz gekommen. Dass mit meinem Alkoholkonsum etwas nicht stimmt oder es sich in eine sehr bedenkliche Richtung entwickelt hat, war mir schon länger klar. Nur, wie bei vielen Süchtigen wollte und konnte ich mich dem nicht stellen.
Ich bin 39 Jahre alt, haben einen sehr guten Job, der mir wirklich Freude macht, bin verheiratet mit einem wunderbaren Mann. Ich habe von außen betrachtet alles - schönes Haus, guten Job, finanziell geht es uns auch gut. Die letzten vier Jahre bevor mein "Zusammenbruch" kam, habe ich sehr viel gearbeitet - eigentlich nur noch gearbeitet. Ich war sehr viel unterwegs und berufsbedingt oft fünf Tage auf Dienstreise. Immer mehr kam dann in den Jahren der Alkohol dazu. Meist abends um vermeintlich fitter, konzentrierter zu sein und es wurde zum Selbstläufer. Ich habe völlig die Kontrolle über meinen Konsum verloren und brauchte immer mehr. Die Arbeit wurde auch immer mehr - ich war nur noch weg. Manchmal sogar froh darüber da ich dann einfach auch trinke konnte wie ich wollte. Parallel bin ich aber auch sehr aktiv - laufe viel und mache sonst viel Sport mit meinem Mann oder allein. Auch das wurde mir dann zu viel - natürlich war ich auch körperlich bald nicht mehr so dazu in der Lage. Schlechter Schlaf, Kater - ich fühlte mich einfach nicht mehr wohl in meiner Haut. Im Nachhinein weiß ich nicht was zuerst da war - die vielen Forderungen im Geschäft, der Alkohol und damit der Drang leistungsfähiger zu sein...? Ich hatte letztes Jahr im Sommer völlig den Draht zu mir verloren. Mir war nur noch schlecht - ich konnte kaum noch etwas essen, war unausgeruht und emotional völlig überfordert. All dies hielt ich bis zu meinem Zusammenbruch vor meinem Mann geheim - ich wollte irgendwie immer funktionieren. Heute weiß ich nicht mehr warum. Im August ging es dann nicht mehr - ich bin in eine Klinik (wir haben die hier bei uns im Ort), von einem Tag auf den anderen. Ich war der Meinung - Burnout - doch in der Klinik wurde durch meine Blutwerte klar, dass ich ein massives Alkoholproblem habe, ein Suchtproblem habe. Ich war dann zur Sicherheit zwei Tage auf der Suchtstation (die Tage waren schlimm). Dann war ich vier Wochen in Therapie aber ich war einfach nicht so weit, wirklich hin zu schauen (heute empfinde ich das so). Ich wollte einfach wieder arbeiten gehen, wollte mein Leben zurück.
Ich war dann im September drei Wochen wieder arbeiten und ich packte es nicht mehr - griff wieder zum Alkohol und war dann wieder im Oktober in der KLinik (Akutstation). Dann hat es irgendwie "Klick" gemacht. Mir war plötzlich klar - ich kann so nicht mehr weitermachen. Ich kann nur durch Abstinenz meine vielen Probleme und Themen angehen. Und ich war auch so weit zu sagen: Ich bin auch bereit, meinen Job in Frage zu stellen und ich nehme mir jetzt Zeit so lange wie es dauert. Ich war dann vier Wochen in der KLinik bis Mitte November 2019. Dann war ich bis Januar daheim (hatte viele Hausaufgaben mitbekommen) und im Januar nochmal drei Wochen geplant in der Klinik. Seit März arbeite ich wieder und arbeite weiter an mir Ich bin wöchentlich bei meinem Therapeuten und einmal im Monat bei meiner Suchtberaterin. Ich möchte euch allen danken - ich habe viele eurer Beiträge gelesen. Gerchla, Greenfox etc. - ihr leistet hier viel Hilfe und dafür möchte ich mich bedanken. Vieles verstehe ich in mir immer noch nicht. Ich habe auch sehr große Angst vor einem Rückfall. Bislang habe ich durch die vielen Instrumente, die ich mir mit meinem Therapeuten erarbeite, auch schon viele schwierige Situationen bewältigen können. Mein Mann steht komplett hinter mir - ich kann mit ihm mittlerweile sehr gut reden und muss das auch tun. Ich habe viel zu viel in mich hinein gefressen, um zu funktionieren. Es fällt mir manchmal noch schwer, Gefühle auszuhalten und auch klare Grenzen zu ziehen - im Beruflichen und auch privat. Es ist eine stetige Reise, die mich immer mehr zu mir bringt. So empfinde ich es. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe und ich möchte sie gern nutzen.
Ich war gestern bei meiner Suchtberaterin. Ich habe ihr des Öfteren erzählt, dass ich in dem Forum lese und versuche Dinge zu verstehen (warum geht es mir gerade so, ist das normal... etc.). Sie riet mir, mich doch auch mal aktiv einzubringen und auch mal eine SHG zu besuchen. Die SHG will ich nächsten Montag das erste Mal besuchen. Heute nun das erste Mal eine Vorstellung meinerseits.
Mir ist bewusst, dass ich auf mich aufpassen muss und ich sehe auch, dass das vergangene Jahr - trotz all der Fragen, die ich für mich beantworten musste - ein wunderschönes war. Ich genieße es, abstinent zu leben und einen klaren Kopf zu haben. Gerchla hat es mal beschrieben, dass das erste Jahr geprägt war für ihn von den vielen Themen, die ihn beschäftigt haben - auch mir geht es so. Manchmal - zum Beispiel letztes Wchenende - merke ich, dass sich die Sucht in mir meldet und sagt "He - ich bin da. wie sieht es aus mit uns beiden?". Ich versuche in den Momenten das anzunehmen und den inneren Dialog zu führen und auch zu hinterfragen, warum der Gedanke plötzlich aufkommt. Was steckt dahinter. Ich habe viele Dinge verändert: Ich reise weniger - weil ich es nicht mehr will, weil ich gern daheim bin, weil ich diese Sicherheit brauche. Ich mache viel Sport. Ich bin gern und viel in der Natur mit unserem wunderbaren Hund, den wir seit einem Jahr haben. Ich verbringe bewusster Zeit mit meinem Mann - ich versuche zu verstehen, was ich will, wer ich bin und warum ich so bin und viel wichtiger: Ich habe gelernt, dass ich ein guter Mensch bin, dass ich es wert bin geliebt zu werden. Und das ist ein Prozess, den ich ganz bewusst wahrnehme und bei dem ich viel Unterstützung durch meinen Therapeuten erfahre.
Das war jetzt sehr viel und ich hatte nun einfach mal den Gedanken: jetzt schreib doch mal. Jetzt zeig dich doch mal. Hab ich lange vor mir her geschoben. Vielen Dank vorab fürs Lesen. Und nochmals danke an alle, die in den letzten Monaten mit ihren Beiträgen mir geholfen haben. Vielleicht - so war auch mein Gedanke - kann ich auch jemandem mit meinem Beitrag helfen.