• Hallo allerseits,

    habe mich heute entschlossen, mich in diesem Forum zu registrieren, weil ich an dem Punkt bin, an dem ich mich mit meinem Alkoholkonsumverhalten nicht mehr abfinden kann und möchte. Ich suche Menschen mit dem gleichen Problem, welches mit über einen Zeitraum von mittlerweile fast 20 Jahren plagt. Vor allem möchte ich mir meine Probleme ein Stück weit von der Seele schreiben können und hoffe auf den Austausch mit anderen Betroffenen.

    Ich habe mich innerhalb des ungefähren Zeitraums der letzten beiden Jahrzehnte Stück für Stück zum handfesten Alkoholiker entwickelt. Ich möchte mich auch garnicht mit den Details der offiziellen Definition eines Alkoholikers befassen oder damit, ob mein Konsum noch in erträglichem Maße ist. Ich bin schon seit ein paar Jahren ehrlich zu mir selbst und weiß, dass ich ein massives Alkoholproblem habe. Ich möchte dieses nun aktiv angehen und suche daher auch nach Hilfe. Bisher war meine Scham zu groß, ärztliche Hilfe aufzusuchen. Ich habe bisher außer einem mittlerweile chronisch gewordenen Reflux keine massiven körperlichen Folgen meines Alkoholismus zu beklagen. Wie durch ein Wunder sind die Leberwerte immer noch im Rahmen, ich bin mir aber auch sicher, dass ich mit Anfang 40 Schluss machen muss mit dem Unfug, da der Körper irgendwann schlapp macht.

    Mein Problem wird verstärkt dadurch, dass auch meine Frau viel Alkohol trinkt und wir und gegenseitig stets zum Trinken verleiten und hochschaukeln. Zwar sind wir beruflich erfolgreich und haben keine gesellschaftlichen Probleme durch unseren Konsum, wissen aber auch, dass unsere Ehe durch unser Trinkverhalten in den letzten Jahren massiven Schaden genommen hat. Ein weiteres Problem ist auch, dass viele unserer Freunde und Bekannten dem Alkohol nicht abgeneigt sind. Sich auf ein stilles Wasser in der Kneipe zu treffen ist kein realistisches Szenario. Das macht mir das Aufhören zusätzlich schwer.

    Ich habe in der Vergangenheit ein paar Anläufe genommen, weniger zu trinken, habe es teils auch ein paar Wochen durchgehalten und mich in der abstinenten Zeit auch wesentlich besser gefühlt. Irgendwann war dann aber die Verlockung da und alles fing von vorne an. Das ist aber ja wohl ganz normal. Sobald ich einmal schwach werde, fange ich wieder Vollgas an mit dem Trinken. Über die letzten Jahre habe ich meine Trinkmenge auf eine bis anderthalb Flaschen Wein pro Tag bzw. auf vier bis sechs Bier gesteigert. Von Schnaps habe ich glücklicherweise immer die Finger gelassen. Was mir Angst macht, ist die Tatsache, dass ich mit zunehmender Zeit auch immer mehr vertrage. Ich trinke eine Flasche Rotwein und bin leicht betrunken und merke am nächsten Tag kaum etwas davon. Für einen Kater muss es dann schon mehr sein. Normal ist das sicher nicht.

    Gleichsam merke ich die Wirkungen des Entzugs recht schnell. Vor allem Übelkeit und allgemeine Nervosität machen sich breit, wenn ich dann mal einen Tag nichts trinke. Besonders negativ ausgewirkt hat sich bei mir auch der Lockdown der letzten Monate. Ich habe fast ausschließlich im Homeoffice gearbeitet und auch eine Woche Urlaub daheim verbracht. Das Urlaubsprogramm bestand fast ausschließlich darin, mich teils auch schon untertags zu betrinken. Ich habe zwar die Dosierung auf einem Level eingependelt, die es mir erlaubt, beruflich funktionstüchtig zu bleiben, mein Privatleben liegt aber weitestgehend brach. Ich habe keine Hobbies mehr, keine nennenswerten Interessen. Wenn ich nicht trinke, fühle ich mich deprimiert und verzweifelt. Das liegt auch am Zustand meiner Ehe und meinem familiären Hintergrund, der auch nicht konfliktfrei ist. All diese Probleme sind aber natürlich keine Begründung, um sich jeden Tag in den Schlaf zu trinken.

    Ich würde mich freuen, wenn ihr mir Tipps geben könnt, wie ich den Weg in ein nüchternes Leben schaffen kann, wenngleich ich mir natürlich bewusst bin, dass es hier keinen einfachen Weg oder ein bequemes Rezept gibt. Ich freue mich auf den Erfahrungsaustausch mit euch.

    Besten Dank und viele Grüße
    Bernd

  • Hallo Bernd!

    Wichtig ist, dass Du für Dich beschliesst einen anderen Weg einzuschlagen!

    Deine Schilderung, dass Dir übel wird und Du unruhig wirst, wenn Du nichts trinkst, solltest Du
    ernst nehmen. D.h. auf keinen Fall "kalt" entziehen! Nur mit ärztlicher Begleitung. Denn so etwas
    kann gefährlich werden!

    Kannst Du denn überhaupt noch mit Deiner Frau ein "nüchternes" Gespräch führen? Denn sie
    scheint ja auch ein Problem zu haben.

    Wenn Du trocken werden willst, ist es u.a. wichtig, dass das soziale Umfeld stimmt und Du keinen
    Alkohol mehr im Haus hast. Richtige Freunde werden das verstehen.

    LG Elly

    Das Leben ist nicht immer einfach, aber eindeutig einfacher ohne Alkohol zu bewältigen!

  • Hallo Bernd,

    Schön dass du da bist!

    Ich an deiner Stelle würde als erstes ein offenes und ehrliches Gespräch mit deiner Frau anpeilen. Weiss sie von deinem Vorhaben und deinen Bedenken bezüglich deines aber auch Eures Alkoholkonsums? Ich denke ohne sie in dein Projekt und deinen Wunsch nach einem neuen Lebenss’il einzuweihen wird es unmöglich einen zufriedenen, abstinenten Weg einzuschlagen. Kannst Du dir vorstellen dass sie mitzieht?

    Was die Kneipenbesuche angeht wird’s wohl auch Änderungen brauchen wenn es dir ernst ist. Neue Hobbies, Aktivitäten ohne trinkendes Umfeld etc...hast du vielleicht alte Leidenschaften, die du wiederbeleben könntest?

    Ich freue mich auf den Austausch mit dir,

    Lg
    Rina

  • Hallo Elly,
    hallo Rina,

    vielen Dank für eure Antworten und eure herzlichen Willkommensgrüße!

    Was das Gespräch mit meiner Frau angeht, gab es da schon einige. Im Grunde ist uns beiden bewusst, dass unser Konsum sich schon lange nicht mehr im Bereich des allgemeinen Genusstrinkens bewegt. Gerne würden wir auch was daran ändern, nur dass wir eben immer wieder in alte Muster verfallen. Meine Frau ist sich aber wohl noch nicht so vollends bewusst, dass wir ein Suchtproblem haben, anstatt nur eine schlechte Angewohnheit zu kultivieren. So nehmen wir uns auch immer wieder vor, längere Zeit nichts zu trinken, nach ein paar Tagen ist aber dann schon wieder die Versuchung zu groß.

    Wie Du, Rina schon geschrieben hast, brauchen wir beide eine Änderung im persönlichen Umfeld. Freunde zu haben, mit denen die einzige gemeinsame Aktivität das Trinken von Alkohol ist, trägt sicher auch dazu bei, dass ich mich mit der Abstinenz schwertue. Ich bzw. wir werden uns da neue Kontakte suchen müssen, was allerdings angesichts der aktuellen Corona-Situation natürlich auch schwer ist. Statt rauszugehen und was zu unternehmen, sitzen wir meist daheim rum. Dadurch verstärkt sich natürlich auch wieder der Fokus auf Trinken als Bekämpfung der Langeweile, was bei uns sehr stark der Fall ist. Eigentlich hatten wir uns für dieses Jahr vorgenommen, viel aktiver rauszugehen, Sport zu machen, neue Hobbies finden. Dann kam Corona mit dem Lockdown und das war's dann mit den guten Vorsätzen.

    Natürlich ist aber nicht nur Corona schuld an der aktuellen Lage. Schließlich haben wir auch schon vorher getrunken und irgendeinen Vorwand hätten wir schon auch anderweitig gefunden, um die eine oder andere Flasche zu köpfen. Es ist unglaublich, wie sehr man sich die Anlässe herbeiredet. Entweder hatte man einen anstrengenden Arbeitstag und belohnt sich mit einem Glas Wein (oder natürlich auch mehreren). Oder man hat Frust, den es zu ersäufen gibt und wenn das auch nicht zieht, gibt es ja immer mal wieder auch was zu feiern, wozu Alkohol natürlich auch mittlerweile ganz selbstverständlich gehört.

    Deinem Tipp, Elly, mich in ärztliche Behandlung zu begeben, werde ich in Kürze auch befolgen. Ich habe den Schritt lange hinausgezögert, da mir peinlich ist, dass ich ein Alkoholproblem habe. Man sieht mir meinen übertriebenen Konsum glücklicherweise noch nicht äußerlich an, daher habe ich etwas Angst, als hysterisch abgetan zu werden oder mir andererseits Predigten anhören zu müssen. Beides fände ich eher unangenehm. Ich weiß sehr klar, dass ich ein Problem habe, das nicht klein und schnell zu beheben ist. Ich bin auf die Reaktion meiner Hausärztin jedenfalls gespannt und auch auf die Unterstützung, die ich erhalte.

    Was die beschriebenen Entzugserscheinungen angeht, hielt sich dies beim Einstieg in meine Abstinenzphasen in der Vergangenheit glücklicherweise in Grenzen. Ich hatte die Probleme nur in den ersten paar Tagen, dann merkte ich nichts mehr. Was ein großes Problem bei mir seit vielen Jahren ist, das ist der Schlaf. Jahrelang konnte ich mir nicht vorstellen, nüchtern ins Bett zu gehen, weil ich Angst hatte, nicht einschlafen zu können. Dass Alkohol in Wirklichkeit den gesunden Schlaf stört, weiß ich mittlerweile, dennoch aber sind die Schlafprobleme in der Anfangszeit der Abstinenz das größte Thema. Ich schlafe schlecht und wenig, fühle mich dann gerädert und schleppe mich durch den Tag. Schlafmittel nehme ich keine. Das hatte ich kurzzeitig vor ein paar Jahren probiert, aber ich hatte dann am nächsten Tag immer noch einen Überhang von dem Mittel und bin kaum in die Gänge gekommen.

    Nun ja, soweit meine Situation. Es tut mir echt gut, mir all das einfach mal von der Seele schreiben zu können und ich danke euch beiden, dass ihr euch mit meine Geschichte beschäftigt. Ich freue mich, dass es hier so tolle und verständnisvolle Menschen gibt.

    Viele Grüße
    Bernd

  • Ich war auch einmal in einer Beziehung, wo wir beide tranken und wir rissen uns gegenseitig immer weiter in den Abgrund. Das war echt schlimm und es wurde immer schlimmer da wir beide sehr exzessiv waren...die Trennung erlaubte uns dann beiden einen neuen Weg zu finden. Das muss für dich bestimmt nicht auch so sein, ich hoffe es sehr! Es ist manchmal halt schwierig wenn der Partner das Problem nicht sieht oder es einfach nicht ändern will. Da kann das Einknicken des Partners schon wieder einen Trinkgrund liefern. Und das mit den Trinkvorwänden kenne ich zu gut, wenn man sucht findet man immer einen Grund heute doch noch zu bechern. Wichtig ist halt, dass wenn du aufhören willst, es für dich alleine tust, niemand muss es dir gleich tun, sollte dich aber auch nicht darin behindern.

    Vielleicht magst Du mal eine Suchtberatung aufsuchen? Oder eine reale SHG in einem zweiten Schritt? Ich finde den Face-to-Face Austausch sehr wichtig, es hilft mir bis heute enorm viel. Vorallem nimmt es mir die Scham, ich fühle mich nicht mehr so „wertlos“, d.h. ich kann mich etwas besser annehmen, akzeptieren wer ich bin, die Krankheit Alkoholismus eingeschlossen. Denn das ist es nun mal, ich habe es mir nicht ausgesucht.

    Ich bin übrigens in deinem Alter, 39J und echt froh ein anderes, besseres Leben zu leben! Ich war immer schon sehr aktiv, jetzt noch mehr und ich fühle mich fitter denn je. Mir hat man meine Trinkerei auch nicht angesehen, im Gegenteil eigentlich, man hielt mich immer für einen Sportfreak. War ich auch, hat mich aber nicht davon abgehalten mich 3-4x die Woche abzuschliessen. Den allermeisten Alkoholikern sieht man es nicht an...aber das ist ja auch nur eine Frage der Zeit.

    Ich finde das Umfeld und die Aktivitäten sollten dich möglichst in alkoholfreie Zonen führen. Du kannst natürlich wie gewohnt in der Kneipe sitzen und Wasser trinken, aber wie lange könnte das gut gehen? Und wie würdest Du dich dabei fühlen?
    Ich meide solche Trinkrunden immer noch, sie bringen mir einfach nichts. Irgendwann regt man sich ab dem blöden Gelaber nur noch unnötig auf...Ich gehöre nicht mehr in diese Welt.

    Hoffe das Gespräch mit dem Arzt verläuft gut, ich denke du wirst im Nachhinein erleichtert sein!

  • Es ist ein gutes Zeichen, dass Du so zügig geantwortet hast, Bernd. 44.

    So merken wir, dass Du Dir wirklich Gedanken machst und es ernst meinst.

    Ich habe auch lange Zeit gebraucht, um den Absprung zu schaffen. Das kennt wohl jeder...

    Die erste Zeit ist etwas schwierig. Aber gerade da sollte man Grenzen setzen und wirklich
    diese Orte meiden, an denen Alkohol konsumiert wird. Und später meidest Du, aus vielen
    Gründen von allein diese Orte.

    Zu Deinem Schlafproblem... Ich schlafe auch heute noch teilweise nicht so gut und das nach
    über 7 Jahren. Aber das liegt u.a. auch an meinem Job und auch an meiner psychischen Verfassung.
    Denn ich bin ziemlich kopflastig. (Google mal nach L Tryptophan)

    Und ich denke die meisten Alkoholiker sind so. Aus welchem Grund haben wir denn
    zur Flasche gegriffen? Um Problemen auszuweichen, indem wir uns wieder neue
    Probleme geschaffen haben... Ein Kreislauf. :(

    Für mich ist es wichtig, dass ich einen geregelten Tagesablauf habe und Aufregung so gut wie
    vermeide. Nicht immer einfach, aber es gelingt mir immer öfter! ;)

    Zu den Aktivitäten... Radfahren, wandern, schwimmen, etc. sind auch gute Möglichkeiten den
    Kopf frei zu bekommen und die Natur ist ein gutes Heilmittel!

    Aber mach Du erstmal Nägel mit Köpfen und wir sind dann für Dich da, wenn Du weitere
    Tipps brauchst! Geh zu Deiner Hausärztin, schildere ihr Deine Sicht der Dinge, und wenn
    sie nicht im Thema ist, kann sie Dir bestimmt einen Arzt empfehlen, der auf Sucht spezialisiert ist.

    Ich bin gespannt auf Deine weiteren Aktionen. UND Alkoholismus ist eine Krankheit, dafür sollte
    man sich nicht schämen. Höchstens dafür, dass man nichts dagegen tut!

    LG Elly

    Das Leben ist nicht immer einfach, aber eindeutig einfacher ohne Alkohol zu bewältigen!

  • Hallo Elly und Rina,

    danke für eure Antworten. Es tut wirklich gut, mich mit euch auszutauschen und es bestärkt mich in meinem Plan, endlich einen Schlussstrich unter meinen alten Lebenswandel zu setzen. Ich denke, eine positive Grundstimmung ist schon mal grundsätzlich wichtig, um die Dinge anzupacken. Ich werde jetzt erst mal den Arzttermin hinter mich bringen und dann auch Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe vor Ort aufnehmen. Vor allem werde ich mich auch ein Stück weit aus dem alten Umfeld zurückziehen. Das wird zwar sicherlich bei manchen Leuten für Irritationen sorgen, aber das hilft nichts. Ich habe einen guten Freund, der ein mindestens so großes Alkoholproblem hat wie ich, wenn nicht sogar noch größer. Leider ist er nicht der Meinung, dass er ein Problem hat und jeden Abend bis zu acht Bier zu trinken, ist für ihn einfach nur "gemütliche Abendgestaltung". Ich möchte mein und sein Problem nicht mit ihm besprechen, weil ich ja nicht in der Position bin, irgendwem irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Aber sicherlich muss ich zu diesem Freund auf Abstand gehen, um nicht wieder in Versuchung zu geraten.

    Das mit dem Sport ist sicherlich eine gute Sache. Ich bin halt leider schon immer ein großer Sportmuffel :D. Aber früher bin ich immer gerne in den Bergen beim Wandern gewesen und das wird dann zumindest der Einstiegspunkt sein. Das Absurde ist, dass ich mich immer dann, wenn ich mich ausnahmsweise mal sportlich betätigt habe, sehr gut gefühlt habe und dann auch der Drang, was zu trinken, nicht mehr so stark war. Ich habe ein paar Phasen hinter mir, in denen ich mich aufgerafft habe, die Finger vom Alkohol zu lassen und dann hab ich mich immer toll gefühlt. Ein Stück weit war ich damals aber auch naiv und vielleicht überheblich. Ich dachte, ich hab das Problem im Griff und wurde dann leichtsinnig. Am Ende bin ich dann wieder in die alten Muster verfallen. Aber die kurzen Phasen, in denen ich abstinent war, habe ich mich gesünder und vollständiger gefühlt. Dieses Gefühl ist eigentlich enorm erstrebenswert, nur dass die Erinnerung nicht so stark ist, dass ich mich allein damit motivieren kann.

    Vor ein paar Jahren hab ich das Buch von Allen Carr gelesen und es hat mir enorm geholfen. Es hat mir gezeigt, dass die ganze Alkoholwelt-Logik absurd ist und vor außen betrachtet keinerlei Sinn ergibt. Dann kam aber wieder ein kleiner Augenblick der Versuchung und ich bin eingeknickt. Hinzu kam noch kurz darauf der Tod eines nahen Angehörigen und das war es dann.

    Ganz generell finde ich es schwierig, mit Probleme und Krisen ohne Alkohol umzugehen. In geregelten Bahnen kann man einen vernünftigen Lebensstil kultivieren, wenn dann aber Schicksalsschläge unerwartet die Dinge durcheinanderbringen, fällt es. mir schwer, nüchtern zu bleiben. Mir fehlt ganz klar eine Alternativstrategie, um mit solchen Ereignissen umzugehen.

    So, jetzt hab ich doch wieder mehr geschrieben, als ich eigentlich wollte, aber ich habe halt aktuell ein große Mitteilungsbedürfnis ;D.

    Ich danke euch beiden für eure ehrlichen und einfühlsamen Antworten. Ihr seid tolle Menschen, vielen Dank!

    Viele Grüße
    Bernd

  • Guten Morgen,

    Genau das meinte ich mit „sich Trinkgründe suchen „: die kleinste Alltagssorge wird herangezogen um sich einen heben zu können. Die allermeisten Menschen haben grössere oder kleinere Probleme, schlimme Erlebnisse, Schicksalsschläge, Unfälle, Traumata etc ...es trinken deshalb aber noch lange nicht alle. Es kann nichts so schlimm sein, dass einem der Alkoholkonsum irgendwie helfen könnte, sonst würde wirklich die ganze Welt saufen.
    Aber du hast schon recht, man muss sich dann wieder neue Strategien zurechtlegen, weil man verlernt hat mit Problemen sinnvoll umzugehen.

    Ich bin seit 2Jahren daran mir ein neues Leben aufzubauen. Im ersten Jahr wurde ich 4x rückfällig, für einige Tage nur aber heftig. Es waren eben keine Schicksalsschläge oder dramatischen Ereignisse die mich zum scheitern brachten sondern schlicht und einfach Suchtdruck. Mir hat dann Literatur sehr geholfen, zu verstehen, wie Sucht funktioniert und was bei Alkoholikern im Gehirn abgeht. Es ist eben keine Frage der Willenskraft allein sondern eine Krankheit, sie trifft ungefähr auf 10% der Bevölkerung zu. „Die Suchtfiebel“ erklärt das ganz gut, sonst fand ich das Buch „Alk!“ von Borowiak sehr amüsant aber informativ. Vielleicht kann dir das in der Anfangsphase auch eine Stütze sein?!

    Und sonst ja...ein radikaler Lebenswandel musste her, neue Aktivitäten, neue Interessen, eine Traumatherapie zur Vergangenheitsbewältigung, die Akzeptanz für den Rest meines Lebens Alkoholkrank zu sein etc...seit über einem Jahr bin ich unfallfrei abstinent,die Arbeit an mir ist aber noch lange nicht zu Ende. Alleine hätte ich es nie bis hierhin geschafft, Alkoholismus ist einfach eine sehr komplexe Krankheit, es wäre für mich zu gross gewesen. Bei allen die ich kenne und die heute glücklich abstinent leben ist es auch so. Versuche Hilfe anzunehmen, auch wenn es am Anfang Überwindung kostet.

    Super dass du schon so weit bist und dich mit der Thematik auseinandersetzen willst! Es kommt immer nur besser wenn man aufhört Drogen zu konsumieren...wenn man nicht aufhört wird’s immer nur schlimmer, auch das ist bekannt.

    Viel Kraft für die ersten Schritte!!

    Rina

  • Guten Morgen Bernd,

    ich will Dir nun auch mal meine Sicht der Dinge erzählen.

    Ich war auch Anfang 40, als ich mir überlegt habe, dass es so nicht weiter gehen kann und soll. Entweder ich saufe mich zu Tode oder ich reisse das Ruder noch mal um. Jetzt bin ich 60, trinke schon seit damals nichts mehr und sehe naturgemäss vieles anders als zu den Zeiten, als Trinken für mich Normalität war.

    Meine Probleme haben sich nicht alle in Luft aufgelöst, und für die, die ich gelöst habe, kamen einige neue. Jünger werde ich auch nicht. Allerdings käme ich schon sehr lange nicht mehr auf die Idee, dass trinken daran irgendetwas verbessern würde. Ganz im Gegenteil würde ich es heute so empfinden, dass ich mich durchs Trinken bei einer Problemlösung oder auch bei ganz normalen körperlichen Leiden eher selbst behindern würde und ein durchaus vorhandenes, reales Problem durch Trinken sogar noch vergrößern würde.

    Bei mir ist das aber schon lange so Normalität, das ich ehrlich gesagt nicht mal drüber nachdenke. Mir fällt das nur auf, wenn ich es bei Leuten, die sich das gerade überlegen, so wie Du, lese. Hier bei mir im stillen Kämmerlein ist das so selbstverständlich, wie ich damals was zum trinken geholt habe. Auch Nüchternbleiben wird zu Gewohnheit. Gottseidank würde ich mal sagen, denn ich persönlich würde vermutlich nicht die Disziplin dazu aufbringen, wenn das ein ewiger Kampf wäre. Es muss schon auch ein bisschen Leichtigkeit sein.

    Du schreibst, bei Dir hat sich das über 20 Jahre so entwickelt. Ja, das ist ein Lebensstil. Und den zu ändern erfordert eine gewisse Ausdauer.
    Und die Zeit, die diese Änderung insgesamt erfordert, orientiert sich in etwa an der Zeit, in der man diesen Stil entwickelt hat.
    Wege entstehen aber beim Gehen, Schrittchen für Schrittchen, und man kann den 10ten Schritt nicht vor dem fünften machen.

    Was ich sehr oft zu beobachten glaube und was ich Dir nahe legen möchte ist folgendes:

    Man denkt über seinen Alkoholkonsum nach und es fällt einem sehr deutlich auf, wie viele Baustellen im Leben man hat, die alle mit dem Alkoholkonsum irgendwie zusammenhängen und die man nun am liebsten alle auf einmal lösen möchte. Ein großer Wurf und das Leben wird völlig anders.
    Ich persönlich glaube, dass genau daran sehr viele scheitern. Man tauscht sich ein bisschen aus, sieht, was man alles tun müsste und tun möchte, und kommt dann zu dem Schluss, das die eigene Trinkerei dann vielleicht doch noch die einfachere Lösung ist. Bei dem, was man alles tun müsste, um da raus zu komnen, ist es vielleicht doch noch nicht so schlimm.

    Man überfordert sich mit dem, was man alles auf einmal will, und schafft dann genau das nicht. Und man unterschätzt die Zeit, die das dauert, und zwar ganz gewaltig.

    Und so Leute wie ich, die das ja alles schon hinter sich haben, tragen möglicherweise sogar dazu bei, den Berg sehr groß erscheinen zu lassen. Aber auch der wird Schritt für Schritt und mit den nötigen Pausen erstiegen, und Du musst sowieso nicht da hin, wo ich bin, sondern läufst dann da hin wo es Dir gefällt.

    Schliesslich bist Du ohne Abhängigkeit ja auch ein gutes Stück unabhängiger und freier, aber dazu musst Du aus der Abhängigkeit erst mal raus.
    So, wie ich Dich verstanden habe, stehst Du ja erst mal vor einem Entzug. Und auch wenn Du den schon hinter Dir haben solltest (war für mich nicht ganz eindeutig), ist es Deine erste und momentan einzige Aufgabe, erst mal nüchtern zu bleiben. Da es dabei, salopp gesagt, um die zweite Hälfte Deines Lebens geht, darf Dir dafür auch so ziemlich jedes Mittel recht sein. Das ist nämlich eine echte Weichenstellung, ob Du jetzt weiter trinkst oder ob Du aufhörst.
    Und Alkoholismus ist eine genau so tödliche Erkrankung wie Krebs, also den Stellenwert darfst Du schon hoch hängen. Krebs würdest Du vielleicht auch nicht im Alleingang behandeln wollen.
    Ich sagts mal so, bei einer Perspektive von 40 Jahren, Pi mal Daumen, die Du noch vor Dir haben dürftest, wäre nicht mal ein Viertel Jahr Langzeittherapie besonders viel, oder sogar 5 Jahre, die Du anderweitig kämpfst (so war meine Denke). Dafür kann man schon mal was aushalten.

    Was Du nicht unterschätzen solltest, ist die Wirkung des Alkohols nicht nur auf den Körper, sondern vor allem auch auf Dein Denken und auf Deine psychische Verfassung. Schon von daher ist es wichtig, das mal konsequent durchzuziehen und Dir überhaupt mal die Gelegenheit zu geben, ein neues Gleichgewicht zu finden.
    Ein Jahr, mit allen Ereignissen, die da so anstehen, Geburtstage, Sylvester, Urlaub, Fasching, Biergarten, Treffen mit Freunden und so weiter, damit Du das alles mal gesehen hast, weisst wie sich das für Dich nüchtern anfühlt, nötigenfalls mit zusammengebissen Zähnen einfach mal aushalten. Und Dich damit aktiv auseinandersetzen, was das mit Dir "macht". Wenns Dir nüchtern gar keinen Spass macht, kannst Du nach einem oder fünf Jahren immer noch wieder mit dem Saufen anfangen, läuft ja nicht weg, aber die Chance solltest Du dir wenigstens geben.
    Undf zielführender wäre es natürlich, aus dem, was Dir dabei auffällt, zu schliessen, was Du dann noch anders machen willst, damit es Dir auch nüchtern Spass macht. Langfristig gesehen sicher besser als dann deswegen wieder mit dem Trinken anzufangen.

    Ich finde es auch wichtig, den Fokus richtig zu setzen. Jammern, wie schwierig das ist, hilft wenig. Also schon wahrnehmen, wo es schwer fällt, aber die Aufmerksamkeit auf mögliche Lösungen richten. Was könnte man anders machen als bisher, aber erst mal auch nur auf die konkrete Situation bezogen, nicht immer gleich auf das ganze Leben. Ich habe mir z.B überlegt, dass ich nüchtern schliesslich auch noch was vom Leben haben will, nicht nur Verzicht, aber mir ist erst im Laufe der Zeit aufgegangen, dass es mir ja sogar viel besser geht. Das ist aber eher ein Gefühl als eine Kopfsache. Und bei mir ging das auch nicht ohne Schwierigkeiten, ich hatte auch gewisse Angewohnheiten, mit denen ich mich auch nüchtern in Schwierigkeiten gebracht habe, aber entweder ich will eben was dran ändern oder in der Scheixxe sitzen bleiben. Ich hab einiges gemacht, was ich saufend nicht mal mit dem Hintern angeguckt hätte, dafür gehs mir heute aber auch um Längen besser.

    Das ganze Leben ergibt sich dann irgendwann von selbst. Wenn Du trocken bleibst, wirst Du einfach anders leben als wie wenn Du weitertrinken würdest. Und vieles von dem, was Dir nüchtern wichtig sein wird oder Dich interssieren wird, wirst Du dann erst merken, wenn Du schon länger trocken bist, und nüchtern kannst Du immer auch noch was ändern, also das muss Dich jetzt nicht gar nicht so sehr beschäftigen.

    Nimm Dir jetzt nicht zu viel auf einmal vor, es ist beispielsweise jetzt überhaupt nicht wichtig, ob Du zum Sportler wirst. Mach was, womit Du Dich wohl fühlst. Sport kannst Du immer noch anfangen, wenn Du in fünf Jahren immer noch der Meinung bist, dass Du das möchtest. Wenn Du nüchtern bleibst, kannst Du das auch dann noch machen.

    Wie gesagt, jetzt besteht Deine Aufgabe erst mal nur da drin, nüchtern zu werden und das auch zu bleiben. Wenn es nicht anders geht, mit jeder Hilfe, die zu genau dem Zweck zur Verfügung gestellt und Dir sogar von den Sozialversicherungen bezahlt wird. Steh Dir dabei nicht selbst im Weg rum. Und das ist machbar.

    Gruß Susanne

  • Hallo Bernd,

    gerne doch... Und mit den sportlichen Aktivitäten wollte ich Dich jetzt nicht in Richtung Sportskanone schuppsen! ;D ;)

    Es hilft schon, wenn man den Hintern bewegt. Denn Zeit wirst Du ohne Alkohol ohnehin mehr haben!
    Ein Spaziergang an der frischen Luft, eine Radtour ganz gemütlich durch die Natur (evtl. mit E-Bike),
    das allein tut schon dem Körper und der Seele gut.

    Allen Carr habe ich damals auch gelesen, und ich habe einige Bücher durchgelesen zu diesem Thema,
    aber dieses Buch hat mir sehr geholfen! Vielleicht solltest Du es mal wieder hervor holen?!

    Und wie Susanne schon schreibt, eins nach dem anderen. Nach einiger Zeit, sagen wir mal Abstinenz,
    wirst Du merken, dass es Dir viel besser geht.

    Der Alkohol schädigt nämlich nicht nur dem Körper, sondern auch dem gesunden Menschenverstand.
    Ausserdem schlägt es stark auf die Stimmung. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sehr verzweifelt
    ich früher war. Natürlich gibt es jetzt auch mal miese Tage, aber nicht mehr so wie früher.

    Hast Du nun einen Termin bei der Hausärztin bekommen oder gar schon wahrgenommen? Wie
    sind Deine Pläne?

    LG Elly

    Das Leben ist nicht immer einfach, aber eindeutig einfacher ohne Alkohol zu bewältigen!

  • Hallo und auch von mir ein HERZLICHES WILLKOMMEN hier bei uns im Forum!

    Ich kann mich Susanne nur anschließen und betonen: Einen Schritt nach dem anderen! Nicht alles auf einmal wollen und auch in Angriff nehmen.
    Und Du wirst Dich"wundern", wieviele Probleme sich schon alleine damit "von selbst" lösen, wenn man die Sucht, den Alkohol in den Griff bekommt.

    Auch ich empfehle Dir dringend, eine Entgiftung unter ärztlicher Aufsicht durchzuführen ("kalter Entzug" kann tödlich verlaufen). Und ein Besuch bei einer Suchtberatung schadet natürlich auch nicht, denn dort können sie Dir alle Möglichkeiten/Hilfen aufzeigen, die zur Verfügung stehen: Therapie-Angebote, Selbsthilfegruppen etc.

    Schau doch auch Mal in die Rubrik "Selbsthilfe/Therapie" - dort findest Du auch unsere Linksammlung und unsere Literatur-Ecke.
    Da ich zur Zeit im Urlaub bin und auf dem Tablet schreibe, kann ich es nicht verlinken.

    Also dann: Viel Erfolg und einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Vielen Dank euch allen für die hilfreichen und teils sehr umfangreichen Antworten. Ich bin echt beeindruckt, welche Mühe ihr euch gegeben habt, mir eure Erfahrungen mitzuteilen. Vielen, vielen Dank dafür.

    Mein erster Schritt wird kommenden Montag stattfinden. Ich habe einen Termin bei meiner Hausärztin vereinbart und werde mein Problem mit ihr besprechen.

    Viele Grüße euch allen und schon mal ein schönes Wochenende!
    Bernd

  • Hallo Bernd,

    Wie war der Termin mit deiner Hausärztin? Magst du schreiben wie es dir geht in dieser ersten Zeit?

    Einen schönen Tag wünscht dir

    Rina

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