Ich würde gerne von mir erzählen

  • Ich finde es auch sehr gut, dass Du es - trotz der Angebote und der scheinbar fehlenden Empathie Deiner Mutter - geschafft hast, die Angebote "dankend" abzulehnen 44.

    MEINE Strategie war und ist seit dem Beginn meiner Trockenheit eine ziemlich offensive: Wenn mir Alkohol angeboten wird, dann komme ich meist ziemlich schnell zum Punkt, indem ich sage "Nein, danke - ich bin trockener Alkoholiker!" Das bringt die Leute erstmal zum Stutzen - aber in den 12 Jahren meiner Trockenheit hat mir bisher noch NIEMAND ein zweites Mal Alkohol angeboten. Allerdings gab es des Öfteren anschließend das eine oder andere Gespräch ...

    Okay, diese Strategie ist bestimmt nicht jedermans Sache. Aber ich wollte Rumgeeiere und immer wieder neue Ausreden vermeiden - also dachte ich mir "Angriff ist die beste Verteidigung!" Und da ich es in meinem Job gewohnt bin, Klartext zu reden ...
    Außerdem brauche ich mir so auch nicht immer wieder neue Ausreden oder Strategien einfallen lassen, wie ich Trink-Angebote am Besten ablehnen kann. Und mein Spruch funktioniert auch auf Feiern (die ich mitlerweile auch wieder problemlos besuchen kann), wenn ich von "gut angegangenen" Leuten einen Drink angeboten bekomme. Der dringt dann sogar bis ins benebelte Gehirn der Leute ;)

    Aber das ist MEINE Strategie - das ist nicht jedermans/-fraus Sache ...

    Was ist eigentlich aus der SHG geworden? Hast Du schon eine gefunden? Bzw. überhaupt schon mal Dich nach einer umgeschaut?

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Ich finde es auch gut, dass Du es durchgehalten hast.


    Und vielleicht tatsächlich mal ein Jahr. Für immer nichts mehr zu trinken macht mir immer noch etwas Angst. Ganz ist das Gefühl etwas zu verlieren noch nicht verschwunden.

    Ich bin mir dessen bewusst, dass ich nicht hellsehen kann. Über das, was in 20 Jahren ist, habe ich mir am Anfang relativ wenige Gedanken gemacht. Der Gedanke "nie wieder" hat mich gar nicht so sehr beschäftigt. Das ergab sich dann eher von selbst.

    Am Anfang hatte ich mir mal ein Jahr vorgenommen, ich wusste ein Jahr kann ich auf jeden Fall aushalten, egal was kommt. Nach einem Jahr bin ich auch mit den ganzen Feiern und Biergärten und Sommerfesten und Weihnachten und Fasching etc. einmal rum, und dann kann ich ja in mich gehen. Wenn ich dann wirklich zu dem Schluss komme, dass es mir besser gefallen hat, als ich noch getrunken habe, dann kann ich ja auch wieder damit anfangen.

    Und obwohl mein Leben nicht nur ein Zuckerschlecken war (mir geht es nicht wrklich schlecht, aber ich habe auch einige Baustellen), war mir dann ziemlich schnell und absolut gründlich klar, dass Trinken an meinem Leben nichts verbessert. Es macht das Schöne nicht schöner, und es löst auch keine Probleme, sondern ist höchstens ein zusätzliches Problem, mit dem ich dann fertig werden müsste. Ich kann mir heute einfach keine Situation mehr vorstellen, in der Trinken für mich etwas verbessern würde.

    Es geht da um die Frage, was hat das Trinken da eigentlich für eine Funktion, wenn man vor einem Leben ohne Alkohol Angst hat?


    Und manchmal kommen auch die Stimmen die mir sagen, wenn ich es doch jetzt schon so viele Tage geschafft habe, kann ich ja gar kein Alkoholiker sein.

    Ich weiss bis heute nach manchen Kritereien nicht hundertprozentig, ob ich Alkoholiker bin, denn ein Alkoholiker kann ja nach landläufiger Meinung nicht aufhören. Ich konnte aber aufhören, als ich wirklich nicht mehr wollte...diese Haarspalterei bringt mich persönlich nicht weiter. Tatsache ist, dass ich so viel getrunken habe, dass es nicht mehr schön war und das ich es sehr wahrscheinlich nicht überlebt hätte. Man kann sich nämlich auch tot saufen , wenn man kein Alkoholiker ist, dafür reichts wenn man regelmässig eine Alkoholvergiftung hat. Irgendwann ist es halt einer zu viel.

    Und mein Verhalten war selbstschädigend und krank genug, das macht niemand so, der alle Tassen im Schrank hat, und war auf jeden Fall Grund genug, etwas daran zu ändern. Wie sich das Kind nun nennt, ist mir verhältnismäßig egal, aber ich habe sogar einen Alkoholikertypus gefunden, der dazu passt, Gamma-Alkoholiker. Das ist nach der Klassifikation nach Jellinek, zwar teilweise heute überholt, passt aber stellenweise immer noch.

    Gamma-Alkoholier sind Rauschtrinker, die aber jederzeit längere Pausen einlegen können.

    Zitat

    Gamma-Trinker, auch Rauschtrinker genannt, haben ihren Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle und werden daher als suchtkrank eingestuft. Haben Gamma-Trinker einmal angefangen zu trinken, können sie nicht mehr aufhören – selbst wenn sie das Gefühl haben, genug getrunken zu haben. Da Gamma-Trinker oftmals über einen längeren Zeitraum abstinent bleiben können, reden sich viele Betroffene ein, nicht süchtig nach Alkohol zu sein.

    Da bist Du jedenfalls schon gut dabei, denke ich. Ich war es jedenfalls.

    Und man kann immer Gründe finden, warum man nicht aufhören muss oder anders gesagt, weitertrinken darf. Spielt aber eigentlich keine Rolle, denn es kann einem sowieso niemand verbieten, höchstens man hat schon sehr viel Scheiss gebaut und kriegt gerichtliche Auflagen. Du musst halt irgendwann eine Entscheidung fällen, was Du willst, und auch diese Entscheidung könntest Du ja irgendwann wieder über den Haufen werfen, wenn es Dir nüchtern gar nicht gefällt.
    Und keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung, viele eiern jahrelang rum, mal wollen sie aufhören, dann wieder trinken, aber das ist eigentlich ein ziemliches Elend, nach meinem Empfinden.

    An sich kann ich Dir nur empfehlen, Dir die positiven Seiten der Nüchternheit genau zu betrachten, so wie du es machst, auch wahrzunehmen, was sich alles verbessert. Und da gegenzurechnen, was Alkohol alles für Schäden anrichtet, auch wenn Du weitertrinken würdest, das würde ja nicht besser. Letztlich kann Dir die Entscheidung natürlich niemand abnehmen.

    Ach, und wenn mich wirklich mal jemand fragt, "warum", mache ich das entweder so wie Greenfox, oder ich sage nur "Nein danke" , ich muss mich ja schliesslich nicht vor Andernen dafür rechtfertigen was ich trinke, ich bin lange genug volljährig um das selbst zu entscheiden. An sich ist da ja eine Unverschämtheit, das jemandem aufzudrängen, und geht gar niemanden etwas an, warum ich mich für dieses oder jenes entscheide...
    Und wenn mich jemand ärgert, ärgere ich ihn auch, frage ich ihn warum er eigentlich unbedingt saufen muss und nicht O-Saft trinken kann wie ich, ob er Alkoholiker ist oder es braucht..dann ist gleich Ruhe.
    Und meistens sage ich inzwischen, dass ich in der ersten Lebenshälfte mehr getrunken habe, als mein Gegenüber in 5 Leben schafft, das führt meistens zu Gelächter und wird aber überall akzeptiert.

    Gruß Susanne

  • Hallo!

    Die Frage, wen man alles einweiht, wird sehr unterschiedlich gehandhabt.

    Es gibt Zeitgenossen, die binden fast jedem die Krankheit auf die Nase, andere gehen dezenter und diplomatischer mit ihr um, was wiederum die erste Fraktion gerne als "Rumeiern" bezeichnet.

    Bei dieser Frage muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ich habe den Kreis der Eingeweihten in Abstimmung mit meinen Therapeuten sehr eng gewählt und fahre mit diesem Kurs sehr gut, was die Herrschaften des total offenen Umgangs ebenfalls für sich reklamieren.

    Die eigene Mutter sollte man schon einbeziehen und der werten Dame klar machen, dass sie dir nicht fortlaufend Alk anbietet, wenn Du sie triffst.

    Geburtstagsfeier: Im engen Kreis, ohne Alkohol anzubieten, da sehe ich kein Problem.

    Gemeinsames Essen mit der Freundin:

    Trinkt sie Alkohol? Regelmäßig? Wie viel? Neigt sie dazu, beim Essen 'ne Pulle Wein in die Birne zu kippen? Ggf. noch 'nen Aperitif vorab und einen Absacker hinterher?

    Solche Treffen können insbesondere in der Anfangszeit enorm triggern und das Suchtgedächtnis Kapriolen schlagen lassen.

    Gruß
    Rekonvaleszent


  • Die eigene Mutter sollte man schon einbeziehen und der werten Dame klar machen, dass sie dir nicht fortlaufend Alk anbietet, wenn Du sie triffst.

    wenn sie es dann versteht. Meine Mutter hat mich dann noch ca. 6 Jahre lang gefragt, ob ich denn wirklich nichts will, und beim Griechen möchte sie nach wie vor, dass ich den Ouzo nicht ablehne, denn den kriegt ja dann sie. Mich juckt es zum Glück nicht, wenn der Alkohol vor mir steht.
    Bei meinem Vater war da eh nichts zu machen, der war ja bis zu seinem Ende stolz drauf, dass es bei ihm zu Hause nichts alkoholfreies gab, das musste ich mir schon selbst mitbringen.

    Also zu dem Thema, da kann man sich eventuell nicht davon abhängig achen, ob das Andere verstehen (wollen oder überhaupt können)

  • Hallo liebe Sonnenkäfer,

    weißt du eigentlich, dass du eine sehr starke Frau bist?
    Ich habe dich vor 3 Wochen hier völlig verkehrt eingeschätzt.
    Ich finde, du machst bis jetzt alles richtig 44.
    Bleib dabei, bleib bei DIR, es lohnt sich!

    Lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Guten Morgen Sonnenkäfer,

    schön das Du mal wieder von Dir berichtet hast. Und ganz toll, dass Du nun schon über 3 Wochen ohne Alkohol lebst.

    Ich möchte Dir einfach ein paar Gedanken zu unterschiedlichen Themen von Dir da lassen:

    Zitat

    In emotionalen, problematischen Belangen ist meine Mutter kein sehr empathischer Gesprächspartner.


    Das kenne ich von meinen Eltern auch. Besonders von meinem Vater. Außer meinem Outing ganz am Anfang, wo ich ihnen sozusagen gar keine Chance ließ und ihnen einfach eröffnete was bei mir Sache war, konnte ich kein ernsthaftes Gespräch mehr über dieses Thema mit ihnen führen. Und selbst diese erste und im Grunde einzige Gespräch war eher ein Monolog meinerseits. Wobei ich fairerweise dazu sagen muss, dass mir das damals gar nicht so unrecht war, denn es war einfach eine Wahnsinnsherausforderung für mich gewesen mich ihnen gegenüber zu öffnen. Auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise darüber nachdacht hatte es nicht zu tun war ich doch froh, als es raus war und auch als es vorbei war.

    Später jedoch hätte ich mir schon häufiger mal gewünscht, dass ich mit ihnen über meine Sucht und mein neues Leben sprechen könnte. Aber alle Versuche meinerseits scheiterten. Es lag m. E. nicht an fehlender Empathie, nein ich denke sogar, dass sie sich Wahnsinnssorgen und Gedanken um mich gemacht haben. Und ob ich das schaffen werde und was meine Trennung jetzt für mich und meine Kinder bedeuten würde usw. Ich denke sie haben sich sehr viele Gedanken gemacht. Nur sprechen konnten sie darüber nicht, schon gar nicht mit mir... Tja, und genau das war es auch, was ich selbst als "Bündel" durch meine Kindheit, meine Erziehung mitbekommen hatte.

    Und im Grunde habe ich in meiner Beziehung genauso gelebt. Habe auch immer so getan, als ob alles prima wäre, wollte Probleme nicht sehen, etc. Und hab am Ende dann auch den Alkohol dazu hergenommen die auch dadruch entstehenden Belastungen zu kompensieren.

    Selbst heute, wo ich viele Jahre ohne Alkohol lebe und mein Leben schon lange wieder in "geordneten" Bahnen verläuft, wo alle Beteiligten im Grunde so gut es irgend möglich war aus dieser schlimmen Zeit heraus gegangen sind und ich sogar zu meiner ersten Frau wieder ein gutes Verhältnis habe, sie nach wie vor auch Teil unserer Familie ist, können meine Eltern mit mir nicht reden. Nicht darüber.

    Das hat mich lange beschäftigt. Mittlerweile habe ich aber meinen Frieden schließen können. Ich kann es akzeptieren und ich kann es, wenn ich mir die Geschichte meiner Eltern ansehe, sogar verstehen. Und ich erkennte heute kleine Gesten die mir zeigen wie sie wirklich fühlen. Wie sie auch mir gegenüber fühlen. Es ist alles gut.

    Ich weiß nicht wie es bei Deiner Mutter ist. Vielleicht hat sie auch einfach nur Angst, vielleicht bezieht sie Deine Probleme auf sich, auf ihre Erziehung. Vielleicht gibt sie sich die Schuld dafür und will deshalb erst gar nicht darüber reden, es nicht wahr haben. Lass es bei ihr und kümmere Dich erst mal um Dich und Deine Abstinenz. Später, wenn Du mal gefestigt ohne Alkohol lebst, wirst Du die Kraft haben auch diese "Baustelle" für Dich abzuschließen.

    Zitat

    Mich mit Freunden abends zu treffen, ob außer Haus oder bei uns traue ich mir noch gar nicht zu.


    Ich finde das absolut nicht schlimm. Ich meine, wir reden jetzt gerade von 3 Wochen ohne Alkohol. Das ist einerseits eine sehr lange Zeit auf die Du stolz sein kannst, die Du Dir erarbeitet hast, andererseits sind es aber auch einfach nur 3 Wochen, also eine Zeitspanne die so kurz ist, dass man (Du) nicht erwarten kann bereits gefestigt im neuen Leben steht.

    Ich habe es ja schon oft geschrieben, bei mir dauerte es etwa ein Jahr bis ich mit dem Gröbsten durch war, bis ich das Gefühl bekam, da ist jetzt was ganz großen in meinem Leben passiert, da hat sich jetzt etwas richtig und dauerhaft verändert. In dieser Anfangszeit habe ich auch alles gemieden was mir gefährlich hätte werden können. Und ehrlich gesagt hatte ich auch gar kein Bedürfnis mich in Gefahr zu begeben. Ich hatte gar keine Lust auf Feiern und die wenigen "offiziellen" Anlässe habe ich mit einem sehr gut vorbereiteten Notfallplan überstanden. D. h. ich hatte mich immer aktiv auf mögliche Situationen, Gefahren vorbereitet und war immer bereit (sozusagen bewusst ins Gehirn gemeiselt), notfalls die Veranstaltung sofort zu verlassen. Meine Abstinenz war mir heilig, ging über jede Freundschaft, über jedes Pflichtgefühl, etc. und das ist auch heute noch so. ABER: ich will auch sagen, dass ich nie in die Situation kam einen dieser Pläne so richtig anwenden zu müssen. Meist war es so, dass all die Ängste und die Gedanken darüber, was da jetzt alles passieren könnte nicht eintrafen.

    Ich glaube da hat mir eine klare Kommunikation sehr geholfen. "Ich trinke keinen Alkohol" - einer meiner Standardsätze, anfangs auch "keinen Alkohol mehr". Kaum einer fragte mich nach dem Warum. Und wenn, dann bekam er eine Erklärung. Mir nahestehenden Menschen hatte ich ohnehin die absolute Wahrheit erzählt, entfernteren Freunden oder Bekannten sagte ich meist (sinngemäß): "Ich habe in der Vergangenheit sehr viel Alkohol getrunken. Und stand einfach vor der Entscheidung entweder so weiter zu machen oder etwas zu verändern in meinem Leben. Und ich habe mich dazu entschieden mein Leben künftig ohne Alkohol zu leben".

    Ich kann mich nicht erinnern, dass mich daraufhin irgendjemand mal gefragt hätte, ob das bedeutet das ich Alkoholiker bin. Tja, es ist eben ein sehr heikles Thema und viele Menschen wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen.

    Zitat

    Ich habe jetzt schon den meisten gesagt, das ich eine Trinkpause mache (und damit viele belustigt glaube ich) aber nicht gesagt wie lange diese dauern soll, geschweige denn das es eigentlich für immer sein soll.


    Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass das ein Fehler ist, was Du da machst. Ich möchte Dir aber sagen, dass ich offensiv damit umgegangen bin. Nach 3 Wochen wussten es bei mir auch nicht nicht alle relevanten Personen. Da wusste es "nur" mein engerer Familienkreis. Aber nach und nach sprach ich dann auch mit allen anderen wichtigen Menschen. Also Freunde z. B. - ich wollte mir von Angang an hier kein Hintertürchen offen lassen. Und ich bin heute sehr froh, dass ich es geschlossen habe. Das hat mir in der Folgezeit auch viel an Gedanken (wie Du sie Dir jetzt z.B. machst) und Erklärungen erspart. Und meine guten Freunde blieben mir, die meisten brachen weg, jedoch hauptsächlich bedingt durch die Trennung von meiner Frau. Deren "beigebrachter" Freundeskreis ging mir sozusagen komplett verloren, sie "hielten" sozusagen zu meiner Frau. Was ich auch verstehen kann.

    Im Laufe der Zeit kamen auch neue Freundschaften oder einfach auch gute Bekanntschaften hinzu. Und bei diesen neuen war dieses ganze Thema Alkohol überhaupt nie ein Thema. Sie kannten mich ja nur so wie ich jetzt war. Der Typ der keinen Alkohol trinkt, warum auch immer. Hier wiederum wissen diejenigen mit denen ich mittlerweile enger befreundet bin Bescheid, andere nicht. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für andere i. d. R. nicht wichtig oder interessant ist, warum man selbst jetzt keinen Alkohol trinkt. Es ist einfach so wie es ist und gut.

    Zitat

    In zwei Wochen habe ich mit einer Freundin abends zum Essen verabredet, das wird dann meine erste Feuertaufe.


    Da möchte ich Dir ein Stück aus meinem Leben erzählen. Und zwar wie das Outing gegenüber meinem besten Freund verlief, der mir später dann durch viele Gespräche sehr geholfen hat.

    Wir hatten uns Monate nicht gesehen (logisch, ich hatte ja alles vernachlässigt). Ich rief ihn an und wir vereinbarten ein Treffen in dem Ort in dem wir beide arbeiteten in einem Cafe. Ich sagte nur, ich müsste mal mit ihm reden. Er freute sich mich endlich mal wieder zu treffen.

    Ich kam ein paar Minuten zu spät, er war schon da. Er hatte bereits für sich bestellt und vor ihm stand ein Glas Bier. Ganz normal, wie das eben war wenn wir uns irgendwo getroffen haben. Ich kam dazu und bestellte, ich weiß es noch, eine Apfelschorle. Er machte keine Sprüche oder so, denn er selbst hatte kein Alkoholproblem und somit auch keinen Grund einen blöden Spruch zu machen. Ich sagte zu ihm: "Zuallererst muss ich Dir was sagen, ich bin Alkoholiker" - Bäääähm. Das hatte gesessen. Danach kam "und ich habe mich von meiner Frau getrennt" - Bäääähm, das hatte wieder gesessen. Ich erinnere mich noch, dass er mir richtig leid getan hat, weil das erste was er verlegen zu mir sagte war "wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich mir kein Bier bestellt". Ich antwortete: "trink Dein Bier, ich habe ein Problem, nicht Du".

    Wir haben dann lange geredet und er hat sich als nächstes natürlich kein Bier mehr bestellt. Hätte er ohnehin nicht aber vielleicht hätte er sich ein alkohlfreies gegönnt. Aber auch das ließ er bleiben. Wir redeten und er ging nachdenklich nach Hause als ich (kann ich so sagen, weil wir später viel über diese Situation gesprochen haben). Seither hat er in meiner Gegenwart nie mehr einen Tropfen Alkohol getrunken. Obwohl ich ihm ausdrücklich gesagt habe, mehrmals, dass das längst kein Problem mehr für mich ist. Nein, er selbst hat sogar aufgrund meiner Geschichte angefangen sich selbst zu hinterfragen. Und seine gelegentlichen Feierabendbierchen komplett eingestellt. Wobei er aus meiner Sicht wirklich keinerlei Suchtpotenzial gehabt hat.

    Naja und heute ist er ein sehr guter Ausdauersportler, was auch aus dieser Veränderung heraus resultierte, wie er mir selbst sagte: "Deine Geschichte hat mein Leben verändert".

    Also, liebe Sonnenkäfer, wenn Du Dich wirklich mit einer echten Freundin triffst, dann sei offen und ehrlich. Alles andere bedeutet nur Stress und Stress ist das, was Du am wenigsten brauchen kannst.

    Zitat

    Und vielleicht tatsächlich mal ein Jahr. Für immer nichts mehr zu trinken macht mir immer noch etwas Angst.


    Ich lebe mittlerweile aus Überzeugung ohne Alkohol. Es ist mir eine Art Lebensphilosophie geworden, wie bei anderen, die z. B. vegetarisch oder vegan leben, oder zuckerfrei oder was auch immer.
    Die Frage, ob ich in 10 oder 20 Jahren immernoch ohne Alkohol leben werde, die stellt sich mir gar nicht. Denn die Antwort wäre einfach nur: keine Ahnung. Ich weiß es nicht und es ist auch nicht wichtig. Ich lebe jetzt und nicht in 20 Jahren. Ich lebe auch nicht in einem oder in zwei Jahren, oder in fünf. Nein, ich lebe jetzt. Und da lebe ich ohne Alkohol weil es mir so gut damit geht und ich keinen Sinn mehr in Alkohlohl finden kann.

    Es wird Dir oder mir auch niemand sagen können, ob jemand der bis heute kein Alkoholproblem hat in 20 Jahren auch keines haben wird. Das ist jetzt auch nicht wichtig. Wichtig ist immer der Augenblick, das Jetzt. Was jetzt nicht heißt, das ich mir keine Gedanken über meine Zukunft mache oder mich nicht absichere etc. Aber ich lebe nicht so, dass ich jetzt nur noch an meine (mögliche) Zukunft denke. Es gibt so viele Beispiele von Menschen, die nur auf z. B. die Rente hin leben und arbeiten. Und diese dann gar nicht erreichen, oder aber krank werden oder aber kurz nach erreichen versterben. Und ja, es gibt auch die, die es dann krachen lassen, die sich die geplanten Träume noch verwirklichen. Aber von denen die ich kenne sind das alles Menschen, die immer im Jetzt gelebt haben, sozusagen bis zum Ende.

    Zitat

    Und manchmal kommen auch die Stimmen die mir sagen, wenn ich es doch jetzt schon so viele Tage geschafft habe, kann ich ja gar kein Alkoholiker sein.


    Ja, diese Stimme war bei mir der Grund, weshalb ich einige Trinkpausen beendet habe. Meist so nach 2 - 3 Wochen. Wenn Du diese Phase überwunden hast, wenn Du merkst, dass Du die Wirkung des Alkohols (und nur darum geht es ja im Grunde) nicht mehr brauchst, sie dann auch nicht mehr suchst, dann wird das besser werden. Aber das kann schon einen Moment dauern, sei nicht ungedultig. Bleib konsequent, lass Dich von dieser Stimme nicht täuschen. Sie lügt. Wenn Du wieder anfängst, dann geht alles wieder von vorne los. So ist das einfach.

    Stell Dir auch einfach immer wieder die Frage, was Du jetzt davon hättest, wenn Du "ein Glas" trinken würdest. Was wäre dann besser als es jetzt ist? Und wenn Du nicht bei diesem einen Glas bleiben kannst, wovon Du ausgehen musst, was wird dann wohl passieren? Genau, innerhalb kürzester Zeit bist Du wieder dabei. Du gibst Deine Freiheit, die Du gerade am zurückgewinnen bist wieder auf und lässt den Alkohol wieder den Takt vorgeben. Schön benebelt, schön betäubt, jedoch einfach nicht echt und auf die länge gesehen vernichtend und fatal. Die Quittung bekommst Du am Schluss.

    Es gibt da ja einen recht bekannten Spruch oder eine recht bekannte Weisheit, die man mir damals auch gleich bei den AA erzählt hat. Ungefähr so: "Nimm Dir jeden Tag vor immer das erste Glas stehen zu lassen. Immer nur heute! Immer nur heute lässt Du das erste Glas stehen. Was morgen ist, ist uninteressat. Du lässt immer nur heute das erste Glas stehen" - Wenn man so denkt oder denken kann, dann hilft das enorm diese Angst vor dem "nie mehr Alkohol trinken dürfen" zu überwinden.

    So, jetzt war's doch wieder viel von mir. Auch wenn ich ab und an etwas vom Thema abgekommen bin hoffe ich einfach, dass Du was für Dich mitnehmen kannst, das Dir hilft Deinen Weg weiter zu gehen.

    LG
    gerchla

  • Hallo Sonnenkäfer,

    Wie geht es bei dir voran ? Ich hoffe du bleibst positif und bist noch immer dabei dir einen Weg aus der Sucht zu bahnen...vielleicht magst du ja mal berichten wie es dir inzwischen geht ?

    Liebe Grüße

    Rina

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