Hallo zusammen,
ich bin Martin, 48 und habe Anfang des Jahres das Trinken (und Rauchen) eingestellt, also seit 3 1/2 Monaten jetzt. Kurz zu mir: Viele Jahre habe ich mir keine großen Gedanken über meinen täglichen Alkoholkonsum gemacht. Vor sechs Jahren fragte dann ein Freund, der jedes Jahr zur Fastenzeit 40 Tage auf Alkohol verzichtet, ob ich dieses Jahr nicht mitmachen möchte. Und ich sprach: "Sag mal, bist Du des Wahnsinns?", denn 40 Tage ohne Alkohol - das geht ja überhaupt nicht. Nun, es ging. Ich habe einfach angefangen mitzumachen, ohne mir die ganzen 40 Tage vorzunehmen. Ein Tag nach dem anderen. Und es ging mir gut damit: nach ein paar Wochen verschwanden Angstzustände und Depressionen, ich nahm ab und hatte mehr Energie und auch Lust, Sport zu machen.
Aber ganz aufzuhören war nie der Plan, also fing ich nach den 40 Tagen wieder an zu trinken. Allerdings mit Respekt, ich hatte auch geradezu Angst davor, denn die positiven Veränderungen wollte ich auch nicht mehr missen. Ein Jahr lang ging das ziemlich gut. Ich trank an maximal 3 Abenden der Woche, trieb viel Sport und achtete auf die Ernährung. Nach einem Jahr hatte ich mein Idealgewicht erreicht, die Problemchen der Vergangenheit waren schon fast vergessen und wahrscheinlich fühlte ich mich unbesiegbar. Jetzt nervten mich zunehmend die Beschränkungen, die ich mir auferlegt hatte: alle Getränke wurde notiert, das Sportpensum und jede verzehrte Kalorie in einer App erfasst. Auf das Kalorienzählen hatte ich als erstes keine Lust mehr. Beim Bäcker kaufte ich z.B. nicht das, worauf ich Lust hatte, wenn ich nicht wusste mit wieviel Kalorien ich das in die App eintragen kann, auch wenn ich es mir hätte erlauben können. Verrückt, oder? Jedenfalls flog das als erstes raus. Das Wetter wurde schön (so wie jetzt gerade) und es machte wieder Spaß, am Wasser zu liegen und ein paar mehr Bier zu trinken. Da ließ ich auch gleich mal alle Fünfe gerade sein. Mit einem Dicken Kopf am Morgen entschied ich mich dann auch öfters für den Bus als für das Fahrrad für den Arbeitsweg. Und so weiter. Bald war ich dann wieder da, wo ich nicht mehr hinwollte.
In den letzten fünf Jahren habe ich dann sehr oft versucht, wieder zu diesem "Idealzustand" (des kontrollierten Trinkens) zu kommen. Die Taktik war immer dieselbe wie beim ersten Mal: 40 Tage Abstinenz, um im Anschluss gemäßigt zu trinken. Die 40 Tage habe ich nur noch ein Mal geschafft und das auch nur durch eisernes Durchhalten mit dem Ziel vor Augen, dann endlich wieder trinken zu können. Die meisten Versuche scheiterten nach 0 Tagen bis 3 Wochen. Im letzten Jahr habe ich wohl etwa alle 2 Monate versucht aufzuhören. Ohne Erfolg.
Ende des Jahres habe ich mir dann eingestanden, dass ich so nicht weiterkomme und etwas Hilfe gebrauchen könnte. Als Hauptproblem habe ich dabei nicht unbedingt den Alkohol gesehen. Mehr ein generelles Kuddelmuddel in meinem Kopf aus Burnout/Erschöpfung/Depression und auch einem Alkoholproblem. Von daher war ich auch unsicher, um was für eine Art der Hilfe/Therapie ich mich bemühen soll. Letztlich habe ich entschieden, es zunächst mit der Sucht-Beratung zu versuchen und mich dort schweren Herzens Anfang Januar gemeldet. Und aufgehört zu trinken, erstmals mit offenem Ende, also ohne zeitliches Ziel.
Das Timing war wohl etwas unglücklich. Einen Termin für die Erstberatung bekam ich erst im Februar. Da hatte deren mehrwöchige Therapie-Gruppe bereits begonnen, die nächste Ende März. Für die war ich angemeldet, dann kam Corona, also alles abgesagt. Zu meiner Betreuerin stimmt zum Glück die Chemie und sie bietet auch telefonische Beratung an für Fragen. Aber eine strukturierte Therapie findet jetzt nicht statt. Von daher dümpele ich seit 3 1/2 Monaten eher planlos herum und trinke nicht. Das ist OK, es geht schon. Ich hatte bisher keine ernsthaften Krisen. Aber nur nicht trinken ist irgendwie auch keine Lösung.
Eine dauerhafte Anspannung und Gereiztheit habe ich im Angebot und ich würde mich gerne mehr auspowern. Leider kann ich überhaupt nicht joggen und schwimmen (mein Sport) ist derzeit nicht möglich. So gehe ich nachts spazieren und bewerfe streunende Katzen mit Futter. Daher auch mein Benutzername, streunendeKatzenMitFutterBewerfer.
Schön finde ich, das Forum hier gefunden zu haben. Ein Schatz an Erfahrungen. Das hilft sicher sehr und ich werde fleißig lesen.
Viele Grüße
vom Spaziergänger