Mal wieder ein kleines Lebenszeichen von mir. Jetzt bin ich seit 1 3/4 Jahren abstinent unterwegs und es läuft gut, eigentlich ohne besondere Vorkommnisse (also abgesehen davon, dass ich nach einer Krise Ende letzten Jahres dieses Jahr mit einem Flammenwerfer über mein komplettes Leben gehe - aber das ist eine andere Geschichte).
Bei mir ist das Glas grundsätzlich halb leer. Aber selbst ich muss zugeben, dass das Leben ohne Alkohol insgesamt sensationell viel besser ist als mit. Der Tag hat wieder 24 Stunden und ich bin an einem Großteil davon zurechnungsfähig (im Rahmen meiner Möglichkeiten ). Ich kann abends noch etwas Produktives machen, wenn ich darauf Lust habe, oder ein Buch lesen und am nächsten Tag noch wissen, worum es ging. Wenn ich nicht schlafen kann, mache ich vielleicht Nachts um 3 eine Yoga-Stunde bei Youtube mit und kann, wenn mich dann um 8 das Telefon aus dem Schlaf schreckt und es wichtig ist, drangehen und in zusammenhängenden Sätzen sprechen. Und (ich glaube, das Beispiel hat auch Catherine Gray auf einer ihrer vielen Listen) ich komme im Urlaub auf die verrückte Idee, vorzeitig aus dem Hotel auszuchecken, statt den Wecker immer weiter bis 11:30 vorzustellen, dann meine Sachen notdürftig in den Koffer zu schaufeln, worauf ich am Vorabend natürlich keine Lust mehr hatte, und um 12:10 völlig zerstört an der Rezeption aufzuschlagen.
Das ist schon ziemlich gut, wenn ich so drüber nachdenke.
Kein Bisschen vermisse ich auch meine chronischen Angstzustände während des Ausnüchterungsprozesses ("Hangxiety") am Tag "danach" (also jeden Tag). So dass ich am Ende des (Arbeits-)Tages davon so erschöpft war, dass ich dachte: "Boah, jetzt brauche ich aber ein paar hundert Bier". Das ist so viel besser jetzt.
Die ersten 1 1/2 Jahre kam ich wegen Corona und Home-Office auch überhaupt nicht in die Situation, dass mir etwas alkoholisches zu trinken angeboten wurde. In den letzten Wochen und Monaten - da sich das Leben etwas normalisiert - kam das ein paar Mal vor (jeweils mit Leuten, die ich erst kenne, seit ich nicht mehr trinke). Es wurde aber anstandslos akzeptiert, dass ich keinen Alkohol trinke und es wurde auch nicht nachgebohrt. "Ach das ist gut, da bleibt mehr für mich" sagte mal jemand.
Neulich war ich das erste Mal nüchtern im Urlaub, das war ungewohnt. Schön am Meer in südlichen Gefilden. Da es sehr heiß war, musste ich mehrmals am Tag Wasser nachkaufen und mich dafür erst durch die zahlreichen Kühlschränke voller eiskaltem Bier suchen. Schön anzuschauende ausländische Sorten, die ich früher unbedingt probiert hätte. Das hat anfangs schon etwas gepiekst. Aber nachdem ich mir vorgestellt habe wie ich mich tatsächlich fühlen würde, nachdem ich mir bei 40 Grad und praller Sonne ein paar Bier in den Schädel geschüttet habe, und wie im Eimer der Tag wäre und der nächste gleich mit... ging das eigentlich schnell vorbei.
Ob Urlaub oder nicht: über Jahrzehnte war "dasitzen, rauchen und Bier trinken" eine vollwertige Freizeitbeschäftigung für mich, mit der ich die Abende verbracht habe. Ziemlich traurig, wenn ich jetzt so drüber nachdenke. Da muss ich jetzt teilweise tatsächlich erst lernen, was ich denn überhaupt gerne mache mit meiner Freizeit. Nächtliche Spaziergänge gehören natürlich dazu. Nomen est omen.
So, das wollte ich alles gar nicht schreiben. Eigentlich wollte ich nur von einer kleinen Begebenheit beim Zahnarzt heute berichten, die mich überhaupt erst wieder auf das Thema Alkohol aufmerksam gemacht hat. Ich hatte ein Vorgespräch zu einer Parodonthose-Behandlung (nicht beim Zahnarzt selbst, sondern bei einer Angestellten). Es ging u.a. um die lokale Betäubung, die in dem Fall mit Adrenalin gemacht wird und im Gegensatz zu einer "normalen" lokalen Betäubung 5-8 Stunden anhält. "Es sei denn man ist Alkoholilker. Also nicht Sie und nicht ich." sagte die Dame forsch. Sie erklärte das so, dass bei einem Alkoholiker die Leber praktisch immer auf Hochtouren läuft und auch das Betäubungsmittel schneller abbaut.
Wenn es jetzt um eine Vollnarkose bei einer Operation gegangen wäre, wäre ich darauf vorbereitet gewesen. Der liebe Greenfox weist ja regelmäßig auf die Thematik hin. Beim Zahnarzt hat mich das jetzt unerwartet getroffen. Ich habe sie dann erstmal weiter reden lassen und überlegt, was ich jetzt mache. Das war das erste Mal für mich in der Situation zu sein. Und da das jetzt auch nicht der Arzt war, habe ich mich auch gefragt: wer ist die eigentlich? Gilt hier Schweigepflicht? Ich denke schon, aber wer weiß...
Langer Rede kurzer Sinn: ich hatte dann den Greenfox im Ohr, der mir gesagt hat, hier reinen Tisch zu machen. Und so habe ich es dann auch gemacht. Sie meinte dann, ich soll mir mal keine Sorgen machen. Fast zwei Jahre trocken sei ja schon eine Zeit. Und wenn die Betäubung früher aufhört zu wirken, würde ich das ja merken und ich kann Bescheid sagen. Ist ja keine Vollnarkose.
So, das war's schon mit meiner Geschichte von heute. Ich bleibe gespannt, wie es dann tatsächlich verläuft.
Macht's gut,
Spaziergänger