Sehr verehrtes Forum,
seit nunmehr vier Jahren lese ich, Toni, männlich, 54 Jahre, in diesem klasse Forum mit. Schon öfters habe ich überlegt, mich hier anzumelden um selbst zu schreiben. Aber ich spürte, noch ist bei mir der Groschen nicht recht gefallen, noch hat der große Klick nicht endgültig geklickt. Seit dem 14. November ist das nun anders und seitdem habe ich keinen Schluck Alkohol mehr getrunken und… das wird so bleiben! Der große Klick hat zu mir gesprochen! Hurra, hurra!
Allerdings ist aus diesem, zunächst wunderbar erlösenden, Hurra nun leider ein sehr getrübtes solches geworden. Vor kurzem, ein paar Tage nach meinem Heureka Moment, habe ich die traurige Nachricht erhalten, dass ein sehr guter, früherer Freund von mir tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Auch wenn wir schon seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten, traf mich sein viel zu früher Tod wie ein schmerzhafter Hammerschlag.
Was hatten wir nicht für geniale Reisen zusammen unternommen, die mir heute noch so lebhaft in Erinnerung sind, als wären wir erst letzte Woche losgezogen. Welche verrückten Ideen haben wir gemeinsam ersponnen und lachend wieder verworfen. Welche grandiosen, aus unserer damaligen Sicht, bewusstseinserweiternde Wanderungen in der Natur unternommen und dabei tiefgehende Diskussionen zu Themen der Philosophie und Metaphysik geführt. Zechen und Kiffen waren unsere Leidenschaft und wir sahen uns als die Kinder der Anarchie mit dem korrekten Durchblick auf die Dinge des Lebens. Wie junge Erwachsene halt so sind, wenn sie gerade gelernt haben zwei und zwei richtig zusammenzuzählen und nun meinten, sie wüssten Bescheid wie die Welt zu retten wäre… naja… mein Freund war aber zweifelsohne ein äußerst intelligenter und belesener junger Mann. Ich hatte vor seiner enormen Bildung immer riesigen Respekt. Er war ein ganz besonderer Feingeist und eine sensible Seele. Und ihn soll es nun nicht mehr geben? Irgendwie noch nicht richtig fassbar. Irreal.
Wir sind zusammen den oftmals steinigen Weg vom pickelgesichtigen Jugendlichen zum jungen Erwachsenen gegangen. Viele Jahre haben wir zusammen gefeiert, gestritten und uns wieder versöhnt. Aber was heißt schon gefeiert… wir haben gesoffen, gekifft und auch mal den einen oder anderen LSD Trip eingeworfen. Wir waren ja Anarchisten und nonkonforme Durchblicker und wollten vor allem nicht so sein wie die ganzen bürgerlichen Spießer um uns herum, die uns ständig zuhause und in der Schule nervten mit ihren lächerlichen, gesellschaftlichen Konventionen!
Punk war damals angesagt. Wir waren zwar äußerlich nicht als solche zu erkennen, aber wir fühlten uns der Szene im weiteren Sinne zugehörig. Einige unserer damaligen Freunde und Bekannte sind schon früh gestorben, vor allem als Heroin in die Szene schwappte. Sie lebten „No Future“ quasi konsequent zu Ende. Das war noch in den neunziger Jahren. Aber auch ein paar ältere hardcore Trinker aus unserem Bekanntenkreis sind damals schon an suffbedingten Krankheiten zugrunde gegangen. Aber nicht, dass uns das sonderlich abgeschreckt hätte. Bei uns war ja alles anders…
Wir blieben aber im Wesentlichen bei Alk und Dope und nahmen keine härteren Drogen. Reichte uns! Reichte uns? Nein, viel mehr als das! Wir soffen und kifften als gäbe es kein Morgen. Aber irgendwie machten das alle so. War damals jedenfalls mein subjektiver Eindruck. Obwohl ich schon damals immer mal wieder Alkpausen einlegte. Schon mit neunzehn verzichtete ich ein paar Wochen auf Alkohol. Tief in mir spürte ich schon recht früh, dass das irgendwie nicht gut ist, diese ganze Sauferei. Jedenfalls für mich. Ich erkannte schon bald nach meinen ersten Filmrissen, dass es mir schwer fällt die Trinkmenge zu kontrollieren und hatte instinktiv etwas dagegen, dass eine von außen zugeführte Substanz Kontrolle über mein Verhalten erlangte. Aber ich war diesbezüglich eher eine Ausnahme und wurde von meiner Partycommunity wie ein seltsamer Exot behandelt, wenn ich wieder mal verkündete, dass ich keinen Alkohol mehr trinken würde. Was ich natürlich wieder nach einiger Zeit vergaß.
Dennoch erkannte ich schon zu dieser Zeit ganz deutlich, dass ich den Alkohol nicht kontrollieren kann, sondern er mich. Das hinderte mich allerdings nicht daran, die letzten, bald vierzig Jahre, den Großteil dieser Zeit Alkoholmissbrauch zu betreiben. Das fiese daran ist, dass ich es immer schaffte wieder alkoholfreie Zeiten einzulegen, bzw. meinen Konsum immer dann zu kontrollieren, wenn es beruflich oder gesellschaftlich/familiär notwendig wurde. Aber was heißt in dem Zusammenhang schon fies. Ich bin nämlich ziemlich dankbar dafür, dass ich trotz teils massiven Missbrauchs heute noch eine intakte Familie und einen guten Job habe. Ganz im Gegensatz zu meinem verstorbenen Freund. Als wir uns einst morgens in einem Cafe trafen um zusammen zu frühstücken, war ich irritiert, als seine Hände derart zitterten, dass er nicht imstande war, sich mit dem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Alkoholentzug! Das war mir damals allerdings nicht klar. Wir waren zu der Zeit wohl noch keine zwanzig. Er meinte nur, er hätte Kreislaufprobleme. Erst als sich unsere Wege später berufsbedingt getrennt hatten, wurde mir allmählich das Ausmaß seiner Abhängigkeit bewusst. Immer wenn wir unsere Wanderungen unternahmen, hatte er einen Biervorrat im Rucksack, wo ich Cola und Nüsse eingepackt hatte. Im gemeinsamen Urlaub waren ihm immer ausreichende Weinvorräte wichtig. Ich hatte da ja auch nichts dagegen. Ich betrieb ja meistens auch Alkoholmissbrauch und soff gerne mit. Aber doch nicht schon am Morgen!
Heute weiß ich, er war Spiegeltrinker. Körperlich schwerst abhängig. Sein Leben lang. Und das war wohl auch der Grund, warum er oft so depressiv rüberkam. Dennoch immer kontrolliert und beherrscht. Nach sieben Bier konnte er noch aufs Klo gehen, ohne einen Millimeter zu Schwanken. „Mann, der kann einen Stiefel vertragen“, dachte ich mir damals. Ganz im Gegensatz zu mir. Wenn ich dicht war, habe ich oft mächtig Scheiße gebaut. Auf Einzelheiten brauche ich wohl nicht einzugehen. Das kennen ja die meisten hier. Zum Glück hatten diese alkoholbedingten Ausfälle nie wirklich ernsthafte Konsequenzen, wenn man Scham-, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle nicht als solche bezeichnen möchte und eine Nacht in der Ausnüchterungszelle. Danke dafür.
Nach meiner Nacht in dieser Zelle der Schande blieb ich ungefähr ein Jahr nüchtern. Noch heute denke ich in der Rückschau, das war die bisher beste Zeit meines Lebens überhaupt. Warum ich damals trotzdem wieder angefangen habe den Alkohol in mein Leben zu lassen? Tja… die Sucht ist ein mächtiger Gegner, wie wohl die meisten hier wissen. Vor allem die Bilder glücklicher Trinkermomente aus meinem Suchtgedächtnis ließen mich immer wieder nach abstinenten Phasen zum ersten Glas greifen.
Nun wird das anders sein. Der Griff zum ersten Glas wird künftig unterbleiben. Das weiß ich. Ob ich dabei nun abhängig bin oder nicht ist mir wurscht. Ich habe auf den ganzen Alkoholscheiß einfach keinen Bock mehr! Um es vielleicht etwas derb aber nichtsdestotrotz ziemlich zutreffend zu formulieren. Daher bin ich hier und erhoffe mir Unterstützung für ein alkoholfreies Leben. Dies vor allem durch den Austausch über die positiven Seiten eines nüchternen Lebens. Denn das ist meines Erachtens der wirksamste Aspekt zur Erreichung eines langen, glücklichen und abstinenten Lebens. Die Fokussierung auf die Rückerlangung von Lebensfreude und Lebensenergie durch das Weglassen von Gift.
Ich weiß nicht woran mein Freund gestorben ist. Vielleicht waren es die Folgen eines kalten Entzuges. Vielleicht hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Ich bin aber vor allem traurig darüber, dass er sich meines Wissens nie Hilfe von außen gesucht hat. Er trank wohl auch bis zum Schluss. Vielleicht hätte es ihm auch schon geholfen, hier in diesem Forum zu lesen. Ich weiß es nicht. Mir jedenfalls hilft es sehr. Ebenso das Lesen etlicher Kilo Papier zum Thema. Theoretisch bin ich also gewappnet. Nun beginnt der praktische Teil.
Denn was ich ganz klar weiß, ist, dass ich so müde darüber bin, ständig mit Kater zu erwachen und mich dafür zu tadeln, wieder mal mehr getrunken zu haben, als ich trinken wollte. Dinge gesagt zu haben, die ich nicht sagen wollte und ein Leben zu führen, das immer wieder mit Alkoholabstürzen klarkommen muss und mir Lebensfreude raubt, meine Stimmung drückt und mich gereizt macht. No more alcohol!
Schön hier zu sein. Ich freue mich auf den Austausch.
Toni