Klick, klick hurra.... seufz

  • Sehr verehrtes Forum,

    seit nunmehr vier Jahren lese ich, Toni, männlich, 54 Jahre, in diesem klasse Forum mit. Schon öfters habe ich überlegt, mich hier anzumelden um selbst zu schreiben. Aber ich spürte, noch ist bei mir der Groschen nicht recht gefallen, noch hat der große Klick nicht endgültig geklickt. Seit dem 14. November ist das nun anders und seitdem habe ich keinen Schluck Alkohol mehr getrunken und… das wird so bleiben! Der große Klick hat zu mir gesprochen! Hurra, hurra!

    Allerdings ist aus diesem, zunächst wunderbar erlösenden, Hurra nun leider ein sehr getrübtes solches geworden. Vor kurzem, ein paar Tage nach meinem Heureka Moment, habe ich die traurige Nachricht erhalten, dass ein sehr guter, früherer Freund von mir tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Auch wenn wir schon seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten, traf mich sein viel zu früher Tod wie ein schmerzhafter Hammerschlag.

    Was hatten wir nicht für geniale Reisen zusammen unternommen, die mir heute noch so lebhaft in Erinnerung sind, als wären wir erst letzte Woche losgezogen. Welche verrückten Ideen haben wir gemeinsam ersponnen und lachend wieder verworfen. Welche grandiosen, aus unserer damaligen Sicht, bewusstseinserweiternde Wanderungen in der Natur unternommen und dabei tiefgehende Diskussionen zu Themen der Philosophie und Metaphysik geführt. Zechen und Kiffen waren unsere Leidenschaft und wir sahen uns als die Kinder der Anarchie mit dem korrekten Durchblick auf die Dinge des Lebens. Wie junge Erwachsene halt so sind, wenn sie gerade gelernt haben zwei und zwei richtig zusammenzuzählen und nun meinten, sie wüssten Bescheid wie die Welt zu retten wäre… naja… mein Freund war aber zweifelsohne ein äußerst intelligenter und belesener junger Mann. Ich hatte vor seiner enormen Bildung immer riesigen Respekt. Er war ein ganz besonderer Feingeist und eine sensible Seele. Und ihn soll es nun nicht mehr geben? Irgendwie noch nicht richtig fassbar. Irreal.

    Wir sind zusammen den oftmals steinigen Weg vom pickelgesichtigen Jugendlichen zum jungen Erwachsenen gegangen. Viele Jahre haben wir zusammen gefeiert, gestritten und uns wieder versöhnt. Aber was heißt schon gefeiert… wir haben gesoffen, gekifft und auch mal den einen oder anderen LSD Trip eingeworfen. Wir waren ja Anarchisten und nonkonforme Durchblicker und wollten vor allem nicht so sein wie die ganzen bürgerlichen Spießer um uns herum, die uns ständig zuhause und in der Schule nervten mit ihren lächerlichen, gesellschaftlichen Konventionen!

    Punk war damals angesagt. Wir waren zwar äußerlich nicht als solche zu erkennen, aber wir fühlten uns der Szene im weiteren Sinne zugehörig. Einige unserer damaligen Freunde und Bekannte sind schon früh gestorben, vor allem als Heroin in die Szene schwappte. Sie lebten „No Future“ quasi konsequent zu Ende. Das war noch in den neunziger Jahren. Aber auch ein paar ältere hardcore Trinker aus unserem Bekanntenkreis sind damals schon an suffbedingten Krankheiten zugrunde gegangen. Aber nicht, dass uns das sonderlich abgeschreckt hätte. Bei uns war ja alles anders…

    Wir blieben aber im Wesentlichen bei Alk und Dope und nahmen keine härteren Drogen. Reichte uns! Reichte uns? Nein, viel mehr als das! Wir soffen und kifften als gäbe es kein Morgen. Aber irgendwie machten das alle so. War damals jedenfalls mein subjektiver Eindruck. Obwohl ich schon damals immer mal wieder Alkpausen einlegte. Schon mit neunzehn verzichtete ich ein paar Wochen auf Alkohol. Tief in mir spürte ich schon recht früh, dass das irgendwie nicht gut ist, diese ganze Sauferei. Jedenfalls für mich. Ich erkannte schon bald nach meinen ersten Filmrissen, dass es mir schwer fällt die Trinkmenge zu kontrollieren und hatte instinktiv etwas dagegen, dass eine von außen zugeführte Substanz Kontrolle über mein Verhalten erlangte. Aber ich war diesbezüglich eher eine Ausnahme und wurde von meiner Partycommunity wie ein seltsamer Exot behandelt, wenn ich wieder mal verkündete, dass ich keinen Alkohol mehr trinken würde. Was ich natürlich wieder nach einiger Zeit vergaß.

    Dennoch erkannte ich schon zu dieser Zeit ganz deutlich, dass ich den Alkohol nicht kontrollieren kann, sondern er mich. Das hinderte mich allerdings nicht daran, die letzten, bald vierzig Jahre, den Großteil dieser Zeit Alkoholmissbrauch zu betreiben. Das fiese daran ist, dass ich es immer schaffte wieder alkoholfreie Zeiten einzulegen, bzw. meinen Konsum immer dann zu kontrollieren, wenn es beruflich oder gesellschaftlich/familiär notwendig wurde. Aber was heißt in dem Zusammenhang schon fies. Ich bin nämlich ziemlich dankbar dafür, dass ich trotz teils massiven Missbrauchs heute noch eine intakte Familie und einen guten Job habe. Ganz im Gegensatz zu meinem verstorbenen Freund. Als wir uns einst morgens in einem Cafe trafen um zusammen zu frühstücken, war ich irritiert, als seine Hände derart zitterten, dass er nicht imstande war, sich mit dem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Alkoholentzug! Das war mir damals allerdings nicht klar. Wir waren zu der Zeit wohl noch keine zwanzig. Er meinte nur, er hätte Kreislaufprobleme. Erst als sich unsere Wege später berufsbedingt getrennt hatten, wurde mir allmählich das Ausmaß seiner Abhängigkeit bewusst. Immer wenn wir unsere Wanderungen unternahmen, hatte er einen Biervorrat im Rucksack, wo ich Cola und Nüsse eingepackt hatte. Im gemeinsamen Urlaub waren ihm immer ausreichende Weinvorräte wichtig. Ich hatte da ja auch nichts dagegen. Ich betrieb ja meistens auch Alkoholmissbrauch und soff gerne mit. Aber doch nicht schon am Morgen!

    Heute weiß ich, er war Spiegeltrinker. Körperlich schwerst abhängig. Sein Leben lang. Und das war wohl auch der Grund, warum er oft so depressiv rüberkam. Dennoch immer kontrolliert und beherrscht. Nach sieben Bier konnte er noch aufs Klo gehen, ohne einen Millimeter zu Schwanken. „Mann, der kann einen Stiefel vertragen“, dachte ich mir damals. Ganz im Gegensatz zu mir. Wenn ich dicht war, habe ich oft mächtig Scheiße gebaut. Auf Einzelheiten brauche ich wohl nicht einzugehen. Das kennen ja die meisten hier. Zum Glück hatten diese alkoholbedingten Ausfälle nie wirklich ernsthafte Konsequenzen, wenn man Scham-, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle nicht als solche bezeichnen möchte und eine Nacht in der Ausnüchterungszelle. Danke dafür.

    Nach meiner Nacht in dieser Zelle der Schande blieb ich ungefähr ein Jahr nüchtern. Noch heute denke ich in der Rückschau, das war die bisher beste Zeit meines Lebens überhaupt. Warum ich damals trotzdem wieder angefangen habe den Alkohol in mein Leben zu lassen? Tja… die Sucht ist ein mächtiger Gegner, wie wohl die meisten hier wissen. Vor allem die Bilder glücklicher Trinkermomente aus meinem Suchtgedächtnis ließen mich immer wieder nach abstinenten Phasen zum ersten Glas greifen.

    Nun wird das anders sein. Der Griff zum ersten Glas wird künftig unterbleiben. Das weiß ich. Ob ich dabei nun abhängig bin oder nicht ist mir wurscht. Ich habe auf den ganzen Alkoholscheiß einfach keinen Bock mehr! Um es vielleicht etwas derb aber nichtsdestotrotz ziemlich zutreffend zu formulieren. Daher bin ich hier und erhoffe mir Unterstützung für ein alkoholfreies Leben. Dies vor allem durch den Austausch über die positiven Seiten eines nüchternen Lebens. Denn das ist meines Erachtens der wirksamste Aspekt zur Erreichung eines langen, glücklichen und abstinenten Lebens. Die Fokussierung auf die Rückerlangung von Lebensfreude und Lebensenergie durch das Weglassen von Gift.

    Ich weiß nicht woran mein Freund gestorben ist. Vielleicht waren es die Folgen eines kalten Entzuges. Vielleicht hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Ich bin aber vor allem traurig darüber, dass er sich meines Wissens nie Hilfe von außen gesucht hat. Er trank wohl auch bis zum Schluss. Vielleicht hätte es ihm auch schon geholfen, hier in diesem Forum zu lesen. Ich weiß es nicht. Mir jedenfalls hilft es sehr. Ebenso das Lesen etlicher Kilo Papier zum Thema. Theoretisch bin ich also gewappnet. Nun beginnt der praktische Teil.

    Denn was ich ganz klar weiß, ist, dass ich so müde darüber bin, ständig mit Kater zu erwachen und mich dafür zu tadeln, wieder mal mehr getrunken zu haben, als ich trinken wollte. Dinge gesagt zu haben, die ich nicht sagen wollte und ein Leben zu führen, das immer wieder mit Alkoholabstürzen klarkommen muss und mir Lebensfreude raubt, meine Stimmung drückt und mich gereizt macht. No more alcohol!

    Schön hier zu sein. Ich freue mich auf den Austausch.

    Toni

  • Hallo Toni,

    dann sage ich gleich mal: Herzlich Willkommen hier im Forum. Schön das Du von jahrelangen stillen Mitleser jetzt auf die aktive Seite gewechselt bist.


    Ich wünsche Dir einen guten Austausch hier im Forum, gute Gespräche und natürlich, dass Du Dein Ziel erreichst! Die Art wie Du schreibst, besonders was die zukünftige Rolle des Alkohols in Deinem Leben betrifft, liest sich sehr klar und konsequent. Da hat jemand keinen Bock mehr auf das Zeug. Und das ist schon mal eine prima Voraussetzung für ein Leben ohne Alkohol.

    Eine Frage gleich mal: Hast Du außerhalb dieses Forum noch andere Hilfe, die Du in Anspruch nimmst?

    Alles Gute und bis bald mal.

    LG
    gerchla

  • seit nunmehr vier Jahren lese ich, Toni, männlich, 54 Jahre, in diesem klasse Forum mit.

    Hallo, Toni!

    Nun, dann hiermit offiziell HERZLICH WILLKOMMEN im Forum :welcome: ;D
    Schön, dass Du nunmehr aktiv geworden bist 44.

    Zitat

    Nun wird das anders sein. Der Griff zum ersten Glas wird künftig unterbleiben. Das weiß ich.

    Da (sich) dies schon Viele geschworen haben, möchte ich mich Gerchla's Frage anschließen, ob Du außer uns und dem Forum - und Deinem Willen - noch andere Hilfe in Anspruch nimmst?

    Sollten Fragen bestehen - Du weisst ja, wo Du uns findest.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Gerchla, hallo Greenfox,

    herzlichen Dank für eure Antworten. Habe von euch beiden schon einiges hier gelesen, das mich durchaus in meinem Entschluss bekräftigt hat, dieses Gewicht an Seele und Körper nun endgültig abzuwerfen. Ich bin auch überzeugt davon, dass ich nicht der einzige stille Mitleser war, dem oder der ihr mit euren Geschichten und Ratschlägen geholfen habt. Dafür ein fetter Dank an dieser Stelle.

    Nun zu eurer Frage: Externe Unterstützung habe ich mir noch keine gesucht. Bislang habe ich die Dinge immer mit mir selbst ausgemacht. Dieses Forum hier ist der erste Schritt in diese Richtung. (Bin auch fast ein wenig stolz darauf) Allerdings plane ich, mir in nächster Zeit die eine oder andere Selbsthilfegruppen anzuschauen. Deren Nutzen ist mir durchaus bewusst.

    Vor allem bin aber auch hier, um eine Möglichkeit zu haben, meinen nüchternen Weg zu dokumentieren... wenn das ok ist? Hat auch etwas symbolisches für mich. Ich bin nun den Schritt gegangen und habe mich angemeldet. Das wollte ich erst tun, wenn ich weiß, dass ich soweit bin.

    Jetzt bin ich hier... und es fühlt sich gut an.

    Schönes bewusstes Wochenende wünsche ich allen.

    Toni

  • @ Toni, du hast mich gerade zum weinen gebracht. Danke für deine ehrlichen Worte.
    Lg Claudia

  • Moin Toni,

    herzlich willkommen und Gratulation zu deinem Entschluss. Es war meine beste Entscheidung, als ich anfing mit dem Trinken aufzuhören. Ich wünsch dir viel Erfolg und einen guten Austausch hier.

    Gruß Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.

  • Hallo Toni,

    schön, dass du dich hier angemeldet hast, und danke für deine Vorstellung.

    Zitat

    Austausch über die positiven Seiten eines nüchternen Lebens. (...) die Rückerlangung der Lebensfreude und Lebensenergie ...

    Ich bin seit ein paar Jahren trocken und freue mich täglich darüber. Ich habe seither eine Lebensfreude gewonnen, die ich selbst vor meiner Alkoholabhängigkeit noch nicht kannte. Für mich hat die Auseinandersetzung mit meiner Abhängigkeit bedeutet, dass ich mir selbst viel näher gekommen bin, und (oft mühsam) seither lerne, mich selbst zu mögen. Was erstaunlicherweise zur Folge hat, dass ich auch die Welt außerhalb meiner selbst mehr mag, und eine positive, nährende Verbindung zu anderen Menschen möglich wurde.

    Auch wenn meine Erinnerung an meine Trinkzeiten immer noch von Schuldgefühlen und Scham geprägt sind (ich weiß nicht, ob ich das irgendwann umwandeln kann), bin ich tatsächlich irgendwie dankbar für die Chance, die ich durch mein Nüchternwerden bekommen habe und nutzen konnte und kann.

    Der Austausch mit anderen Menschen (unter anderem in einer Selbsthilfegruppe) ist seither ein wichtiger Teil meines nüchternen Lebens.

    Willst du eventuell auch noch weitere Schritte unternehmen, außer der Anmeldung hier?

    Ich freue mich jedenfalls, hier weiter von dir zu lesen.

    Viele Grüße
    Camina (w, 50)

  • Hallo zusammen,

    lieben Dank für eure Beiträge und dein Mitgefühl Claudia.

    Ich merke tatsächlich, wie der Austausch mit mir zunächst völlig fremden Leuten, in mir ein gutes Gefühl der Solidarität entstehen lässt. Dabei habe ich den Eindruck, dass man sich und seine Situation im Grunde gar nicht groß erklären muss. Die Forumsmitglieder kennen sich aus mit der Thematik und verstehen einen fast „ohne Worte“.

    Es war meine beste Entscheidung, als ich anfing mit dem Trinken aufzuhören.

    Das ist schön formuliert und man spürt bei dir, Betty, sofort, dass es aus tiefstem Herzen kommt. Diese Aussage ist wahr. Punkt. Keine Diskussion. Ihr könnt alle nach Hause gehen, der Unterricht ist beendet. Hier sind eure Zeugnisse.

    Ich bin seit ein paar Jahren trocken und freue mich täglich darüber.
    schreibst du, Camina, ebenso positiv über das Beenden deines unguten Alkoholkonsums.

    Und als ich über eure Statements nachdachte, stellte ich mir zwangsläufig die Frage:

    Warum zum Kuckuck haben dann so viele Menschen ein Problem mit diesem vermalledeiten Stoff?
    Warum kippen wir dieses schädliche Zeug in uns rein, als wären wir Opfer eines bösen Fluches, der uns zwingt, uns immer wieder selbst weh zu tun? Den Menschen um uns herum weh zu tun? Und warum tun wir uns so schwer damit aufzuhören?

    Eine Erklärung ist für mich das kurze Aufflackern von, durch die alkoholinduzierte Ausschüttung von Neurotransmittern verursachten Glücksgefühlen. Der Hirnstoffwechsel wird so manipuliert, dass man zunächst tatsächlich so etwas wie Glück verspürt, wenn man sich einen Drink einflößt. Vor allem latent depressive Menschen sind daher auch stärker gefährdet den Stoff zu missbrauchen. Ist jedenfalls meine Beobachtung.

    Das Doofe daran ist, das Glücksgefühl hält nicht lange an, verändert aber je nach Dauer und Menge des Konsums recht schnell den eigenen Hirnstoffwechsel so, dass die Produktion der körpereigenen Neurotransmitter peu a peu heruntergeschraubt wird. Die Niedergeschlagenheit im nüchternen Zustand wird demzufolge größer. Das einzige was hilft, ist die Einbringung dieser Spaßmacher von außen. Sprich: „ich bin so gestresst, ich brauch unbedingt ein Bier!“

    Das Thema ist wohl weitgehend bekannt. Auf was ich hinaus will ist folgendes:

    Dieser sich selbst verstärkende Vorgang, ich nenne ihn mal die Dopamin-Affenschaukel, ist ein unterbewusst ablaufender, körperlicher Vorgang. Die Entscheidung das Bier zu trinken ist ein weitgehend von unserem Klarbewusstsein abgetrennter Prozess. Wir sind bei diesen Vorgängen nicht so verscheiden zu den Ratten im Versuchslabor, welche an einem Schalterchen Wasser bekommen und am anderen einen süchtig machenden, langfristig giftig-tödlichen Stoff namens Alkohol. Wenn sie nur Wasser trinken, bekommen sie anschließend feines Happa Happa. Wenn sie lustig zechen gibt es nichts. Wer weiß, wo die meisten Ratten abhängen und ihren dösigen Tag verbringen? Hungrig aber glücklich. Genau… nicht am Wasserloch, sondern an der Theke.

    Wie also lässt sich diese Dopamin-Affenschaukel stoppen?

    Ich selbst bin nach gründlichem Nachdenken und dem Lesen vieler Zuschriften hier im Forum und einer Menge Literatur zum Thema zu dem Ergebnis gekommen, dass tatsächlich nur die Steigerung der eigenen Bewusstheit und Aufmerksamkeit letztlich zielführend sein kann oder wie Camina schreibt:

    Für mich hat die Auseinandersetzung mit meiner Abhängigkeit bedeutet, dass ich mir selbst viel näher gekommen bin, und (oft mühsam) seither lerne, mich selbst zu mögen.

    Das sehe ich als Steigerung der eigenen Bewusstheit. Weg von den unterbewussten Wirkmechanismen, hin zu bewusst getroffenen Entscheidungen, zur aufmerksamen Beobachtung seiner selbst und zu einer gesteigerten Wachheit im hier und jetzt.

    Hört sich jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch an… aber ich denke, hier findet sich einer der entscheidenden Schlüssel zur Nüchternheit.

    Und da komme ich auch an einen Punkt, den Gerchla schon öfters angesprochen hat:
    Nüchternheit als Lebensplanung, als Lebensphilosophie. Wenn ich es richtig verstehe, meint er damit den Wille, sein Leben bewusst und aufmerksam zu leben. In Klarheit und in Gewahrsein seiner selbst. Gefühle empfinden wie sie wirklich sind, nicht wie sie uns ein künstlich zugeführter Stoff vorgaukelt. Gedanken so denken wie sie tatsächlich im Jetztbewusstsein aufschlagen, und nicht künstlich puschen um ja so unglaublich kreativ zu sein. Ich bin selbst schöpferisch tätig und kann mit Fug und Recht behaupten, meine besten Arbeiten habe ich immer dann zustand gebracht, wenn ich längere Zeit nüchtern war.

    NÜCHTERNHEIT ist das beste Doping für Kreativität! Künstler müssten Drogen konsumieren um gut zu sein ist.... BULLSHIT!

    Alles in allem möchte ich diese Gedanken mit folgendem Fazit auf den Punkt bringen:

    Um den Alkohol zu überwinden, ist es erforderlich mehr Mensch zu sein und weniger Tier!

    So sind am heutigen Morgen meine Gedanken. Was meint ihr?

  • Hallo Toni,
    ich bin Britt, Mitte 50 und Alkoholikerin.
    Das hast du "wissenschaftlich" sehr gut formuliert. Aber ich denke, nur von wissenschaftlichen Fakten wird man nicht wirklich trocken.
    Ich habe mir als Mensch die Hilfe gesucht, die ich brauchte, um vom Alkohol wegzukommen.
    Die "Ratte" habe ich in mir noch nicht entdeckt. Einer Metamorphose muss ich mich demnach glücklicherweise nicht unterziehen.
    Zur Zeit bin ich in ambulanter Therapie.

    Alles Gute dir von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~


  • Um den Alkohol zu überwinden, ist es erforderlich mehr Mensch zu sein und weniger Tier!

    wenn das bei Dir so ist, dann mag das so sein. Für mich war es erfoderlich, mehr Katze als Mensch zu sein und auch nüchtern einfach mal zu genießen :). Mit mehr Selbstkontrolle wurde ich jedenfalls nicht nüchtern, sondern verkrampft, und das ist auf Dauer für einen Menschen wie mich ein guter Grund, um wieder zu trinken..
    Mit Bewusstheit mag das am Anfang zu tun haben, aber mein Ziel war es, dass ich mit der gleichen Selbstverständlichkeit nüchtern lebe wie ich vorher selbstverständlich getrunken habe. Da musste ich ja auch nicht drüber nachdenken, es war ein Selbstläufer, und genau das wollte ich nüchtern auch haben. Der Begriff Lebenseinstellung triffts ganz gut, da muss ich ja auch nicht täglich drüber nachdenken.

  • Hallo Britt,

    vielen Dank für dein Feedback.


    Einer Metamorphose muss ich mich demnach glücklicherweise nicht unterziehen.

    Meinst du nicht, dass dein Weg zu einer zufriedenen, langfristigen Abstinenz auch ein Prozess der Bewusstseinsveränderung ist?
    Dass dies nicht auch bedeutet, sich, seine Gedanken, sein Handeln sehr bewusst wahrzunehmen. Viele bewusster als vorher.
    Darin sehe ich durchaus eine Metamorphose vom Süchtigen zum Nüchternen. Von der Alk schlürfenden Runtzelraupe zum farbenprächtigen Nüchtern-Schmetterling.

    Tendiert der nüchterne Menschen in Denken, Verhalten und Wesen nicht mehr zum bewusst agierenden Menschen und der betrunkene, lallende und sich einnässende Mensch nicht mehr in Richtung eines unbewusst und rein instinktiv handelnden Tieres?

    Ich nehme es so wahr. Das meine Wahrnehmung nicht jeder teilt ist gut und sogar erwünscht. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder das selbe wahrnehmen würde ;)

    In diesem Sinne eine auch weiterhin positive Entwicklung liebe Britt.

    Toni

  • Hallo Susanne,


    Mit mehr Selbstkontrolle wurde ich jedenfalls nicht nüchtern, sondern verkrampft, und das ist auf Dauer für einen Menschen wie mich ein guter Grund, um wieder zu trinken..

    Ich meine weniger Selbstkontrolle als Selbst-Bewusstsein. Nicht die ständige mit Willenskraft untermauerte Kontrolle über seine Nüchternheit, sondern eine klare Entscheidung dafür, aus einem sich geänderten, weiterentwickelten Bewusstsein heraus.

    Aber auch schön, wenn du das anders siehst :)

    LG
    Toni


  • Tendiert der nüchterne Menschen in Denken, Verhalten und Wesen nicht mehr zum bewusst agierenden Menschen und der betrunkene, lallende und sich einnässende Mensch nicht mehr in Richtung eines unbewusst und rein instinktiv handelnden Tieres?

    Adolf Hitler war Antialkoholiker und auch sonst auf der Welt werden üble Grausamkeiten in Gegenden verübt, wo der Alkohol verpönt ist.
    Die Denke, dass Nüchterne die besseren Menschen sind, ist ein bisschen zu einfach.

    Dieser Selbstanspruch kann einen auch beim Trockenwerden überfordern, ich hab schon öfter beobachtet, das Leute die nüchtern alles anders und besonders gut machen wollten, gescheitert sind und ihre Denke entweder revidiert oder eben wieder getrunken haben. Zum Teil hat das für mich was mit der Selbstverachtung durch die Sucht und dem Aufpolieren des Selbstbewusstseins zu tun, macht aber nicht wirklich glücklich.

    Ich möchte übrigens auch alle meine Seiten nüchtern leben, nicht nur die sozial erwünschten oder die, die mich gut dastehen lassen. Und dazu gehört, das ich mich manchmal zu meiner Unzulänglichkeit bekenne, wenigstens vor mir selbst. Perfektionismus steht einem bei der zufriedenen Trockenheit manchmal ganz schön im Weg, was ich aber auch nur deswegen weiss, weil ich auch so übermotiviert angefangen habe. Bisschen runterkommen und mich realistisch zu sehen hat mir nicht geschadet.


  • Ich meine weniger Selbstkontrolle als Selbst-Bewusstsein. Nicht die ständige mit Willenskraft untermauerte Kontrolle über seine Nüchternheit, sondern eine klare Entscheidung dafür, aus einem sich geänderten, weiterentwickelten Bewusstsein heraus.

    ich bin mir im Nachhinein und aus 18 Jahren Entfernung zu meinem letzen Schluck nicht sicher, ob das weiterentwickeltes Bewusstsein oder doch nicht nur die Summe der schlechten Erfahrungen war, die meinen Glauben, dass Trinken das Leben schöner macht, Lügen straften und nach vielen Versuchen, das anfangs lockere Gefühl wieder zu erlangen, mich dann doch letzendlich überzeugten, das es besser für mich war, es ganz zu lassen, nachdem ich mich lange mit Händen und Füßen gegen diese Einsicht gesträubt hatte :)

    Vielleicht ist das auch Beides das Gleiche, zwei Seiten der selben Medaille...


  • Vielleicht ist das auch Beides das Gleiche, zwei Seiten der selben Medaille...

    Das habe ich mir auch schon überlegt...

    Wie sagte schon ein weise Mann (Frau), dessen/deren Namen ich vergessen habe:

    "Die Sprache ist der Urquell aller Missveständnisse"

    Deshalb... nicht alles was geschrieben wird, auf die Goldwaage legen ;)

    Toni

  • Kein Problem, ich bin da relativ schmerzfrei und ich habe vor allem in der Anfangszeit auch alles mögliche von links nach rechts und umgekehrt und im Kreise gedacht. Finde ich also ganz normal. Nur hat sich halt bei mir auf Dauer nicht alles als realistisch herausgestellt und mir war meine Trockenheit immerhin wichtig genug, dass ich dafür sogar manchmal über meinen Schatten gesprungen bin. Denn wenn ich wieder gesoffen hätte, hätte ich ja auch schlecht ausgesehen und darüber hinaus sowieso verloren, was meine Ansprüche an mich angeht. Also, was ich besoffen konnte - mich blamieren - kann ich im Zweifelsfall nüchtern auch, ohne dass es mich groß juckt, oder so. Sprich ich nehme mich auch nicht gerade bierernst.

  • Morgen Forum,

    jetzt habe ich die ersten zwei Wochen ohne Alkohol. Die letzten Tage waren schwierig. Nicht wegen der Lust am giftigen Saft, eher wegen Niedergeschlagenheit und Erkältung. Gehört vielleicht auch zum Reinigungsprozess von Geist und Körper dazu. Egal. Gestern war ich mit einem Kollegen in einem Konzert und verspürte eigentlich keinen Drang in der Pause ein "Sektchen" zu trinken. Auch der Gedanke an einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, der schon vor dem Konzertsaal seine durstigen Scharen empfängt, ließ mich relativ kalt. Auch wenn etwas heißes meinem schmerzenden Hals eigentlich ganz gut getan hätte.

    Was mir aufgefallen ist, ist, dass ich ab und zu wieder über ganz banale Dinge lachen kann. Ich habe den Eindruck mein Humorempfinden kehrt wieder etwas zurück. Auch wenn ich, wie gesagt, die letzten Tage eher deprimäßig unterwegs war. Hierin sehe ich auch einen krassen Vorteil im Gegensatz zum Leben mit Alkohol. Alleine das ist es schon wert, sich grundsätzlich nicht mehr dieses Zellgift zuzuführen.

    Apropos Zellgift. Mir ist eigentlich erst kürzlich so richtig bewusst geworden, dass das Gift tatsächlich jede Zelle im Körper erreicht. Nicht nur die Leber, das Hirn, den Magen und die Bauchspeicheldrüse. No. Jede einzelne Zelle wird über das Blut von diesem Schädling heimgesucht. Meine Güte... was tut man sich da denn eigentlich an. Das ist doch Wahnsinn... nüchtern betrachtet ;-). Jedenfalls meine ich zu spüren, dass beim Joggen die Gelenke, Bänder und Sehnen und auch die Muskeln weniger empfindlich sind. Auch hier treibt der Alkohol wohl sein schädliches Handwerk, das ich ihm nun endgültig legen will.

    So... wünsche allen ein gutes Wochenende.

    Das Leben ist schön
    Toni

  • Hallo Toni,

    dann bist du ja erst mal auf einem guten Weg. Weiter so. :)

    Ich habe hier gerade mal nachgelesen und kann deinen Mensch Tier Vergleich auch nicht nachvollziehen.

    Meine Katzen sind 100% aufmerksam, klar, sensibel, genussfähig und im hier und jetzt.

    Davon kann man sich als Mensch ruhig mal was abgucken. :)

    Viele Grüße, <br />Risu

  • Zum Teil komme ich mit diesem Tiermodell schon klar, weil Tiere mit fast gleicher Wahrscheinlichkeit von Drogen und Alkohol abhängig werden wie Menschen, wenn sie die freie Auswahl haben. Das finde ich deswegen interessant, weil es da um die Frage geht, wieviel Anteil das Suchtmittel selbst an der Abhängigkeitsentwicklung hat. Ist ja schon ewig eine Streitfrage, ob jeder abhängig würde, wenn er nur genug konsumieren würde, und warum unterschiedliche Drogen unterschiedliches Suchtpotential haben, was ja über die individuellen Umstände, unter denen jemand abhängig wird, hinausgeht.
    Ich denke, der Punkt ist die Annahme, dass Tiere, da sie nicht über die Folgen nachdenken, weitermachen, so lange sie Stoff kriegen. Der Aufschub der Belohnung, der zu dem Gedanken führt, dass es mir morgen besser geht, wenn ich heute nichts trinke, ist Tieren nicht möglich. Und das ähnelt schon ziemlich den Verhalten, wie ich es beschrieben habe, wenn der Trinkimpuls mächtig ist, denkt man über die Folgen nicht nach oder schiebt sie beiseite - das ist auch mangelnde Impulskontrolle.

  • https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/das-ti…alkohol-trinken

    Daraus:

    5 Prozent der Affen sind Abstinenzler, 65 Prozent sind Gelegenheitstrinker und 15 Prozent sind schwere Trinker. Die trinken so vier Cocktails am Tag"

    Mario Ludwig, Deutschlandfunk Nova-Biologe
    Bei den verbleibenden 5 Prozent sprechen Forscher von "Selbstmordtrinkern". Damit gemeint sind Affen, die ihr Leben durch Alkohol beenden wollen.

    Übrigens: Diese prozentuale Verteilung entspricht exakt den Zahlen, die wir auch in der menschlichen Gesellschaft vorfinden.

    Ich glaube nicht, dass der Mensch das bessere Tier ist! :))

    Viele Grüße, <br />Risu

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