Hallo in die Runde.
Ich versuche mich kurz zu fassen (wird eh nix) Ich bin 43 Jahre alt, vollzeit arbeitend, alleinerziehende Mutter eines 15jährigen. Letzte Woche Montag habe ich meinen ersten, und ich WILL letzten, teilstationären einwöchigen Entzug begonnen, letzten Freitag abgeschlossen. Dies alles begleitet mit den üblichen Therapien und Medikamenten. Die letzte Dosis gab es Sonntagabend.
Mir war schon sehr sehr SEHR lange klar, dass ich Alkoholikerin bin. Wann genau das begonnen hat, kann ich heute nicht mehr genau ausmachen. Ich kann nur rückblickend sagen, wann es anfing, bedrohlich zu werden.
Alkohol spielte in meinem Leben ... ich sage mal nach der Geburt meines Sohnes immer irgendwie eine Rolle. Ich habe immer mehr getrunken, als alle Anderen, ohne dabei aus der Rolle zu fallen. Ich war immer die Erste und Letzte auf der Party. Habe immer in Firmen gearbeitet, wo viel gefeiert wurde. Wo die Leute viel getrunken haben. Da fiel man dann auch nicht so auf... Naja.
Es gab immer mal längere Trinkpausen, "nur" das Glas Wein zur Pizza, ein Glas Prosi mit der Mama am Sonntagnachmittag. Auf Feiern wurde es dann schon mal mehr.
Vor zwei Jahren hatte ich ein nicht sehr schönes Erlebnis, welches neben einer dann neu gewonnenen posttraumatischen Belastungsstörung meinen Alkoholkonsum stetig steigerte. Also seit diesen zwei Jahren habe ich eigentlich fast jeden Abend damit verbracht, nach der Arbeit eine halbe Flasche Wein zu köpfen. Aus der wurde dann schnell eine Flasche. Aus der Flasche eine Literflasche. Im letzten Jahr kamen obendrauf noch Mixgetränke.
Im September letzten Jahres stellten sich bei mir auf einmal von heute auf morgen unerklärliche Panikattacken ein, die mich im Leben stark behinderten. Hier geht es hauptsächlich um die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Das wurde so schlimm, dass ich nicht mehr in der Lage war, rechtzeitig zum Job zu erscheinen. Für meine Firma war das ok, schließlich bin und war ich die mit dem schlimmen Erlebnis. Jeder hatte Verständnis.
Was natürlich keiner wusste war meine Alkoholabhängigkeit. Meinen Eltern hatte ich bereits letztes Jahr "reinen Wein" haha eingeschenkt, war in einer Suchtberatung. Man legte mir hier einen stationären Aufenthalt ans Herz, ambulant würde bei mir nicht funktionieren. Ich lehnte dies erstmal ab. Zum einen war ich noch gar nicht so weit, mir ein Leben ohne Alkohol, eine Feier ohne Alkohol vorstellen zu können. Zum Zweiten war eine wochenlange Abwesenheit von daheim und der Firma nicht denkbar.
Letzten Dezember landete ich dann nach einem sehr alkoholreichen Abend mit Verdacht auf Herzinfarkt auf der Intensivstation. Natürlich hatte ich nichts. Mein Herz ist ok, mein Blutdruck auch, sogar meine Leberwerte sind hervorragend. Aber da war der Punkt erreicht, wo ich wusste: So geht das nicht mehr weiter. Und du willst auch nicht mehr so weitermachen.
In einem Termin, in dem meine Panikattacken in einer Angstambulanz besprochen werden sollten, erwähnte ich ehrlicherweise auch meine Alkoholabhängigkeit. Eine Woche später im Nachfolgetermin riet mir der Psychologe eindringlich, zuerst einen teilstationären Entzug zu machen, vorher gäbe es keine Therapie gegen die Angst. DENN, es kann ja auch sein, dass der Alkohol und die Abhängigkeit letztendlich dafür verantwortlich sind. Das leuchtete mir auch ein. "Na, dann gehen wir gleich mal zur Anmeldung und machen einen Termin aus"...
Das war an einem Dienstag, das ist zwei Wochen her. Wann ich denn Zeit hätte, der Entzug ginge immer montags los. Und mir war klar, nee, du wartest jetzt nicht noch die fette Firmenfeier in drei Wochen ab, sondern es muss JETZT losgehen. Sofort. Also nahm ich gleich den nächsten Montag. Der war letzte Woche.
Ich weiß noch, wie ich wehmütig mein letztes Glas gefeiert habe. Die Vorstellung vor dem Entzug und die damit verbundenen Qualen (vor allem ey, was mach ich dann abends bis zum Schlafengehen???) waren schlimmer als der Gedanke, nie wieder zu trinken. Aber ich habe mich auch gefreut.
Und so erschien ich letzten Montag zu meinem ersten Entzug. Nahm meine Medikamente, ging nach einigen Stunden wieder nach Hause. Es war nachmittags, ich die ganze Woche krank geschrieben, und dann saß ich da.. UND JETZT??? Ich möchte noch erwähnen, dass ich nur abends getrunken habe, aber täglich. Nie morgens, nie tagsüber, immer erst nach der Arbeit, immer im Geheimen, Wein in die Teetasse, damit der Sohn nichts mitbekommt. Ich habe auch immer Haltung und Sprache bewahren können.
Kurzum, die Therapie war super. Ich fühlte mich schon am Dienstag wie ein neuer Mensch. Gedanken an ein Glas Wein kamen nicht auf und wenn, nur ganz kurz. Ich wurde nur leider nicht müde von den Tabletten und an Schlafen war auch nicht zu denken, sondern ich entwickelte eine Energie, die man schon fast mit Hyperaktivität vergleichen konnte. Ich putzte wie blöd die Wohnung, ging stundenlang spazieren, shoppen (ich hasse shoppen!), hatte jeden Abend einen Plan. Verbrachte irre viel Zeit mit meinem Sohn, vor dem TV, über Büchern, Puzzle, vor dem Herd, mit meinen Eltern. Ich fing wieder an zu fotografieren.
Am Mittwoch hatte ich drei Termine, in allen dreien gab es einen großen Aha-Effekt (im zweiten riesen Geheule, aber das brachte auch wieder neues Licht in meine ganze Geschichte) In der Gruppentherapie mussten wir dem Alkohol eine Charaktereigenschaft zuordnen. Ich kam sehr schnell auf dominant. Dominanz spielte in meinen Leben immer eine Rolle. Nicht, dass ich sie hätte. Aber da waren diese narzisstischen Exfreunde und Leute, für die man Sachen macht, die man gar nicht machen möchte; nie Widerspruch gegen das, was die Eltern gesagt haben... nie was hinterfragt und es war, als ob mir einer n Schalter im Kopf umgelegt hat.
Und den Begriff Hilf-Ich haben wir sicherlich alle schon mal gehört. In dem Moment wusste ich, welche Position der Alkohol in meinem Leben eingenommen hat. Und was MIR als Mensch eigentlich fehlt. Selbstbewußtsein. Stärke.
Nach dem Termin drehte sich alles in meinem Kopf. Den Donnerstag erlebte ich in einem Rausch aus Hochgefühl, Selbstliebe, mir schien ein Regenbogen aus dem Hintern. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein. Ich war so gottfroh über meine Zeit, die ich auf einmal sinnvoll verbrachte. Tatsächlich gehe ich inzwischen ins Fitness-Studio. ICH! Ganz alleine!!! Und gerne! Meine Panikattacken waren weg, meine ständigen Durchfälle, ich konnte machen und tun was ich wollte.
Sprich, ich bin heute 8 Tage trocken. Mein Geist hat das umgesetzt. Für mich ist auch klar, ich werde, will, darf niemals ein Glas Wein trinken zum Essen. Das ist für mich ok. Selbst der Gedanke an Feiern macht mir keine Angst mehr. Alkohol im Laden juckt mich nicht. Für den Anfang so weit, so gut.
Jetzt kommt das Aber. Nach der Einnahme meiner letzten Tablette am Sonntag geht es hier körperlich bergab. Gestern kam ich ausgepowert aus dem Fitness, war auch müde, legte mich hin. Ich lag bis halb 3. War wach halb 7. Dazwischen kurze Schlafphasen mit Albträumen. Schüttelfrost. Nassgeschwitzt. Beim Aufstehen merkte ich, dass sich in mir eine unfassbare Unruhe aufbaute. Meine Panikattacken waren wieder da. Und das am ersten Arbeitstag nach dem Entzug. Ich kam komplett durchgeschwitzt in der FIrma an, natürlich wieder zu spät, weil ich in keine Bahn steigen konnte, was die Woche vorher noch wunderbar geklappt hatte; ich schwitzte den ganzen Tag. Ich zitterte, ich konnte nicht mal meine Kaffeetasse halten, von Wimperntusche auftragen ganz zu schweigen, ich hätte mir das Auge ausgestochen. Nein, ich will nichts trinken, nein ich habe keine Lust auf Alkohol. Aber dass der körperliche Entzug so schlimm wird, das hätte ich nicht gedacht. Ich weiß, dass das auch noch eine Weile so weitergehen wird. Aber ich bin irgendwie... enttäuscht von mir. Natürlich ist es dämlich zu denken, nach der Woche ist alles anders und man ist übern Berg. Der eigentliche Weg geht ja jetzt erst los. Ich weiß, dass ich das schaffe, Aufgeben oder Trinken ist keine Option und wird niemals eine sein für mich. Wahrscheinlich will ich einfach zu viel auf einmal.
Danke fürs Zulesen S.