• Hallo,

    ich habe mich heute hier registriert, weil ich mich in eurem Forum gerne gelegentlich am Austausch beteiligen möchte. Ich lese bereits länger immer mal hier mit, oft mit großem Gewinn, war aber bisher noch nicht entschlossen, mich vielleicht auch aktiv beteiligen zu wollen.

    Ich bin weiblich, noch nicht ganz fünfzig, und feiere in diesen Tagen meinen fünften Trockengeburtstag. Vielleicht ist das auch der Anstoß, mich heute hier anzumelden. Vielleicht als kleinen Meilenstein, eine Wegmarkierung (ohne dass ich darüber vorher groß nachgedacht hätte, als ich anfing, diese Vorstellung zu schreiben).

    Ich bin sehr dankbar, dass ich vor fünf Jahren mit dem Trinken aufhören konnte. Mein Leben hat sich seitdem ziemlich verändert. Ich habe viel verändert.

    Der Austausch mit anderen trockenen Alkoholikern ist für mich im Rahmen meiner Selbsthilfe ein wichtiges Element. Ich bin/war auch noch in einem anderen Forum aktiv und bin auch außerhalb des Internets in einer Selbsthilfegruppe.

    Und nun bin ich auch hier.

    Vielen Dank für die Aufnahme.

    Camina

  • Herzlich Willkommen, Camina, hier im Forum :welcome:

    Schön, dass Du Dich entschlossen hast, hier auch aktiv zu werden :D

    Trotzdem nochmal kurz zu mir: Ich bin m, 55, Alkoholiker, seit einigen Jahren trocken und ebenfalls auch außerhalb des Forums in der Selbsthilfe aktiv.

    Ich wünsche Dir und uns einen guten Austausch 44.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Camina, herzlich Willkommen bei uns im Forum,

    als ich hier ankam war ich auch schon einige Zeit trocken. Ich hatte also keine akute Not sondern einfach nur das Bedürfnis mich über meine Krankheit auszutauschen. Und in mir wuchs auch langsam der Wunsch, anderen zu erzählen, wie es bei mir damals funktioniert hat. Denn ich war so dankbar (bin es natürlich immer noch), dass ich nicht mehr trinken musste, dass ich mir dachte: es wäre toll, wenn ich anderen Denkanstösse geben könnte damit sie auch einen Weg heraus finden!

    So kam ich hier an und über die Jahre bin ich dann ein immer aktiverer Schreiber geworden. Ich würde mich freuen, wenn Du hier auch aktiv schreiben würdest und Deine Erfahrungen mit uns und all den anderen teilen würdest. Oft kommen hier Menschen in akuter Not an, schreiben ein paar mal, und verschwinden dann einfach wieder. Wir wissen dann nicht, was mit diesen Menschen passiert ist und ob sie der Alkohol wieder in den Würgegriff genommen hat. Aber manchmal bleiben auch Menschen oder schreiben in unregelmäßigen Abständen über ihr neues, trockenes Leben. Und darüber freue ich mich dann ganz besonders. Denn das zeigt mir dann, dass das Engagement, das wir hier einbringen, absolut nicht umsonst ist.

    Schön das Du da bist!

    LG
    gerchla

  • Danke für das Willkommen, Greenfox und Gerchla. Darüber freue ich mich.

    Ja, ich finde euer Engagement ganz toll, und ich habe schon viele Beiträge gerade von euch beiden gelesen, die ich als sehr wertvoll empfunden habe. Gerade auch, weil sie immer wertschätzend waren (sind).

    Bei mir war es so, dass ich extrem lange gebraucht habe, (sogar, als ich schon abstinent war), bis ich endlich kapiert hatte, dass ich süchtig geworden war. Die Beschäftigung mit Alkoholismus und das Lesen von Erfahrungen anderer Alkoholiker hat mir dabei entscheidend geholfen.

    Ich war vor meiner jetzigen Trockenheit auch vorher bereits einmal mehrere Jahre abstinent, sogar nach einer stationären Langzeittherapie, aber damals hatte ich trotzdem nicht verinnerlicht, dass ich suchtkrank war. Alles in mir wehrte sich gegen diese Erkenntnis.

    Gerade, weil ich diese Widerstände gegen die Krankheitseinsicht aus meiner eigenen Erfahrung kenne, finde ich den wertschätzenden Austausch unter Betroffenen so wichtig und hilfreich. Weil ich dadurch das Gefühl bekommen habe, nicht wertlos und verachtenswert zu sein, weil ich süchtig bin, sondern ein genauso wertvoller Mensch wie jeder Nichtsüchtige.

    Ich muss(te) erst wieder mühsam lernen, mich selbst zu achten. (Und bin immer noch dabei.)

    Und dankbar bin ich auch, genau wie du es schreibst, Gerchla. Dankbar, dass ich aufhören konnte, und dankbar für das Leben, das ich seither führen kann.

    Ich will mich gerne - nach meinen Möglichkeiten - hier mit meinen Erfahrungen mit mir einbringen und von euren Erfahrungen mit euch lernen.

    Viele Grüße
    Camina

  • Guten Morgen Camina,

    das ist wirklich schön, dass Du jetzt hier schreibst. Du bringst ganz wertvolle Erfahrungen mit. Auch welche, auf die Du sicher gerne verzichtet hättest, wie z. B. Dein Rückfall. Aber genau das sind Erfahrungen, die nicht alle haben. Mir fehlt diese Erfahrung zum Beispiel. Nicht falsch verstehen, ich bin sehr froh darüber, dass es so ist. Aber wenn hier jemand schreibt, dass er gerade ganz verzweifelt ist, weil er /sie einen Rückfall hatte, dann kannst Du mit Deinen eigenen Erfahrungen nochmal ganz anders helfen.

    So haben wir hier alle, jeder für sich, individuelle Erfahrungen über die wir berichten können und die dem einem hilfreich sein können, für den anderen vielleicht nicht das Richtige sind. Aber umso mehr wir hier sind und umso unterschiedlicher unsere Erfahrungen und Wege sind, desto mehr können diejenigen profitieren, die hier oft erst mal ganz verzweifelt aufschlagen und sozusagen nach Erster Hilfe suchen.

    Ich freue mich auf einen Austausch mit Dir!

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla,

    das ist interessant: Als ich las, was du mir geschrieben hast, war ich erst ganz verwundert - „wieso Rückfall?“, aber dann hab ich natürlich verstanden. Und realisiert, dass ich mein wieder Trinken nach meiner ersten Abstinenzphase gar nicht als Rückfall wahrgenommen habe. Weil ich mich damals ja auch noch nicht als Alkoholikerin wahrgenommen habe. Aber es stimmt natürlich, ich war damals mit Sicherheit schon Alkoholikerin, und meine mehrjährige „Abstinenzpause“ war ein mehrjähriger Rückfall. Von außen betrachtet.
    Das zeigt mir wieder mal, wie sehr diese Krankheit - und die Genesung (sag ich mal) - von der eigenen Wahrnehmung bestimmt wird.

    Überspitzt gesagt: ich bin erst richtig und „offiziell“ für mich Alkoholikerin, seit ich es akzeptiert habe, dass ich es bin.

    Ich bin für mich nur froh, dass ich es diesmal (vor fünf Jahren) geschafft habe, lange genug trocken zu bleiben, um diese Erkenntnis zu erlangen. Daher ist für mich am Anfang der Abstinenz erstmal viel äußerlicher Abstand zum Alkohol wichtig und gleichzeitig viel Beschäftigung innerlich damit. Gerne im Austausch mit anderen Betroffenen, so wie hier.

    Gruß und schönen Start ins Wochenende,

    Camina

  • Liebe Camina,

    das ist ein ganz spannendes Thema, also ab wann war ich eigentlich abhängig bzw. Alkoholiker. Ich kann auch nicht genau sagen, wie viele Jahre exakt ich abhängig getrunken habe.

    Natürlich war mir das erst mal egal und eigentlich ist ja auch egal. Aber im Zuge meiner Aufarbeitung wollte ich natürlich wissen, wann es eigentlich gekippt ist. Heute sage ich immer, dass ich über 10 Jahre abhängig getrunken habe, vielleicht aber auch 15. Wahrscheinlich ist es die goldene Mitte, so 12 oder 13 Jahre. Ich denke da dann immer zurück an meine erste bewusste und sehr lange Trinkpause. Und erinnere mich daran, dass ich während dieser langen Pause trotz vorher sehr niedrigem Trinkniveau häufig an Alkohol gedacht habe.

    Das ist für mich der Indikator, dass ich damals schon süchtig war. Zu dieser Zeit habe ich mir darüber aber natürlich noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Da hat halt meine Frau immer mal gesagt ich soll nicht immer mein Feierabendbier trinken und ob ich nicht einfach mal darauf verzichten könnte. Weil ich ja auch dann immer danach gerochen habe. Und klar, konnte ich. Aber ich dachte halt eben trotzdem oft daran, wie schön es jetzt wäre ein Bierchen zu trinken..... Ich denke heute, das war der Beginn und über die Jahre folgte dann das Grauen.

    Ich wünsche Dir auch ein wunderbares Wochenende. Bis bald und wir lesen uns.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla,

    ja, es ist nicht entscheidend, wann ich tatsächlich abhängig geworden bin. Aber für mich wichtig ist, festzustellen, dass ich längst abhängig war, als ich es selbst noch nicht wahrhaben wollte. Ich finde es für mich eine wichtige Erkenntnis, dass ich so gestrickt bin (und/oder die Suchterkrankung bei mir dazu führen konnte - wohl bei mir etwas von beidem), dass ich jahrelang mich selbst belügen konnte. Dass ich in einer verschobenen Realität leben konnte, so lange.

    Das ist wichtig für mich zu wissen, denn so kann ich ganz besonders achtsam sein, heute.

    ...
    Ich habe den Beitrag von Wolfsfrau heute im anderen Thread gelesen.

    Schon in der Vergangenheit habe ich tolle kluge Beiträge von dir gelesen, Wolfsfrau, und ich danke dir für dein Schreiben hier. Man merkt, dass du aus eigener, tiefer Erfahrung schreibst, und deine Erkenntnisse zur Befreiung von co-abhängigem Verhalten und Empfinden sind für mich sehr wertvoll, aufgrund meiner eigenen Geschichte und meinem eigenen Ringen um gesunde innere Unabhängigkeit/Abgrenzung.

    Viele Grüße,
    Camina

  • Hallo Camina,

    Du hättest mir ja bereits in meinem Thread geantwortet und nun habe ich auch deine Geschichte gelesen.

    So wie ich es verstanden habe, warst du mehrere Jahre abstinent, bist dann rückfällig geworden und hast es dann doch geschafft.

    Ich war auch immer wieder mal für ein paar Wochen (nicht Monate und erst recht nicht Jahre) abstinent.. es fällt mir auch nicht schwer, mit Freunden etwas zu trinken und nach ein zwei Gläsern wieder aufzuhören. Daa funktioniert sogar mit meinem spiegeltrinendem Partner. Allerdings nur solange kein falsches Wort fällt oder ich den entscheidenden Milliliter zuviel geschluckt habe.

    Vor ca einem Jahr hat mein damaliger Hausarzt bei einer Routineuntersuchung katastrophale Bluutwerte bei mir festgestellt. Ich habe dann nix mehr getrunken und die Werte waren wieder top. Alkohol habe damals natürlich geleugnet. Dieses Auf und ab ist bis heute so weitergegangen.

    Was mich interessiert: Was war für Dich der Auslöser, wieder anzufangen??? Passiert das tatsächlich durch Rotwein in der Sauce oder Eierlikör im Kuchen? Und vor allem, wie hast du es letztlich geschafft, was hat Dir wirklich - abgesehen vom körperlichen Entzug wirklich geholfen. Psychotherapie, SHGs, das Forum, Suchtberatung?

    Ich habe voriges Jahr mal ein Coaching gemacht. Die Ansage war: "das erste Glas stehen lassen". Das leuchtet mir ein. Aber den Knopf um genau das zu schaffen, habe ich noch nicht gefunden. Wer oder was hat das bei dir geschafft???

    Liebe Grüße,

    Juscha

  • Hallo Juscha,

    danke für deine Frage, die für mich Anstoß ist, zurückzudenken, mich zu erinnern, zu hinterfragen, wie das eigentlich war bei mir. Wie es kam, dass ich nach mehrjähriger Pause wieder in den Alkoholstrudel geriet. Und wie ich wieder herauskam.

    Zitat

    Was war für Dich der Auslöser, wieder anzufangen??? Passiert das tatsächlich durch Rotwein in der Sauce oder Eierlikör im Kuchen? Und vor allem, wie hast du es letztlich geschafft, was hat Dir wirklich - abgesehen vom körperlichen Entzug wirklich geholfen. Psychotherapie, SHGs, das Forum, Suchtberatung?

    Bei mir war es nicht der Eierlikörkuchen, sondern ich habe bewusst entschieden, Wein zu trinken in einer Situation, in der ich sehr angespannt war, weil ich mich erinnerte (mein Suchtgedächtnis mich daran erinnerte), dass Wein entspannend und angstlösend auf mich wirkte. Und ich empfand es nicht als Rückfall, weil ich wirklich zu der Zeit aus voller Überzeugung von mir gesagt hätte (und bei Gelegenheit auch gesagt habe), „Ich bin doch keine Alkoholikerin“.

    Ich hatte vier Jahre zuvor eine stationäre LZT gemacht, in einer psychosomatischen Abteilung, wegen Depressionen und „Alkoholabusus“. Und die Therapie war wirklich wertvoll für mich. Ich habe mich und mein Leben damit damals wieder auf die Reihe bekommen, konnte anschließend wieder arbeiten und eine Familie gründen usw. Allerdings war in meinem Kopf die ganze Zeit die Hintertür auf: Alkoholabhängig bin ich ja nicht wirklich. Ich trinke nur erstmal nichts mehr, weil ich damit Missbrauch betrieben habe.

    Dieser „Nicht-Rückfall“ führte dann erneut zu mehreren Jahren des heimlichen Trinkens und großer seelischer Not nicht nur bei mir.

    Und so war mir dieses Mal, als ich aufhörte, klar, dass ich lernen musste, wirklich tief innen zu realisieren, dass ich diese Krankheit habe. Es wirklich zu glauben, nein: es zu begreifen.
    Und es war immer noch ein Lernprozess. Ich habe mich der Erkenntnis Stück für Stück weiter angenähert. Das bedeutete, Bilder, die ich von mir, der Person, die ich war/bin, und meinem Leben, wie ich es gerne hätte, zu revidieren. Einige grundlegend, bis zur Unkenntlichkeit.
    Fassaden einreißen. Mitgefühl für mich selbst entwickeln. Mich den Schuldgefühlen stellen. Ach, es ist soviel, ich könnte ein Buch füllen.

    Zum Glück haben das andere wirklich getan. Ich habe wirklich viel über Alkoholismus gelesen. Im Internet (zum Beispiel in einem Forum wie diesem hier) und in Büchern. Erst später bin ich in eine SHG gegangen und habe begonnen, mich auch im realen Austausch als Alkoholikerin zu identifizieren. Das finde ich enorm stärkend.

    Kurzum, es ist diesmal ganz anders als bei meiner jahrelangen Trinkpause.

    Das Wichtigste für mich vielleicht: Ich bin total selbstbestimmt trocken. Ich wurde erst trocken, als ich getrennt war. In meiner Ehe hätte ich es nicht geschafft, behaupte ich heute mal. Und mein Ex war/ist kein Alkoholiker, das hatte andere Gründe.

    Für mich war gerade in der ersten Zeit auch sehr wichtig, herauszufinden, welche Funktion der Alkohol / das Trinken für mich hatte. Ich tat es ja, um mir „etwas Gutes zu tun“, einen Mangel zu stillen.
    Immer wieder nachfragen bei mir drinnen, welchen Mangel ich spüre, den ich stillen möchte. Und wie ich ihn wirklich stillen kann (denn Alkohol ist ja nur der Zudecker, nicht der Heiler.)

    Indem ich mich nach und nach mehr mit mir aussöhnte, konnte ich mich auch mehr gegenüber anderen Menschen öffnen und gewann einige sehr gute Freundschaften in den letzten Jahren. Mich anderen Menschen zu öffnen ist einer der Grundpfeiler meiner Trockenheit geworden.

    Und seit einem knappen Jahr mache ich auch (wieder) eine Psychotherapie, die mir hilft, an die tieferen Schichten heranzukommen. Das brauche ich, um einiges aufzulösen, das ich schon so lange ungelöst mit mir herumschleppe.

    Jetzt ist es ja doch etwas länglich geworden ... nochmal kurz und knapp, als meine positive Erfahrung gerade für die erste Zeit:

    - Allen Alkohol aus dem Umfeld weg
    - Reden, reden, reden (die „richtigen“ Freunde, SHG, Beratungsstelle, etc.)
    - zuhören (s.o.)
    - über Alkoholismus lesen und sich informieren
    - Freundlich und fürsorglich zu sich selbst sein

    Hast du eine Beratungsstelle/SHG, an die du dich wenden könntest?

    Ich wünsch dir alles Gute! Ich lese dich weiter.

    Camina

  • Liebe Camina,

    ich wollte Dir nur sagen, dass ich mich in ganz vielem von dem was Du über Deine (unsere) Krankheit geschrieben hast wieder finde. Ich habe es sehr ähnlich erlebt und erlebe es sehr ähnlich wie Du. Sogar inklusive der Trennung von (in meinem Fall) meiner Frau. Die ebenfalls quasi überhaupt keinen Alkohol trank. Das ist tatsächlich das erste mal, dass ich auf jemanden treffe, der scheinbar vor genau der gleichen Entscheidung stand wie ich damals.

    Es war so, dass ich mir lange eine Trennung nicht vorstellen konnte. Weil da waren ja meine von mir über alles geliebten Kinder. Und ja, meine Frau war jetzt auch keine böse oder schlechte Frau. Ich war ja derjenige, der heimlich trank, den sie deshalb auch schon lange nicht mehr erreichen konnte. Ich war also jahrelang wirklich der Täter und nicht das Opfer. Aber so richtig bewusst war ich mir dieser ganzen Situation nicht. Vielleicht war das bei meinem täglichen Konsum auch gar nicht mehr möglich. Ich meine zu verstehen, was da eigentlich genau ab geht. Wenngleich ich immer mal lichte Momente hatte, die ich aber nicht ertragen konnte und sofort mit Alkohol abdunkelte.

    Erst als ich aufgehört habe fing ich an tiefer nachzudenken. Und erst dann wurde mir klar, ich werde nicht trocken bleiben (oder zu dieser Zeit besser: trocken werden), wenn ich mich nicht trenne. Diese Entscheidung war unglaublich hart. Für mich, aber natürlich noch mehr für meine Kinder und auch für meine damalige Frau, denn sie sagte mir auch, dass sie mich immernoch liebte. Und sie wäre wohl den Weg mit mir gegangen. Aber ich konnte nicht.

    Du merkst, das ist ein Thema das mich auch nach diesen vielen Jahren noch sehr beschäftigt. Ich verbinde damit eine große Schuld meinerseits. Ich gab ihr auch keine Chance unsere Beziehung zu retten. Es beschäftigt mich immernoch, obwohl ich heute wieder verheiratet bin, mit einer wunderbaren Frau die ich wirklich sehr sehr liebe. Aber mir ist auch bewusst, dass ich jetzt erst weiß, was Liebe eigentlich bedeutet. Insofern beschäftigt mich auch manchmal die Frage, ob ich meine erste Frau überhaupt jemals geliebt habe bzw. was ich damals darunter verstanden habe.

    Ich finde das sehr interessant, weil eigentlich könnte ich da einen Haken dran machen. Ich bin heute sehr glücklich, habe nochmal eine wunderbare Tochter bekommen, meine beiden anderen Kinder sind ebenfalls wunderbar und wir haben ein prima Verhältnis und sogar das Verhältnis zu meiner ersten Frau ist wirklich gut. Aber trotzdem beschäftigt mich das immer wieder, ohne das ich jetzt irgendwas finde, das ich unbedingt aufarbeiten möchte.

    Naja, wollte ich Dir einfach mal schreiben. Vielleicht gibt es noch andere Menschen hier, die vor solchen Entscheidungen stehen. Manchmal muss man Dinge tun, die von außen nicht verstanden werden (so war das bei mir), wenn man davon überzeugt ist, dass es die richtigen Dinge sind!

    LG
    gerchla

  • Hallo Camina, hallo Gerchia.

    Genau das, was Ihr schreibt ist das, was mir seit Tagen durch den Kopf geht und mir wird immer mehr bewusst, was da vor mir liegt. Für einen Moment habe ich gedacht: "hätte ich die Augen doch zugelassen, dann könnte ich jetzt gemütlich mit meinem Freund Glühwein oder Eierpunsch auf dem Weihnachtsmarkt trinken". Stattdessen denke ich rund um die Uhr darüber nach, wie es weitergeht.

    Es gibt Phasen, da komme ich an meinen Partner überhaupt nicht mehr ran. Ich habe das lange nicht verstanden, bis mir das Ausmass seines Alkoholkonsums bewusst wurde. Im Urlaub wenn er keine Gelegenheit hat, heimlich zu trinken, haben wir eine tolle Beziehung, trinken oder tranken auch mal an der Strandbar das ein oder andere Bier zusammen. Aber wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, er mich mit glasigen Augen anschaut, dann kriege ich zuviel. Schlimmer ist es am Wochende, wenn wir uns gemeinsam etwas vornehmen und ich dann vom Einkaufen komme und er durch die Wohnung wankt und mir vorlallt, wie ich auf die Idee komme, dass er was getrunken habe. Ich raste dann aus und trinke erstmal zwei Piccolos auf Ex. Und dabei bleibt es natürlich nicht. Und zack hat mich der Sog erwischt. Und es passiert immer und immer wieder und dann in Mengen, die mich ruinieren. Und ich frage mich, welcher Zombie mich da aus dem Spiegel anglotzt. Und warum ich mir das antue, dass ich mich selber nicht schätze und warum ich es zulasse, was da mit mir passiert.

    Die Schwester meines Freundes will sich in einer Entzugsklinik beraten lassen, wie es mit ihm weitergehen könnte. Sie wohnt weiter weg und nutzt keine elektronische Medien deswegen geht die Kommunikation im Moment nur über dritte. Ich habe die Familie wissen lassen, dass es für mich nur zwei Wege gibt. Entweder eine intensive Therapie für beide oder eine Trennung.

    Ich selbst habe heute morgen die Suchtberatung kontaktiert und warte nun auf einen Termin.

    Immerhin hat das Medikament, das mein Arzt nir gestern gegen Entzugserscheinungen verschrieben hat und zum ersten mal nach einigen Wochen, fühle ich mich zumindest körperlich wieder halbwegs wie ein Mensch.

    Ich bin gespannt wie es weitergeht.

    Alles Liebe,

    Juscha

  • Hallo Juscha,

    wie geht es dir jetzt, kurz vor dem Wochenende? Ich frag dich gleich auch nochmal drüben „bei dir.“

    Hallo Gerchla,

    ja, das ist vieles ähnlich, da ist einiges in deinen Berichten, was mich an mich erinnert und meine Situation; sowohl mit der extremen Heimlichkeit während der nassen Zeit, als auch die Notwendigkeit der Trennung vom/von der Ehepartner(in).

    Ja, und dann das Thema Schuld.
    Bzw. Schuldgefühle. Was ja nicht deckungsgleich ist, oft.
    Dazu schreibe ich vielleicht lieber woanders nochmal ausführlicher. Ich habe für mich durchaus das Gefühl, da noch etwas aufarbeiten zu müssen. Da ist noch nicht alles von meinem Kopf in meinen Bauch gewandert, sozusagen. Da bin ich noch auf dem Weg ins „Reine“ mit mir. Und eben mit mir inklusive meiner Suchtkrankheit und meines Verhaltens im nassen Zustand und beim Trockenwerden.

    Ich habe übrigens mir auch genau diese Frage gestellt: (Naja, fast genau.)

    Zitat

    Insofern beschäftigt mich auch manchmal die Frage, ob ich [...] überhaupt jemals geliebt habe bzw. was ich damals darunter verstanden habe.

    Aber wie gesagt, vielleicht schreibe ich dazu lieber an anderer Stelle.

    Danke schon jetzt für den Austausch.

    Viele Grüße
    Camina

  • Guten Morgen Camina,

    über dieses Thema oder diese Themen würde ich mich sehr gerne mit Dir austauschen. Bezüglich der Schuld oder der Schuldgefühle musste ich sehr hart an mir arbeiten. Wenn ich da nicht die richtige Hilfe von außen gesucht und erhalten hätte, ich weiß nicht ob ich nicht sogar darüber verzweifelt wäre. Dazu hätte ich ganz viele Gedanken, die ich gerne mit Dir diskutieren und teilen würde.

    Selbiges zum Thema "habe ich überhaupt jemals richtig geliebt".

    Aber ich lass das hier jetzt bleiben. Vielleicht möchtest Du im Bereich "WhoisWho" einen Thread eröffnen? Da können nur angemeldete Mitglieder die dafür freigeschalten wurden mitlesen. Hat Dich Greenfox für diesen Bereich schon freigeschaltet? Ich könnte den Thread dort auch eröffnen. Aber ich warte jetzt erst mal ab.

    Ich wünsche Dir eine schönes Wochenende und freue mich auf einen weiteren Austausch mit Dir.

    LG
    gerchla

  • Hallo,
    Schuldgefühle, für mich ein ganz schweres Thema:
    Lieber Gerchla:

    Zitat

    "habe ich überhaupt jemals richtig geliebt".


    Das ist MEIN Thema..danke
    LG

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Guten Morgen Britt,

    dir heute einen herzlichen Gruß und gute Wünsche. Ja, beim Trockenwerden hab ich mich auch erst (wieder?) ganz neu kennengelernt und hatte und habe viele Fragen, deren Beantwortung ich zu leben versuche.

    Lieber Gerchla,

    danke dir! Und ja, Greenfox hat mich schon freigeschaltet, ich hatte nur noch nicht die rechte Ruhe, um dort zu schreiben. Aber das werde ich demnächst tun. Ich freue mich auch auf den Austausch und wünsche dir und uns allen ein frohes Adventswochenende.

    Camina

  • Angestoßen von einem Dialog in einem anderen Faden ist es mir ein Bedürfnis, meinen Beitrag zu dem Thema zu schreiben, und das tue ich am besten hier in meinem eigenen Faden.

    Zitat von „Rekonvaleszent“

    Mir geht das Mantra-artige Runterbeten "Ich bin die/der.. und Alkoholiker" auf die Nerven. Geht man zu so einem Meeting, dann ist sonnenklar, weshalb man dort ist und nicht, weil man zu viel Käsekuchen gefuttert hat.

    Das Gespräch mit Emilie fand hier statt:

    An Wodka1964 - wegen Depression u. Alkohol

    Wenn ich mich in meiner SHG (keine AA-Gruppe) vorstelle, sage ich meine Namen, gefolgt von „Alkoholikerin“ oder „alkoholkrank“ oder „trockene Alkoholikerin“, gerade, wie es mir momentan in den Sinn kommt. Aber dass ich meine Krankheit benenne, ist mir wichtig. Über die Jahre hat sich meine innere Haltung zu meiner Suchterkrankung verändert, und auch das Aussprechen / Benennen der Tatsache, zumindest in dem geschützten Raum meiner SHG, hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass meine Scham weniger und meine Selbstakzeptanz größer wurde. Und zwar nicht trotz meines Alkoholismus, sondern mit meinem Alkoholismus.

    Grüße und schönen Sonntag,

    Camina

  • Wenn ich mich in meiner SHG (keine AA-Gruppe) vorstelle, sage ich meine Namen, gefolgt von „Alkoholikerin“ oder „alkoholkrank“ oder „trockene Alkoholikerin“, gerade, wie es mir momentan in den Sinn kommt. Aber dass ich meine Krankheit benenne, ist mir wichtig. Über die Jahre hat sich meine innere Haltung zu meiner Suchterkrankung verändert, und auch das Aussprechen / Benennen der Tatsache, zumindest in dem geschützten Raum meiner SHG, hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass meine Scham weniger und meine Selbstakzeptanz größer wurde. Und zwar nicht trotz meines Alkoholismus, sondern mit meinem Alkoholismus.

    Hallo Camina!

    Zum Glück sind wir alle unterschiedlich, sonst wäre es ja auch langweilig. ;)

    Wenn es Dir und anderen hilft, dich in entsprechender Runde so zu bezeichnen, macht Ihr für euch alles richtig.

    Ich habe meinen Weg gefunden, so hoffe ich zumindest und verbleibe bei meiner bislang für mich bewährten Strategie.

    Allerdings war ich schon lange nicht mehr bei derartigen Treffen und es zieht mich momentan auch nichts dort hin.

    Gruß
    Rekonvaleszent

  • Selbstdiagnose nennt das der Therapeut und ob das wichtig ist? Soll jeder selber entscheiden! Ich weis als ich mich noch nicht als Alkoholiker gesehen habe, dass ich schon ein wenig belustigt war wen im TV mal ein Meeting der AA gezeigt wurde mit diesen Sprüchen (Im angelikanischen Raum ist das ja noch viel ausgeprägter) aber mittlerweile denke ich da anders. Ich besuche die AA und den Kreuzbund, zwei völlig konträre Philosophien, die mir aber beide gefallen. Zu sagen das ich Alkoholiker bin, bereitet mir kein Problem. Ich habe da auch von Anfang an offen drüber geredet, meine Dienststelle, meine Freunde und der Rest meiner Familie weis bescheid, ich schäme mich nicht dafür sondern bin Stolz im Moment trocken zu sein. Das und der Umstand jedesmal daran erinnert zu werden wen ich es sage hilft und motiviert mich, meine Umwelt nicht mehr belügen zu wollen. Wer damit ein Problem hat? So what! Ich jedenfalls nicht!

  • Danke für eure Rückmeldungen, Rekonvaleszent und Gudyo.

    Ich bewerte nicht, wie jemand anders seinen Weg geht. Ich gebe mir jedenfalls aktiv Mühe, das nicht zu tun. Manchmal habe ich zwar eine Meinung, aber ich erinnere mich dann selbst daran, dass ich nicht wissen kann, wie es sich anfühlt, der andere zu sein.

    Ich kann also nur von mir erzählen.

    Zitat von „Gudyo“

    (...) jedesmal daran erinnert zu werden wen ich es sage hilft und motiviert mich, meine Umwelt nicht mehr belügen zu wollen

    Für mich hilft es in erster Linie dabei, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein und nicht mein Süchtigsein vor mir selbst zu verleugnen. Laut ausgesprochene Worte haben für mich da eine ganz starke Wirkung, die nicht über den sogenannten Kopf geht, sondern direkter auf mein Inneres (Bauch? Gefühl? Seele?) wirkt.

    Aber das ist, wie schon geschrieben, ein andauernder Prozess, und ich bin gespannt, wie sich mein Gefühl für mich (und dadurch auch für alles andere) im Lauf der Zeit noch weiter verändern wird.

    Diese Möglichkeit der Veränderung, Selbstaussöhnung, ist erst trocken möglich. Wie dankbar ich dafür bin!

    Grüße, Camina

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