Hallo Orangina,
Du hast ja schon bei mir gelesen, da muss ich Dich nicht unnötig zutexten.
Ich glaube, wenn man mal angefangen hat, sich mit dem Thema wirklich zu beschäftigen, das geht ja schon bei den Kontrollversuchen los, dann trinkt man nie wieder unbeschwert. Entweder man gehört zu denjenigen, die das wieder unter Kontrolle kriegen, aber das ist ja auch nicht wirklich locker, oder man hat das dann halt immer irgendwie im Hinterkopf, wie mans machen könnte, und es wird anstrengend.
Du schreibst ja auch, dass Du Dir ein alkoholfreies Leben bis vor kurzem nicht richtig vorstellen konntest, das war bei mir ganz genau so. Bis es eben geschnackelt hat.
Ich hab mich in der Anfangszeit einerseits mit dem Psychologen der Suchtberatung drüber auseinandergesetzt, was eigentlich in dem Moment, in dem ich zum ersten Schnaps greife, passiert, und was ich da für Alternativen habe. Dank meiner ganzen Trinkpausen - die fand ich auch wichtig - hatte ich zum Glück schon einige Alternativen, und ich hatte auch die Erfahrung schon, dass Druck vorbei geht, und dass ich auch was aushalten kann. Also ich war mir schon recht bald relativ sicher, dass ich das schaffen kann, wenn ich das tatsächlich will.
Andererseits reicht das Abschreckende nicht, glaube ich nicht. Zu oft habe ich schon gehört, dass jemand nach ein paar Jahren vergessen hatte, wie schlimm es war, und dann deswegen wieder getrunken hat. Für mich ist das einfragwürdiges Argument, denn eigentlich gibt es auch dann, wenn man es vergessen hat, keinen Grund zu trinken. So wenig wie es für sonstige normale Leute keinen Grund zum Trinken gibt, wenn sie nicht wollen. Da kenne ich inzwischen auch ein paar, die trinken einfach keinen Alkohol aber ohne ein Problem gehabt zu haben.
Also schon alleine auf die Idee zu kommen, dann zu trinken, zeigt irgendwie, dass man sein Leben nicht so geändert hat, dass man aus positiven Gründen aufgehört hat, weil man von der Trockenheit viel zu sehr profitiert, als dass man das aufgeben würde.
Ich hab mich von Anfang meiner Trockenheit an damit beschäftigt, was ich von der zweiten Hälfte meines Lebens (ich war da Anfang 40) noch erwarte, wenn ich das jetzt ohne Alkohol, Nikotin etc irgendwie angehe. Mit Irrtümern ud Umwegen, aber mir geht es die ganzen Jahre schon immer drum, was mir eigentlich wirklich wichtig ist. Das muss ich ab und an neu herausfinden, denn auch das ändert sich über die Jahre natürlich immer weiter, auch beim ganz normalen Älterwerden denken Leute darüber nach.
So ziemlich am Anfang, nach ein paar Wochen, war ich mal mit dem Fahrrad unterwegs und habe mit meinem Sucht-Ich Selbstgespräche geführt.
So in der Art
"Wir wollen doch beide, auf unsere Art, dass es uns gut geht. Das funktioniert jetzt aber nur noch ohne dieses ganze selbstschädigende Verhalten. Denn damit geht es uns beiden (Sucht- Ich und Nüchtern-Ich) ja offensichtlich nicht gut, und glücklich werden wir so ganz sicher nicht.
Also müssen wir uns irgendwie einigen, dass beide Teile was davon haben."
Na und da dran habe ich auch lange gearbeitet. Und das war immer wieder spannend, manchmal auch nervig, aber es war das pure Leben.
Und ich glaube das ist mindestens so viel Rückfallversicherung wie die Erinnerungen. Bei den Erinnerungen fällt es den meisten nämlich über kurz oder lang auf, dass ihnen Trinken oder was auch immer an Drogen auch Spaß gemacht hat oder (zumindest Anfangs) eben nicht nur schlecht war. Dann ist es schlecht, wenn man sich danach zurücksehnt, weil es das dann vermeintlich einfacher wäre und man das noch mal erleben möchte. Da bleibt einem nichts anderes übrig als drüber nachzudenken, warum das so ist, und vor allem, was man daran ändern müsste und auch könnte(man kann ja nicht alles, was man gerne möchte, also mit Frust muss man auch umgehen).
Am Anfang muss man da einiges durchstehen (das war bei mir ohne Saufdruck trotzdem so), aber das ist ja auch ein Lernprozess, den man absolut für sich selbst nutzen kann. Natürlich entdeckt man dabei nicht nur seine schönsten Seiten, aber ab und an die Krallen ausfahren können ist auch trocken ganz nützlich.
Jedenfalls, da wo man etwas lassen will, braucht man einen sinnvollen Ersatz, damit das nicht nur Verzicht bleibt. Sondern damit man dann, dauerhaft, über die ersten "es ist so schön wenn der Schmerz nachlässt"-Erfahrungen hinaus, auch tatsächlich was von der Änderung hat.
Dieses ganze System, auf dem die Sucht aufbaut (Motivation, Belohnung usw.) ist ja an sich eine sinnvolle Erfindung der Natur, die uns das Erleben von Lebensfreude und echtem Genuss (ganz wichtiges Thema, dazu braucht man keinen Alkohol)ermöglicht, und die nun umtrainiert werden sollte/kann. Geht langsam, braucht man Geduld, was ich ab und an gerne betone.
Und für den schnellen sind diese Pläne, Laufen, Wasser, und einfach entscheiden "Nein" schon sehr brauchbar.
So meine Sichtweise.
Gruß Susanne