Wie ist das nun – soll ich mich outen? Einfach so sagen, dass ich Alkoholiker bin, aber eben keinen Alkohol mehr trinke? Und wenn ja – wem sage ich es? Allen? Nur meinen Freunden? Und wie sage ich es?
Fragen über Fragen, die einen ganzen Rattenschwanz an Fragen nach sich ziehen:
Kann/darf/soll ich überhaupt zu Hause meinem Besuch noch Alkohol anbieten?
Was mache/sage ich, wenn man mir Alkohol anbietet, obwohl ich abgelehnt habe?
Immer wieder kommen diese Fragen auf, sowohl in der Gruppe oder hier von Leuten, die noch ganz am Anfang stehen oder auch bei Krankenhausvorstellungen auf den Entzugsstationen.
Meines Erachtens gibt es darauf nicht die eine Universal-Antwort.
Ich habe meinen Weg gefunden und meine Entscheidung getroffen, wie ich in der "Öffentlichkeit" mit meiner Sucht umgehe – nämlich offensiv. Aber das ist nicht jedermanns Sache. Von daher möchte ich hier nur schildern, wie ICH damit umgehe. Und dabei kann man nicht unbedingt alles einzeln sehen, denn alles greift ineinander und bedingt einander (teilweise).
Als Erstes habe ich beschlossen, aus purem Selbstschutz in die Offensive zu gehen und meiner gesamten Umgebung (Familie, Freunde, Kollegen) „reinen Wein“ einzuschenken – so sie denn nicht schon den Grund meiner Therapie wussten. Ich habe so sinngemäß gesagt „Ich habe leider festgestellt, dass ich Alkoholiker bin. Daher habe ich eine Therapie gemacht. Und damit ich nicht wieder in den Suff rutsche, kann und werde ich in Zukunft keinen Alkohol mehr trinken. Also: Bitte bietet mir keinen an! Und sprecht mich an, wenn Ihr mitbekommen solltet, dass ich welchen trinke!“
Die Reaktionen waren durchweg positiv. Ich war allerdings überrascht, wie wenige überrascht waren von meinem Outing. Oft bekam ich ein positiv gemeintes „Na endlich! Wurde ja auch Zeit!“ zu hören. Aber auch das Gegenteil habe ich gehört. „WAS? DU Alkoholiker? Du hast doch kaum etwas getrunken!“ Das waren die, die mich nur auf irgendwelchen Feiern erlebt haben, wo ich natürlich vorgeglüht und mich dort SEHR zurückgehalten habe, um darauf zu lauern, endlich nach Hause und den Jieper befriedigen zu können.
Außerdem habe ich allen erklärt, dass ich eben aus diesem Grund entweder überhaupt nicht zu Feiern, Festivitäten o.ä. kommen werde oder aber, wenn ich den komme, durchaus auch sang- und klanglos wieder verschwinden werde, wenn es mir zu viel wird. Vor allem werde ich dies abschiedslos tun, um mich nicht x-fach erklären zu müssen.
Auch dies wurde erstaunlich gut aufgenommen und akzeptiert
Dann habe ich auf den Rat von Gruppenfreunden gehört und meine Wohnung zur "alkoholfreien Zone" erklärt.
Auf diese Weise komme ich gar nicht erst in die Verlegenheit zuzugreifen, sollte mich mal der Jieper ereilen. Ich müsste erst losziehen, um etwas zu holen. Und die Wohnung ist für mich so etwas wie ein sicherer Hafen, ein Rückzugsort.
Damit sind wir schon beim nächsten Punkt: Wer zu mir zu Besuch kommt, wird keinen Alkohol von mir bekommen. Mittlerweile bin ich schon so weit, dass ich nichts dagegen habe, wenn Besuch eine Flasche Wein/Sekt oder auch ein Bier trinkt, der mitgebracht wurde. Aber ich kaufe keinen Alkohol und ich biete auch keinen an.
Aber auch das habe ich vorher kommuniziert und es wurde akzeptiert.
Natürlich hat sich die Zahl der Besuche – und „Freunde“ – zunächst reduziert. Es hat sich schnell herauskristallisiert, wer mein Freund war, weil man mit mir gut einen trinken konnte und wer wirklich mein Freund war.
Ich habe mich SEHR gefreut, dass die Zahl der wirklichen Freunde überwog.
Ja, und dann sind da natürlich noch die Situationen, wo einem Fremde Alkohol anbieten bzw. auch aufdrängen wollen.
Da lehne ich einfach nur dankend ab. Eventuell noch mit dem Hinweis „Danke, ich trinke keinen Alkohol.“
Wenn mir aber jemand – was leider auch immer wieder vorkommt – trotzdem UNBEDINGT und „nur EIN Gläschen“ aufdrängen will, DANN sage ich „Nein, danke, ich bin TROCKENER Alkoholiker – und das will ich auch bleiben!“
Meist klappt dann die Kinnlade herunter und das Thema hat sich erledigt.
Manchmal kommt es dann aber auch zu einem Gespräch über eben dieses Thema.
Dies ist MEIN Weg. Für mich war er gut. Vielleicht ist er es für den Einen oder die Andere auch.
Vor allem konnte ich ihn gehen, weil ich vorher mit meiner damaligen Frau über mein Problem gesprochen habe und ihr versucht habe, ES zu erklären.
Natürlich kann man keinem Blinden die Farben erklären und einem Nicht-Süchtigen die Probleme eines Süchtigen - aber sie wusste ja, was mit mir los war und dass ich das ändern wollte. Also hat sie hinter mir gestanden und alles mitgetragen. Selbst die "alkoholfreie Zone" - die 4-5 Gläser Wein, die sie im Jahr trank, hat sie dann eben bei ihren Freundinnen getrunken und nicht mit ihnen bei uns zu Hause.
Die Trennung war jedenfalls nicht wegen alkoholischen Gründen
Aber jeder muss seinen eigenen Weg finden. Vielleicht einen Mittelweg …
Dies soll nur eine Gedankenanregung sein.
Was meint Ihr?
Gruß
Greenfox