Vor einiger Zeit ging es im internen Bereich des Forums hier um den Tiefpunkt und das bedingungslose Aufhören.
Das Grundthema war erst der Tiefpunkt und der berühmte Klick, wie ich ihn erlebt habe. Und dann kamen wir zum Thema, wenn man immer auf etwas wartet, was passieren müsste, oder man sich von anderen und deren Unterstützung bzw. Wohlwollen abhängig macht, dann schafft man es vielleicht nie. Also eigentlich geht man sich, wenn man Bedingungen fürs Aufhören stellt, selbst im Weg um, schwächt seine eigene Entschlusskraft und macht sich von äusseren Umständen abhängig.
Ich bin der Meinung, Aufhören ist eine egoistische Sache, bei der ich um mich selbst kämpfe - und von der dann aber Andere, mein Partner z.B., auch etwas haben, denn nüchtern setze ich meine Interessen vielleicht besser durch, nehme aber auch meine Verantwortung für mein Leben anders wahr. Alles, was der Nüchtenheit dient, ist bei einem Alkoholiker aus meiner Sicht erst mal gut, auch wenn es scheinbar gegen Andere gerichtet ist.
Mit einer klaren Entscheidung komme ich leichter ans Ziel als mit halbherzigen Versuchen. Und Ausreden, Ausnahmen habe ich mir selbst nicht zugelassen. Aufhören, ohne Bedingungen zu stellen, es geht alles auch ohne Alkohol, es gibt praktisch nichts, was durch Trinken auf lange Sicht schöner oder einfacher wird. Wenn man Probleme im Zusammenhang mit Alkohol hat, Streit mit dem Partner, Arbeitsplatzprobleme, Depressionen etc., dann ist Alkohol das Problem, und das muss als allererstes gelöst werden.
Ich mache hier daraus ein neues Thema, weil es gewünscht wurde und weil es vielleicht jemandem beim Entschluss helfen könnte.
Vorab...der zentrale Punkt für mich war, dass es beim Aufhören nichts für mich gab, was höhere Priorität hatte, ich habe dem Aufhören alles Andere untergeordnet, weil es für mich vielleicht nur so zu schaffen war. Uns so, indem ich dann auf nichts mehr Rücksicht genommen habe, ausser darauf, ob es mir beim Trockenbleiben hilft, ging es. Damit meine ich, ich habe einige Freunde entfreundet, auf einen Karriereschritt verzichtet und mir das Denken "Trinken ist keine Option, denn das macht alles schlechter" angeeignet. Ich dürfte immer, niemand könnte es mir verbieten, aber ich will nicht, weil ich meine Erfahrungen gemacht habe.
Und das Leben ging trotzdem weiter. Besser als vorher.
Bei allen Schwierigkeiten, die beim Aufhören auftreten können..wenn man mal so weit ist, dass man drüber nachdenkt, dann macht einem das Trinken auch schon eine Menge Probleme. Das ist ja meistens auch nicht mehr lustig, also irgendwas muss man dann sowieso tun und dann besser das, was auch wirklich dauerhaft hilft.
Das Ganze entstand aus einer Frage- und Antwort-Situation, und die gebe ich einfach mal so wieder, da kommt es vielleicht am deutlichsten raus.
Fragestellerin:
ZitatLiebe Susanne,
Ich lese ja öfters deine Beiträge mit grossem Interesse... Du hast hier und in anderen Threads schon paar mal geschrieben wie du es vom süchtigen Leben in ein neues,selbstbestimmtes geschafft hast. Mich erstaunt dabei immer wieder die Leichtigkeit mit der das geschah...würdest Du von einem echten „Klick“ sprechen? Also so wie ein Aufwachen aus einer Illusion? Ich kann mir das so schwer vorstellen dass der Suchtdruck dann auch plötzlich im Nichts verschwindet...selbst bei Einsicht auf rationaler Ebene bleibt die Suchtstrucktur im Gehirn trotzdem noch bestehen? Wir sind in dieser Hinsicht einfach so unterschiedlich, es beeindruckt mich irgendwie wie das alles so plötzlich ins Rollen gebracht wurde und bei dir dann auch so offensichtlich aus der Sucht führte. Glaubst Du du bist in deiner Sucht bis zum Ende gegangen? Also mehr wäre nicht drin gelegen?
Kein Antwort-Zwang, wenn s dich nicht langweilt schreib doch mal was da genau in deinem Inneren vorging,
Antwort
ZitatAlles anzeigenDas müsste ich erst mal selbst erklären können. Was da genau in meinem Inneren vorging, fand bei 3 bis 5 Promille statt, ich weiss ja nicht mal mehr, wie viel ich vorher getrunken hatte. Jedenfalls war ich nicht mehr ansprechbar, konnte ich nicht mehr aufstehen und keinen Meter geradeaus gehen. Eimer vor dem Bett, durchgeschwitztes Laken, und so weiter. Aber das war ja auch nichts Neues. Also das, dass es mir besonders schlecht ging, erklärt es jedenfalls nicht.
Der Gedanke, den ich da hatte, und den ich vielleicht noch nie so hatte, war der, dass es mir furchtbar schlecht geht, und - vor Allem - dass es mir nur deswegen so furchtbar schlecht geht, weil ich das so will. Dass ich mich selbst praktisch zum Trinken zwinge, weil es meine tiefste innere Überzeugung ist, dass Trinken das Leben schöner macht. Und dass mich nichts und niemand zum trinken zwingt, nur ich selbst mit eben dieser Überzeugung.
Der nächste Gedanke war praktisch der, wenn das alles so ist, weil ich das so will, dann kann ich das auch ändern, wenn ich das will. Ich kann auch mit dem Leiden wieder aufhören, wenn ich keine Lust mehr dazu habe. Ja, dachte ich.
Dass das eine Krankheit ist, war für mich eigentlich nur zur Dekoration, damit man Anspruch auf Hilfe hätte, wenn es nötig wäre. Damals, als ich noch nicht durch hunderte Diskussionen durchgenudelt war, war das für mich eine einfache Sache. Ich bin einfach einen Weg gegangen, den ich vor mir gesehen habe.
Ich bin aufgewacht, das mach ich jetzt. Ja, ich weiss, bei vielen Anderen kippt das dann irgendwann wieder, war bei mir nicht so. Vielleicht tatsächlich, weil ich mein Pensum voll hatte, und es da für mich nichts mehr zu holen gab, auch keine neuen Erfahrungen mehr, nichts mehr, was mich interessiert hätte.
Und es war sicher mein Glück, dass ich die ersten Jahre relativ wenig mit anderen Alkis zu tun hatte, da wurde das nicht so in Zweifel gezogen, dass das möglich ist. Zum Teil war ich aber auch so ein bisschen "jetzt erst recht" drauf, wenn mir jemand gesagt hatte, dass das nicht geht. Auf diese Weise wurde ich dann aber selbst irgendwann für Einige interessant.
Aber es ist kein wirklicher Einzelfall, es gibt auch Andere, bei denen das so gelaufen ist.
Weiss jetzt nicht, ob das Deine Frage so wirklich beantwortet.
Fragestellerin:
ZitatDanke für deine Antwort! Klar das beantwortet schon was. Ich war ja auch schon oft an dem Punkt wo ich mir dachte jetzt kannst Du nicht tiefer sinken...aber ich sank dann trotzdem noch tiefer. Als ich wirklich aufhören wollte war das dann in einem nüchternen Moment als ich 14Tage Alkfrei war da sich mein Körper so rebellierte gegen den Alk. Und das alles fand dann auf rationaler Ebene statt, also eine Anreihung von Argumenten die keinen anderen Schluss zuliess.
Ich hab schon von anderen von einem solchen Schlüsselerlebniss gehört und dann kam es zum Umdenken. Vielleicht nimmt es mich auch so Wunder weil ich das so gerne auch hätte. Aber auslösen lässt sich sowas ja nicht bewusst...denke ich mal. Und ich bin ja auch auf einer guten Linie nur muss ich halt immer noch so oft kämpfen...
Antwort
ZitatDas interessiert jetzt mich.
Wie definierst Du "tiefer sinken"?
Beim Saufdruck ist es wirklich so, keiner weiss richtig, wieso der so plötzlich spurlos verschwinden kann. Aber wir nehmen es natürlich mit.
Saufdruck ist für mich jedenfalls eine Art sehr intensiver Emotion - ich hatte ja welchen, so lange ich meine ganzen Trinkpausen gemacht habe - und ich habe hier schon mal geschrieben, dass Alk/Drogen lange so was wie meine große Liebe waren. Dafür sterben ja auch manche. Also tatsächlich wohl nichts, was man bewusst so einfach ausknipsen kann. Es ist mir halt passiert.
Gruß Susanne
Fragestellerin
ZitatNaja wenn ich halt mal wieder irgendwo zuhause verdreckt und mit blauen Flecken aufwachte uf nicht wusste was da passiert ist. Der Kater des Jahrhunderts und in solchen Momenten dachte ich auch, du könntest auch tot sein, weisst ja nicht mal in welcher eventueller Gefahr du dich befunden hast. Oder halt ganz peinliche Aktionen von mir liess wo ich dachte schlimmer gehts nicht...es ging aber tatsächlich noch schlimmer. Diese Erlebnisse hatten keine langfristige Reaktion oder Änderung hervorgebracht,ich soff einfach weiter als wäre nichts gewesen und schaffte es sogar mir einzureden dass es sooo schlimm ja doch nicht ist ??. Das dauerte eine gefühlte Ewigkeit so...das meinte ich damit.
Antwort
ZitatIch war da vielleicht ein bisschen schizophren. Ein Teil von mir hat einen anderen Teil beobachtet, andererseits war meine Suffpersönlichkeit von meiner Nüchternpersönlichkeit deutlich getrennt, wie ausgewechselt. Konnte ich gut ausblenden. Später ist mir gekommen, ich habe auch immer nur bis zu den ersten Getränken gedacht, wie bei Dir neulich. Ich hätte es zwar wissen können, aber dazu hätte ich erst mal drüber nachdenken müssen und das wollte ich eben nicht.
So wie Du das gerade schreibst, fällt mir auf, dass da möglicherweise alles, diese getrennten Teile, zusammenkam und mir das so völlig bewusst wurde. Da wars vorbei mit der Liebe.
Fragestellerin
ZitatIch war ach schizophren aber vielleicht auf einer anderen Ebene. Wenn ich paar Tage ohne Alk war, war ich extrem gesundheitsbewusst,super in die Arbeit vertieft und ziemlich gut darin andere über ihre Schwächen aufzuklären...ich war sogar ein richtiger Moralapostel vor allem zum Thema Sucht. Vielleicht war das so eine Gegenreaktion weil ich so überhaupt nicht zu meinem Problem stehen konnte. Es gibt ja die Alkoholiker die lauthals rumerzählen wie oft und wie viel sie saufen. Und als ich dann aber trank kippte ich in den Modus „alles Spiesser“, „die Langweiler mit ihrem Tee...lieber früh sterben dafür gefeiert haben „...Das war schon krass wie ich da von einem Extrem ins andere rutschte.
Und ja der Vergleich mit der Liebe lässt sich ziehen...Sucht funktioniert irgendwo wie Liebeskummer, plötzlich sieht man nur noch die guten Seiten, sehnt sich an den Anfang der Beziehung zurück, wünscht sich in eine Zeit zurück die längst verflossen ist und nie wieder so sein wird. Ich muss mich oft dran erinnern, die guten Momente mit dem Alk sind endgültig hinüber, es wird nie wieder unbeschwerlich.
Ich weiss nicht an was es liegt dass es einige aus dem Sumpf schaffen und andere nicht...ausser der Eigenmotivation natürlich. Vielleicht an genau diesem „Aufwachen „ wie es bei dir war, vielleicht passiert das bei einigen einfach nie und sie kehren immer wieder zur Flasche zurück. In der SHG höre ich oft von dem „Klick im Kopf“, das sagt mir einfach nichts irgendwie.
Antwort
ZitatAlles anzeigenIch habe bei einigen beobachtet, dass sie nicht "bedingungslos" aufhören wollen, sondern das mit irgendwas verknüpfen. Entweder müsste sich vorher was Ändern, oder sie wollen relativ schnell eine Belohnung dafür haben, das sie nun so supertoll sind und sich endlich mal bemühen.
Wenn ich endlich einen Partner hätte, wenn ich endlich Kinder kriegen würde, wenn ich endlich aus meinen Depris rauskommen würde, wenn man mir richtig (oder noch mehr) helfen würde, dann würde ich das schaffen. Und wenn sich meine Probleme nicht gleich in Luft auflösen, dann fange ich eben wieder damit an.
Ich hab einen erlebt, der flog aus seiner dritten Langzeitherapie raus, weil er wiederholt rückfällig wurde. Und immer das Gejammer, dass er ja so gerne eine Familie mit Kindern hätte, er wegen seiner Einsamkeit säuft und mit keiner klappt es so richtig. Dabei hielt er sich doch für so einen tollen Hecht, die Frauen begriffen ja gar nicht, was sie ohne ihn alles verpasst hatten. Aber dass er das im Suff selbst immer zerschlagen hat, das begriff er nicht. Er hat es mir und Anderen ja auch immer brühwarm erzählt, wie ungerecht man ihn wieder behandelt hatte.
Da hats tatsächlich auch eine Art Klick gemacht, da hat er nämlich plötzlich kapiert, dass ihm niemand helfen kann, wenn er das nicht selbst endlich tut. Wenn er immer auf was wartet, was passieren müsste, dann wird er sterben, bevor es passiert ist, auf was er gewartet hat. Und plötzlich gings, zumindest mal mehrere Jahre, bis ich ihn aus den Augen verloren habe. Und da kam dann auch tatsächlich mal der Satz, dass er immer auf was von Aussen gewartet hatte, bis ers begriffen hat, dass es nur an ihm selbst liegt.
Und eben dieses "bedingungslose" Aufhören, das war bei mir eben nach diesem Erlebnis sehr ausgeprägt. Ich habe sogar mit weit größeren Schwierigkeiten gerechnet, als ich dann wegen dieser späteren Unzufriedenhheit (als die Anfangseuphorie weg war) hatte. War trotzdem noch einfacher, als ich erwartet hatte. Wobei ich ganz am Anfang natürlich auch noch nicht so sicher war, dass ich das auch schaffe (weswegen ich die ersten vier Wochen auch noch den Hintergedanken hatte, erst mal für ein Jahr, dann sehe ich weiter), das kam dann erst, als ich das gemerkt habe, wie das klappte.
Ich habe damals auch geglaubt - was im Übrigen sogar wissenschaftlich fundiert sein könnte - dass mein Hirn nach Alternativen gesucht hat, sich auch dementsprechend entwickelt hat, weil ich in Richtung Trinken keine Möglichkeit offen gelassen hatte. Ich hatte das für mich selbst kategorisch absolut ausgeschlossen, dass Trinken für mich eine Option ist. Und da arbeitet das Hirn dann damit, wie es auch nach einem Schlaganfall neue Möglichkeiten zur Lebensbewältigung findet.
Und es war in deser Nacht damals auch tatsächlich so, dass ich vor meinem geistigen Auge gesehen habe, dass ich vielleicht ein paar Jahre Schwierigeiten habe, die ich aushalten muss, aber dass es dann, wenn ich da hinter mir habe, fast zwangsläufig besser werden muss. Also ich habe nicht nur gesehen, was hinter mir lag und wo ich noch mitten drin steckte, sondern schon auch einen Ausblick, für den es sich lohnte.
Und das hatte ich bis zu diesem Tag ja auch nicht, diese Vorstellung, dass sich das auch irgendwann lohnt. Und dass man mich dafür auch nicht loben muss, weil ich das in allererster Linie nicht für Andere, sondern für mich selbst mache. Mit dem Saufen aufhören war für mich so egoistisch wie nur irgendwas.
Im Übrigen fand ich die AA-Vorstellung von der lebenslangen Krankheit absolut demotivierend (AA-ler und ihre Denke sind mir bald irgendwo begegnet), das war einer der Gründe warum AA noch nie zu den Gruppen gehört hat, wo ich hingegangen wäre. Am Anfang brauchte ich ganz dringend eine Perspektive, dass das irgendwann vorbei ist, und für mich ist das bis heute eine Krankheit, die nur dann relevant wäre, wenn ich wieder anfangen würde. Nüchtern fühle ich mich nicht krank.
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ein paar Zwischenrufe, dass man das öffentlich machen müsste
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Fragestellerin
ZitatKann Greenfox nur zustimmen, der ganze Beitrag würde sich gut tun im öffentlichen Bereich! Dieses Wenn...Dann- Gedankengerüst muss man wirklich ablegen wenn es was werden soll mit der Abstinenz. Ich glaube das ist der Punkt wo viele drin gefangen bleiben, diese fadenscheinigen Gründe überleben zum Teil sehr lange.
Aufhören ohne Wenn und Aber...das ist der Punkt.
Am Anfang hat es mir viel geholfen, dass ich Leute gesehen habe, die schon 20, 30 Jahre trocken waren. Ich habe zwar nicht immer alles verstanden und Vieles habe ich ganz anders gesehen, als die das erzählt haben, aber alleine die Tatsache, das Andere das konnten, überzeugte mich davon, dass ich es auch kann. Und genau das möchte ich weiter geben. Es ist möglich.
Gruß Susanne