• Hallo iZusammen,

    Ich bin im Moment noch sehr unsicher und Habe ein wenig Angat. Brauche aber dringend Hilfe.

    Ich bin 51 Jahre und habe meinen wesentlich älteren Partner (67 Jahre) vor 13 Jahren kennengelernt. Wir waren zu dieser Zeit beide in einer Trennungssituation. Ich wusste bereits damals, dass mein Partner trinkt, habe das aber mit seiner damaligen Situation entschuldigt (Verlust von Job und Familie). Seitdem ist viel passiert. Verllust des Zweiten Jobs, Dii fristlose Kündigung der Wohnung in der ich damals zur Untermiete wohnte konnte ich aufhalten, indem ich einen Kredit aufnahm und nun alleinige Mieterin einer Wohnung bin, die zuvor eine vierköpfige Familie über 20 Jahre bewohnt habe. Dann Verlust des Führerscheins mit hoher Geldstrafe.

    Ich war nicht wirklich stark und trinke mittlerweile ebenfalls. Der Gedanke an die weitere Zukunft macht mich irre. Während mein Partner so - wie ich inzwischen ahne - der Spiegeltrinker ist, bin ich mittlerweile die "Quartalstrinkerin" Ich bin bereits auf der Suche nach fachlicher Hilfe. Aber ich werde das alles nich schaffen, wenn mein Partner jegliche Hilfe verweigert bzw leugnet, dass er sie braucht.

    Hat jemand Erfahrung oder einen Rat, wie ich mit der Situation umgehen kann???

    Juscha

  • Hallo Juscha,

    erst mal herzlich Willkommen bei uns im Forum. Prima, dass Du trotz Deiner Unsicherheit und Angst hier geschrieben hast. Damit hast Du schon mal einen ersten und ganz wichtigen Schritt getan.

    Und eines brauchst Du vor diesem Forum hier wirklich nicht haben, nämlich Angst! Wir haben hier alle unsere liebe Erfahrung mit Alkohol gemacht, entweder als selbst Süchtige/r oder als Angehöriger eines Süchtigen oder so wie Du, beides.

    Ich bin Ende 40, Alkoholiker und lebe jetzt schon länger ohne Alkohol

    Ich will offen sein. Deine Situation ist keine einfache! Ohne Details von Dir und Deinem Leben zu kennen will ich Dir einfach mal meine Gedanken zu Deinem Post mitteilen:

    Die Sucht Deines Partners ist die Sucht Deines Partners. Sie ist sozusagen sein Problem und allein er kann etwas gegen seine Sucht unternehmen. Das kann er jederzeit tun wenn er das selbst möchte. Hilfsangebote gibt es glücklicherweise genügend, er muss sie nur annehmen und sich darauf einlassen. Du bist nicht für seine Sucht verantwortlich und kannst nichts tun.

    Wärst Du jetzt nicht auch selbst süchtig, würde ich sagen, Du könntest ihn beim Trockenwerden unterstützen, wenn er es ernsthaft versuchen würde. Würde er also z. B. eine Therapie antreten, könntest Du für ihn da sein, wenn er zurück kommt und ihr könntet versuchen ein neues, gemeinsames Leben ohne Alkohol zu führen. Das ist aber nicht einfach, denn er würde sich sicher verändern und Du müsstest Dich auch verändern.

    Das ist aber nur Fiktion, denn Du bist ja selbst abhängig! Und das ist jetzt wirklich eine ganz beschi...ene Situation. Meine Meinung dazu ist, dass Du jetzt nur eine Option hast, nämlich die, Dich um Dein eigenes Leben zu kümmern. Du musst Dein Leben wieder in Deine Hand nehmen, das wird nur funktionieren wenn Du Deine Sucht besiegen kannst. Das geht (wie Du hier im Forum siehst), ist aber alles andere als einfach und verlangt sehr viel von Dir ab. Ganz sicher kannst Du nicht nebenbei noch Deinen Partner trocken legen. Das könntest Du auch nicht, wenn Du gesund wärst. Als alkoholkranker und aktiv trinkender Mensch kannst Du das erst recht nicht und alle Versuche es zu tun wären für Dich und Deine eigene Sucht kontraproduktiv.

    Das ist meine Meinung, vielleicht hat jemand eine andere. D. h. erst mal geht es nur um Dich. Was Dein Partner macht ist egal bzw. seine Sache. Du musst die Voraussetzungen für Dich schaffen um trocken werden zu können. Dauerhaft. Hol Dir alle Hilfe die Du bekommen kannst. Geh zum Arzt und oute Dich, besuche eine Suchtberatung um weitere Schritte zu besprechen, schau mal bei einer oder mehreren Selbsthilfegruppen rein, die können Dir auch weiter helfen. Mach Dir einen Plan, was Du tun willst und arbeite ihn ab. Vielleicht kommst Du zur Erkenntnis, das eine Therapie für Dich das richtige ist, Du wirst sehen was der Arzt und die Suchtberatung sagt.

    Um trocken werden oder bleiben zu können könnte es auch sein, dass Du Dich von Deinem Partner trennen musst. Wenn Du wirklich ernsthaft trocken werden und bleiben willst, wirst Du irgendwann wissen, was Du tun willst und musst. Ich z. B. trennte mich kurz nachdem ich trocken wurde von meiner Frau (obwohl diese nicht trank) weil ich sicher war und bin, dass ich es andernfalls nicht geschafft hätte von dem Zeug weg zu kommen.

    Das sind alles gewaltige Einschnitte ins gewohnte Leben. Jedoch ist es fast immer so, dass man diese vornehmen muss (in unterschiedlichsten Bereichen) um von dieser so mächtigen Sucht weg zu kommen.

    Über eines solltest Du Dir bei all den Zweifeln und Gedanken die Du Dir jetzt sicherlich machen wirst immer im Klaren sein: Wenn Du weiter trinkst, fährst Du Dein Leben komplett an die Wand. Nichts wird besser werden, nichts wird sich von selbst lösen. Es wird immer schlimmer werden und Du hast dann überhaupt keine Perspektive mehr. So läuft das leider bei allen, die den Absprung nicht schaffen.

    Und auch wenn Du Dir das jetzt (noch ) nicht vorstellen kannst. Wenn Du diese Sucht besiegst, wirst Du Dein Leben zurück erhalten. DEIN Leben ist es um das es hier geht. Nur DEINES, nicht das Deines Partners. Der hat es selbst in seiner Hand.

    Alles Gute wünsche ich Dir, einen guten Austausch hier und wenn Du Fragen hast, einfach raus damit.

    LG
    gerchla

  • Lieber Gerchia.

    Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort.

    Im Grunde genommen hast du genau das formuliert, was mir in den letzten Wochen im Kopf rumgeht. Eigentlich wollte ich die Augen verschließen und weitermachen wie bisher. In meinem " normalen" Leben trinke ich nichts. Gehe regelmäßig joggen und schwimmen, engagiere mich in meinem Job, esse lauter gesundes Zeugs.

    Ich weiss seit langem dass mein Partner regelmäßig trinkt, es gibt Tage, da merkt man ihm das überhaupt nicht an und wir gehen zusammen in die Sauna oder ins Museum oder wandern. Er ist bereits in Rente, ich bin im Vollzeitjob . Jedes Wochenende flehe ich ihn an, nichts zu trinken, damit wir gemeinsam etwas unternehmen können.

    Das Verrückte ist: ich weiss ja irgendwie, dass er seinen Pegel braucht. Aber wenn ich ihn "in flagranti" erwische, dann raste ich völlig aus. Und stürze ab in eine Saufspirale, in der nichts mehr geht. Da bin ich viel schlimmer als jeder Pegelalkoholiker. Ich konnte mich anfangs immer wieder selbst daraus holen. Inzwischen habe ich "gelernt" dass Alkohol ach so schön hilft. Beim Nachdenken und beim Abrechnen nicht nur mit meinem Partner sondern auch im Job und überhaupt. Ich habe im Dezember einen Termin beim Neurologen. Bis dahin muss ich mich irgendwie über Wasser halten.

    Ich habe meinen Partner sogar schon gebeten, keinen Alkohol auf Vorrat zu kaufen, sondern nur das, was er meint trinken zu müssen. Weil ich eben in einer Phase bin, wo ich die Finger nicht weglassen kann. Das Ganze ist ja ein offenes Geheimnis zwischen uns. Vorgestern kam er dann mit einer Kiste Bier an, die er zu Fuss schleppen musste. Denn es war ja ein Sonderangebot. Unterstützung habe ich irgendwie nicht.

    Das soll auf keinen Fall eine Schuldzuweisung sein. Natürlich weiss ich, dass ich jedes Glas stehen und jede Flasche zu lassen könnte. Das schaffe ich aber gerade nicht.

    Wie kann ich den akuten Schritt schaffen???? Wie hast du den akuten Schritt geschafft??? Mit all seinen Nebenwirkungen?

    Juscha

  • Liebe Juscha,

    erst mal vielen Dank für den etwas tieferen Einblick in Deine aktuelle Situation.

    Du hast natürlich Recht wenn Du Deinem Partner keine Schuld zuschieben möchtest weil er es ja nicht ist, der Dir das Zeug intravenös verabreicht sondern Du bist es, die den Alkohol selbst trinkt und sich dafür entscheidet. Mit dieser Haltung bist Du schon sehr weit, denn gemeinhin geben wir Alkoholiker gerne immer allen anderen die Schuld, nur uns selbst natürlich nicht.

    Jetzt kommt aber ein großes ABER von mir. Ich habe die Efahrung gemacht, dass man ganz besonders am Anfang dafür sorgen sollte, möglichst alle Triggerpunkte zu beseitigen um eben seine Abstinenz nicht zu gefährden. Idealerweise findet man auch die vermeintlichen Gründe für sein Trinken heraus und beseitigt diese auch, so gut wie es möglich ist. Das mit den Trinkgründen, also warum man zum Alkohol greift bzw. zum Alkoholiker wurde ist allerdings dann im Detail noch etwas komplizierter. Aber ganz grob gesehen ist es bei Dir so, dass Dich Dein Partner aktuell dazu bringt selbst zur Flasche zu greifen.

    Jetzt mal völlig unabhängig davon, ob er daran Schuld hat oder nicht. Er schafft Triggerpunkte für Dich in dem er z. B. das Bier ins Haus schleppt obwohl Du ihn gebeten hast nicht zu trinken bzw. es nicht zu tun. Also hast Du jetzt zwei Möglichkeiten: Du lernst ganz schnell, sozusagen über Nacht, damit umzugehen, dass er neben Dir weiter trinkt und all das tut was Dich aktuell so aufregt und zum trinken bringt ODER Du beseitigst diesen Triggerpunkt für Dich. Das könntest Du z. B. durch eine (räumliche) Trennung tun.

    Ich denke mal das Du, solltest Du süchtig sein (so wie Du das selbst einschätzt), Punkt 1 nicht umsetzen kannst. Denn das könntest Du sonst ja bereits jetzt, wenn Du kein Alkoholproblem hättest. Bzw. Du würdest zur Kompensation Deiner Wut, Deines Frusts dann nicht zum Alkohol greifen. Also musst Du Punkt 2 angehen, irgendwie. Könnte ja auch erst mal temporär sein, bist Du mit Deiner Sucht klar kommst und Deine Baustellen abgearbeitet hast. Wobei, ob Du dann danach....?

    Ok, alles Spekulation aber ich denke Du weißt was ich meine.

    Auf jeden Fall solltest Du künftig nur auf Dich achten. Du wirst ja auch bemerkt haben, dass Deine Versuche etwas an seinem Trinken zu ändern, fehlgeschlagen sind. Das liegt nicht an Dir sondern das ist quasi immer so. Das ist die Sucht und (ich wiederhole mich) nur er allein könnte etwas dagegen tun, wenn er wollte. Vielleicht würde ihn ja ein sehr konsequenter Schritt Deinerseits sogar dazu bewegen. Manchmal passiert sowas, jedoch beileibe nicht immer.

    Zitat

    Wie kann ich den akuten Schritt schaffen???? Wie hast du den akuten Schritt geschafft??? Mit all seinen Nebenwirkungen?


    Hm, also ich habe quasi spontan aufgehört, nach vorher dirversen gescheiterten Versuchen. Auch völlig ungeplant zu diesem Zeitpunkt. Ich habe dann quasi kalt entzogen, was lebensgefährlich hätte werden können (ich ging erst nach ein paar Tagen zum Arzt, da war der körperliche Entzug schon durch). Bereits am ersten Tag ohne Alkohol bin ich abends in eine SHG gegangen und diese habe ich dann die nächsten Monate fast täglich besucht. Ich ging dann zur Beratung und habe anschließend einen Termin bei Psychologen vereinbart. Hatte aber 7 Wochen Wartezeit. Aber ich hatte ja meine SHG und ich nahm mir sehr viel Zeit zum Nachdenken. Das führte sehr bald zur Trennung von meiner Familie, d. h. ich zog erst mal aus und hatte damit Gelegenheit noch mehr und für mich allein richtig zu denken.

    Also ich dachte über mein Leben nach, meine Sucht, wieso weshalb warum. Wer bin ich, wie konnte es so weit kommen, wer wäre ich gerne, wo will ich hin, was erwarte ich noch vom Leben etc. Teile davon habe ich dann mit dem Psychologen besprochen. Bald bemerkte ich aber auch, dass mich meine Schuld, die ich durch das Trinken auf mich geladen hatte, beinahe erdrückte. Ich habe ja auch das Leben meiner Frau und meiner Kinder zerstört, ich bin gegangen. Sie konnten nichts dafür, ich war ja der Täter.

    Da half mir der Psychologe wenig und so ging zu einem Mönch (hatte aber nichts mit Religion zu tun), den ich Jahre vorher mal kennen gelernt hatte und der mir sehr imponiert hatte. Das ist eine eigene längere Geschichte. Jedenfalls war es dieser, der mich dann wieder richtig in die Spur gebracht hat. Ich verdanke diesem Menschen sehr viel.

    Wenn ich Dir mit meinem Wissen von HEUTE einen Rat geben dürfte, dann würde ich Dir sagen: Warte doch nicht bis Dezember! Diesen Termin kannst Du gerne wahrnehmen aber warte doch nicht einfach darauf sondern beginne schon jetzt Deine Sucht aktiv zu bekämpfen. Schäme Dich nicht, hab keine Angst, geh zum Arzt. Spreche mit ihm/ihr was Du tun kannst. Mach ggf. eine Entgiftung unter seiner Aufsicht, schau mal bei einer Suchtberatung vorbei und check die Lage ab. Such Dir eine SHG und schau mal ob die Leute dort zu Dir passen. Für mich war das damals der Anker überhaupt, auch wenn ich später dann gemerkt habe dass das auf Dauer nichts für mich ist. Aber am Anfang war das GENAU richtig.

    Mach was, warte nicht. Und kläre Deine private Situation. Sie ist ein gefährlicher Triggerpunkt, so lese ich das jedenfalls. Und streiche die Idee einfach so weiter zu machen wie bisher. Du gäbst damit ja Dein ganzes Leben auf! Mein Gott, DEIN Leben und es kann so wunderbar sein. Ich bin heute sehr glücklich, habe wieder eine Familie und meine "alte" Familie inkl. meiner ersten Frau (bin wieder verheiratet) hat eine sehr gute Beziehung zu mir/uns. Das ging alles nur, weil ich mir mein Leben zurück geholt habe. Es dauert seine Zeit und diese solltest und musst Du Dir auch geben, aber glaube mir, es lohnt sich!

    LG
    gerchla

  • Hallo, Juscha!

    Auch von mir ein ganz herzliches WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin m, 55, Alkoholiker und nun schon einige Jahre trocken.

    Ich kann mich Gerchla nur vollinhaltlich anschließen: sowohl, was die Angst angeht - die Du vor uns nicht haben brauchst ;) - als auch, was seinen Rat bezüglich Deiner Verantwortlichkeit angeht: Du bist nur für DEIN Leben veratwortlich, Dein Partner ist für SEIN Leben selbst verantwortlich!

    Und aus meiner Erfahrung heraus kann ich Dir nur sagen: Wenn Du wieder Dein Leben LEBEN willst, wirst Du dies nur ohne ihn tun können. Denn zunächst musst Du Dich nur um Dich kümmern, um Dein Alkoholproblem, Dein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und ein "schwarzes Loch", das Dich dabei immer wieder in den Abgrund zieht, ist dabei nicht gerade förderlich (Du schreibst ja, dass er leugnet, Hilfe zu benötigen bzw. diese verweigert).

    Ich empfehle Dir, mal eine Suchtberatung aufzusuchen und Dich dort nach konkreten Hilfsmöglichkeiten zu erkundigen. Auch unsere Linksammlung lege ich Dir ans Herz - dort findest Du auch viele Hilfsangebote, weiterführende Links. Unter anderem auch, wo sich Selbsthilfegruppen in Deiner Nähe befinden ...

    Ich wünsche Dir jedenfalls viel Kraft und einen guten Austausch

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Vielen lieben Dank.

    Ihr macht mir Angst und Mut zugleich.

    Angst, weil ich inzwischen kapiert habe, dass ich mein bisheriges Leben verlassen muss. Meine Wohnung, alles was mir vertraut ist und all das kurz vor Weihnachten.

    Angst auch, weil ich zum Arzt und mich outen muss. Magendarm Infektion oder Migräne nimmt er mir nicht mehr ab.

    Angst auch, weil meine Familie (Mutter, Geschwister, Nichten, Neffen) keine Ahnung haben. Und vor allem, weil ich einen Partner zurück lasse, dem ich nicht zutraue, alleine neu anzufangen (OTon: dann begehe ich eben Selbstmord).

    MUT weil ich bei Euch lese, dass man weitaus schlimmere Situationen meistern kann. Und dass man es schaffen kann.

    Ich danke Euch sehr.

    Juscha

  • weil ich einen Partner zurück lasse, dem ich nicht zutraue, alleine neu anzufangen (OTon: dann begehe ich eben Selbstmord).

    Das ist ein "beliebtes" Druckmittel, um den co-abhängigen Partner bei der Stange zu halten. Und leider auch ein probates, oft funktionierendes Mittel.

    Apropos "co-abhängiger Partner": Du scheinst ja auch von einer anfänglichen "nur" Co-Abhängigkeit in eine Abhängigkeit geschliddert zu sein.

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  • Hallo Juscha,

    ich schreibe erst seit kurzem in diesem Forum, lebe jetzt seit fünf Jahren trocken und bin in deinem Alter. Ich möchte dir erzählen, wie es damals vor fünf Jahren bei mir war, als ich mit dem Trinken aufgehört habe. Ich war eher Spiegeltrinkerin, und ich hatte richtig stark Angst vor dem Aufhören. Ich dachte eigentlich, dass ich ohne Alkohol nicht leben kann, dass ich es nicht schaffe, aufzuhören, und ich hatte auch Angst vor Entzugserscheinungen. Aber ich war ganz sicher, dass ich nicht mehr als Trinkerin weiterleben wollte.

    Ich rief bei meiner Hausärztin an (wo ich ansonsten kaum mal gewesen war) und bat die Sprechstundenhilfe am Telefon um einen baldigen Termin. Sie fragte natürlich, worum es gehe, und ich murmelte etwas von Alkoholmissbrauch, Verdacht auf Abhängigkeit, puh, das kam mir schwer über die Lippen. Aber ich bekam gleich am folgenden Abend einen Termin, und die Ärztin hörte mir zu (mir kamen auch die Tränen), und obwohl sie mir scheinbar nicht so richtig „helfen“ konnte (denn aufhören musste ich ja nach wie vor selbst), gab sie mir eine Liste mit Suchtberatungsstellen und bat mich, gleich wiederzukommen, wenn es mir nicht gut gehen sollte. Erst einmal wollte sie mir kein Medikament aufschreiben.
    Als ich schon mit der Klinke in der Hand in der Tür des Arztzimmers stand, rief sie mich noch einmal zurück, stand auf, kam auf mich zu, schüttelte mir die Hand und sagte, wie sehr sie mich respektiere dafür, dass ich zu ihr gekommen sei und das Problem jetzt angehen wolle. „das finde ich ganz toll, und ich wünsche Ihnen alles Gute“, sagte sie, und ich ging nach Hause und fühlte mich nicht, so wie ich gedacht hatte, verachtenswert und minderwertig, sondern trotz (mit) meiner Suchtkrankheit geachtet und respektiert. Das war total unerwartet, und hat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass ich tatsächlich trocken werden konnte, davon bin ich überzeugt. Zum ersten Mal offen zu sagen, dass mein Trinken außer Kontrolle geraten ist, dass ich Hilfe brauche, und auf Verständnis und Achtung zu stoßen.

    Ich wünsche dir, dass du die für dich richtigen Schritte gehen kannst jetzt und nicht weiter aushältst.

    Ich wünsch dir alles Gute!

    Camina

  • Hallo Juscha, :)

    ... mir ist beim Lesen auch diese Stelle ins Auge gesprungen:



    weil ich einen Partner zurück lasse, dem ich nicht zutraue, alleine neu anzufangen
    (OTon: dann begehe ich eben Selbstmord).

    Du sprichst von Angst angesichts dieser ziemlich trotzigen 'Drohung'.
    Ich schreibe Dir, weil sie bei mir - von außen geguckt - noch ganz anders
    ankommt.

    In mir löst dieser Satz Deines Gegenübers reine Wut aus.
    Weil er einiges mehr enthält als Dein Gegenüber sich oder Dir eingesteht:

    1. Ich bin mir nicht wichtig. Muss ich auch nicht, solange Du bei mir bist.
    2. ABER DU musst bei mir bleiben. DEIN Job ist es, mich zu bewahren.
    3. Mich interessiert NICHT, wie es Dir dabei geht. Deine Energie interessiert mich.
    4. Ich lebe sehr gut von Deiner Sorge. (Solange sie mir sicher ist.)
    5. Ich brauche Deine Verstrickung mit mir, damit NICHT ICH etwas ändern muss.
    6. Ich schrecke nicht davor zurück, Dich zu ängstigen, damit das auch so bleibt.

    Frechheit!
    Er vermischt völlig wahllos seine mit Deinen Angelegenheiten. Möglich, dass das
    ein gemeinsamer Prozess (Co-Abhängigkeit) ist. Trotzdem, es ist schief, denn:

    Wie kannst Du ihn vor seiner eigenen Gleichgültigkeit bewahren?
    Was ist das für eine beschi**ene Zuteilung / Aufgabe / Überforderung an Dich?

    Er lässt Dich - ob bewusst oder nicht - gegen eine beschlossene Sache antreten.
    Ich meine die Entscheidung, dass er selbst sich (schon jetzt) 'eben' fallen lässt.

    Das 'eben' stört mich (falls es so fiel). Es zielt an Dein Bedauern, Deine Reue.
    Nochmal: Warum sollst DU Reue dafür empfinden, dass ER sich nicht um sich kümmert?
    Er wälzt da gefühlte Tonnen nicht wahrgenommener Eigenverantwortung auf Dich ab.
    Das schadet Dir! Und ist auf dieser Ebene gar nicht zu "knacken".

    Welches Mittel soll bitteschön aus Deiner Welt ausreichen, iN IHM was umzustellen,
    was seine eigene Willenskraft bräuchte? - Das ist frech, empathielos, fast grausam.
    Denn er weiß um Deine Sorge, opfert Dein Wohl seinem Interesse (Sucht beizubehalten).

    Er lebt damit, dass er nichts Schöneres für sein Leben will. Auch für Dich fällt nichts ab.
    - Zuschauen darfst Du aber schon? -

    Ich schreibe so ausführlich, damit Du gar nicht erst auf die Idee kommst, Du könntest
    ihn beschädigen, indem Du die Flucht ergreifst (und Deine seelische Gesundheit rettest).

    Er setzt knallhart und berechnend darauf, dass er ein Recht hat, sich von äußerer Sorge
    und echtem Gefühl zu ernähren, während er selbst es völlig umschifft, für sich da zu sein.
    Ich finde, das geht nicht!

    Möglich, dass ich mich in irgendeinem Punkt verhauen habe, aber ich schreibe so drastisch,
    damit sich diese mir-egal-Narkose (seine) nicht auf Dich mit erstrecken kann. Du bist wert-
    voll, Deine Bedürfnisse sind es auch. Dazu zählt emotionaler Schutz, nicht Abrechnung oder
    Epressung für Dinge, die Du weder verursacht hast, noch kontrollieren oder heilen kannst.
    (Seine Sucht vor allem.)

    Ich hatte ein gutes Gewissen, Dir das zu schreiben, weil ich zuvor das hier von Dir las:


    MUT weil ich bei Euch lese, dass man weitaus schlimmere Situationen meistern kann. Und dass man es schaffen kann.


    Ich glaube, das Wichtigste ist der Mut, wirklich ganz genau hinzuschauen, was da "ist".
    Und mit der Überforderung (die seine Drohung darstellt) nach draußen gehen, sprechen!
    Das ist kein Verrat, das ist ein berechtigter Hilferuf, ehe DU in der Verstrickung untergehst.

    Und Du müsstest nicht alles auf einmal und komplett ändern. Hauptsache, Du bewahrst
    Dir inneren Raum, in dem nur Du, für Dich entscheidest, was Du JETZT wirklich willst und
    brauchst. - Und danach dann, jeden Tag neu, handeln. :) Hilfreiche Kontakte außerhalb
    aufsuchen oder aufbauen, Angebote (Beratung u.a.) ausfindig machen, räumliche Unabhän-
    gigkeit für eigene Rückzüge und Besinnung schaffen, ... das alles geht auch im Kleinen.

    ... einfach in der Bewegung bleiben, die Deine Erkenntnis ja schon eingeläutet hat ... :blumen2:

    Das möchte ich Dir wünschen! Du bist auf einem guten Weg, auch wenn sich das alles
    gerade überhaupt nicht 'gut' anfühlt. :-\ Deshalb denke ich, professionelle Begleitung oder
    eine Gruppe von Weggefährten (SHG) könnte für Dich sehr wertvoll sein. Co-Abhängigkeit
    verwäscht allmählich auch die Selbstwahrnehmung und die Sicht auf völlig berechtigte
    Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse. Der Weg aus der Co-Verstrickung, zurück in die gesunde
    Selbstfürsorge, ist ohne Rückkoppelung und Rückendeckung nur sehr schwer möglich.

    Das denke ich so, aus heutiger Sicht. (Ich bin auch co-abhängig. Das ist nie ganz weg,
    ich trage bestimmte Muster in mir. Aber ich kann mit Achtsamkeit erkennen, wo sie liegen.)

    Von Herzen alles Gute auf dem eingeschlagenen Weg!

    :sun:

    Liebe Grüße,
    Wolfsfrau

  • Wow 44.

    Knallhart auf den Tisch! Klasse geschrieben, Wolfsfrau!

    Da wir bei uns in der Gruppe des Öfteren das Thema Co-Abhängigkeit haben, aber alles nur Betroffene sind (Angehörige kommen nur selten mal mit in die Gruppe, sie kommen, aber eben selten), würde ich das gerne mal dort vorlesen - darf ich? Denn es hilft uns, Argumente in Gesprächen mit anderen Betroffenen, die eben noch nicht den Schritt wagen, gemacht haben, sich aus der Sucht befreien zu wollen, zu finden. Und das ist O-Ton Angehöriger. Besser geht nicht.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Juscha,

    vielleicht hilft Dir ein wenig, wenn ich Dir sage, dass ich auch kurz vor Weihnachten aus der Sucht ausgestiegen bin. Und auch noch vor Weihnachten meine Frau und meine Kinder verlassen habe und ausgezogen bin. Das war sehr schlimm, denn bis zu meinem Outing wusste niemand, dass ich trank, geschweige denn das ich Alkoholiker war. Ich war heimlicher Trinker und offenbar auch einer, dem das richtig gut gelang. Die meisten denken ja nur, sie würden heimlich trinken aber alle Welt weiß längst Bescheid. Bei mir war das nicht so.

    Als ich mich outete musste ich meiner Frau erst mal beweisen, dass ich Alkoholiker bin. Sie glaube mir nämlich kein Wort. Ich führte sie dann zu meinen geheimen Alkohollagerstätten. Also z. B. ins Auto, wo ich das Reserverad entfernt hatte um in der Kuhle Bier in Plastikflaschen zu lagern. Oder in den Schuppen wo unser Feuerholz war, wo ich jedoch umfangreiche Aushöhlungen geschaffen hatte die voll mit Wein- und Bierflaschen waren. Zu guter letzt noch zu einem Waldparkplatz ein paar hundert Meter von unserem Haus entfernt, wo ich im Dickicht zwei Bierkästen vertsteckt hatte die immer als Notreserve dienten und ab und an mal ausgetauscht wurden wenn sie leer waren.

    Tja und dann erinnere ich auch noch, dass ich ihr ein paar Weinflaschen (Weißwein) gezeigt hatte, wo ich Wasser eingefüllt hatte nachdem ich sie geleert hatte damit nicht auffällt das sie leer sind. Normal habe ich solche Flaschen immer heimlich entsorgt und neue dafür besorgt. Denn diese Flaschen waren ja welche, die meine Frau auch "kannte", weil wir sie z. B. geschenkt bekommen hatten. Offiziell habe ich ja nie selbst Alkohol gekauft. Wir tranken offiziell ja gar nix, also meine Frau auch so gut wie nichts. Diese mit Wasser gefüllten Flaschen "warteten" also darauf, dass ich sie durch neue, richtige Weinflaschen der gleichen Marke usw. ersetzte. Logistisch war das aber natürlich nicht immer so einfach.

    Oh mein Gott, wenn ich das hier schreibe wird mir richtig schlecht. Was war das für ein Leben, das ich da geführt habe? Was bin ich dankbar, dass ich heute frei bin!

    Aber zurück zum Thema. Es war ein paar Wochen vor Weihnachten bei mir. Und mein Outing hat mein Leben komplett verändert und das Leben meiner Familie sozusagen erst mal zerstört, aus den Angeln gehoben usw. Dieses Weihnachtsfest werde ich auch nie vergessen. Und mein erstes Sylvester ohne Alkohol auch nicht. Das verbrachte ich nämlich ab ca. 22 Uhr bis ca. 1 Uhr im Wald.

    Hätte ich mir damals gedacht: "vor Weihnachten kannst Du das jetzt nicht bringen", ich weiß nicht ob ich es dann später überhaupt noch geschafft hätte. Oder ob es nicht dann auch wieder irgendwelche Gründe gegeben hätte warum ich mich jetzt nicht outen kann. Wobei ich ehrlicherweise auch sagen möchte, dass mein Outing damals ein ungeplantes und spontanes war. Meine Frau konfrontierte mich mit einer schlimmen Sache die ich getan hatte und anstatt mich aus dieser Situation heraus zu lügen, wie ich das unzählige Male vorher getan habe, machte ich reinen Tisch. Ich war mir bewusst was das bedeutet, jedoch dachte ich in diesem Moment nicht an Weihnachten oder sonst was. Ich spürte einfach nur den festen Wunsch und Willen jetzt, genau jetzt endlich mein sche....ß Leben zu beenden und ein neues zu beginnen.

    Und klar, nach dieser Entscheidung ging es eigentlich erst los. Und es war schlimm, es folgte erst mal eine sehr sehr schlimme Zeit für mich mit vielen sehr einschneidenden Entscheidungen, die getroffen werden mussten. Ich habe es teilweise als Hölle empfunden, jedoch war mir immer klar, dass das alles besser ist als weiter zu trinken. Darüber war ich mir immer im Klaren und dieses Bewusstsein, nie mehr trinken zu wollen, hat meine ganze Handlungsweise bestimmt. Da waren viele Entscheidungen dabei, die ein Außenstehender wahrscheinlich nicht verstanden hätte. Ich traf sie alle mit dem Wunsch und Willen ein neues Leben ohne Alkohol führen zu wollen.

    Also, bevor ich Dich hier jetzt noch mehr zutexte: Geh diesen Weg, geh Deinen Weg. Je früher, desto besser. Lies unsere Geschichten, sie sollen Dir Mut machen das es funktioniert und das es auch wieder gut wird. Was mich betrifft, richtig gut!

    @camina: Bei Deinem Text musste ich tatsächlich ein paar Tränen verdrücken. Tolle Ärztin, die Du da hattest. Deine Geschichte sollte richtig Mut machen!

    wolfsfrau : Danke für diese Gedanken! Sie regen mich zum Nachdenken an und Du hast es wunderbar auf den Punkt gebracht!

    LG
    gerchla

  • Ihr Lieben,

    Ich bin gerade völlig überwältigt. Mit soviel Unterstützung hätte ich niemals gerechnet.

    Wolfsfrau: Du hast mit allem recht, was du schreibst. Ich hatte allerdings immer ein schlechtes Gewissen das so zu sehen.und erst recht, Konsequenzen daraus zu ziehen.

    Gerchia: Alles was du beschreibst, kenne ich ganz genau. Natürlich in abgewandelter Form. Nur in meinem Fall trinken wir beide heimlich. Gemeinsam trinken wir nur gesellschaftsfähig. Im Sommer mal im Biergarten, im Winter einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Oder mal mit Freunden. Wir lügen uns also gegenseitig etwas vor. Ich habe mehrfach angesprochen, dass wir beide Alkoholiker sind, jeder auf seine eigene Art und etwas tun müssen, aber das Thema wird sofort abgebrochen und ignoriert.

    Ich komme aus einer Familie, in der Alkohol überhaupt keine Rolle spielte. Nur auf Partys gab es mal ein "Fässchen" Aber ein Bier zum Abendessen oder ein Glas Wein zum Fernsehen... all sowas habe ich nie kennen gelernt.

    Dann kam ich mit meinem ersten Lebensgefähren zusammen. Der war soetwas - wie ich inzwischen weiss - wie ein Quartalstrinker. Wenn er getrunken hatte, wurde er oft gewalttätig und hat mich grün und blau verprügelt. So kam ich überhaupt erst mit Alkohol in Berührung. Denn ich hatte festgestellt, dass eine Ohrfeige nach zwei Flaschen Bier weniger schmerzhaft ist, als ohne. Er hat allerdings nie heimlich getrunken und ich nur in besagten Situationen.

    Irgendwann habe ich, nicht zuletzt mit Hilfe meines jetzigen Partners, in einer Nacht- und Nebelaktion den Absprung geschafft. Ich dachte jetzt wird mein Leben wieder "wie früher" Weit gefehlt. Eigentlich - so irre das klingt - ist eine "ehrliche" Ohrfeige besser zu ertragen als ewige Lügen. Mit jeder Flasche und jeder unbezahlten Rechnung die ich immer wieder irgendwo fand, wuchs meine eigene Sucht. Denn ich hatte ja gelernt dass das Zeugs alles "erträglicher" macht. Und jetzt bin ich da, wo ich jetzt bin.

    Das Gefühl der Scham muss ich wahrscheinlich nicht beschreiben.

    Ihr helft mir gerade enorm.

    Ich werde auch am Montag nicht ins Büro gehen, als wäre nichts gewesen, sondern zum Arzt. Vielleicht kann er meinen Weg ja beschleunigen.

    Ich hoffe sehr, dass ich hier in diesem Forum auch zu denjenigen gehlren kann, die es "geschafft" haben und anderen Betroffenen Mut machen kann.

    Vielen Dank Euch allen

    Juscha

  • Guten Morgen Juscha,

    es freut mich, wenn wir Dir hier ein paar Denkanstösse geben können die Dich weiter bringen.

    Zitat

    Eigentlich - so irre das klingt - ist eine "ehrliche" Ohrfeige besser zu ertragen als ewige Lügen.


    Tatsächlich hat meine Ex-Frau das fast genauso zu mir gesagt, damals. Also nachdem ich mich geoutet hatte gab es natürlich viel Redebedarf. Was natürlich, wie Du Dir sicher vorstellen kannst, zu nicht ganz einfachen Gesprächen führte. Um es mal milde auszudrücken. Und einmal sagte ich, dass ich ja wenigstens nie aggressiv geworden bin, was man von anderen Alkoholikern ja "immer" so hört, bzw. was ich damals halt so dachte.
    Und dann sagte sie ziemlich genau das (inhaltlich), was Du geschrieben hast. Hat mich damals schwer getroffen und auch heute muss ich noch ab und zu darüber nachdenken.

    Ich denke heute allerdings, dass beide "Varianten", also sowohl pysische als auch psychische Gewalt einfach nicht gehen. Niemand hat des Recht einen anderen zu verletzen, egal auf welche Art und Weise, so einfach ist das meiner nach eigentlich. Und man sollte gar nicht darüber nachdenken, welche Art der Verletzung für einen einfach zu ertragen ist oder wäre, sondern mal sollte sich konsequent gegen jede Art der Verletzung zu Wehr setzen. Und sofort Konsequenzen ziehen.

    Zitat

    Das Gefühl der Scham muss ich wahrscheinlich nicht beschreiben.


    Ich glaube das kennen wir alle. Ich habe meine Scham während meiner Trinkerzeit durch ein enormes, nach außen getragenes Selbstbewusstsein übertüncht. Ich habe mich als Helden dargestellt, der alles im Griff hat, der megaerfolgreich ist, ein ganz toller halt. Umso härter war mein Fall, als ich all meinen Lieben, meinen Eltern, meinen Geschwistern und den verbliebenen Freunden die Wahrheit gesagt habe. Das war ein tiefer, ein sehr tiefer Fall und ein sehr schwieriger Schritt, jedoch auch ein elementar wichtiger für mich.

    Zitat

    Ich werde auch am Montag nicht ins Büro gehen, als wäre nichts gewesen, sondern zum Arzt. Vielleicht kann er meinen Weg ja beschleunigen.


    Eine super Entscheidung. Wenn Du magst, dann erzähl' doch mal, was der Arzt gesagt hat und was Ihr für Deinen weiteren Weg besprochen habt.

    Zitat

    Ich hoffe sehr, dass ich hier in diesem Forum auch zu denjenigen gehlren kann, die es "geschafft" haben und anderen Betroffenen Mut machen kann

    Warum nicht? Es liegt allein an Dir. Du musst diesen Weg auch nicht allein gehen, denn glücklicherweise gibt es ja viele Hilfsangebote. Nutze sie, schau was für Dich passt und dann wirst Du es schaffen. Warum denn nicht? Du wirst sicher einiges verändern müssen in Deinem Leben, möglichweise auch die Beziehung zu Deinem Partner beenden oder zumindest sehr verändern. Aber Du darft wirklich darauf vertrauen, dass sich alle Mühen lohnen. Denn wenn Du Deine Sucht besiegt hast, bekommst Du Dein Leben zurück. Und dann hast Du es in der Hand, nicht mehr der Alkohol und auch nicht mehr Dein alkoholkranker Partner.

    Ich freue mich wieder von Dir zu lesen.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchia,

    Vielen Dank für deine Antwort.

    Ja. Ich war heute morgen tatsächlich beim Arzt. Für den Moment und für meine akute Situation hat er mir ein Medikament verschrieben, dass zumindest die akut körperlichen Symptome in den Griff bekommen soll. Ich hoffe, dann wieder in der Lage zu sen, Sport zu treiben, was mir mental immer wieder hilft und mir hoffentlich die nötige Energie gibt, die nächsten Schritte durchzuziehen

    Ich wiedehohle mich jetzt, weil ich heute morgen schon auf einen anderen Beitrag geantwortet hatte. Aber ich habe noch keine Erfahrung, wie kreuz und quer der Austausch läuft.

    Ich glaube inzwischen - und so ähnlich höre ich es aus deinen Schilderungen - dass es nicht damit getan ist, einfach keinen Alk mehr zu trinken. Oder sich mit alkoholfreiem Bier zu retten, um bloss die Gewohnheit nicht ganz aufzugeben. Vielleicht ist es gar nicht mal das eine Glas Sekt zum Geburtstag (von dem ich hier im Forum schon viel gelesen habe), das bedenklich ist. Viel schwieriger finde ich es, alte Gewohnheiten zu zurbrechen. Ganz unabhängig von den bereits beschriebenen Frustanlässen, mich zum Glas greifen lassen.

    Ich habe schon ein wenig Angst, was alles auf mich zukommen wird. Aber zumindest habe ich schon einiges in Angriff genommen und zwar so, dass ich jetzt keinen Rückzieher machen kann. Dazu habe ich das Netz zu weit gespannt und bin im Zugzwang.

    Ich bewundere was viele hier im Forum geschafft haben. Mein Vater hat früher oft zu mir gesagz : "just do it!" Also mache ich jetzt einfach.

    Ich danke Dir und Euch sehr für Eure Unterstützung.

    Juscha

  • Liebe Juscha,

    erst mal 44. für Deinen Arztbesuch! Das war sicher kein einfacher Schritt, ich weiß wovon ich spreche.

    Ich will einfach mal auf ein paar Dinge von Dir eingehen:

    Zitat

    Ich hoffe, dann wieder in der Lage zu sen, Sport zu treiben, was mir mental immer wieder hilft und mir hoffentlich die nötige Energie gibt, die nächsten Schritte durchzuziehen


    Ich wünsche Dir natürlich auch, dass Du möglichst schnell wieder Energie bekommst. Sport, wenn man ihn gerne macht, ist eine tolle Sache und kann einem im Leben sehr viel Ruhe und Zufriedenheit geben. Ich bin selbst Langstreckenläufer (Halbmarathon und Marathon), das war meine Leidenschaft bevor ich mit dem Trinken begann, es ist jetzt wieder meine Leidenschaft, jedoch in anderern Form. Jetzt dient es mir dazu, mich mit mir selbst zu beschäftigen in einer ganz entspannten Art und Weise. Ich laufe und denke nebenher irgendwas, ich laufe und freue mich das ich das tun kann, ich laufe und danke Gott dafür, dass ich diese Leben führen darf, ich laufe und freue mich über die tolle Landschaft in der ich leben darf, die Tiere die ich sehe, die Sonnenauf- oder auch untergänge in die ich hinein laufe usw.
    Aber ich begann mit diesem Sport erst wieder, als ich das Gefühl hatte, ich hätte meine Sucht einigermaßen aufgearbeitet. Schon nach ein paar Tagen ohne Alkohol kam der Gedanke in mir auf wieder laufen zu gehen. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden weil ich meine Zeit bewusst mit der Aufarbeitung meiner Sucht verbringen wollte. Ich wusste wie positiv sich laufen auf mich auswirkt und ich hatte Angst, ich könnte dadurch das Aufarbeiten vernachlässigen. Weil ja alles so toll ist und ich ja gar kein Problem mehr habe. Also arbeitete ich auf, ging viel Spazieren, war viel draußen, begann aber bewusst nicht mit Sport.
    Irgendwann kam der Tag, wo ich wusste: Jetzt kann ich wieder damit anfangen. Und so kam es dann und ich glaube, ich habe das für mich ganz richtig gemacht.

    Das sind nur Denkanstösse für Dich, das heißt nicht, dass Du nicht mit Sport beginnen sollst. Bei Dir ist das vielleicht ganz anders. Aber darüber nachdenken darfst Du gerne.

    Zitat

    Ich glaube inzwischen - und so ähnlich höre ich es aus deinen Schilderungen - dass es nicht damit getan ist, einfach keinen Alk mehr zu trinken.


    Damit liegst Du genau richtig. Und das ist auch ein bischen das was ich mit meiner Abhandlung über das Laufen sagen wollte. Aufarbeiten ist enorm wichtig und sollte nicht verdrängt oder vernachlässigt werden. Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn es einem recht leicht fällt nicht mehr zu trinken. Alles toll, alles prima - warum also noch groß über diese unangenehme Thema nachdenken? Das birgt eine sehr große Gefahr. Du hast es also ganz richtig erkannt.

    Zitat

    Oder sich mit alkoholfreiem Bier zu retten, um bloss die Gewohnheit nicht ganz aufzugeben


    Das alkoholfreie Bier..... Ja manche Alkoholiker können es trinken, andere werden davon rückfällig. So ne Sache. Ich kenne beide Fälle in meinem Bekanntenkreis. Ich glaube auf jeden Fall, dass es in der Anfangszeit überhaupt keine Option ist, die alkoholfreie Variante eines normal alkoholischen Getränks zu komsumieren. Nach dem Motto: Na dann trink ich halt alkoholfreies Bier.... Wie gesagt, erst mal aufarbeiten. Und wenn man das erfolgreich gemacht hat, kann man evtl. sogar mal eines trinken, aber es kann auch gut sein, dass man das dann gar nicht mehr möchte. Wozu auch? Ich z.B. trank wegen der Wirkung, und zwar nur wegen der Wirkung. Hauptsächlich Bier. Wozu sollte ich jetzt alkoholfreies trinken?

    Zitat

    Vielleicht ist es gar nicht mal das eine Glas Sekt zum Geburtstag (von dem ich hier im Forum schon viel gelesen habe)


    Wenn Du mit Deiner Sucht durch bist, sie also aufgearbeitet hast und die Sinnlosigkeit des Trinkens erkannt hast, dann wirst Du kein Glas Sekt mehr trinken wollen. Egal zu welchem Anlass. Dann wirst Du einfach was anderes trinken. Ohne das Dir irgendwas fehlt. Du wirst nicht mal mehr darüber nachdenken, dass Du ja mal ein Glas Sekt trinken könntest oder es gerne würdest. Weil Du erkannt hast, dass dieses Glas Sekt überhaupt keine Bedeutung hat.

    Zitat

    Viel schwieriger finde ich es, alte Gewohnheiten zu zurbrechen. Ganz unabhängig von den bereits beschriebenen Frustanlässen, mich zum Glas greifen lassen.


    Sehr gut erkannt. Deshalb vor allem am Anfang: Dafür sorgen, dass diese Triggerpunkte weg kommen. So gut es geht. Dazu gehört Dein Partner leider auch. Gewohnheiten meiden, bei denen Du immer getrunken hast, sofern das möglich ist.

    Zitat

    Ich habe schon ein wenig Angst, was alles auf mich zukommen wird.


    Ersetze doch mal das Wort "Angst" durch das Wort "Respekt". Angst hat was lähmendes, Angst lässt einen auch zweifeln, man läuft auch gerne vor ihr weg. Du darfst Respekt haben vor dem was vor Dir liegt. Diesen Respekt solltest Du Dir auch dann erhalten, wenn Du es mal geschafft hast und Deine Sucht überwunden hast. Er lässt Dich achtsam sein. Gleichzeitig solltest Du aber auch Mut haben. Den geben wir Dir hier, weil Du siehst das es funktionieren kann. Und wir sind keine Übermenschen oder so. Wir haben es einfach so gehalten wie Dein Vater zu Dir sagte: just do it!

    Ich freue mich wieder von Dir zu lesen. Ich wünsche Dir ganz viel Kraft für Deinen weiteren Weg und das Du ihn weiter konsequent gehst!

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchia,

    Ich danke Dir sehr für deine Antwort und gebe Dir in allen Punkten recht.

    Was den Sport betrifft: Ja. Auch das ist eine Sucht. Höher, schneller, weiter. Vor drei Jahren hatte ich einen Unfall und ich dachte nie wieder laufen (also joggen) zu können. Irgendwann habe ich es dann doch wieder geschafft und seitdem laufe ich völlig ohne Ehrgeiz. Genau wie du beschreibst freue ich mich über den Sonnenauf- oder Untergang oder sogar, wenn mir der Regen ins Gesicht peitscht. Ohne Pulsuhr oder sonstwas.

    Was alkoholfreies Bier etc betrifft: Mir hat es das trügerische Gefühl gegeben, auch ohne Alkohol weiter zu machen wie immer. Also im Biergarten mit einem Bier am Tisch zu sitzen statt mit einen Eiskaffee. Oder zum Abendessen ein alkoholfreies Bier zu trinken statt Wasser oder Fanta. Das hat mir irgendwann selber klargemacht, das irgendwas falsch läuft. Und in den entscheidenden Frustmomenten hat diese Strategie natürlich überhaupt nicht funktioniert.

    Ich ahne mittlerweile dass meine Sucht schkimmer ist, als ich dachte, denn Alkohol ist für mich nicht nur Wirkung sondern auch Gewohnheit.

    Was das besagte Glas Sekt betrifft gebe ich Dir ebenfalks recht. In meinem "guten" Phasen und wenn ich Autofahren muss, ist das für mich überhaupt kein Problem. Und ich habe dann auch gar keine Lust darauf, Ich habe es allerdings noch nicht geschafft, die "guten' Phasen zum Standart zu machen.

    In einer Sache kann ich jedoch noch nicht ganz zustimmen. Im Moment kann ich "Angst" noch nicht durch 'Respekt ' ersetzen. Der Unterschied ist mir durchaus bewusst, aber im Momen ist alles noch zu diffus, Ich hoffe allerdings dass sich das durch professionelle Hilfe zeitnah ändern wird und ich hier im Forum nicht nur hilfe"suchend", sondern auch hilfe"gebend" sein kann.

    Momentan stehe ich ja noch ganz am Anfang. Aber wie gesagt: Ich finde hier sehr hilfreiche Unterstützung und Motivation und den Glauben daran, dass man es schaffen kann.

    Danke!!!

    Juscha

  • Hallo Juscha,

    vielen Dank für deine Frage drüben „bei mir“. Darüber will ich noch ein bisschen nachdenken, weil ich die Beantwortung gar nicht leicht finde. Und dir dann dort auch antworten.

    Aber ich wollte dir schon mal sagen, dass ich es klasse finde, dass du zum Arzt gegangen bist, und dass du dich selbst sozusagen durch deine Handlungen in die „Pflicht nimmst“.

    Ich hatte, als ich trocken wurde, das Glück, bereits getrennt zu leben und mir dadurch ein alkoholfreies Umfeld schaffen zu können. Ohne das wäre es für mich wohl sehr schwer geworden.

    Ja, und an das Gefühl der Scham kann ich mich noch sehr gut erinnern. Sehr sehr gut, denn es sitzt tief. Aber auch hierbei hilft der Austausch.

    Ebenso wie bei der Angst vor dem „Verlust“ des Alkohols. Die hatte ich auch. Und die wenigstens bin ich wirklich los (an Scham- und Schuldgefühlen arbeite ich noch.) in der Hinsicht kann ich dir wirklich Mut machen.

    So viel erstmal kurz zwischendurch.

    Bis später,
    Camina

  • Hallo Juscha,

    wie ist es dir diese Woche ergangen? Und wie siehst du dem Wochenende entgegen?

    Gerchla hat dir ja von Mut geschrieben. Das ist eines meiner Lieblingsthemen. Denn ich habe immer viel Angst gehabt, vor allem möglichen. Und ganz doll viel auch vor dem Trockenwerden und allem, was dazu gehört.

    Irgendwann hab ich dann gemerkt, dass viel Angst und viel Mut die zwei Seiten derselben Medaille sind. Anders gesagt, dass ich Mut habe, viel Mut, ich bin richtig geübt im mutig sein, gerade weil ich vieles so beängstigend finde.

    Ich könnte mir vorstellen, dass das bei dir auch so ist. Aus der Angst kommt auch die Kraft, die Angst zu überwinden und seinen (deinen) Weg hindurch zu finden.

    Hattest du den Mut, dich an eine Suchtberatungsstelle zu wenden? Dort sind ja auch oft offene Sprechstunden.

    Viele Grüße!

    Camina

  • Hallo Camina,

    Vielen Dank für deine Nachfrage.

    Ja. Mut und Angst. Genau das waren meine Themen diese Woche. Immerhin habe ich seit Montag Mittag keinen Alkohol getrunken. Kämpfe aber immer noch mit einigen Nebenerscheinungen. Gestern war ich tatsächlich in einer offenen Srechstunde. Ich habe dort einige sehr hilfreiche Tipps bekommen. Aber auch ein paar eindringliche Worte zum Thema Co-Abhängigkeit und deren möglichen Konsequenzen. Und das ist das Thema Mut.

    Das Thema Angst ist die Frage nach der Zukunft. Ich habe meinem Partner gesagt, dass ich jetzt endgültig Hilfe suche, aber dass es nichts bringt, wenn er nicht mitzieht. Doch, doch, er würde jetzt auch alles anders machen. Als ich gestern von der Suchtberatung kam, hat er kein einziges Wort darüber verloren. Nichts gefragt. Ich hätte auch vom Einkaufen zurückkommen können. Natürlich ist mir völlig klar, dass er weiter trinkt. Geht ja gar nicht anders "einfach so". Aber die Lügerei und Leugnerei macht mich irre. Im Moment retten mich in solchen Situationen lange Spaziergänge. Aber es ist nur eine Frage der Zeit bis die wieder durch die Flasche getauscht werden

    Kurzum ist mir klar, dass eine Trennung unumgänglich ist, zumindest eine räumliche. Das ist in unserem Falle, bedingt durch diverse Umstände nicht so einfach und im Moment habe ich keine Ahnung, was wird und wie ich das alles bewerkstelligen soll. Aber wenn ich lese, was Ihr alles geschafft habt, bin ich zuversichtlich, dass ich auch irgendwann irgendwo heil ankomme.

    Dir wünsche ich ein gutes (schönes) Wochenende.

    Liebe Grüße,

    Juscha

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