Seit kurzem die Augen geöffnet und voller Fragen

  • Liebes Forum,

    Ich habe seit ein paar Monaten den Verdacht, dass ich jahrelang mit einem verdeckten Alkoholiker zusammen war. Da ich mich mit der Thematik kaum auskenne und mich zur Zeit Schritt für Schritt informiere habe ich 1000 Fragen... Daher dieser Versuch mit dem Forum.

    Vielleicht zu meinem Hintergrund. Ich bin weiblich, 44 Jahre alt und war 19 Jahre mit einem Mann zusammen, wir haben 2 Töchter. Die letzten Jahre hatten wir immer mehr Probleme. Ich dachte, dass es an seinen verschiedenen Problemen lag, geringes Selbstbewusstsein, Jobverluste usw. Von einem lieben, eher introvertierten Mann wurde er mehr und mehr zu einem aggressiven Nörgler, der mit seinen Problemen nicht umgehen konnte und lieber Ausreden erfand und log. Ich habe jahrelang versucht, ihm zu helfen, ihn zu unterstützen. Habe gedacht, dass er depressiv ist. Habe es auch geschafft, dass er sich in Therapie begab, was aber überhaupt nichts verbesserte.
    Alkohol spielte in dieser Zeit nur selten eine Rolle. Zurückschauend kann ich sagen, dass es ab und zu Thema war, aber ich hatte immer den Eindruck, dass wir es im Griff hatten. Wenn ich das Gefühl hatte, es sei ein wenig viel haben wir das angesprochen und fanden dann stets eine Lösung. Wir hatten immer eher wenig Alkohol im Haus und haben das dann eher mal am Wochenende oder mit Freunden getrunken.
    Seine Aggressionen und Stimmungsschwankungen wurden aber immer schlimmer und letztendlich hat es dazu geführt, dass wir uns letzten Winter getrennt haben. Es gab noch ein paar Monate Übergangszeit, bis er eine Wohnung gefunden hatte. In dieser Zeit, also quasi nachdem das Unvermeidliche (die Trennung) eingetreten war, habe ich in der Wohnung Flaschen gefunden, unter dem Bett, in seinem Rucksack. Ich habe ihn dann zur Rede gestellt und er ist in sich zusammen gesackt. Ich habe ihn gefragt, ob er neben seiner Aggression seinen Kindern jetzt auch noch einen Alkoholiker als Vater antun will. Da war er ganz klein mit Hut, meinte, er würde was ändern usw. Am Tag nach meiner Konfrontation mussten wir noch zur Geburtstagsfeier meines Vaters und beim Brunch zitterten seine Hände so stark, dass er es kaum geschafft hat Oliven auf eine Gabel zu bekommen.
    Seitdem sind mir so viele Dinge aufgefallen, die ich vorher mit ganz anderen Augen gesehen habe. Und ich frage mich die ganze Zeit: Kann man das so gut verstecken, dass ich es davor nicht gemerkt habe? Ich mache mir solche Vorwürfe, eine Co-Alkoholikerin gewesen zu sein, die die ganze Zeit die Augen verschlossen hat.
    Aber so kenne ich mich gar nicht. Ich hatte vor den 19 Jahren einen Freund, den ich auch verlassen habe, nachdem er angefangen hatte jeden Abend vor dem PC Whiskey und Wodka getrunken hat und mir vorwarf, mit mir könne man keinen Spass haben, da ich nie mittrinke. Ich halte mich für einen konsequenten Menschen, der Probleme offen angeht. Aber kann es sein, dass jemand Jahre lang so Theater spielt? War ich so mit seinen psychischen Problemen beschäftigt, dass ich das eigentliche Problem nicht gesehen habe? Oder kam es so plötzlich?
    Ich bin total verwirrt und fange an, die ganze Zeit vorher zu hinterfragen. Hat er mich die ganze Zeit angelogen? Wir hatten Zeiten, in denen er aus meiner Sicht überhaupt nicht getrunken hat. Er ist auch nie besoffen nach Hause gekommen oder hat sich ein Wochenende lang die Kante gegeben.

    Jetzt sind wir wie gesagt getrennt und ich würde am liebsten nichts mit ihm zu tun haben, aber wir haben wie gesagt 2 Töchter die ihren Papa trotz seines aggressiven Verhaltens in den letzten Monaten sehr lieben. Das will ich ihnen auch nicht nehmen, aber ich habe inzwischen wahnsinnige Angst, wenn ich nur daran denke, dass er mit den beiden längere Strecken im Auto fährt.

    Ich habe ihn darauf angesprochen und er sagte zu mir er habe eingesehen, dass er Probleme habe. Er hätte seinen Konsum runtergefahren, würde nur noch am Wochenende und auch nicht mehr alleine trinken. Und würde nie Trinken, wenn er Auto fahren müsste. Allerdings haben die Mädchen mir erzählt, dass er im letzten Urlaub beim Italiener durchaus Wein zum Essen und danach einen Schnaps getrunken hätte, obwohl er danach noch fahren musste. Das macht man doch nicht, wenn einem bewusst ist, dass man ein Problem hat? Und wenn man weiss, wie sehr sich die Kinder inzwischen Sorgen machen. Ich muss dazu sagen, dass ich die Kinder nie nach dem Trinkverhalten ihres Vaters gefragt habe. Sie fragen mich so etwas nebenbei, beim Abendessen, so unter dem Motto: "Mama, darf man eigentlich Auto fahren, wenn man getrunken hat?" Und dann kommt die Geschichte. Daran merke ich, wie sehr es sie beschäftigt, obwohl ich das bislang nicht thematisiert habe. Wie kann ich die Kinder vor den Auswirkungen schützen? Was kann ich noch glauben?

    Danke für Eure Einschätzung hierzu.
    Eure Ailin

  • Hallo, Ailin, und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin m, 55, Alkoholiker und seit einigen Jahren trocken.

    Vorweg: Keiner möchte Alkoholiker werden!

    Ich habe ihn gefragt, ob er neben seiner Aggression seinen Kindern jetzt auch noch einen Alkoholiker als Vater antun will.

    Natürlich WILL er Ihnen dies nicht "antun". Genauso wenig, wie ein Krebskranker dies seiner Familie antun will. Niemand will dies tun, nur um den anderen zu ärgern oder weil man die Familie, die Frau, die Kinder nicht liebt - es ist der Zwang der Sucht.

    Und DASS er Alkoholiker ist ... dafür spricht Einiges. Zum Beispiel die ganzen Flaschen, die Du gefunden hast. Ich hatte früher auch so einige Verstecke und Depots. Und habe, als ich schon trocken war und dann mal den Keller aufgeräumt habe, meine damalige Frau prophylaktisch vorgewarnt, dass wir eventuell noch die eine oder andere finden könnten ... da ich auch einige Verstecke wieder vergessen hatte. Es war aber "nur" ein Flasche, die wir fanden.

    Und zu Deiner Frage: Ja, Alkoholiker sind oft sehr gute Schausieler, die ihre Umwelt (und sich selbst) sehr gut täuschen können. Und diese versteckten Flaschen dienen einfach dazu, zwischendurch immer mal wieder den Pegel "aufzufüllen", "einen Hieb zu nehmen", eben um solche Entzugserscheinungen wie von Dir beschrieben (u.a. stark zitternde Hände) zu vermeiden, zu unterdrücken. Das heisst, er hat sich auf dieser Geburtstagsfeier zusammengerissen und nichts getrunken. Und es ist ihm dabei beschissen gegangen!
    Vielen Pegeltrinkern merkt man nicht an, dass sie eigentlich betrunken sind - solange sie ihren Pegel haben. Ist dieser Pegel allerdings zu niedrig, kommen die Entzugserscheinungen, ist er zu hoch, merkt man ihm die Trunkenheit an. Und gegen die Fahne ... ich z.Bsp. war ein großer Fan von "Fisherman's Friend", man entwickelt besondere Sprechweisen, bei denen man nicht in die Richtung des Gesprächspartners atmet und, und, und ...
    Mancher Alkoholiker trinkt eben offen, andere heimlich - und wieder andere unheimlich.

    Ich habe ihn darauf angesprochen und er sagte zu mir er habe eingesehen, dass er Probleme habe. Er hätte seinen Konsum runtergefahren, würde nur noch am Wochenende und auch nicht mehr alleine trinken. Und würde nie Trinken, wenn er Auto fahren müsste.

    Das klingt für mich wie meine Sprüche damals, um das Thema zu beenden und meine Ruhe zu haben, indem ich meine Frau "beruhigt" habe - bevor ich mich dem Problem tatsächlich gestellt habe. Denn wenn er TATSÄCHLICH eingesehen hätte, dass er ein Alkoholproblem hat, dann hätte er sich Hilfe geholt - Entgiftung, Suchtberatung, Therapeut, SHG ... irgendetwas in der Art. Und nicht "seinen Konsum runtergefahren" ... von täglich 1,5 o/oo auf 1,4 o/oo?? Und er trinkt jetzt nicht mehr alleine, sondern nur noch in Gesellschaft - in der Kneipe ???
    Und wenn ein "Normalo" :sorry: zum Essen EIN Glas Wein trinkt, ist das noch halbwegs okay. Aber Deine Kiddys erzählen, er habe "Wein" (1, 2, 3 Gläser?) und noch nen Schnaps getrunken und ist anschließend Auto gefahren.

    Wie sollst Du damit umgehen? ICH kann es Dir nicht sagen. Da gibt es viele Möglichkeiten.
    Treffen der Kinder mit ihm nur unter Aufsicht; erst wieder, wenn er eine Entgiftung gemacht und eine Therapie begonnen hat ...
    Hier kannst Du auch das Jugendamt mit ins Boot holen - nicht, um ihm das Sorge- und/oder Umgangsrecht zu entziehen, sondern um eben um den Umgang zu regeln.

    Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Kraft und einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Ailin,

    willkommen im Forum!

    Dein Problem scheint ja sozusagen 2-geteilt zu sein:
    1. Warst Du jahrelang mit einem Alkoholiker verheiratet, dessen Sucht Du nicht bemerkt hast?
    Was für Kosequenzen/Schlußfolgerungen ergeben sich daraus für Dich?

    2. Trinkt der Vater Deiner beiden Mädchen auch heute noch, wenn er mit ihnen mit dem Auto unterwegs ist?
    Was kannst Du dagegen tun?

    Die erste Frage ist Dir schon von Greenfox beantwortet worden. Lies dazu auch mal die Beiträge von Gerchla zu seiner Suchtzeit, in der nahezu niemand, oder sogar niemand bemerkt hat, dass er ein ausgewachsenes Suchtproblem hatte. Also ja, das ist möglich.
    Ich meine aber, wenn Du es überhaupt nicht bemerkt hast, Dein Partner also nicht durch Alkohol in dem Zusammensein auffällig und ausfällig wurde, dann kannst Du m.E. auch nicht co-abhängig sein. Weil Co-Abhängigkeit setzt u.a. voraus, dass man die Sucht des Süchtigen unterstützt und fördert, zumindest aber gutmeinend duldet.

    Was ergibt sich daraus für Dich?
    Die Frage ist, so jedenfalls liest sich Dein Beitrag für mich, ob Du die inzwischen eingestellte Beziehung aufarbeiten möchtest/musst, und inwieweit dabei seine eventuelle Sucht eine Rolle spielt?
    Willst Du ihn und seine Sucht besser verstehen lernen, oder ist es einfach nur, dass Du wissen möchtest, warum Du die (eventuelle) Sucht nicht bemerkt hast? Bei letzterem könnte ja durchaus auch sein, dass Du selbst ein Wahrnehmungs/Aufmerksamkeitsdefizit in einer Partnerschaft hast?
    Wärt Ihr noch zusammen, würde ich an dieser Stelle das Gespräch bei einer Suchtberatung empfehlen. Aber da Ihr zwischenzeitlich getrennt seid, und es Dir wohl (?) mehr um die Aufarbeitung der gescheiterten Beziehung geht (?) ist vermutlich eine entsprechende psychologische Unterstützung ohne die Konzentration allein auf die Sucht notwendig.

    Zur 2. Fragestellung: Da Du ja ein sehr ehrliches und offenes Verhältnis zu Deinen Töchtern beschreibst, dürfte es m. E. kein Problem sein, sie anzuweisen, zumindest dann, wenn sie definitiv gesehen haben oder riechen, dass Dein Ex Alkohol getrunken hat, nicht mit ihm Auto zu fahren.
    Alternativ, weil er ja offenbar ein sehr trickreicher Trinker ist, kannst Du ein Alkoholtestgerät vorschlagen, mit dem er sich vor jeder Fahrt testen lässt.

    Noch eine Bemerkung von mir:

    Zitat

    Treffen der Kinder mit ihm nur unter Aufsicht; erst wieder, wenn er eine Entgiftung gemacht und eine Therapie begonnen hat ...


    Ich bin wohl eher ein deeskalierend denkender und agierender Mensch. Man muss nicht immer gleich „das ganz große Besteck“ herausholen, wenn es auch viele Nummer kleiner geht.
    Du schreibst ja, dass Eure Kinder ihren Papa sehr lieben. Da sollte man m. E. auch entsprechend behutsam mit dem Vater/Kindverhältnis umgehen.
    Ihm jetzt, nachdem Ihr Euch getrennt habt, sozusagen „Vorschriften machen“, wie und mit welchen Mitteln er seine – eventuelle! – Sucht zum Stillstand bringen soll, ist sehr übergriffig und sollte ihm schon selbst überlassen werden.

  • Hallo Ailin,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum.

    Ich stelle mich mal kurz vor: Ich bin Ende 40, Alkoholiker, Vater von 3 Kindern (zu meiner nassen Zeiten waren es 2) und lebe jetzt schon mehrere Jahre ohne Alkohol.

    Ich will mal versuchen auf einige Deiner Fragen einzugehen bzw. Dir meine Erfahrungen mitteilen.

    Zitat

    Ich habe ihn gefragt, ob er neben seiner Aggression seinen Kindern jetzt auch noch einen Alkoholiker als Vater antun will.


    Dazu möchte ich erst mal sagen, dass ich nicht denke, dass er seinen Kindern absichtlich irgendwas antun oder zumuten möchte. Würde mich wundern. Ich vermute auch mal, dass er Dir das nicht antun wollte. Ich denke, das zeigt seine Reaktion des in sich zusammen sackens, dass er sich einfach nur schämt für seine Sucht und auch für das was er Euch damit antut. Dass er sich als Versager fühlt, als ein Gescheiterter, als jemand, der es an die Wand gefahren hat. Diese Sucht hat nichts mit wollen zu tun, denn dann wäre sie keine Sucht wenn sie mit dem Willen kontrolierbar wäre. Es hat damit zu tun, dass er nicht mehr anders kann. Er ist süchtig = er ist krank = da kommt er so einfach nicht mehr raus.

    Aber um eines auch gleich mal klar zu stellen: Das heißt für mich nicht, dass er nicht schuld wäre oder das er nichts dafür kann. Schließlich wird ihn niemand dazu gezwungen haben Alkohol zu trinken und darüber zum Alkoholiker zu werden. Das heißt für mich nicht, dass Du ihn bemittleiden musst und größtes Verständnis aufbringen sollst. Nein, beileibe nicht. Es soll Dir einfach nur erklären, dass er im Moment nicht so kann wie er vielleicht möchte oder wie es für andere gut wäre. Es ist gut für Dich, wenn Du verstehst was im Hirn eines nassen Alkoholikers passiert. Dann kannst Du Dich besser schützen, die Dinge für Dich besser einordnen.

    Zitat

    Kann man das so gut verstecken, dass ich es davor nicht gemerkt habe?


    Ja, kann man. Ich habe ca. 15 Jahre lang abhängig getrunken. Meine Frau hat nichts davon bemerkt. Meine Ehe wurde in den letzten Jahren meiner Trinkerei immer schlechter, meine Frau hat auch alles mögliche versucht um irgendwie an mich ran zu kommen, um irgendwie diese langjährige Ehe (die durchaus eine Liebesheirat war) zu retten. Sie hat ja gemerkt, dass alles den Bach runter geht. Sie wusste nur nicht warum.

    Und jetzt sage ich Dir, dass ich die letzten Jahre pro Tag zwischen 10 und 12 Bier plus oft noch ner Flasche Wein getrunken habe. Heimlich, wohl gemerkt. Hätte meine Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort nach Plastikbierflaschen gesucht, wie wäre wahrscheinlich vor Entsetzen umgekippt. Aber wer sucht schon im Reserveradkasten des Autos nach Bierflaschen?

    Bei mir fing das ganz harmlos an. Und auch noch ganz öffentlich, ohne Geheimhaltung. Ich begann irgendwann "mein" Feierabendbierchen zu trinken. Erst nur ab und zu, dann irgendwann fast täglich. Nur eins, mehr trank ich bestenfalls mal, wenn wir abends irgendwo auf einer Feier waren. Irgendwann wurde das dann ein Thema für meine Frau, die mich ansprach weil ich ja wirklich täglich ein Bier trank. Ich versprach ihr das zu lassen bzw. nur noch ab und an mal ein zu trinken und tat das dann auch. Doch irgendwann war ich dann doch wieder bei einem Bier täglich. Wieder sprach sie mich an, wieder änderte ich mein Trinkverhalten. Schon damals fiel mir das nicht leicht, schon damals war ich im Grunde abhängig, auf jeden Fall aber stark gefährdet. Ich wusste es nur nicht.

    Nun dieses "Spielchen" machten wir ein paar mal. Bis ich irgendwann hochoffiziell verkündetete, dass ich erst mal gar nix mehr trinke. Und da begann ich dann heimlich zu trinken. Wie Du es von Euch beschreibst, war bei uns im Haus bis zum Schluss offiziell fast kein Alkohol zu finden. Da stand nie ein Bierkasten rum (weil ich trank ja nix), da standen nur ein paar geschenkte Schnapsflaschen im Regal (auf Schnaps bin ich nie umgestiegen, wäre aber sicher irgendwann auch noch gekommen). Ich trank auch auf Veranstaltungen usw. nur sehr moderat, also offiziell. Um mir mein Level zu holen ging halt mal auf die Toiliette, wo ich aber in Wahrheit schnell zum Auto lief um 2 oder 3 Bier auf ex aus meinem Reserveradkasten in mich hinein zu schütten. Zurück auf der Veranstaltung nippte ich dann an meinem offiziellen Bier weiter.

    Also Du siehst, da geht schon einiges. Wobei ich sagen muss, dass es äußerst selten ist, dass jemand seine Sucht derart verheimlich kann und auch über so eine lange Zeit, wie das bei mir der Fall war. Unterschiedliche Umstände haben das ganze begünstigt (leider), so dass ich dieses Spielchen spielen konnte. Auf jeden Fall musste ich meiner Frau bei meinem Outing (das ich selbstentschieden habe) meine Vorräte zeigen, sie hat mir nämlich nicht geglaubt.

    Wie Du Dir denken kannst, funktioniert das alles nur mit lügen und betrügen. Das beantwortet vielleicht Deine Frage, was Du eigentlich noch glauben kannst. Ich würde da mal sagen: Gar nix. Niemand lügt besser als ein nasser Alkoholiker. Schauspielerisch sind nasse Alkoholiker ebenfalls höchst begabt. Ich habe mir im Laufe meiner Trinkerzeit ein sehr umfangreiches Doppelleben aufgebaut. Details will ich jetzt hier gar nicht erzählen aber es war sehr umfangreich. Ein normaler Mensch würde nicht glauben, dass so etwas überhaupt möglich ist. Das alles funktioniert nur mit ganz vielen Lügen, mit viel Betrügen, mit Tarnen und Täuschen.

    D.h. also, ein nasser Alkoholiker kann Dir erzählen was er will. Er kann Dir versprechen was er will, er kann schwören und vor Dir auf die Knie fallen: Du kannst es nicht glauben. Er kann auch mal durchaus die Wahrheit sagen, aber zumindest bei mir war der Anteil der wahren Geschichten der deutlich geringere. Es ging so weit, dass ich irgendwann selbst nicht mehr wusste was stimmte und was nicht. Und wenn man Lügen auf vorangegangen Lügen aufbaut, dann entsteht da irgendwann ein gewaltiges Kartenhaus. Und wenn man sich in diesem Kartenhaus dann nicht mehr so genau auskennt, weil man selbst nicht mehr weiß was stimmt und was nicht, dann kann ganz schön in Stress geraten. So war das bei mir mehrmals, wo ich dann nur durch äußerst kreative erneute Lügen und schauspielerischen Glanzleistungen den Kopf aus der Schlinge bekam.

    Du kannst Dir vorstellen, wieviel Stress das für den Trinker bedeutet. Und wie kompensiert der Trinker diesen Stress? Genau, er trinkt ihn weg. Mehr Stress = mehr trinken = Sucht verfestigt sich bzw. wird immer schlimmer.

    Zitat

    Er hätte seinen Konsum runtergefahren, würde nur noch am Wochenende und auch nicht mehr alleine trinken. Und würde nie Trinken, wenn er Auto fahren müsste.


    Was Du davon halten kannst: siehe oben.

    Als ich trocken wurde, trennte ich mich von meiner Frau. Damit "verlor" ich auch meine beiden Kinder, zumindest was den täglichen Umgang betraf. Nun wollte ich sie aber ja sehen, etwas mit ihnen machen. Ich liebte (und liebe) meine Kinder über alles (trotzdem konnte ich übrigens ihnen zuliebe nicht mit dem Trinken aufhören = da siehst Du mal wie stark die Sucht ist).

    Meine Ex-Frau hat mir verboten mit den Kindern Auto zu fahren. Obwohl ich ja bereits trocken war. Aber woher sollte sie wissen dass das stimmt? Also durfte ich meine Kinder nur mit dem Zug abholen. Oder ich musste etwas im unmittelbaren Umfeld mit ihr machen oder später, als mein großer dann den Führerschein hatte, hat er mir seine Schwester gebracht und sie wieder geholt.

    Und ich sage Dir: Recht hat sie gehabt, meine Ex-Frau. Vollkommen Recht. Genau richtig hat sie das gemacht. Ich wurde nicht rückfällig, bin jetzt viele Jahre trocken aber er hätte das denn wissen bzw. voraussehen können?
    Es dauerte seine Zeit, bis wieder Vertrauen zwischen meiner Ex-Frau und mir wachsen konnte. Als sie sah wie ich mich körperlich und auch charakterlich veränderte, als sie mitbekam, dass ich mittlerweile an Marathonläufen teilnehme, das mein ganzes Verhalten sich grundlegend geändert hat und dass ich auch wieder in einer neuen Beziehung glücklich war, da hat sie vertraut, dass ich die Sucht wirklich überwunden habe. Und seither fahre ich natürlich auch wieder mit meiner Tochter Auto. Und mittlerweile natürlich auch mit der kleinen Schwester meiner Tochter :)

    Das hat gedauert, diese Zeit sollte man sich aber nehmen.

    Ich finde Dietmar hat die Situation in der Du gerade steckst, recht gut auf den Punkt gebracht. Da bist einerseits Du, der so hintergangen wurde, vor einer gescheiterten Beziehung steht und jetzt irgendwie damit klar kommen muss UND da sind andererseits die Kinder, die ihren Papa sicher lieben und wo es eben auch eine Regelung geben muss.

    Was Dich betrifft, so will ich Dir den Denkanstoss geben, mal darüber nachzudenken, Dir Hilfe von außen zu holen. Also jenseits diess Forum. Meine Ex-Frau hat einen Psycholgen aufgesucht, der/die hat ihr sehr geholfen das alles zu verarbeiten. Und eben auch viele Tipps gegeben, wie das mit mir und den Kindern ablaufen könnte. Mittlerweile haben meine Ex-Frau und ich ein recht gutes Verhältins. Wir können wieder sehr gut miteinander reden (besser als in den letzten Jahren unserer Ehe) und wir natürlich auch mal darüber gesprochen. Sie hat mir das erzählt. Ich glaube es könnte Dir helfen, wenn Du den richtigen Psychologen findest, sehr helfen. Das ist ja nichts banals, ich denke auch bei Dir sind Lebensträume einfach so geplatzt. Wir haben übrigens damals auch für unsere Tochter Hilfe gesucht und sind mit ihr gemeinsam zum Kinderpsychologen. Auch etwas, was evtl für Dich bzw. Deine Kinder hilfreich sein könnte. Was Kinder da durchmachen ist enorm und nicht zu unterschätzen. Meiner Tochter ging es damals sehr schlecht, wirklich sehr sehr schlecht.

    Das mit dem Umgang der Kinder ist sicher nicht so einfach. Die Frage ist, ob Dein Ex jetzt tatsächlich einfach weiter säuft. Wenn ja, dann musst Du das irgendwie regeln. Er ist da dann ja sowieso nicht mehr zurechnungsfähig. Ich kenne von Bekannten, dass es auch einen Umgang mit Begleitpersonen gibt. D.h. der Vater darf seine Kinder sehen, auch mehrere Stunden mit ihnen verbringen, jedoch ist immer eine Begleitperson dabei. Bei so etwas kann Dich das Jugendamt beraten. Das ist also jetzt gerade eine nicht ganz einfache Situation.

    Mich hätte es damals bestimmt sehr getroffen, wenn meine Frau das Jugendamt eingeschaltet hätte. Auch wenn ich das aus heutiger Sicht durchaus verstehen könnte. Wir konnten uns aber anderweitig einigen, weil ich auf das Auto fahren verzichtet habe und Anfangs meine Tochter auch nur ein paar Stunden gesehen habe, kein Übernachten oder so. Und dann wusste ich ja, dass ich trocken bin und ich tat auch alles dafür trocken zu bleiben. Und mir war auch klar, dass ich nachdem was ich verbrochen hatte, erst mal wieder Vertrauen aufbauen muss. Und dafür tat ich dann auch alles.

    Wie das jedoch bei Deinem Ex ist, das kann ich natürlich nicht sagen. Wein und Schnaps im Urlaub, ja mein Gott, das klingt jetzt leider nicht sehr vielversprechend. Du kannst ihn ja mal fragen, was er denn jetzt so macht bezüglich seiner Sucht, ich meine natürlich ganz sachlich ohne Vorwürfe ect.. Ob er einen Psychologen besucht, ob er eine Therapie macht, ob er in eine Selbsthilfegruppe geht usw. Schau mal wie der dann reagiert. Wobei Du ja jetzt weißt, dass ein nasser Alkoholiker ein brillanter Lügner ist. Du hast hier also eine nicht ganz einfache Situation.

    Ich wünsche Dir einen guten Austausch hier im Forum und alles Gute für Deine Zukunft und ich hoffe, dass Du gute und richtige Entscheidungen treffen kannst.

    LG
    gerchla

  • Hallo Ailin!

    Herzlich willkommen hier im Forum und einen guten Austausch wünsche ich Dir!

    @ Gercia: Was ich mich immer frage, wenn Du Dein Trinkverhalten beschreibst (das heimliche trinken von nicht unerheblichen Mengen) Hat Deine Frau nichts gerochen? Du musst doch eine Fahne gehabt haben?

    LG
    Caroline

  • @ Caroline

    Tatsächlich frage ich mich das auch und wundere mich. Aber ich habe meine Frau wirklich gefragt, lange nach meinem Outing, ob sie wirklich nichts gemerkt hat. Sie sagte, dass sie natürlich bemerkt hat, dass irgendwas nicht stimmt und auch das es schlimm ist. Auf Alkohol wäre sie jedoch nie gekommen.
    Nun ist es so, dass wir uns wirklich auch "außeinander gelebt" hatten, d. h. in der Praxis hatte ich uns außeinander gelebt. Wir gingen getrennt in Bett, ich viel später als sie (da gab ich mir dann immer den Rest). Durch mein Doppelleben war ich viel unterwegs und konnte dort ungestört trinken usw.

    Manchmal, wenn es ganz schlimm war mit dem Riechen, habe ich ganz kreativ für sie z. B. ein Biermischgetränk mitgebracht und mal einen Schluck davon "probiert" und schon war der Geruch erklärt. Oder manchmal gab ich vor, heute mittags mit wichtigen Leuten beim Essen gewesen zu sein und dort ein alkoholfreies Bier getrunken zu haben usw. Also ich war das sehr kreativ. Entscheidend war aber wohl, dass wir eigentlich parallel nebenher gelebt haben. Dann war meine Frau auch nicht gesund, sie litt an einer Autoimmunerkrankung und war dadruch auch sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Über Jahre hinweg.

    Ich sag es ja immer, da spielten viele Faktoren eine Rolle. Normal ist das so nicht möglich mit dem Verheimlichen. Ich würde es aber hier nicht schreiben, wenn sie mir das nicht genau so bestätigt hätte. Und glaube mir, meine Frau war jetzt kein naiver weltfremder Mensch der nix mitbekommt. Oft hat sie auch den Nagel mal auf den Kopf getroffen und ich konnte mich aber heraus lügen.

    Gott, es war einfach nur ganz schlimm. Ich bin so froh, dass ich heute wieder mit ihr reden kann und wir ein gutes Verhältnis haben. Es ist einfach fürchterlich was ein Alkoholiker seinem Umfeld antut, und das meist sogar ohne es richtig zu kapieren.

    LG
    gerchla

  • Lieber Greenfox, Dietmar, Gerchla,
    liebe Caroline,

    Danke für Eure Antworten und Kommentare, die alle sehr wertvoll und hilfreich waren.
    Zuerst nochmal zu der Stelle, die ihr fast alle zitiert habt: Als ich ihn zur Rede stellte und fragte, ob er das den Kindern antun will, war das auch noch meinem Schockzustand geschuldet. Ich weiß, dass Alkoholismus eine Krankheit ist.
    Aber ich hatte eben jahrelanges Problemewälzen aller möglichen Probleme hinter mir: Depressionen, passive Aggressivität, bis hin zu offener Aggressivität, Lügen und Vertrauensbrüche (hatte aber nichts mit Alkohol zu tun). Ich war nur am Ende, war nur am Kämpfen. Dann beschließen wir endlich die Trennung, und dann scheint er noch was oben drauf zu setzen. Die Erkenntnis, dass das schon länger so laufen musste, kam ja erst im Anschluss.

    Tja, warum mache ich mir Gedanken? Ich habe schon mit der Beziehung abgeschlossen, meine Liebe schon lange unterwegs verloren. Trotzdem ist er der Vater meiner Kinder und irgendwo habe ich wahrscheinlich auch noch Mitleid mit ihm, obwohl ihm das nun auch nicht mehr hilft. Aber ich wusste, dass ich ihm nicht mehr helfen kann, weder mit seinen psychischen Problemen, die er nicht anerkennen wollte, noch mit dem Alkohol.
    Aber dennoch versuche ich nach wie vor einen Abschluss für mich zu finden. Und das "warum" treibt mich nach wie vor um. Ich habe mir soviele Vorwürfe anhören müssen, von ihm, aber auch von seinen Eltern, dass ich zu dominant gewesen sei usw. Obwohl ich inzwischen weiß, dass er mich quasi in diese Rolle gedrängt hat, weil er sich vor jeder Entscheidung und Verantwortung gedrückt hat, belasten mich diese Vorwürfe, und in mir nagt nach wie vor der Selbstzweifel. Ich bin bereits in einer Therapie, und man sagt mir, dass ich schon weit bin und eigentlich die Situation sehr klar einschätzen kann. Trotzdem habe ich noch das Bedürfnis, alles besser zu verstehen.

    Die Frage, ob ich es nicht sehen wollte, treibt mich um. Ich glaube ehrlicherweise, das ich von den anderen Problemen viel zu abgelenkt war. Und dass ich ihm trotz allem doch noch einen Vertrauensbonus gewährt habe. Warum ich bis zum Schluss nie was gerochen habe? Vielleicht habe ich nicht so eine feine Nase. Aber wir hatten vor allem jahrelang Diskussionen wegen seines Rauchens. Dem hatte er auch abgeschworden, aber immer heimlich geraucht. Das habe ich natürlich gerochen. Vielleicht war es ja auch nur ein Ablenkungsmanöver.
    Und was Greenfox schreibt mit diesem komischen Sprechverhalten: Das macht er auch schon einige Zeit und ich habe mich immer drüber gewundert, aber es nicht kapiert. Ständig hat er mir den Rücken zugedreht, ist vor mir durch die Wohnung gelaufen, hat Abstand gehalten. Ich dachte da immer, dass es entweder ein Machtspielchen war, mich hinter ihm herlaufen zu lassen, oder dass ich ihn schon so annerve, dass er immer auf Distanz geht. Den wahren Grund habe ich erst vor ein paar Monaten erkannt. Auch das ewige Kaugummi-Gekaue macht nun einen Sinn.
    Das er ständig verschwand (aber das habe ich auch auf das Rauchen geschoben). Das er immer aggressiv abgelehnt hat, wenn die Kleine samstags mit zum Einkaufen wollte. Er war immer total genervt und sagte dann, dass er dann zu nichts käme und das mit ihr ewig dauern würde. Ich dachte nur, dass er einfach nur ein ungeduldiger Aggro war, der mit seinen Kindern nichts mehr anfangen kann (war ja nicht das Einzige, woran er auf einmal etwas an ihnen auszusetzen hatte).

    Wie dem auch sei, es beschäftigt mich, um mich selbst besser zu verstehen. Ich war auch schon bei einer Selbtshilfegruppe, die mir aber nicht so zugesagt hat (Monologform), aber ich versuche es morgen noch woanders)
    Aber das Wichtigste sind jetzt meine Kinder. Ich will wirklich nicht die große Keule rausholen und mit dem Jugendamt drohen. Dass wäre auch für die Kinder schlimm. Aber ich kann auch nicht einfach seine Aussagen für bare Münze nehmen. Ich habe ja vor kurzem mit ihm zusammen gesessen und ihn ruhig darauf angesprochen, was er jetzt getan hat, wo er sich Hilfe gesucht hat. Er hat mir ganz ruhig erklärt, dass er entschieden hat, das mit sich selber auszumachen, dass er halt unter der Woche nicht mehr trinkt, blablabla. Er war sehr ruhig und wirklich überzeugend dabei. Jeder andere hätte ihm das abgenommen. Ich habe natürlich gesagt, dass er in der Vergangenheit schon mal vieles behauptet hat, aber laut ihm sei jetzt alles anders, damals sei der Trennungsstress und unser Beziehungsstress gewesen, jetzt fühle er sich gut, blablabla. Er war wirklich gut. Und ich glaube ihm trotzdem nicht. Ich wünsche mir natürlich, dass ich ihm dieses Mal Unrecht tue. Aber ich kann es mir nicht vorstellen.
    Aber ich kann gerade nur beobachten. Ich habe in letzter Zeit auch nichts mehr gerochen, aber ich habe wie gesagt ja auch nicht die feinste Nase und er bleibt mir ja auch fern. Naja, an einem Sonntag habe ich es schon deutlich gerochen, aber da hat er ja eine gute Ausrede, denn es war ja Wochenende! Und er hat es ja angeblich im Griff! Ich nehme an, ihr gebt mir recht, wenn ich hier misstrauisch bleibe.

    Ich weiss nur nicht, wie ich ihm den Trip zu seinen Eltern mit den Kindern ausreden kann. Es dauert 6 Stunden da hin. Ansonsten konnte ich in letzter Zeit immer vermeiden, dass er mit den Kindern fährt. Ich würde sogar anbieten, dass ich ihn mit den Kindern hinfahre und wieder abhole. Aber das wird er nicht akzeptieren. Und es ist sein Auto. Ich "darf" es mitnutzen, wenn ich mich hälftig an den Kosten beteilige.

    Ich finde es erstaunlich, Gerchla, dass Du akzeptiert hast, als Deine Frau Dir verboten hat mit den Kindern zu fahren. Aber zu dem Zeitpunkt warst Du ja auch schon einsichtig, nicht war? An dem Punkt sind wir noch nicht. Wenn ich das von ihm fordere, wird er mir wohl ins Gesicht springen.

    Die Kinder sind übrigens bereits in psychologischer Behandlung. Offiziell wegen der Trennung. Wir hatten allerdings bereits ein Elterngespräch mit den Psychologen, wo ich die Alkoholprobleme angesprochen habe. Und die Sorgen der Kinder. Aber ich weiß noch nicht, inwieweit den Kindern schon die Tragweite bewusst ist. Wir haben uns ja nie wegen Alkohol gestritten. Und er war ja nie zu Hause wirklich besoffen, d.h. mit Lallen und Rumtorkeln, oder Kotzen. Aber die Kleine hat ja die Flaschen gefunden. Und seit einiger Zeit sagt meine Kleine immer zu mir, wenn ich mal am Wochenende ein alkoholfreies Radler getrunken habe: Mama, trink nicht so viel! Egal, wie oft ich ihr erklärt habe, dass da kein Alkohol drin ist. Inzwischen habe ich das auch komplett aufgegeben, damit ich sie nicht weiter beunruhige.
    Ich glaube, dass sie einiges spüren, dass ihnen klar ist, dass etwas mit seinem Konsum nicht stimmt. Aber sie fragen nicht ihn, sondern mich, und hoffen auf Absolution. "Darf man noch fahren, wenn man etwas trinkt?" Wenn ich dann wahrheitsgemäß antworte, dass man in Deutschland zwar etwas trinken darf, aber es natürlich besser ist, wenn man nicht trinkt, scheinen sie aufzuatmen und zu sagen: okay, Papa hat beim Italiener ja nur ein Glas Wein getrunken zum Essen. Und als Digestiv einen kleinen Likör. Soll ich sie dann in Alarmstimmung versetzen? An sich ist es ja kein Verbrechen. Ich will sie ja nicht zu Spionen gegen ihren eigenen Papa machen. Oder ist es besser, wenn ich meine Sorgen deutlich formuliere? Bislang versuche ich ihre Sorgen nicht zu marginaliseren, aber auch nicht zu vergrößern. Das strengt mich schon unheimlich an.

    Danke fürs Zuhören
    Ailin

  • Guten Abend Ailin,

    Du hast jetzt Vorschläge und Erfahrungen erhalten, wie Du handeln könntest, im Fall, dass Dein Ex Alkohol trinkt, wenn er Auto fährt.

    Beim allem Anderen kann ich mir den Eindruck nicht erwehren, dass sich Dein Bestreben und Bemühen zum überwiegenden Teil darum dreht und handelt, dass „er“ sich ändert und „er“ dies und jenes macht, damit Du zur Ruhe kommst.
    Warum das mein Eindruck ist?
    Lies mal Deine beide Beiträge hier im Forum, und Du wirst erkennen können, dass Du Minimalstes über Dich selbst geschrieben hast, aber sehr viel über „ihn“.

    Ich bin schon eine Weile in der Selbsthilfe für Suchtkranke und ihre Angehörige unterwegs und erlebe es sehr häufig, dass Angehörige zu erst mal meinen, sie könnten mit Hilfe von außen, wie z. B. auch diesem Forum hier, den suchtkranken Partner ändern oder zu etwas bewegen.
    Aber so funktioniert das halt nicht.
    Du bist hier, weil Du für Dich Hilfe in Anspruch nehmen möchtest. Und da Du ja Therapieerfahrung hast, verstehst Du, wenn ich schreibe: Und um „an Dir und mit Dir zu arbeiten“.

    Beim Umgang mit Deinem Ex, und im Zusammenhang mit den Kindern, die ggf. auch dann bei ihm sind, wenn er getrunken hat, gibt es m. E. nur eine Lösung: Konsequentes Handeln Deinerseits. Ich habe Dir schon den Vorschlag mit dem Alkoholmessgerät gemacht. Egal wie dann Deine Nase ist oder nicht, da hast Du es schwarz auf weiss, ob er es abstreitet oder nicht.
    Hat er Promille – dürfen die Kinder nicht zu ihm.

    Darüber hinaus hast Du meiner Meinung nach kein Recht (mehr), Dich in seine Angelegenheiten einzumischen. Ob er trinkt oder nicht trinkt – das liegt in seiner Verantwortlichkeit.
    Jetzt, wo Du für Dich lebst, geht es um Dich!
    Und ganz unabhängig von „seinen Problemen“, die ggf. mit zu der Trennung geführt haben, wird es Dich wahrscheinlich nicht weiterbringen, wenn Du darüber rätselst, wieso und warum Du in der ganzen Zeit das „jetzt“ aus Deiner Sicht erkannte tatsächliche Problem (seine eventuelle Sucht) nicht erkannt hast.

    Ich denke: Du musst in mehrfacher Hinsicht „loslassen“ lernen.
    Einmal, dass die Beziehung, so wie bei vielen anderen Paaren auch, gescheitert ist, und es damit in erster Linie Zeit dafür wird, dass Du Dich komplett „frei“ machst und nicht rückwärtsgerichtet denkst.
    Und zum anderen, dass Du für Dich verantwortlich bist, so wie Dein Ex für sich alleine verantwortlich ist.

    Und im Umgang mit den Kindern eben konsequent: Wenn die Kinder bei ihm sind, egal ob am Wochenende oder sonst wann: Null Alkoholtoleranz!
    Das sind Bedingungen, die Du aus Deiner Verantwortung heraus jederzeit stellen kannst, so wie es z. B. jeder Chef bei seinen Angestellten tun kann. Erst recht dann, wenn’s um Kinder geht, oder um eine Verkehrsteilnahme, bei der jemand unschuldige Verkehrsteilnehmer schwer schädigen kann.

  • Guten Morgen!

    @ Gerchla: Danke für Deine Beschreibung. Es muss wirklich eine schlimme Zeit für Euch gewesen sein.

    @ Ailin: Bitte lass nicht Deine Kinder zu Deinem Mann ins Auto steigen im Moment. Lass es lieber auf einen Streit mit ihm ankommen. Ich bin selber unter Restalkohol gefahren und hatte einfach nur Glück. Ich schäme mich dafür... aber Schuld war ich nur selber.

    LG
    Caroline

  • Hallo Dietmar,

    Irgendwie kommt Deine Antwort bei mir sehr vorwurfsvoll an. Ich hätte Vorschläge erhalten, nun solle ich doch bitte diese beherzigen oder bleiben lassen.

    Es stimmt, dass ich in meinen beiden Posts auch viel über ihn geschrieben habe. Das erschien mir wichtig, da es sich in diesem Forum ja um Alkoholmissbrauch dreht. Außerdem habe ich nach den Jahren der Lügerei einfach Zweifel an meiner Wahrnehmung gehabt. Was die anderen mir zu ihrer Geschichte geschrieben haben hat mir da sehr geholfen.
    Im zweiten Post habe ich mich u.a. auf Fragen bezogen, z.B. ob ich schon mal mit ihm darüber gesprochen hätte. Da kann ich schlecht nur von mir schreiben.

    Zu Deiner Annahme ich könne nicht loslassen: Ich habe die Trennung gewollt und stehe auch immer noch dahinter. Da wir gemeinsame Kinder haben kann ich ihn aber nicht so aus meinem Leben streichen, wie ich es sonst tun könnte, um mich selbst zu schützen. Auch Einmischen will ich mich nicht in sein Leben, solange es nicht die Kinder betrifft. Dann werde ich mich einmischen. Aber das "Wie" ist hier eine große Frage, und ich bin dankbar für die Erfahrungen der anderen, die mir hier von ihren Fällen schreiben. Ein Alkoholmeßgerät ist eine tolle Idee, aber ich kann momentan nicht abschätzen, ob er sich darauf einlassen würde. Meine jetzige Erfahrung schliesst das aus, aber ich werde das trotzdem im Hinterkopf behalten und auch ansprechen.

    Und noch was zum Loslassen: Ich wünsche ihm eigentlich nichts mehr, als dass er wie Gerchla aufwacht und ein neues Leben mit einer anderen Frau (oder auch alleine) beginnt. Aber sicher nicht mehr mit mir. Der Zug ist abgefahren. Aber ich habe keine Freude daran ihn zugrunde gehen zu sehen. Ich wünsche ihm das, für ihn und unsere Kinder, den ich gerne ersparen würde, ihren Vater noch mehr abrutschen zu sehen. Dass ich hier nichts tun und verhindern kann, weiss ich.

    Ansonsten setze ich mich zur Zeit sehr bewusst mit mir auseinander, in der Therapie, aber auch mit Freunden. Da mein Leben jetzt aber über 19 Jahre mit ihm verknüpft und von ihm geprägt sind, kann ich ihn in den Erzählungen auch nicht immer ausklammern. Das muss ich mir aber nicht vorwerfen.

    Ich würde gerne in Ruhe in diesem Forum ankommen und mir nicht nach zwei Posts sagen lassen, dass ich zu viel über ihn schreibe. Wie soll man meine Geschichte denn ansonsten nachvollziehen können?

    Danke nochmal an Gerchla und Caroline. Ich werde mein Bestes tun, um zu verhindern, dass er mit den Kindern fährt. Über das Wie muss ich noch nachdenken, d.h. das richtige Mass finden, auch im Sinne der Kinder.

    Danke nochmal fürs Zuhören
    Ailin

  • Liebe Ailin,
    ich kann dein Geschriebenes nachvollziehen.
    Ich wünsche dir ganz viel Kraft für deine nächsten Entscheidungen.
    Lieben Gruß von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Hallo Ailin,

    Zitat

    Ich finde es erstaunlich, Gerchla, dass Du akzeptiert hast, als Deine Frau Dir verboten hat mit den Kindern zu fahren. Aber zu dem Zeitpunkt warst Du ja auch schon einsichtig, nicht war?

    Du hast Recht, ich war schon einsichtig oder besser gesagt: ich war trocken. Da ich mich schon nach kurzer Zeit meiner Abstinenz von zuhause ausgezogen bin, also die räumliche Trennung von meiner Familie vollzogen hatte (ich zog vom Land in die Stadt), war diese Problematik fast von Anfang an vorhanden.

    Jetzt ist es so, wenn man erst wenige Woche trocken ist, dann hat man wahnsinnig viel mit sich selbst zu tun. Vor mir lag ein Berg von (größtenteils alkoholbdingt angehäuften) Problemen, die mich quasi erdrückten. Schulden die ich heimlich gemacht hatte aber vor allem ganz viele Lügen, die ich alle aufklären wollte. Ich war also besonders am Anfang in einem sehr desolaten Zustand, wenn ich meiner Frau und meinen Kindern gegenüber trat. Auch deshalb, weil ich ja die Entscheidung zur Trennung getroffen hatte und diese Entscheidung war eine verdammt schwere. Es waren zumindest meiner Frau gegenüber sehr tränenreiche Treffen (tränenreich was meine Person betrifft, sie konnte sich glücklicherweise etwas besser abgrenzen, wenn auch nur oberflächlich wie ich heute von ihr weis). In dem Zustand in dem ich war, hätte mir wahrscheinlich sowieso niemand ein Kind mit ins Auto gesetzt, mal unabhängig vom Alkohol.

    Aber trotzdem wusste sie natürlich nicht, ob ich nicht doch wieder nur eine Schauspieleinlage hinlege. Aber dadurch, dass ich zwar erst kurz aber von mir mit absolutem Willen trocken war (und wirklich nie mehr in meinem Leben trinken wollte), hatte ich selbstverständlich Verständnis für das Verhalten meiner Frau. Es ist ja so, dass man, wenn man trocken wird, nicht sofort auch trocken denkt. Das Hirn, die Denkweise ist in bestimmten Bereichen immernoch "nass" unterwegs. Das ist ja eine der großen Herausforderungen das zu erkennen und gegenzusteuern.

    Das konnte ich hier, weil ich eben den festen Willen hatte nie mehr im Leben zu trinken und ein neues Leben anzufangen. Außerdem erdrückten mich meine Schuldgefühle dermaßen, dass ich sowieso ganz klein mit Hut war. Ich meine, ich war Täter, nicht Opfer. Und jetzt musste ich eben mit den konsequenzen meines Handelns leben was im Vergleich zu dem was ich meiner Frau und meinen Kindern angetan hatte, nahezu lächerlich war.

    Aber gut, warum schreibe ich Dir das? Weil ich bei dem was Du von Deinem Ex-Mann schreibst keinerlei solcher Ansätze erkennen kann. Du schreibst, er trinkt am Wochenende, hat es unter Woche im Griff usw. Entscheidend wäre hier jetzt zu wissen, ob er tatsächlich Alkoholiker ist. Wenn er einer ist, dann hat er gar nix mehr im Griff, egal was er erzählt. Dann kannst Du das alles vergessen.
    Wenn er keiner ist, dann kann er natürlich seinen Konsum kontrollieren. Aber so jemand muss auch nicht betonen, dass er nur am Wochenende trinkt. So jemand könnte auch sagen, er trinkt jetzt einfach mal gar nix, weil das ist ihm der Umgang mit seinen Kindern wert.

    Also es klingt für mich alles ein wenig suspekt und nicht sehr glaubwürdig. Und wenn ich tippen müsste, dann würde ich tippen, dass er ein Alki ist und die üblichen Floskeln raus haut, die ich alle sehr gut kenne. Das hilft Dir jetzt nicht weiter. Sei sehr wachsam und achte auf Deine Kinder. Ich glaube es ist trotz allem sehr wichtig, dass sie ihren Papa sehen. Aber er darf sie natürlich nicht in Gefahr bringen.

    Alles alles Gute wünsche ich Dir und Deinen Kindern.

    LG
    gerchla

  • Hallo Ailin,

    ich kann Dir auch sehr gut folgen. Gerade zu Beginn wollen all die Eindrücke und
    Fragen und Ängste um nahestehende Menschen überhaupt erst mal "raus" ... 44.

    Schreiben und sich Miteilen sind der beste Weg, innerlich wieder Raum für Eigenes
    zu schaffen. Bei mir war/ist es bei allen Problemen so, dass ich mich wie durch
    einen Baumkuchen vorarbeite, von der äußersten Schicht immer mehr zum Kern.

    Mir helfen Analysen von außen und verbunden damit vorausgreifende Überlegungen
    oder Lösungsvorschläge bei diesem Prozess wenig, sie unterbrechen ihn eher und
    ich habe dann zuviel auf einmal zu verarbeiten. Das Fremde und Meins parallel.


    Ich würde gerne in Ruhe in diesem Forum ankommen und mir nicht nach zwei Posts sagen lassen,
    dass ich zu viel über ihn schreibe. Wie soll man meine Geschichte denn ansonsten nachvollziehen können?


    Genau darum geht es. Indem Du so berichtest, wie Du es tust, sagst Du sehr viel
    über Dich. Ich kann Dich gut "sehen" und ich weiß aus meiner Therapie und vielen
    SHGs, dass allein das Teilen (sprechen, schreiben) schon von selbst viel im eigenen
    Innern in Gang bringt.

    Nicht umsonst gibt es "helfende" (rückmeldende) Gruppen und "abstinent von Rat-
    schlägen" arbeitende Gruppen. Ich wäre mit Ratschlägen, während ich noch selbst
    meinen Platz im Familien- oder Beziehungsgeschehen suche, überfordert. Darum
    habe ich eine input-arme Form der Therapie und eine frei von Ratschlägen arbeitende
    Gruppenform für mich gewählt.

    Es gibt viele Wege, und jede/r von uns findet Entlastung und Ermutigung auf ganz
    eigene Weise.

    Mir tut es sehr gut, mich in anderen Geschichten wieder zu finden. Dann fühle ich
    mich nicht mehr so "seltsam" mit "meinem" Problem (haben tatsächlich sehr viel
    mehr Leute als man denken würde), und ich höre Namen für das, was auch ich
    erlebe. - Es kann etwas dauern, bis ich dann auf dem Info-Niveau bin, das ein
    Experte längst hat. Aber dafür habe ich alle Infos auch während des Aufnehmens
    "organisch" in meinen eigenen Weg und mein Erleben zuordnen können, immer
    nur soviel, wie mich auch erreichen kann.

    Eile verlangt aus meiner Sicht nur der Punkt Auto-Fahren (Deines Ex-Partners),
    und wie Du den am besten geklärt bekommst. Alles andere sortiert sich von selbst,
    solange Du ehrlich mit Dir bleibst und Deine Wahrnehmungen weiterhin ernst
    nimmst. Die Themen/Aufgaben tauchen ganz von selbst auf, wenn die innere
    Festplatte Raum dafür frei gibt, und wenn von innen genug Kraft und Vertrauen
    in das eigene Handlungsvermögen nachgewachsen sind ... - Auch diesen Prozess
    muss man loslassen können, Vorgreifen oder (Selbst-) Ermahnungen verbessern
    ihn nicht.

    Ich wünsche Dir ganz viel Vertrauen in Deine Fähigkeiten und in uns als Zuhörende.
    Du bist nicht verpflichtet, aufzugreifen, was von außen kommt. Auch in den SHGs
    heißt es oft, "nimm, was Du gebrauchen kannst, den Rest lass' liegen". Das mag
    ich sehr.

    Alles Liebe und soviel Power, wie Du für alles brauchst, das wünsche ich Dir!

    :sun:

    Wolfsfrau

    p.s. völlig vergessen: Ich bin Tochter aus alkoholkranker Familie. Als meine Heilung
    begann, habe ich seitenlang nur über das, was ich an meinen Eltern "neu" sehen
    konnte als für-mich-schädigend, geschrieben ... Ich konnte gar nicht auf Tipps
    eingehen, ich brauchte auch keine. Weil ich spürte, mein Erkennen, was wirklich
    von meinen Eltern kam oder eben nicht kam, hat die gewünschte Distanzierung
    in mir ganz von selbst gefördert. Der Prozess hat sich von innen her selbst ge-
    steuert, seit ich die Therapie begann und dort Namen für alles hörte.

  • Hallo Gerlach, hallo Wolfsfrau,

    Vielen Dank für Eure hilfreichen und auch verständnisvollen Mails. Bei mir ist es momentan so, dass ich durchaus von den Erfahrungen anderer profitiere, einfach weil es so neu für mich ist.
    Gestern war ich in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige und es war in vieler Hinsicht erhellend. Zum einen, weil auch hier mein Bauchgefühl bestätigt wurde, dass eben nicht alles ok ist, wie er behauptet. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er lieber lügt als sich die Wahrheit einzugestehen. Und man hat mir auch geraten Grenzen zu setzen. Nicht zu versuchen, ihm nachzuweisen dass er noch trinkt, sondern die Beweislast umzukehren und ihn aufzufordern, zu beweisen, dass er nicht mehr trinkt.
    Das fand ich total logisch und auch richtig.
    Ich habe ihn dazu auch gestern noch angesprochen. Aber er hat natürlich reagiert wie erwartet. Er würde das gar nicht einsehen, dass er etwas zu beweisen hätte, er würde mit den Kindern in den Ferien fahren, Punkt. Ich wäre doch nicht mehr ganz richtig im Kopf. Alle meine Vorschläge waren idiotisch. Ich würde sie ja sogar selber hinfahren, was auch immer. Es geht mir ja nicht darum, ihm den Urlaub mit den Kindern an sich zu verbieten.
    Ich habe ihm vorgeschlagen, einen Alkoholtester zu besorgen, mit dem er pusten könne, um so zu beweisen, dass er ja nicht mehr trinkt. Da hat er nur den Kopf geschüttelt und gesagt, das käme gar nicht in Frage. Weiter konnten wir nicht diskutieren, weil die Kinder dazu kamen.

    Heute habe ich ihm noch eine Nachricht geschickt, und er hat wie folgt reagiert:

    Ailin: "Bitte denke im Interesse der Kinder nochmal darüber nach, was ich gesagt habe. Versetze Dich in meine Lage und frage Dich, ob Du jemandem nach all dem was passiert ist noch Vertrauen würdest. Ich will Dir nicht schaden und auch nicht verhindern, dass Ihr nach Belgien fahrt."

    Er: "Du musst kein Vertrauen haben. Ich weiss wo ich war und wo ich jetzt bin."

    Ich: "Natürlich muss ich Vertrauen haben, genauso wie Du auf mich vertrauen kannst. Du würdest Deine Kinder doch niemandem in Hände geben dem Du nicht vetraust"

    Ich habe versucht, all das möglichst freundlich und deeskalierend zu formulieren, im Gespräch Ich-Botschaften usw. Mein Eindruck ist einfach, dass die Problematik gar nicht durchdringt, bzw. er nicht zulässt, dass sie durchdringt. Die Aussage, ich müsse ihm ja auch nicht vertrauen fand ich schon krass.
    Für mich ist das ein Ausdruck von Panik, die er mit Aggressionen mir gegenüber überspielt. Natürlich will er den Tester nicht. Wenn er selber sicher wäre, dass er es ohne Alkohol schafft, müsste er ja eigentlich mit Freude drauf anspringen, um mir ein für alle mal zu beweisen, wie falsch ich doch mal wieder lag.

    Oder seht ihr das anders? Ich habe ja langsam das Gefühl, gar nicht mehr mit Logik und gesundem Menschenverstand irgendwie weiter zu kommen.

    Danke für Eure Gedanken hierzu.

    Ailin

  • Hallo Ailin,

    leider scheint es so, als ob meine Gedanken, meine Vermutungen richtig waren. Er hängt weiter am Alkohol, da bin ich mir jetzt ziemlich sicher. Seine Reaktionen sprechen stark dafür.

    Alles was Du schreibst ist richtig. Ich finde Dich sehr klar und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt empfinde ich Dich schon als sehr strukturiert. Du weißt was wichtig und worauf es ankommt.

    Das was Du ihm geschrieben finde ich absolut hervorragend. Seine Reaktion dagegen ist vielsagend. Er hat keine Argumente. Und tatsächlich ist es so, dass Du mit Logik und Menschenverstand nicht weiter kommst. Er blockt einfach alles ab.

    Ich hatte damals die Angewohnheit, wenn mich meine Frau mal bei etwas ertappt hatte und mich zu Rede stellte, einfach gar nichts zu sagen. Da wurde sie fast wahnsinnig aber ich sagte einfach nichts. Denn was hätte ich aus sagen sollen außer: Du hast recht - was ich aber nicht konnte und das kann er auch nicht. Ansonsten hätte ich nur noch bestreiten können was widerum dazu geführt hätte, dass sie mir klar Fakten entgegen gehalten hätte die nicht zu wiederlegen waren. Also sagte einfach immer nichts.

    Und so kommt man nicht weiter. Guter Rat ist jetzt echt teuer. Ich habe keinen, also es fällt mir schwer Dir etwas zu raten. Wie Du mit ihm generell umgehst, ich glaube das wirst Du schnell hinbekommen. Mir scheint Du bist eine starke Frau die ganz klar weiß was Sache ist. Aber die Geschichte mit den Kindern.... Ich denke da immernoch an das Jugendamt, irgendwie. Also zumindest mal an ein Gespräch dort, damit Du mal einen Überblick bekommst, was eigentlich möglich ist. Du musst ja nicht gleich die Keule auspacken. Aber das wird ja so weiter gehen. Womöglich wird er versuchen die Kinder zu manipulieren, etc.

    Ich sag' das nicht so, ich erlebe das im Bekanntenkreis. Und zwar genau so. Da sind zwar andere Drogen mit im Spiel aber das macht jetzt hier unterm Strich keinen Unterschied. Das schlimme ist halt, dass das alles auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird. Da steig ich dann halt echt auch, das finde ich so schlimm. Da musst Du unbedingt drauf achten. Aber wie willst Du das alleine ohne Handhabe machen?

    Haben die Menschen in der realen SHG nicht einen Tipp für Dich?

    Alles alles Gute für Euch.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla.

    Danke für Deine Worte. Da ist guter Rat wirklich teuer. Und obwohl ich mich so gerne nur auf mich konzentrieren möchte, kreisen meine Gedanken nun wieder um ihn, und wie ich die Kinder vor ihm schütze. Das ist einfach wahnsinnig anstrengend.
    Ich denke zur Zeit, dass ich das Atemtestgerät einfach kaufe und ihn vor die Wahl stelle. Wenn er sich weigert kann ich in dem Moment nicht viel tun, aber ich werde mich beim Jugendamt informieren, welche Möglichkeiten ich habe. Keine Ahnung, ob die Beweislast dann bei mir liegt und wie man das handhabt, aber ich werde mich erkundigen. Ich wollte das nie, bislang habe ich immer noch geglaubt, dass ihm die Kinder zumindest so wichtig sind, dass er mitspielt.
    Aber wenn es dann so ist, dass selbst die engsten Personen für einen Alkoholiker nur eine Nebenrolle spielen, dann muss ich zumindest versuchen, das Sorgerecht irgendwie einzuschränken. Das wird hart für alle Beteiligten und ich hoffe, dass sich das vermeiden lässt. Außerdem denke ich darüber nach, trotz allem seine Familie einzuweihen. Es besteht das Risiko, dass sie mir die Schuld zuschieben und mich hängen lassen. Trotzdem hoffe ich, dass er allein aus Scham, dass es offiziell wird zumindest bei dem Test mitspielt.

    Anstatt loszulassen, werde ich die Schlinge enger ziehen müssen, d.h. einfach so viele Leute mit ins Boot holen wie möglich. Die Fassade muss weg. Zumindest hoffe ich, dass das nicht kontraproduktiv ist. Aber wenn erstmal alle wissen, wie es um ihn steht muss er auch nicht auf Teufel komm raus mit den Kindern in den Urlaub fahren und dort seiner Familie die heile Welt vorgaukeln.

    Ich fühle mich schlecht bei all diesen Gedanken, denn eigentlich will ich so nicht mit anderen Menschen umgehen. Aber ich habe das Gefühl, dass er mich dazu zwingt.

    Für die Kinder wird es am Schlimmsten. Auch wenn sie bereits eine Ahnung haben, werden sie das Ausmaß des Problems so noch nicht erfasst haben. Davor habe ich Angst. Aber Verschweigen wird auf Dauer auch nicht möglich sein. Auch hier ist es eine Gratwanderung für mich. Ich wünschte, er würde mitspielen und ihnen so einiges ersparen.

    Morgen hat er Geburtstag. Ich habe mit den Kindern ein Geschenk für ihn gemacht (vor allem, weil es ihnen wichtig war, etwas für ihren Papa zu haben). Es ist ein vergößerter Abzug eines Fotos der Beiden, hinter Glas. Für seine neue Wohnung. Ich weiß nicht, ob das irgendwie durchdringt, aber ich hoffe, es gibt ihm irgendwo noch ein wenig Motivation das Steuer herumzureissen.

    Euch noch einen schönen Samstag
    Ailin

  • Mach Dich von dem Gedanken los, "die Schlinge zuzuziehen".
    Du hast es schon richtig benannt:

    Die Fassade muss weg.

    Indem man immer wieder für die Außenwelt irgendwelche Ausreden erfindet, eben eine Fassade errichtet, hilft man dem Betroffenen nur, seine Sucht auszuleben. Wenn der-/diejenige mal wieder zuviel getrunken hat und deshalb nicht zur Arbeit kann - soll er/sie doch selbst anrufen und sich "krank" melden. Warum soll es der/die Angehörige tun? Warum soll der Angehörige den "Stoff" einkaufen, wenn der Betroffene krank zu Hause ist. Und warum muss man Verwandten/Freunden/Kollegen gegenüber Ausreden erfinden, warum mal wieder dieses oder jenes nicht klappt? Nein, man kann das Kind ruhig beim Namen benennen!

    Du musst Dich um Dich und die Kinder kümmern. ER muss sich selbst um sich kümmern. Er hat es selbst in der Hand, seine Sucht zu stoppen. Dafür bist nicht DU verantwortlich.

    Hilf ihm, indem Du ihm nicht mehr hilfst!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox,

    Danke für diese Worte. Ich kann mir nicht vorwerfen, dass ich ihm bewusst geholfen hätte, seine Fassade zu wahren. Ich habe ja immer Probleme angesprochen, die ich gesehen habe (nur nicht die, die ich halt nicht gesehen habe). Ich habe für ihn keine Ausreden erfinden müssen. Darüber bin ich froh. Aber jetzt heißt es aktiv zu werden, obwohl ich eigentlich keine Verantwortung mehr für ihn übernehmen will. Wegen der Kinder fühle ich mich dazu gezwungen und das ist kein gutes Gefühl. Also reiße ich Fassaden ein, die er vor anderen Leuten aufgerichtet hat. Und erhöhe so den Druck auf ihn. Habe Angst vor seiner Reaktion, aber da muss ich wohl durch.

    Was ich noch nicht getan habe, ist mit den Leuten in seinem verbliebenen engen Kreis zu sprechen. Die Frau, die anscheinend seine Neue ist (auch das verheimlicht er, allerdings eher schlecht als recht).

    Er hat sich ja von allen distanziert, die ihm kritisch gegenüber standen. Jetzt hängt er mit Leuten rum, die im Trinken kein Problem sehen. Ob es hier sinnvoll ist, die Fassade einzureissen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich stehe ich da eher als die hysterische Ex da, die eifersüchtig auf die neuen Freunde ist. Und ob die überhaupt in der Lage oder willens wären positiv auf ihn einzuwirken? Ich bezweifele es.

    Noch eine Frage: Hat hier jemand konkrete Erfahrungen mit Alkoholtestern? Die billigen sollen ja nichts taugen. Das super-Profi-Gerät kostet aber schnell über 200 Euro. Gibt es da noch was in der Mitte? Ich habe was für 120 gesehen, kann aber nicht sagen, ob das wirklich gut ist. Falls hier jemand Erfahrungswerte hat, würde ich mich freuen.

    Ich bin so fertig mit den Nerven, nur im Kampfmodus. Greife nach jedem Strohhalm. Die nächsten zwei Wochen bis zu den Ferien werden echt nochmal der Härtetest, und eventuell auch danach.

    Danke für's Zuhören.

    Ailin

    P.S. Sollte ich den Faden hier langsam schließen und in eine andere Rubrik wechseln? Oder ist das okay?


  • Noch eine Frage: Hat hier jemand konkrete Erfahrungen mit Alkoholtestern? Die billigen sollen ja nichts taugen. Das super-Profi-Gerät kostet aber schnell über 200 Euro. Gibt es da noch was in der Mitte? Ich habe was für 120 gesehen, kann aber nicht sagen, ob das wirklich gut ist. Falls hier jemand Erfahrungswerte hat, würde ich mich freuen.

    Hallo Ailin!

    Ich habe einen preiswerten Alkoholtester gekauft, der hat für meine Zwecke funktioniert. Ich wollte meinem Mann klar machen, wie viel Restalkohol wir am nächsten Tag noch haben. Das ist wohl den wenigsten bewusst. So mancher wird sich noch mit einigen "Umdrehungen" ins Auto setzen, weil er denkt er sei schon nüchtern. Mein Mann war erstaunt wie hoch der Wert noch war.

    Für mein Anliegen hat das billigere Gerät gereicht, aber um sicher zu sein, dass man wieder fahren darf, würde ich zu einem teureren Modell raten. Du hast Recht: die günstigen sind nicht besonders genau.

    Noch etwas aus meiner eigenen Erfahrung: ich habe lange sehr viel getrunken. Auch wenn ich wieder nüchtern war, hat sich ein sicherer, vorausschauender Fahrstil erst nach längerer Zeit wieder eingestellt. Also auch wenn ich mal einen Tag vorher nichts getrunken hatte, war ich keine sichere Fahrerin. Ich war hypernervös und schreckhaft. Bitte bedenke das auch, wenn er die Kinder im Auto mitnehmen will.

    Leider kann ich Dir keine exakte Kaufempfehlung geben, vielleicht kommt ja noch ein andere/r.

    Ich wollte Dir aber sagen, das Du Deine Situation und Möglichkeiten schon sehr gut einschätzen kannst. Sich aus einer schweren CO-Abhängigkeit zu befreien kann sehr schwer sein.

    LG
    Caroline

  • Liebe Caroline, liebe Leser,

    Ich schreibe hier einfach mal im Vorstellungsfaden weiter.
    Ich habe letztes Wochenende wie gesagt mit seinem Bruder telefoniert, der anscheinend Verständnis für meine Situation zeigte und mir sagte, er würde seine Kinder auch nicht fahren lassen. Da seine Eltern nicht mehr mit mir reden, hat er zugesagt mit ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen, dass sie mich anrufen sollen. Mir ist eigentlich nur wichtig, dass sie mit meinem Ex reden und ihm sagen, dass er nicht zu kommen braucht. Auf jeden Fall ist seitdem nichts mehr passiert, ich habe nichts gehört. Dann habe ich wieder versucht den Bruder zu erreichen. Gestern kam dann eine SMS, aber da mein Telefon spinnt, sehe ich immer nur kurz einen Teil der Nachricht auf dem Sperrbildschirm, aber der Rest der Nachricht erscheint nicht bei meinen anderen Nachrichten. Ich konnte nur lesen, dass er mit seinen Eltern gesprochen hat und sie am Do oder Frei anrufen wollten.... Ob bei mir oder bei Ex weiß ich nicht. Bei mir haben sie auf jeden Fall nicht angerufen und Ex' Verhalten hat sich auch nicht verändert (der würde wahrscheinlich im Dreieck springen, wenn sie ihn deswegen angesprochen hätten).

    Gestern habe ich nochmal bei einer Jugendamtsmitarbeiterin nachgefragt. Die hat mir geraten noch einmal mit ihm zu sprechen, denn Urlaub ist etwas, wo beide Elternteile zustimmen müssen. Wenn er das nicht einsieht, soll ich einen Brief ans Jugendgericht schreiben. Das ist natürlich eine echte Eskalation, aber wenn nichts anderes hilft, werde ich das auch tun. Ich werde heute nochmal zu ihm hin und ihm alle Möglichkeiten auf den Tisch legen. Seine Reaktion kann ich mir denken, aber dann ist es halt so.

    Ich habe gestern sehr lange mit meiner Kleinen (die Große war nicht da) gesprochen. Sie hat mir von einem Traum erzählt, wo ich und ihr Papa mit ihr im Herbstwald spazieren gehen und sie immer an den Händen in die Luft fliegen lassen. Und wie sehr sie sich wünscht, dass dieser Traum wieder in Erfüllung geht. Sie hat so geweint und es hat so weh getan. Wir haben lange geredet, warum es nicht mehr so ist wie früher und ich habe dann mal vorsichtig gesagt, dass Papa sich verändert hat. Das hat sie bestätigt und dann alles auf "die Scheiß-Drogen" geschoben. Was sie aber meinte, waren seine Zigaretten. Das ist die Droge, die sie jahrelang gesehen hat (die er auch immer versucht hat zu verheimlichen). Als ich dann mal nachfragte nach dem Alkohol ist sie da nicht weiter drauf eingegangen, kam wieder auf die Zigaretten. Ich weiß nicht warum, aber es hat mir gezeigt, dass ich mit meinem Gefühl nicht ganz falsch lag: den Alkohol haben die beiden noch nicht so auf dem Zettel. Trotzdem werde ich es mit ihnen besprechen müssen. Dazu habe ich wie gesagt morgen einen Termin mit dem Kinderpsychologen.
    Es macht mir das Herz so schwer, ihnen noch mehr traurige Dinge auf die Schultern legen zu müssen. Und weiß aber trotzdem, dass Nicht-Ansprechen keine Option ist.

    Danke fürs Zuhören
    Ailin

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!