Die "zufriedene Abstinenz"...

  • Der Begriff "zufriedene Abstinenz" hat für mich einen fahlen bis negativen Beigeschmack.

    Das hört sich für mich in etwa so an: Man lebt halt mehr oder weniger gern, ohne wesentliche Höhen und Tiefen im Leben. Gleichzeitig finde ich glückliche Abstinenz auch nicht gut. Wenn Leute behaupten, sie seien nun rundherum nur mehr glücklich, so glaube ich das meist nicht recht. In dem Wort Abstinenz liegt auch immer die Bedeutung von "Verzicht" drin, und das finde ich ebenfalls nicht gut. Das gleiche gilt für das Wort "nüchtern". Nüchtern klingt so, als wäre plötzlich ein Zauber vorbei. "Nüchtern betrachtet" zb. ;)

    Auf den Gedanken bin ich gekommen, als ich wieder einmal ein paar Seiten in Luise Reddemanns "Eine Reise von 1.000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt" las. Ich stolperte über einen Begriff, der mir gut gefiel: "Die Mühelosigkeit". Wie wärs mit "müheloser Alkoholfreiheit" statt "zufriedene Abstinenz" oder "zufriedene Trockenheit". In "alkoholfrei" steckt zwar das Wort Alkohol drin, aber wie will man sonst alkoholfreie Getränke als Sammelbegriff benennen?

    Meinungen dazu? :)

    Einmal editiert, zuletzt von franz68 (9. Juli 2016 um 13:04)

  • Ja, das ist zur Zeit modern, für gleiche Begriffe neue Ausdrücke zu erfinden. Das findet man auch gerne in der Politik, um meist was zu verschleiern.
    Trocken zufriedene Grüße ;)
    Gerd

  • Ahm, ja. So gesehen geb ich Dir schon recht. Man kann/darf/muss nicht verlangen, dass dann andere auch diese Begriffe verwendet. Wenn sich jmd. mit trocken zufrieden abstinent wohlfühlt, ists gut. Wenn mans für sich das anders sieht, solls auch recht sein.

    Durstgestillte Grüsse zurück,

  • Ich finde dass es vor allem darum geht was jede/r Einzelne damit für sich verbindet.
    Was Er/Sie dabei fühlt und empfindet. Und auch wie es Sie/Ihn motiviert.

    Mit Worten versuchen wir ja letztlich etwas zu beschreiben was in uns selbst stattfindet. Und das ist sowieso oft vielschichtiger als wir es in einem oder zwei Worten sagen könnten.

    "Kein Wort ist so grün wie die Blätter der Bäume." hat einmal ein Dichter gesagt.

    Hier im Forum findet ja ein Austausch von unterschiedlichen Erfahrungen und Lebensgeschichten statt. Und da nun mal jeder Mensch anders erlebt und empfindet wird Er/Sie auch in unterschiedlicher Weise von sich berichten und schreiben als wiederum jemand anderes. Ich finde das gut so, und gerade das macht auch einen großen Reiz des Forums für mich aus.

  • Ist schon erstaunlich.

    Da habe auch ich mich viele Jahre an dem Begriff der zufriedenen Abstinenz gerieben und dieses Ziel insbesondere deshalb und dann für mich als zu schwach empfunden, wenn es mit der Handlungsanweisung verbunden wurde, alles dafür zu tun, dass man sich wohlfühlt. Da schwang für mich immer mit, dass Abstinenz letztendlich nur dann funktionieren kann, wenn in meinem Leben alles stimmt. Oder anders ausgedrückt: Der Begriff löste bei mir die Vorstellung aus, dass es mit der Abstinenz schnell vorbei sein kann, wenn das Leben nicht so rund läuft, wie man sich das wünscht.

    Für mich war deshalb wichtig, jederzeit spüren zu können, dass der Ausstieg aus der Sucht ein wirklich großes Geschenk ist. Dieses Geschenk besitze ich seit dem Ausstieg und völlig unabhängig davon, ob die sonstigen Umstände in meinem Leben gut oder schlecht sind.

    Vielleicht empfindet ein anderer ebenso und beschreibt diesen Zustand des Nicht-mehr-kämpfen-müssens nur eben anders als ich. Beispielsweise mit dem Begriff der zufriedenen Abstinenz.

    Wie auch immer. Ich merke, dass mir die Begrifflichkeiten allmählich weniger wichtig werden.

    Bassmann

  • Beim Lesen deines Postings, und wie du den Begriff "zufriedene Abstinenz" empfindest, kam mir spontan das "Zölibat" oder "zufriedenes Zölibat" ::) in den Sinn (sorry :) , aber war einfach so..).

    Es klingt halt beides nach Langweile, weniger intensivem Leben, einfach Lustfeindlich. So gesehen verstehe ich dein Problem mit dem Begriff.

    Bis jetzt habe ich mir über dieses Wort keine grossen Gedanken gemacht - aber ich geh einig mit dir, da schwingt etwas von Verzicht mit..

    Aber ich verzichte auf nichts, sondern gewinne dadurch nur (auch wenn ich nicht 100% abstinent bin). Der Zauber ist wieder da, vorher war er weg. So empfinde ich es wirklich. Der heutige Tag ist ein gutes Beispiel dafür: Um 7 Uhr war ich aus den Federn und hab eine tolle Gratwanderung gemacht, ca. 4 Stunden, die Trittsicherheit erforderte. Es war wunderschön, und jetzt hab ich noch genug Zeit um etwas rumzhängen und zu lesen.

    Ich bezweifle, dass ich vorher so eine Wanderung geplant und durchgeführt hätte!

    Warum braucht man auch einen Begriff dazu? Für mich persönlich passt die Umschreibung "trinkt so gut wie keinen Alkohl, weil es besser ist" am besten zu, "abstinent" mag ich auch nicht so.. auch wenn es schlussendlich auf dasselbe rauskommt.

    Lg Mira

  • Hallo Franz,
    ich glaube, du haderst mit deiner (zufriedenen) Abstinenz.


  • Hallo Franz,
    ich glaube, du haderst mit deiner (zufriedenen) Abstinenz.

    Mokka, ich hätte mir gerne eine mehr themrnbezogenere Antwort gewünscht!

    hadern? ja, vielleicht momentan, deswegen mag ich den Begriff nicht so.

    ich versuche, gerade, das alkoholfreie Leben wieder neu zu beginnen bzw. aufzubauen gerade neu aufzubauen.

  • Hallo Franz,

    "Themenbezogen" finde ich, dass die Begriffe absolut egal sind.
    "Zufriedene Abstinenz" , "erfolgreicher Suchtausstieg", mühelose Alkoholfreiheit" - was macht das für einen Unterschied ?
    Letztendlich meint es doch das gleiche, dass man einen für sich guten Weg gefunden hat, mit Alkohol umzugehen. Bei den meisten, ihn ganz wegzulassen, bei einigen wenigen, ihn nur noch selten und in geringen Mengen zu konsumieren (zu denen werde ich niemals gehören)

    Und am Anfang ist es meist auch nicht mühelos, sondern die meisten müssen etwas investieren, sprich, eine Therapie, eine Selbsthilfegruppe, mehr Sport, Disziplin usw.
    So empfinde ich das.

  • Ich verstehe, was Franz meint, bzw. ich meine, zu verstehen. Auch kann ich da persönlich kein Hadern seinerseits erkennen. Meiner Meinung nach ist es für die eigene Zielsetzung absolut wichtig, was ich für ein Bild (in diesem Fall Begriff) habe, damit ich mich damit identifizieren kann. In der Motivationspsychologie ist das sogar ein außerordentlich wichtiger Faktor für den Erfolg eines Projektes. Es sollten positiv besetzte Bilder/Formulierungen sein, die sich mit meinen Werten und/oder Wünschen decken. Diese sind äußerst individuell, aber vor allem sind sie eines: mächtig und lenkend.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Ja Pingu, so denke ich auch. Weiter oben habe ich ja auch schon geschrieben wie ich es zur Motivation sehe.

    Vielleicht wäre ja auch mal eine Begriffsklärung an sich interessant oder auch hilfreich?
    Denn für mich scheinen sich hier oft zwei Dinge ein wenig zu überschneiden.

    Geht es dabei
    A) um das Gefühl der Zufriedenheit, also innerliches Empfinden?
    oder
    B) um eine Art der Lebensgestaltung. Lebensführung. Sozusagen um ein äußerliches Lebensmodell?

    Wenn es um das innere Empfinden geht, dann muss ich sagen dass sich für mich persönlich "zufrieden" eben oft anhört wie ein 'befriedigend' auf einem Zeugnis. Und das was ich persönlich seit meinem Suchtausstieg empfinde geht darüber meist hinaus. Ich fühle mich gut bis sehr gut! Es ist, seit längerem schon, reines Glück, was ich empfinde.
    Ganz zu Beginn bin ich in den ersten Wochen zunächst aber auch erstmal durch ein recht finsteres emotionales Tal geschritten, in dem ich mich sozusagen ungefiltert auch tiefen inneren Schatten gestellt habe. Aber das war auch sehr gewinnbringend für mich. Und ich empfand neben Allem 'unangenehmen' schon zu dieser Zeit, also von Beginn an mit eine tiefe Freude und eine Art Siegesgefühl darüber, weil ich spürte dass es mir gelang das Ruder rumzureißen und mir mein Leben wieder zurück zu erobern. Ich war da schon einfach glücklich darüber dass ich nicht mehr suchtgesteuert saufen muss, und dass es mir gelingt mich von manipulierenden Substanzen zu befreien.

    Das Glück das ich empfinde mag weiterhin zum Teil auch damit zusammen hängen, dass mir auch noch mal in aller Deutlichkeit bewusst geworden ist dass ich in der Zeit der Sucht dem Sensenmann wohl auch mehr als nur einmal sehr, sehr knapp von der Klinge gehopst bin.
    Und ganz gleich ob es mir gerade einfach nur saugut geht, oder ob ich gewisse Schwierigkeiten oder Aufgaben zu bewältigen habe, nehme ich das Geschenk des Lebens nun wieder dankbar an. Ich genieße die schönen Momente, und stelle mich den Herausforderungen die mich erwarten. Ich mache es mir nahezu jeden Tag aufs Neue bewusst und bin glücklich darüber am Leben zu sein.

    Was das gestalten einer bestimmten Lebensführung angeht, ist es natürlich schon sehr wichtig dass ich meine Dinge angehe, ich meine seine Sachen regle, um gewisse Unzufriedenheiten oder gar Frustfaktoren da wo möglich zu vermeiden. Finanzen regulieren, Rechnungen/Schulden bezahlen, Termine zuverlässig wahrnehmen, gesundheitliches, berufliche Entwickelung etc.pp. Da gibt es viele individuelle Ansatzpunkte. Auch so kann ich noch mehr dazu beitragen dass das nüchterne Leben für mich ein erstrebenswertes und lebenswertes ist.

    Es ist aber halt auch so dass mir, nur weil ich gerad mal eben mit Trinken aufhört habe, dann nicht gleich der rote Teppich auf der Bühne des Lebens ausgerollt wurde. Da gibt es dennoch Widerstände und Aufgaben mit denen ich mich befasse. Ich mache für mich die Erfahrung dass eine hohe Frustrationsgrenze für mich ebenso sehr wichtig war und ist. Ich kann eben frustrierende Erlebnisse, oder Rückschläge und dergleichen nicht komplett vermeiden, oder umgehen. Aber ich kann beeinflussen und selbst entscheiden wie ich damit umgehe.

  • Der Begriff "zufriedene Abstinenz" hat für mich einen fahlen bis negativen Beigeschmack.


    Beim Lesen deines Postings, und wie du den Begriff "zufriedene Abstinenz" empfindest, kam mir spontan das "Zölibat" oder "zufriedenes Zölibat" ::) in den Sinn (sorry :) , aber war einfach so..).

    Es klingt halt beides nach Langweile, weniger intensivem Leben, einfach Lustfeindlich.


    Wenn es um das innere Empfinden geht, dann muss ich sagen dass sich für mich persönlich "zufrieden" eben oft anhört wie ein 'befriedigend' auf einem Zeugnis.

    Ach ja - man kann für Alles auch negative Umschreibungen finden.

    Zufriedenheit ist gemäß dem Bedeutungswörterbuch des Duden:


    a) innerlich ausgeglichen zu sein und nichts anderes zu verlangen, als man hat;
    b) mit den gegebenen Verhältnissen, Leistungen oder ähnlichem einverstanden zu sein, nichts auszusetzen zu haben.

    Und genau so interpretiere ICH für mich "zufriedene Abstinenz": Ich bin mit den gegebenen Verhältnissen und brauche nichts anderes (z.Bsp. ein Bier o.ä.).

    Von mir aus könnt ihr (für Euch) da noch irgend etwas reininterpretieren, reindeuteln - mir reichts so, wie es ist.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Ach ja - man kann für Alles auch negative Umschreibungen finden.

    Hallo Greenfox, ich hatte das eigentlich überhaupt nicht negativ gemeint.

    Es ist aus einem Absatz heraus zitiert, in dem ich wertungsfrei über meine eigenen persönlichen Empfindungen rede, und darüber dass sich dies für mich eben nicht mit dem gleicht, wie ich es für mich tatsächlich fühle und erlebe.

  • Hallo Greenfox

    Ach ja - man kann für Alles auch negative Umschreibungen finden.

    Ich hab keine neue Umschreibung oder Definition von zufriedener Abstinenz erfinden wollen. Wenn der Begriff für dich passt, dann ist es ja gut.

    Und überhaupt will ich mich gar nicht um Begriffe streiten. Für mich ist die ZA (zufr. Abstinenz) ziemlich neutral.

    Aber so, wie der Begriff auf Franz wirkt ist es eben lustfeindlich, als ob etwas Tolles jetzt "fertig" ist, und darum sind mir diese Vergleiche in den Sinn gekommen. Vegan würde auch noch dazu passen...


  • Aber so, wie der Begriff auf Franz wirkt ist es eben lustfeindlich, als ob etwas Tolles jetzt "fertig" ist, und darum sind mir diese Vergleiche in den Sinn gekommen. Vegan würde auch noch dazu passen...


    Hallo Mira, du hast eigentlich den Nagel am Kopf getroffen. Oder so ähnlich, wie ein Leben eher mit dem dritten Gang fahren als mit dem vierten oder fünften... Jedenfalls schau ich schon, dass ich zumindest den vierten Gang einlegen kann... ;) Ich streiche für mich das Wort Abstinenz, es gefällt mir einfach nicht. Ich bin/ ich lebe/ ich will /ich versuche - alkoholfrei leben. Mit dem fühle ich mich wohler.

    Einmal editiert, zuletzt von franz68 (15. Juli 2016 um 21:23)

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