Heilung

  • Heute ist mein 11. nüchterner Tag.
    Ich schreibe das Folgende um meine Erfahrungen mitzuteilen um allen Mut zu machen die, wie ich, mit einem Alkoholproblem zu kämpfen haben.

    Es ist nur ein winziger Einblick in das, was sich in meiner Psyche momentan abspielt.
    Mir ist es wichtig zu sagen dass ich nur ein Schüler bin, kein Lehrer.
    Und ich möchte auch niemanden belehren.
    Ich möchte Hoffnung machen und sicher kann nicht jeder Mensch etwas mit meinem Text anfangen aber vielleicht der ein oder andere.

    Seit ca. 9 Jahren ist mir bewusst dass ich ein Alkoholproblem habe.
    9 Jahre in denen ich es nicht geschafft hatte auch nur einen Abend auf das Bier zu verzichten.
    9 Jahre Qualen, Tag für Tag.
    9 Jahre bin ich auf diesen falschen Glaubenssatz hereingefallen: „ Ich kann nicht darauf verzichten“. Was für ein verheerender Irrtum!
    Ich kann es doch – und es ist nicht so schwer wie ich immer befürchtet habe.
    Der größte Gegner ist bei mir immer die Angst gewesen, die Angst vor dem Entzug.
    Doch als ich den Entzug begann stellte ich fest dass die Angst völlig unbegründet war.
    Sie löste sich einfach auf.
    Ich sammle so viele neue Erfahrungen und Erkenntnisse über mich und die Welt.
    Doch das absolut Schönste ist Folgendes:

    Rumpelstielzchen stirbt!

    Ich erkläre es:
    Kennst du ihn auch, den inneren Kritiker, der dich immer fertig macht und dir Dinge ins Ohr flüstert wie:
    „Du kannst das nicht, versuche es erst gar nicht.“
    „Da hast du dich aber wieder mal dumm angestellt!“
    „Du schaffst auch gar nichts!“
    „Du bist nichts wert!“
    usw.
    Man hört ihn den ganzen Tag, meistens unbewusst, aber er ist da. Und man möchte sich die Ohren zu halten um ihn nicht mehr zu hören. Doch das funktioniert ja nicht, er sitzt im Innern.
    Also trank ich abends das Bier damit ich nichts mehr hören konnte. Rumpelstielzchen schlief.
    Aber nur bis zum nächsten Morgen. Bereits beim Aufwachen schrie er: „Siehst du, ich habe es dir doch gesagt, du bist ein Versager! Schaffst es nicht aufzuhören mit dem Alkohol!“
    Und ich gab ihm recht.
    Ich sehe Rumpelstielzchen hämisch lachend um sein Feuer tanzen, er hat was er will.
    Doch damit ist jetzt Schluss!
    Jeden Tag ohne Alkohol stirbt Rumpelstielzchen ein Stück mehr. Ich lasse ihn einfach verhungern. Er singt gar nicht mehr fröhlich um sein Feuer. Winzig klein kauert er frustriert auf dem Boden und das Feuer ist aus.

    Liebes Rumpelstielzchen, Du hast keine Macht mehr über mich!

    Eure Mimose

  • Liebe Mimose,

    danke für den wunderbaren Text. Ich liebe solche Bilder. 44.

    Und außerdem: Rumpelstielzchen's Name an sich ist ja schon aufgeflogen. Vielleicht auch ein Faktor, dass er an Macht verliert? ;)

    Viele Grüße und ich freue mich immer, von Dir zu lesen.

    Pinguin

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Hallo :)

    ja, ich habe seinen Namen genannt!! 44.

    Mir helfen solche Bilder auch ungemein, vor allem wenn sie aus mir selber kommen :)

    Liebe Grüße
    Mimose

  • 44. Sehr gut.

    LG Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.

  • Ein sehr schönes Gleichnis 44.

    Gefällt mir!

    Gruß
    Greenfox

    (... auch, wenn ich es eher als "Rose von Jericho" sehe ...)

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Schöner Text. Das kommt mir sehr bekannt vor. Ersetze Rumpelstilzchen mit Nikotinmonster und Alk durch Zigaretten. Auch Alan Carr hat mehrfach davon geschrieben, das Nikotinmonster (das Suchtgedächtnis im weiteren Sinne, dass dich zurückhaben möchte in den alten Bahnen) auszuhungern.

  • In "meinem" Raucherforum hieß Rumpelstielzchen oTTo. Der Name ist aber auch der einzige Unterschied. Ansonsten ereilte oTTo dasselbe Schicksal wie Rumpelstielzchen.
    Je geringer die Angst vor oTTo wurde und je weniger Beachtung er bekam, desto kleiner wurde er.
    Ich las von Leuten die den einstmals riesigen oTTo in eine Streichholzschachtel sperrten und irgendwann vergaßen, wo sie die Schachtel abgelegt hatten.
    Schon erstaunlich, wie ähnlich sich die Monster der Süchte sind.

    Bassmann

  • Guten Abend,

    es freut mich dass es euch gefällt :)


    Schöner Text. Das kommt mir sehr bekannt vor. Ersetze Rumpelstilzchen mit Nikotinmonster und Alk durch Zigaretten. Auch Alan Carr hat mehrfach davon geschrieben, das Nikotinmonster (das Suchtgedächtnis im weiteren Sinne, dass dich zurückhaben möchte in den alten Bahnen) auszuhungern.


    Lieber Franz,
    ja das mit dem Nikotin ist auch noch so ein Thema.
    Aber wie ich in einem anderen Thread gelesen habe sollte ich mit diesem Entzug wohl noch etwas warten ;)

    Zu meinem Bildnis:
    Für mich persönlich ist das Rumpelstielzchen eher der innere Kritiker, der sich irgendwann vor langer, langer Zeit eingenistet hat oder eingenistet wurde ?
    Das Suchtmittel ist seine Nahrung womit ich ihn am Leben erhalte. Oder das Feuer, um das er tanzen kann.

    Aber ich denke es spielt auch keine große Rolle wie man es interpretiert. Das Wichtigste ist doch dass es helfen kann.

    Euch allen einen schönen Abend

    Mimose

  • 14.Tag
    Neue Erkenntnisse über Rumpelstielzchen!
    (Ich bin ein Detektiv und dem kleinen Mistkerl auf die Schliche gekommen ;))
    Um es zu erklären:
    Rumpelstielzchen ist für mich die Energie, die mein Selbstwertgefühl untergräbt und auch zu meiner Alkoholabhängigkeit geführt hat.

    Heute morgen hatte ich eine neue Erkenntnis darüber, wodurch Rumpelstielzchen noch seine „Nahrung“ erhält. Es sind nicht nur die eigenen negativen Dialoge die ihn füttern und am Leben erhalten.
    Rumpelstielzchen wird auch von manchen Mitmenschen gefüttert.
    Meistens nicht absichtlich, die Menschen wissen es meist nicht besser und handeln unachtsam.
    Oder sie haben auch ein Rumpelstielzchen in ihrem Kopf. Man darf ihnen nicht böse sein.
    Die „Nahrung“ besteht meist aus leiser oder lauter Kritik, z B .:„Warum hast du das so gemacht? So geht es doch viel besser!“
    „Wenn du die Spülmaschine so einräumst wie ich es mache passt viel mehr rein!“
    Für mich persönlich ist die schlimmste „Nahrung“: die ungebetenen Ratschläge!
    Wer kennt das nicht: Du hast Streit mit deinem Partner und schüttest dein Herz bei einem Freund aus. Du willst keinen Rat, du willst dir einfach nur Luft machen. Und dann kommen Sätze wie:
    „Du musst dich wehren!“
    „Du darfst dir das nicht gefallen lassen, verhalte dich so wie ich es dir rate!“ usw.
    Und Rumpelstielzchen tanzt und jubelt, sobald ich diese „Nahrung“ annehme. Das Selbstwertgefühl wird geschwächt.

    Heute, nüchtern betrachtet, habe ich eine Lösung hierfür:
    Ich gebe den Menschen die „Nahrung“ zurück, die mir nicht bekommt.
    Genauso wie den „Absacker“ im Restaurant, der mir angeboten wurde und ich ihn dankend ablehnte. Der tut mir auch nicht gut :)
    Ich kann es sagen oder auch nur denken:
    Behalte deine Kritik für dich. Ich mache es auf meine Art und Weise, auch wenn es in deinen Augen falsch ist.
    Behalte deinen Rat für dich. Ich habe dich nicht darum gebeten. Wenn du die Dinge so regeln würdest ist das deine Sache. Ich bin nicht du!

    Ich möchte nochmals darauf hinweisen dass es hierbei nur um die ungebetenen Ratschläge geht.
    Anders verhält es sich natürlich wenn ich jemanden um Rat frage (z.B. hier im Forum :))
    Aber auch hier prüfe ich: was passt zu mir? Was fühlt sich richtig an?

    _______________________________

    Anmerkung des Autors wikende091
    Liebe Forums-Mitglieder,
    solche Texte zu schreiben ist für mich völlig neu.
    Ich hatte keine Ahnung das mir so etwas liegt.
    Es ist erst der 14. nüchterne Tag und ich bin fast überwältigt über das was an Kreativität und Spiritualität in mir geschlummert hat und nun raus möchte.
    (Ich hoffe nur, mein Umfeld kommt damit klar ;D)

    Hierzu fällt mir folgender Text ein:

    Dieses Zitat wird im Internet oft fälschlich Nelson Mandela zugeschrieben
    als Auszug aus seiner Antrittsrede, die er am 10. Mai 1994 gehalten hatte.
    Tatsächlich ist der Text aber dem Buch “A return to love”
    (“Rückkehr zur Liebe”) von Marianne Williamson entnommen.

    Unsere tiefste Angst ist nicht,
    dass wir unzulänglich sind,
    unsere tiefste Angst ist,
    dass wir unermesslich machtvoll sind.
    Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.
    Wir fragen uns:
    „Wer bin ich eigentlich,
    dass ich leuchtend, hinreißend, begnadet und phantastisch sein darf ?“
    Wer bist du denn, es nicht zu sein ?
    Du bist ein Kind Gottes.
    Wenn du dich klein machst,
    dient das der Welt nicht.
    Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun,
    wenn du schrumpfst,
    damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen.
    Wir wurden geboren,
    um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen,
    die in uns ist.
    Sie ist nicht nur in einigen von uns:
    Sie ist in jedem Menschen.
    Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen wollen,
    geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis,
    dasselbe zu tun.
    Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben,
    wird unsere Gegenwart ohne unser Zutun
    andere befreien.

    In diesem Sinne allen einen schönen Sonntag
    Eure Mimose :sun:

  • Hallo, Mimose!

    14 Tage 44.

    Für mich persönlich ist die schlimmste „Nahrung“: die ungebetenen Ratschläge!
    Wer kennt das nicht: Du hast Streit mit deinem Partner und schüttest dein Herz bei einem Freund aus. Du willst keinen Rat, du willst dir einfach nur Luft machen. Und dann kommen Sätze wie: ...

    Dazu muss ich einfach nur fragen/sagen: Hast Du Deinem Freund auch vorher gesagt, dass Du nur "Deinen Müll/Frust abladen", aber keinen Rat willst?
    Nicht jeder wird Dich nach so einem "Seelenstriptease" fragen: Und, was erwartest Du jetzt von mir - Rat und/oder Trost?

    Trotzdem: Ich verstehe sehr gut, was Du meinst! Ich hatte mal (ich war schon trocken!) eine sehr unangenehme Phase in der Beziehung zu meinen Eltern, die uns alle sehr belastet hat. Dann habe ich mich hingesetzt und mal alle meine Gedanken dazu aufgeschrieben - so kann einem nicht in den Satz gegrätscht werden, es erfolgt kein (sofortiger) Widerspruch, es entstehen keine Missverständnisse durch einen falsch interpretierten Augenaufschlag ... Unter anderem habe ich in diesem Brief auch ge-/beschrieben, dass Ratschläge auch "Schläge" sein können!!


    Behalte deine Kritik für dich. Ich mache es auf meine Art und Weise, auch wenn es in deinen Augen falsch ist.
    Behalte deinen Rat für dich. Ich habe dich nicht darum gebeten. Wenn du die Dinge so regeln würdest ist das deine Sache. Ich bin nicht du!

    So in etwa in dieser Art. Danach hat sich die Beziehung zu meinen Eltern sehr verbessert - sie hatten es nie so gesehen.
    Und ich habe gelernt bzw. versuche es immernoch, es auch so zu sagen: Ich möchte keinen Rat, ich möchte einfach nur reden!
    "Ich versuche es" weil es eben nicht immer klapt oder ich nicht immer daran denke ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Greenfox,

    danke für deine Antwort :)

    Zitat

    Dazu muss ich einfach nur fragen/sagen: Hast Du Deinem Freund auch vorher gesagt, dass Du nur "Deinen Müll/Frust abladen", aber keinen Rat willst?
    Nicht jeder wird Dich nach so einem "Seelenstriptease" fragen: Und, was erwartest Du jetzt von mir - Rat und/oder Trost?


    Ja, daran sollte ich vorher wohl denken ;)
    Meine Freundinnen kennen meine Einstellung zum Thema "Ratschlag" und halten sich auch daran.
    Allerdings hatte ich neulich mit einer Bekannten darüber eine heftige Disskusion. Sie meinte, sie würde mir weiterhin Ratschläge erteilen wenn sie das Gefühl hat dass ich das brauche. ::)
    Seitdem habe ich mich doch etwas von ihr distanziert.

    Außerdem erfordert es auch Achtsamkeit, den gleichen Fehler nicht selber zu machen und anderen Ratschläge zu erteilen.
    Das beste Übungsfeld für mich sind hierfür meine Töchter schwitz.

    Alles Liebe
    Mimose

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