Wie gefährlich sind Rotweinsoße & Co wirklich?

  • Immer wieder gibt es Diskussionen – sowohl in den Gruppen als auch in diversen Foren und im privaten Umfeld – darüber, warum so viel Wert darauf gelegt wird, dass „trockene“ Alkoholiker (die auch trocken bleiben wollen) z.Bsp. auf versteckten Alkohol in Lebensmitteln achten sollten. Und warum sollte man auch kein „alkoholfreies“ Bier oder eine Weinbrandbohne oder ähnliches zu sich nehmen? Was, bitte schön, ist denn so schlimm daran, Rumkugeln o.ä. zu essen – da ist doch kein Alkohol drin, sondern nur Aroma - oder? (z.Bsp. hier: alkoholfreies Bier und Co. - verboten?)

    Immer wieder dieselben Fragen ...

    Ich möchte hier mal meine ganz persönliche Sicht darüber darlegen (darum schreibe ich auch in der Ich-Form!). Ob sie nun „wissenschaftlich fundiert“ ist – keine Ahnung, ist mir letztendlich auch egal.

    Für mich spielen hier hauptsächlich 2 Aspekte, die man eigentlich nicht voneinander trennen kann, eine unheimlich wichtige Rolle:

    Zum Einen habe ich mich vor einiger Zeit bewusst dazu entschlossen, keinen Alkohol mehr zu trinken, „zu mir zu nehmen“, da ich gemerkt habe, dass ich davon abhängig geworden bin und keinen vernünftigen Umgang damit pflegen kann.
    Ich „leide“ (eigentlich falsches Wort, mir fällt nur gerade kein passenderes ein) nun mal unter Kontrollverlust. Ich hatte auch versucht, „kontrolliert“, in Maßen zu trinken – und das ist mächtig in die Hose gegangen. Daher der oben erwähnte bewusste Entschluss.
    Ich habe mich also bewusst dagegen entschieden, Alkohol zu konsumieren. Darum trinke oder esse ich nichts, wo Alkohol enthalten ist. Auch nicht die Rotweinsoße, obwohl der darin enthaltene Alkohol so gut wie vollkommen verkocht ist. Das ist eine Sache des Prinzips. Und des Selbstschutzes. Denn dadurch achte ich bewusst auf möglichen Alkohol – und somit auch auf mich. Von dem bisschen Rotweinsoße oder dem minimalen Alkohol in einem Kuchen, werde ich sicherlich nicht besoffen. Etwas anderes ist es mit Medikamenten (Tröpfen, Säfte) – die sind oft ziemlich hochprozentig.

    Mir ist es sehr wichtig, dieses Wörtchen „bewusst“. Denn für mich ist es ein großer Unterschied, ob ich Alkohol bewusst oder unbewusst zu mir nehme! Und, natürlich, das Verhalten danach – wenn man es denn bemerkt hat.
    Wenn ich bemerke/schmecke, dass z.Bsp. in dem Bissen Kuchen, den ich gegessen habe, Alkohol drin ist oder es auch nur so schmeckt – und weiterfuttere, dann ist das für mich schon so etwas wie ein Rückfall. Denn dann esse/trinke ich ja, weil (von mir aus auch: obwohl) Alkohol enthalten ist. Merke ich es aber und esse/trinke nicht weiter – dann ist m.E. bis dahin alles in Ordnung.
    Und wenn ich nichts bemerke/schmecke – dann dürfte eh nichts passieren, da es ja dann „mikroskopische“ Spuren waren, die mir nichts tun. Eben weil ich sie ja nicht bemerkt habe und sie so nicht an meinem „Suchtgedächtnis“ kitzeln konnten.

    Der andere Aspekt ist m.E. der, dass oft genug alleine schon der Geschmack oder auch das Aussehen von bestimmten Sachen triggern kann. Das heißt, es weckt Erinnerungen und den Wunsch nach mehr. Und da ist es fast egal, ob es tatsächlich Alkohol ist oder nur Aroma.
    Bestes Beispiel ist hier (bzw. kann sein) das „alkoholfreie“ Bier. Mal abgesehen davon, dass man hier in Deutschland mit dem Wort „alkoholfrei“ regelrecht in die Irre geführt (um nicht zu sagen: verarscht) wird – denn hier ist meist immer noch ein Rest Alkohol (so ca. 0,5%) Alkohol enthalten und somit kommt hier für mich auch Aspekt Nummer 1 zum Tragen.
    Aber dieses „Bier“ schmeckt heutzutage doch tatsächlich fast wie echtes. Nur, es „wirkt“ nicht, es fehlt etwas. Und da ich früher mit „Bier“ immer einen (mehr oder weniger starken) Rauschzustand verbunden habe, ist es nichts Halbes und nichts Ganzes. Also könnte ich den Wunsch bekommen, doch mal wieder ein „richtiges“ Bier zu trinken.
    Früher habe ich auch mal versucht, mich mit „alkoholfreiem“ Bier über Wasser zu halten. Hat aber nicht lange gedauert, bis ich dieses Zeug habe sein lassen und doch lieber „etwas Richtiges“ getrunken habe.
    Oder die berühmt-berüchtigten Weinbrand-Bohnen oder „Mon Cherie“ – da ist so wenig Alkohol drin, dass man das Zeug „tonnenweise“ futtern müsste, um beim Pusten überhaupt einen Wert zu erhalten. Aber es schmeckt eben nach Weinbrand oder was auch immer. Oder die Rumkugeln … oder die „Schwarzwälder Kirschtorte“, Tiramisu … die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
    Da kommen doch Erinnerungen hoch, an „schöne Abende“ oder so – und eventuell doch auch der Wunsch nach mehr.

    Und bevor mich solche Erinnerungen/Wünsche überkommen und vielleicht auch noch übermannen – da lass ich doch lieber ganz die Finger von dem Zeug.

    Und irgendwie schließt sich m.E. hier der Kreis bzw. greift eins ins andere.

    Ich schrieb vorhin davon, dass ich mich bewusst entschieden habe, keinen Alkohol zu mir zu nehmen. Damit meine ich: keinen Alkohol bewusst zu mir zu nehmen.
    Wie oft ich schon irgendwelche Speisen oder so zu mir genommen habe, in denen doch Alkohol enthalten war – keine Ahnung.

    Aber das ist ein anderes Thema – der unbewusste Alkoholkonsum.
    Denn es ist doch unbestritten ein großer Unterschied, ob ich etwas esse/trinke, obwohl da Alkohol drin war und das (aus welchen Gründen auch immer) nicht wusste – oder weil er drin ist, ich es somit also weiß.

    Und bevor ich mich wiederhole, soll es das gewesen sein. Ich hoffe, meine in den Computer gehackten Gedanken waren halbwegs verständlich nixweiss0
    Aber das musste ich hier mal loswerden ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

    Einmal editiert, zuletzt von Greenfox (26. August 2019 um 08:19)

  • Hallo Greenfox,

    ich lese/höre solche Meinungen immer wieder mit sehr großem Interesse. Ich würde auch niemals auf die Idee kommen, auch nur ansatzweise Jemanden, der eine so fundierte Meinung hat, davon abbringen zu wollen (was mir auch wahrscheinlich überhaupt nicht gelingen würde). Das Einzige, wozu ich aber gerne etwas ergänzen möchte, wäre das Thema "Alkoholfreies Bier".

    Bestes Beispiel ist hier (bzw. kann sein) das „alkoholfreie“ Bier. Mal abgesehen davon, dass man hier in Deutschland mit dem Wort „alkoholfrei“ regelrecht in die Irre geführt (um nicht zu sagen: verarscht) wird – denn hier ist meist immer noch ein Rest Alkohol (so ca. 0,5%) Alkohol enthalten

    Dies stimmt nur zum Teil und ist abhängig vom Herstellungsverfahren, also wie der Alkohol entzogen wird. Es gibt Biersorten, die bis zu 0,5% Alkohol enthalten. Wenn man das aber ganz kritisch betrachtet, dann müsste man auch auf Apfelsaft und Co. verzichten, weil Fruchtsäfte können, wenn sie offen stehen, auch anfangen, zu gären. Weiterhin gibt es Biersorten, welche sogar mit 0,00% auf dem Etikett werben. Der Restalkohol dieser Sorten darf 0,01% nicht überschreiten, so hat es mir jedenfalls mal ein "Brauer und Mälzer" einer ortsansässigen Brauerei erklärt.

    Dennoch ist das jetzt alles nur Theorie, das Thema "Trigger" durch Alkoholfreies Bier ist ein ganz anderes. Ich hatte es schon mal geschrieben, für mich stellt das Alkfreie eine echte Alternative dar, aber ich erwarte auch keine Wirkung.

    Danke für Deinen ausführlichen Bericht, ich bin nun wieder ein bisschen schlauer geworden, Grüße Lusches.

    Lieber nüchtern und lustig, als besoffen und dooooof...

  • Ich hatte es schon mal geschrieben, für mich stellt das Alkfreie eine echte Alternative dar, aber ich erwarte auch keine Wirkung.

    Ja, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kenne auch Menschen, für die alk-freies Bier eine Alternative ist. Wenn sie - wie Du - damit umgehen können, dann ist es doch okay. Ich kann es nicht. Und auch hier kenne ich viele, denen es ebenso geht.
    Aber ich wollte das Thema mal hier gesondert ansprechen und versuchen, meine Sicht darauf darzustellen. Einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebe ich hierfür nicht!
    Es kommt ja immer wieder in verschieden anderen Themen zur Sprache. Und oft wird gesagt, dass eine Weinbrandbohne zum Rückfall führt im Sinne von: zwangsläufig). M.E. ist dem nicht so - es kann dazu führen. Und deshalb wird auch meist davon abgeraten - sie bewusst zu essen. Und zum unbewussten habe ich ja oben schon meine Meinung/Ansicht geschildert ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Es gibt hier im Forum tatsächlich eine Frau, die nach langer Abstinenz durch Schnapspralinen rückfällig geworden ist.

    Greenfox, ich finde Deinen Beitrag sehr interessant. Ich hoffe nur, dass dieser jetzt nicht wieder zerlegt wird und Streitdiskussionen provoziert. Weil dessen bin ich inzwischen ziemlich "müde" geworden.

    Liebe Grüße
    Pinguin

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Ich mache es abhängig davon, ob ich bewusst konsumiere. Soll heißen: ich habe mir im Dezember eine Packung "edle Tropfen in Nuss" gekauft, die ich bei nächster Gelegenheit verschenken werde.
    Ich koche nicht mehr mit Rotwein - was eine echte Herausforderung ist, da ich den an fast alles gekippt habe (war immer so praktisch, die offene Flasche neben dem Herd stehen haben zu können).
    Ich esse bewusst keinen Kuchen, von dem ich weiß, dass er Alkohol enthält (Schwarzwälder Kirsch z.B.), wenn mir aber ein Stück Kuchen, bei dem ich nicht damit gerechnet habe, unterkommt, dann wird es auch gegessen.
    Medikamente, gerade homöopathische versuche ich immer in nicht flüssiger Form zu bekommen, da der Alkoholgehalt hoch ist.
    Also so mache ich es wieder und habe es schon mal viele Jahre gemacht. Irgendwann habe ich dann mal wieder einen Eierlikörbecher gegessen, Tropfen mit Alkohol genommen, Mon-Cherie gegessen usw.
    Ich bin nicht von diesen minimalen Mengen Alkohol rückfällig geworden, sondern von der "Prinzip-Aufweichung". Das ging auch nicht von heute auf morgen, sondern hat sich eingeschlichen.
    Daher will ich dieses Mal achtsam bleiben.
    Ich betrachte Alkohol nicht als meinen Feind, aber ich möchte ihn trotzdem nicht auf meiner Couch sitzen haben.

  • Ich bin nicht von diesen minimalen Mengen Alkohol rückfällig geworden, sondern von der "Prinzip-Aufweichung". Das ging auch nicht von heute auf morgen, sondern hat sich eingeschlichen.

    Das meine ich, genau! Beziehungsweise: das kommt eigentlich noch dazu.

    Aber was ist denn dann damit:

    Ich esse bewusst keinen Kuchen, von dem ich weiß, dass er Alkohol enthält (Schwarzwälder Kirsch z.B.), wenn mir aber ein Stück Kuchen, bei dem ich nicht damit gerechnet habe, unterkommt, dann wird es auch gegessen.

    nixweiss0


    Daher will ich dieses Mal achtsam bleiben.
    Ich betrachte Alkohol nicht als meinen Feind, aber ich möchte ihn trotzdem nicht auf meiner Couch sitzen haben.

    ;D Schön gesagt!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo,

    ich finde das sehr Interessant. Auch ich verzichte auf alles was mit Alkohol zu tun hat. Es gibt tolle andere Möglichkeiten zu kochen, da braucht man keine Weinsauce ;)
    Alkoholfreies Bier war auch nie eine Option für mich. Alleine aus der psychologischen Sicht wäre so etwas nicht gut für mich, auch nicht nach langer Abstinenz!

    Liebste Grüße
    Verena

  • Ich habe hier noch einen Kochtipp. Also ich habe mal Karamalz an den Schweinebraten gemacht, total lecker. Aber für mich persönlich hat halt Karamalz so viel mit Bier zu tun wie Milch mit Johannisbeersaft.

    Das Karamalz gibt dem Fleisch bzw. der Soße einen angenehm würzigen, aber süßlichen Geschmack, ohne Alkohol und ohne zu triggern.

    Gruß
    Pingu

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Drachentöter hat mich mit seinen Ausführungen "veranlasst", diesen Beitrag nochmals durchzulesen und zu überdenken.

    Ich habe ja schon öfter mal meine Meinung auf Grund neuer Informationen geändert. Aber diese ist nach wie vor unverändert.
    Oder hat (etwa ;) ) jemand überzeugende gegenteilige Info's?

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Greenfox,

    warum sollte es dazu überzeugende, gegenteilige Infos geben?
    Die Sucht an sich kann ja trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht neu erfunden werden.

    Grundsätzlich gibt es, sehr kurz zusammengefasst, zwei Typen Alkoholiker:


      [li]Die Wirkungstrinker, die Alkohol allein aufgrund seiner berauschenden Wirkung konsumieren[/li]
      [li]Die Genusstrinker, die bestimmte alkoholische Getränke konsumieren, weil sie ihnen schmecken.[/li]


    Bei beiden führt ein übermäßiger Konsum und Genuss zum selben Ergebnis: Sie werden betrunken.

    Man könnte nun sagen, ein Wirkungstrinker wird kaum so viel Rotweinsoße schlabbern können, dass er die gewünschte Wirkung erreicht. (Was dann aber wiederum zum erwähnten Trigger „nach mehr“ wecken könnte.)
    Und sehr wahrscheinlich ist auch, dass ein reiner Genusstrinker nach ca. 25 Mon Cherie (ca. 0,5‰) mit Übelkeit zu kämpfen hätte.

    Ich denke die Entscheidung, bewusst auf Alkohol zu verzichten und komplett abstinent zu leben, hat auch etwas mit dem Bekenntnis sich selbst gegenüber zu tun, suchtkrank zu sein und beim geringsten Kontakt zum Suchtmittel in Gefahr zu geraten, rückfällig werden zu können.
    Da ich immer gerne bildliche Beispiele bemühe und dieses Beispiel (Führerscheinentzug) nahe am Thema ist: Wenn jemandem sein Schein wegen Raserei abgenommen wurde und er ihn schließlich wieder erlangt, dann wird der Betroffene mehr als jeder andere in Zukunft auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen achten. Er wird kaum sagen „naja, so ein bisschen schneller, das macht schon nichts“. Weil eben im ungünstigsten Fall sein Führerschein dann für immer oder für sehr lange Zeit weg ist.

    Ich glaube, Betroffene sollten sich gar nicht so viel Gedanken über „den Sinn oder Unsinn“ dieser Vermeidungsstrategie (nie wieder in irgendeiner Form Alkohol zu konsumieren) machen, sondern sich selbst sehr genau darüber bewusst sein, wie weit und wie konsequent sie die gemachte Erfahrung (wenn ich Alkohol konsumiere, gerate ich in Gefahr erneut in die Sucht abzurutschen) umsetzen wollen.
    In der Regel haben süchtige Alkoholiker die Erfahrung gemacht, dass ihre Sucht um so vieles stärker und mächtiger ist, als jede Intelligenz und jedes verstandesmäßige Begreifen. Bei Kontakt zum Suchtmittel ist die Sucht viel stärker als jede Willensbekundung und alle heiligen Vorsätze. Da ist dann nur noch die Gier nach mehr, mehr …
    Den geringsten Widerstand gegen einen Sog muss man nur dann aufbringen, wenn man sich nicht in den Sog begibt. Auch nicht ein bisschen …

    Zusammengefasst meine ich feststellen zu können: Betroffene die trotz leidvoller Suchterfahrung, trotz dadurch verursachten oft sehr hohen Verlusten (Arbeitsplatz, Führerschein, Partnerschaft, Kinder … u.v.a.m.) nicht bereit sind jedes noch so kleine Risiko bzgl. Rückfallgefahr zu vermeiden, die haben innerlich nicht wirklich mit Alkohol abgeschlossen. So jemand hat wohl in sich immer noch eine heimliche Sehnsucht danach.

  • Guten Morgen zusammen,

    ich denke, dass es bei diesem Thema wie bei so vielen anderen kein schwarz und weiß gibt.

    Ich persönlich habe beschlossen, dass ich bewusst keinen Alkohol mehr zu mir nehme. Nicht in Medikamenten, nicht in der Grillsoße, nicht im Kuchen also einfach gar nicht mehr. Ich trinke auch keine alkoholfreien Varianten (Bier, Sekt, Hugo, ect.) weil das eigentliche Getränk Alkohol enthält und ich nie ein Genusstrinker war. Ich war immer Wirkungstrinker und habe Angst davor, ich könnte die Wirkung vermissen. Außerdem sehe ich auch sonst keinen Grund, denn es gibt so viele Getränke die mir wirklich schmecken, da muss ich jetzt nicht unbedingt ein alkoholfreies Bier haben.

    Und natürlich ist es mir in den Jahren der Trockenheit schon passiert, dass ich Alkohol zu mir genommen habe. Oft habe ich es nach den ersten Bissen gemerkt (z. B. Apfelkuchen mit Weißwein) und dann selbstverständlich den Verzehr abgebrochen. Aber ich habe auch schon erst hinterher erfahren, dass irgendwo Alkohol drin war. Also, ich habe mich auf solche Situationen mental immer vorbereitet und für mich ist klar, dass ich wegen so eines Ereignisses nicht rückfällig werde.

    Ich versuche das für mich logisch zu begründen. Denn diese sehr geringen Mengen Alkohol können in mir nichts bewirken, so sage ich mir das jedenfalls und davon bin ich auch überzeugt. Entscheidend ist für mich hier, dass ich mich NICHT bewusst für Alkohol entscheiden habe. Das ist hier für mich der absolute Schlüssel! In dem Moment, wo mir jemand sagt, dieser oder jener Kuchen ist mit Alkohol zubereitet und ich greife trotzdem zu, weil mir das egal ist, würde ich für mich persönlich ein Problem erkennen.

    Ich kenne aber jemanden, sehr gut sogar, wo das ganz anders läuft.

    Diese Person ist Alkoholiker. Nun schon sehr lange trocken, es dürften etwa 10 Jahre sein. Diese Person hörte zu trinken auf, nachdem sie schwer gestürzt war und sich dadurch schwere Brüche zugezogen hatte - und sie hatte dabei noch Glück, es hätte auch noch schlimmer enden können.

    Aber, entgegen aller unserer Weisheiten (auch meiner Weisheiten), wie z. B. man braucht ein alkoholfreies Umfeld, man muss seine Sucht aufarbeiten, man braucht eine Strategie, nur nicht trinken funktioniert auf Dauer nicht usw., ich könnte noch einiges aufführen, was ich hier immer wieder schreibe und wovon ich auch überzeugt bin, geht dieser Mensch völlig a-typisch mit seiner Sucht um.

    Diese Person sagt, dass sie sich geschworen hat, nie mehr Alkohol zu trinken. Aber essen darf sie ihn, sagt sie. Nur nicht trinken! Schnapspralinen sind überhaupt kein Problem. Sogar ein Schnäpchsen für den Magen (wir wissen ja dass das eigentlich totaler Schwachsinn ist und sowieso nix bringt) ist, auf einen Löffel gegeben und dann "gegessen", gar kein Problem.

    Jetzt versteht mich nicht falsch. Diese Person trinkt wirklich nicht mehr. Das alles macht sie ab und an mal, wenn es sich halt gerade mal ergibt. Nicht regelmäßig und auch nicht häufig. Und selbstverständlich trinkt sie, wie sollte es anders sein, zum Essen auch alkoholfreies Bier und zum Anstossen alkoholfreien Sekt. Schon immer, so lange ich sie trocken kenne.

    Und wenn ich mich mit dieser Person über ihre Trinkerzeit unterhalte, dann kommt da nix mit Einsicht oder so. Nichts mit Selbstreflexion oder irgendwas in die Richtung. Nein, da kommt dann, dass sie ja so viel Stress hatte und dass das dann halt der einzige Ausweg für sie war. Und dass sie das anders ja nicht ertragen hätte. Auf die Frage, warum sie denn überhaupt mit dem Trinken aufgehört hat kommt sinngemäß: Der Sturz war ein Schuss vor dem Bug, eine innere Stimme sagte "Du musst aufhören" und im Krankenhaus schwor sie sich nie mehr zu trinken. Und Schwüre dürfen nicht gebrochen werden!

    Da fällt mir dann auch nicht mehr viel dazu ein!

    Und selbstverständlich hat sie einen Partner, der aktiv trinkt. Er ist kein Alkoholiker aber jemand der auf "sein" Bier nicht verzichtet. Und manchmal auch etwas zu viel trinkt, jedoch aus meiner Sicht deshalb nicht süchtig ist. Aber für einen trockenen Alkoholiker ist so ein Partner natürlich eher kontraproduktiv.

    Also, ich sage jetzt mal: Ein klarer Fall von Rückfallkanditat! Aber sie wurde nicht rückfällig, bis heute nicht. Und ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass sie das in nächster Zeit wird. Es gibt überhaupt keine Anzeichen. Sie lebt ihr Leben "ganz normal", und geht mit Alkohol so um wie von mir beschrieben.

    Dieser Mensch ist für mich an absolutes Phänomen bezogen auf unsere Krankheit. Es ist jemand, der mir immer wieder bewusst macht, dass es in sicher sehr seltenen Ausnahmefällen, immer auch mal anders gehen kann. Ich sage das im vollen Bewusstsein, dass das was dieser Mensch tut, bei wahrscheinlich 95 - 99 % aller anderen Alkoholiker schief gehen würde. Nie würde ich jemanden raten sich so zu verhalten wie dieser Mensch, es widerspricht jedweder Erfahrung und wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Freifahrtschein in den Rückfall. Wieso das hier nicht so ist, das kann ich mir nicht erklären.

    Und falls jetzt der Gedanke aufkommt, dass dieser Mensch ja vielleicht kein Alkoholiker war/ist. Diesen hatte ich natürlich auch schon. Und zu 100% kann man das ja nie sagen. Jedoch trank diese Person jahrzehntelang, alle uns bekannten typischen Indikatoren für eine Sucht treffen aus meiner Sicht zu. Ich habe keine Zweifel an einer Suchterkrankung.

    Tja, das wollte ich jetzt mal los werden.

    Das beschäftigt mich immer wieder mal. Weil es so ganz anders ist als das, was ich sonst so kenne.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchia!

    Es ist zwar jetzt off - Topic, aber ich kenne nur Alkoholiker die trocken sind und in der gleichen Weise leben wie die von Dir beschriebenen Person. Kein alkoholfreies Zuhause, Partner trank/trinkt auch weiter, keine SHG, keine Auseinandersetzung mit dem Thema, usw.

    Das ist nicht der Weg der empfohlen wird, aber für einige Menschen anscheinend der Weg der für sie funktioniert.

    LG
    Caroline

    Edit: Von diesen drei "richtigen/schweren" Alkoholikern haben aber alle dann und wann mit ihrem Schicksal gehadert. Da scheinen mir hier die langjährig "Freien" im Forum doch wesentlich glücklicher über ihre Abstinenz zu sein.

  • Hallo Caroline,


    Edit: Von diesen drei "richtigen/schweren" Alkoholikern haben aber alle dann und wann mit ihrem Schicksal gehadert. Da scheinen mir hier die langjährig "Freien" im Forum doch wesentlich glücklicher über ihre Abstinenz zu sein.

    Das hat meines Erachtens viel mit "Verzicht" zu tun.
    Ich "verzichte" auf gar nichts. Ich brauche den Alkohol einfach nicht mehr in meinem Leben. Er kann mir nichts geben, im Gegenteil, er könnte mir viel nehmen.
    Ohne ihn habe ich all das, worauf ich wegen ihm wirklich verzichtet habe.
    Für mich ist das kein Verlust und nichts, dem ich nachtrauere. Im Gegenteil, ich bin einfach nur froh, dass ich erkennen konnte, dass Alkohol in mein Leben nicht reinpasst. Schon gar nicht in das, das ich heute zu führen in der Lage bin.

  • Liebe Caroline, lieber Dietmar,

    darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber jetzt wo Ihr das schreibst. Ja, ich glaube nicht das diese Person ein zufriedener und glücklicher Mensch ist. Nein wirklich nicht. Eigentlich ist diese Person in ihrer sehr engen Welt gefangen. Hadert mit dem Partner und der Situation. Jetzt nicht bezogen auf den Alkoholverzicht, das scheint tatsächlich abgehakt zu sein. Jedoch grundsäztlich fühlt sich dieser Mensch als einer, der immer benachteiligt wurde und wird und dem nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird.

    Und so war das wohl schon immer, auch zu nassen Zeiten. Dieser Mensch hat also scheinbar wirklich nur mit Trinken aufgehört ohne sonst irgendwas ernsthaft an seinem Leben zu verändern. Hat funktioniert, jedoch, das habt Ihr wirklich gut erkannt: Zufriedenheit oder gar Glück ist was anderes!

    LG
    gerchla

  • Lieber Gerchla,

    ich kenne einige trockene Alkoholiker, genau genommen sogar relativ viele, mit deren "Trockenheit" wollte ich beim besten Willen nicht tauschen. Und um der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben, ganz ohne bösartig sein wollen, denke ich sogar bei manchem: Du hättest es leichter in deinem Leben, wenn du wieder saufen würdest.

    Ich glaube, einige von uns kennen solche trockene Alkoholiker, die, wie man so schön sagt "mit der geballten Faust in der Tasche trocken sind".


  • Lieber Gerchla,

    ich kenne einige trockene Alkoholiker, genau genommen sogar relativ viele, mit deren "Trockenheit" wollte ich beim besten Willen nicht tauschen. Und um der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben, ganz ohne bösartig sein wollen, denke ich sogar bei manchem: Du hättest es leichter in deinem Leben, wenn du wieder saufen würdest.

    Ich glaube, einige von uns kennen solche trockene Alkoholiker, die, wie man so schön sagt "mit der geballten Faust in der Tasche trocken sind".


    Lieber Dietmar,
    meinst du diesen Beitrag wirklich ernst?
    Für mich gilt: egal ob mit der geballten Faust in der Tasche oder sonst wie, hauptsache KEIN Alkohol! Und keiner!!! hat es leichter im Leben, wenn er wieder saufen würde, sorry aber ich verstehe nicht....

    Zitat


    ich kenne einige trockene Alkoholiker, genau genommen sogar relativ viele, mit deren "Trockenheit" wollte ich beim besten Willen nicht tauschen


    Aber sie sind trocken...und das zählt....
    LG

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Liebe Britt,

    ich meine das schon ernst.
    Aber verstehen musst Du das nicht, und wenn Du keine solche Fälle kennst, dann ist das sogar eher gut für Dich.
    Es hat mehr mit der Einstellung zu individuellem Leben, seinen Wünschen und Erfüllungen und der persönlichen Freiheit zu tun, die jedem zugestanden werden sollte.
    Grundsätzlich: Nur weil ich suchtkrank geworden bin, und sich daraus für mich ein großer Leidensdruck durch meinen Alkoholkonsum u.a. entwickelt hat, muss das nicht bei jedem Betroffenem so sein, der per Definition auch suchtkrank ist. Aber u. U. damit gut und zufrieden leben kann.

    Ich glaube nicht, dass es wünschenswert ist, wenn so ein überzeugter und mit seinem süchtigen Verhalten zufriedener Alkoholiker dazu gezwungen werden würde, trocken zu werden bzw. zu bleiben.
    Und ich denke schon, dass es so jemand, würde man ihn dazu zwingen würde trocken zu bleiben, es leichter hätte, wenn er wieder frei entscheiden, und saufen könnte.
    Abgesehen davon, dass so jemand in ein Korsett gezwungener Betroffener ja auch von seinem Umfeld ausgehalten werden muss.

  • Guten Morgen,
    also ich denke, der Genusstrinker ist kein Typ Alkoholiker. Er trinkt Alkohol, weil es schmeckt, nicht weil er "nicht Gelerntes" mit Alkohol kompensiert. Für mich sind diese Gedanken über "Sinn oder Unsinn" von Vermeidungsstrategien überlebenswichtig!
    LG

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Da stimme ich Britt zu. Abgesehen davon, dass diese Diskussion m.E. mehr zum Thema "Zufriedene Trockenheit - was ist das" oder so passen würde ...

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Zitat

    also ich denke, der Genusstrinker ist kein Typ Alkoholiker. Er trinkt Alkohol, weil es schmeckt, nicht weil er "nicht Gelerntes" mit Alkohol kompensiert.

    Ich glaube kaum, dass jemand Alkoholiker werden kann, der Alkohol von Anfang an abscheulich und geschmacklich ekelhaft finden, oder?
    Außerdem kenne ich nicht wenige, besonders Weintrinker, die sind über den Genuss in die Sucht gerutscht, und wollen partout nicht mit dem Trinken aufhören, weil’s ihnen so gut schmeckt. Ähnliches hört man immer wieder von Biertrinkern.

    Zitat

    nicht weil er "nicht Gelerntes" mit Alkohol kompensiert.


    Hab’s jetzt mehrmals gelesen und versucht es zu verstehen. Komme zu keinem Ergebnis. Kannst Du es mal erläutern?

    Zitat

    Für mich sind diese Gedanken über "Sinn oder Unsinn" von Vermeidungsstrategien überlebenswichtig!


    Ich habe das ja in einem Zusammenhang geschrieben:

    Zitat

    Ich glaube, Betroffene sollten sich gar nicht so viel Gedanken über „den Sinn oder Unsinn“ dieser Vermeidungsstrategie (nie wieder in irgendeiner Form Alkohol zu konsumieren) machen, sondern sich selbst sehr genau darüber bewusst sein, wie weit und wie konsequent sie die gemachte Erfahrung (wenn ich Alkohol konsumiere, gerate ich in Gefahr erneut in die Sucht abzurutschen) umsetzen wollen.


    Erst im kompletten Zitat ergibt das einen Sinn.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!