Weniger trinken als guter Vorsatz...

  • Ich knüpfe mal an Lusches Text an.

    Ich kann Saras Unwohlsein oder Problem mit dem Begriff des Alkoholikers durchaus nachvollziehen. Abhängig zu sein, ist eine Sache. Irgendwie lässt der Begriff der Abhängigkeit noch zu, dass man sich aus dieser Position löst und dass danach alles wieder gut wird.

    Der Begriff des Alkoholikers impliziert bei den meisten Menschen die Vorstellung, ganz tief unten angekommen zu sein, so dass -wie auch hier in diesem Forum von einigen Benutzern dargestellt- nur noch die Wahl zwischen Leben und Tod besteht.
    Nicht umsonst wehren sich die meisten Alkoholiker so lange wie möglich, sich diesen Stempel aufzudrücken, indem sie wieder und wieder versuchen, ihren Konsum zu kontrollieren, um so der drohenden Kapitulation zu entgehen.

    Zum guten Schluss: Wer lässt sich schon gerne in seinen Handlungsmöglichkeiten so einengen, dass es für ihn nur noch eine einzige richtige Verhaltensmöglichkeit gibt. Nämlich die, nie wieder Alkohol zu trinken und sich ständig mit der (ich verwendet jetzt einmal das Wort) Krankheit zu beschäftigen?

    Katro

  • Ich denke, dass liegt daran, das im Volksmund das Wort "Alkoholiker" ein sehr, sehr negatives Wort ist. Daran muss man sich erst mal gewöhnen...

    Das denke ich auch.

    Nicht umsonst wehren sich die meisten Alkoholiker so lange wie möglich, sich diesen Stempel aufzudrücken, indem sie wieder und wieder versuchen, ihren Konsum zu kontrollieren, um so der drohenden Kapitulation zu entgehen.

    Und worin endet es? Entweder: man geht unter. Oder: man kapituliert und akzeptiert, dass man abhängig (also Alkoholiker) ist. Und dann kann man sich auf den Weg aus der Abhängigkeit machen. Ob nun mit völliger Abstinenz wie ich oder auf dem Weg wie Katro - oder einem ganz anderen.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo!

    Lusches und Katro, ihr habt recht. Ihr habt die Gründe genannt, weshalb der Begriff Alkoholikerin für mich ein Problem ist. Und nicht nur für mich. Meine Freundin meint, ich soll mich nicht so sehen. Letztens habe ich ihr gesagt, dass das nichts nutzt, ich bin Alkholikerin. Da war sie sichtlich schockiert. Sie meinte dann, wir sollen uns auf alkoholabhängig einigen.

    Liebe Grüße
    Sara

  • Moin, moin ...

    Fakt ist, dass wir nun einmal nicht in einer perfekten Gesellschaft leben - einmal völlig davon abgesehen, ob es eine solche jemals geben wird.
    Zu dieser nicht perfekten Gesellschaft passt, dass Menschen mit bestimmten nicht mehrheitsfähigen "Auffälligkeiten" stigmatisiert werden.
    Männliche und weibliche Homosexuelle genießen im Mehrheitsempfinden nicht den besten Ruf, das gleiche gilt für HIV-Infizierte, Sinti und Roma und für diverse andere Gruppen, die eben aus dem Mehrheitsgesellschafts-Schema herausfallen und natürlich auch für Alkoholiker - seien sie nun noch trinkend oder halt eben trocken ...
    Tradierte Moralvorstellungen, gepaart mit über Generationen weitergegebenen Halbwahrheiten oder Unwahrheiten und Informationsdefiziten macht es Menschen schwer, sich zu ihrer Veranlagung, sexuellen Orientierung oder auch zu bestimmten Krankheiten zu bekennen.
    Sowohl beim Thema Homosexualität, beim Thema Aids, Abtreibung, Umgehung des Zölibats oder bei Bekenntnissen zu Ethnien hat sich gezeigt, dass das anfängliche mutige Outing von wenigen Personen, langfristig Umdenkungsprozesse der Mehrheitsgesellschaft voran getrieben hat.
    Der erste schwule Fernseh"star" war noch ein Skandal, die Abtreibungsgeständnisse auf dem legendären "Stern"-Titelblatt ebenso, Marianne Rosenberg ist halt Sinti - na und?, diverse Prominente haben ihr HIV-Positiv-Sein öffentlich gemacht und beim Thema Sucht hilft Prominent-Sein natürlich auch - letztendlich profitieren "Normalos" aber irgendwann auch davon.
    Was die meisten Personen des von mir beschriebenen Personenkreises eint, ist die Erfahrung, dass das Bekenntnis zu seinem Sein, als echte Befreiung empfunden wird - das Versteckspiel hat ein Ende - ich stehe endlich zu dem, was ich bin und was ich lebe!

    Ich selber bezeichne mich seit über sieben Jahren als Alkoholiker - seit dem Zeitpunkt, als ich in die Entgiftung gegangen bin, und das auch öffentlich gemacht habe.
    Ich bezeichne mich als Alkoholiker, weil dieser Begriff ohne "wenn und aber" meine Krankheit beschreibt und zugleich auch ein Symbol dafür ist, dass ich die "Reset"-Taste gedrückt habe.
    Solange ich noch gesoffen habe, wäre mir in Bezug auf mich, dieser Begriff nie über die Lippen gekommen. Heute kann ich damit offensiv umgehen und tue das auch. "Angst fressen Seele auf" ist nicht nur ein genialer Film, sondern auch eine Haltung, die im genauen Gegensatz zu all den positiven Zielen eines Suchtausstieges steht. Reine Suchtfreiheit hat mir nie genügt - sondern ich strebe zusätzlich noch die Freiheit an, mich nicht verstecken zu müssen - aller Mehrheitsmeinung oder (Vor)urteile zum Trotz.
    Auch wenn ich kein straight -edger bin -immerhin rauche ich (noch) - dieser offensiven Umgang mit stoffbezogener Rauschfreiheit imponiert mir, und wer sich so klar und unverstellt positionieren kann, läßt sich auch nicht (mehr) von (Vor)urteilen der Mehrheitsgesellschaft kleinmachen.

    Als "trockener Alkoholiker" habe ich mich übrigens noch nie bezeichnet - zu nah ist mir da die Assoziation von "staubtrocken" = freudlos = lustfern = verbittert = Spaßbremse = ... = ... =
    Dass diese Assoziation auf ganz viele der sich selber so bezeichnenden "tAs" gar nicht zutrifft, ist mir völlig bewußt - leider waren meine ersten SHG-Kontakte der Gestalt, dass ich auf genau solche Menschen getroffen bin -an diesem (Vor)urteil muß ich halt noch arbeiten!

    Beste Grüße
    keppler

  • Guten Morgen!

    Zu dem zu stehen, was man ist oder was man geworden ist, ist tatsächlich eine Befreiung. Und es ist sicherlich auch eine von mehreren Voraussetzungen für erfolgreiche Veränderungen.

    Ich habe das erlebt.

    Ich war ein Alkoholiker. Ich habe Alkohol in großen Mengen vertilgt, obwohl mir klar war, dass ich mich damit physisch und psychisch kaputt mache. Ich habe es trotz dieses Wissens getan, weil ich von mir glaubte, nicht anders handeln zu können. Diese Einschätzung vermittelte mir ein Bild von meiner Person, das ich ziemlich erbärmlich fand. Und diesen erbärmlichen Katro versuchte ich so lange vor anderen zu verstecken, bis ich in mir die innere Gewissheit spürte, dass ich nicht auf immer und ewig dieser erbärmliche Wurm bleiben musste, sondern die Chance und die Fähigkeit zur Veränderung hatte.

    Doch an diesen Punkt muss man und musste auch ich erst einmal gelangen.
    Das stelle ich mir als ziemlich schwierig vor, wenn ich von mir das Bild habe, als Alkoholiker eine arme Wurst zu sein und wenn meine Freunde mir dann auch noch zusätzlich signalisieren, dass sie mich lieber nicht als Alkoholiker sehen möchten. (Weil das in ihren Augen -anders kann ich das in diesem Augenblick nicht interpretieren- eine absolut schreckliche Sache ist)

    Nachdem man den o.g. Punkt erreicht hat, fällt es nicht weiter schwer, sich als Alkoholiker zu outen und dazu zu stehen. Zumindest ging es mir so. In diesem Augenblick verliert nämlich der Alkoholikerbegriff seinen Schrecken, weil ein Richtungswechsel stattfindet. Es geht jetzt nicht mehr länger abwärts, sondern aufwärts. Das, was den Alkoholiker ausmacht, liegt jetzt in der Vergangenheit. Es ist zwar meine Vergangenheit, aber man -und auch ich selbst- bewertet mich nicht an dem, was ich war, sondern an dem, was ich bin.

    Für mich stellt sich deshalb die Frage: Wie kann erreicht werden, dass Menschen, die in den Alkoholismus abgleiten oder bereits abgeglitten sind, möglichst schnell den Punkt erreichen, an dem sie ihre ureigene Chance und Fähigkeit zu Veränderung sehen und somit positiv in die Zukunft blicken können, statt ihre Gegenwart vor anderen zu verstecken zu wollen?

    Katro

  • Lieber katro,

    genau so wie mich einige Deiner Beiträge verstören oder ich mich manchmal sogar provoziert fühle, genau so geschieht es oft, dass ich Deine Beiträge wieder total super und gut finde. So wie jetzt zum Beispiel den obigen. Ich musste das jetzt einfach mal sagen. Und dabei denke ich auch immer wieder an das Zitat von Franz Kafka: "Ein Buch muss sein wie eine Axt (für das gefrorene Meer in uns)."

    Das mit der Definition.... Mit dem "Alkoholiker-Sein" oder "nicht Sein".... Anfangs ist so etwas abschreckend, sich so zu bezeichnen. Für sich selbst vielleicht mehr als für andere. Ich weiß nicht, ob lediglich die AA so viel Wert auf diese Bezeichnung legen. Jedenfalls ist es dort geradezu "Pflicht" am Anfang des mündlichen Beitrages zu sagen: "Ich bin Otto Mustermann und ich bin Alkoholiker." In anderen SHGs stellt man sich nicht so vor.

    Beeindruckt hat mich einmal die Leiterin einer anderen Selbsthilfegruppe (Diakonie). Sie stellte sich immer vor mit: "Ich bin XY. Und ich war alkoholabhängig."

    Das gefällt mir.

    Viele Grüße
    Pingu

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • 44.


    Lieber katro,

    genau so wie mich einige Deiner Beiträge verstören oder ich mich manchmal sogar provoziert fühle, genau so geschieht es oft, dass ich Deine Beiträge wieder total super und gut finde. So wie jetzt zum Beispiel den obigen. Ich musste das jetzt einfach mal sagen.

    Pingu war schneller und/oder kann meine Gedanken lesen :D

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!


  • Ich weiß nicht, ob lediglich die AA so viel Wert auf diese Bezeichnung legen. Jedenfalls ist es dort geradezu "Pflicht" am Anfang des mündlichen Beitrages zu sagen: "Ich bin Otto Mustermann und ich bin Alkoholiker." In anderen SHGs stellt man sich nicht so vor.

    ... und bei den AA's sagen das die Teilnehmer jedesmal, bevor sie etwas anderes sagen (dürfen). Dieses "Ritual" hat mich/uns auch total gestört. In unserer SHG hingegen ist es so, dass sich die Mitglieder nur so vorstellen, wenn jemand neu in die Gruppe kommt und das finde ich auch o.k., da wir ja auch Angehörige in der Gruppe haben und ein neues Mitglied schon erfahren sollte, wer aus welchen Beweggründen an der Gruppe teilnimmt. Übrigens war gestern wieder das erste Mal Gruppe nach den Feiertagen. Wenn ich es heute noch schaffe, schreibe ich mal etwas dazu, weil es gab da ein Thema, was ich gerne mal diskutieren würde.

    Heute ist es für uns mittlerweile etwas normales, alltägliches, dass meine Frau sich als Alkoholikerin bezeichnet, auch wenn sie sich das nun nicht auf die Stirn tätowiert hat, sprich es nicht jedem sofort bei der erst besten Gelegenheit auf die Nase bindet. Aber ich weiß noch, wie lange sie gebraucht hat, bis sie es das erste Mal fertig gebracht hat, sich so zu bezeichnen.

    Lieber nüchtern und lustig, als besoffen und dooooof...

  • Er ist dann eben kein „nasser“, sondern ein „trockener“ Alkoholiker, der sich nach der herrschenden Meinung in Windeseile in einen „nassen“ Alkoholiker zurückverwandeln wird, wenn er nicht konsequent alkoholabstinent lebt

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