Wie kann ich dem "nassen" Alkoholkranken helfen?

  • Hier ein Artikel, den ich vor fast 20 Jahren irgendwo im Internet gefunden habe und für Angehörige wertvolle Tipps enthält.

    Helfen, aber wie?

    Wie kann ich dem "nassen" Alkoholkranken helfen?

    Einem "nassen" alkoholkranken Menschen zu sagen, er soll aufhören zu trinken, ist ebenso unsinnig, wie einem Asthmatiker zu sagen, er solle aufhören zu husten.

    Zunächst sollte Ihnen aber klar sein, dass der Alkoholkranke in jedem, der ihm helfen will einen Gegner sieht, der ihm seinen Alkohol wegnehmen will. Rechnen Sie in jedem Fall mit zum Teil aggressiver Gegenwehr! Erst wenn der Betroffene selbst erkannt hat, dass er ein Alkoholproblem hat, ist er bereit sich helfen zu lassen und etwas zu unternehmen. Diese Einsicht wird aber nur erreicht, wenn der Betroffene an den Folgen seiner Trinkerei mehr leidet, als der Alkoholkonsum ihm andererseits noch Lustgewinn oder Trost verschafft. Erst unter diesem Leidensdruck wird er bereit sein, sich helfen zu lassen.
    Bis zu dieser Erkenntnis des Alkoholkranken haben Sie es in der Angehörigenrolle sehr schwer. Wenn Sie erkannt haben, dass ein Ihnen nahe stehender Mensch ein Alkoholproblem hat, sollten Sie folgende Punkte beachten:


      [li]Suchen Sie für sich selbst eine Beratungshilfe (z.B. Sucht- oder Familienberatungsstelle, Selbsthilfegruppe). Dort können Sie offen über Ihre Probleme sprechen und bekommen fachlichen Rat.[/li]

      [li]Informieren Sie sich über die Alkoholkrankheit! Je mehr Sie über die Krankheit wissen, umso besser können Sie mit ihr umgehen, auch als Angehörige/r.[/li]

      [li]Informieren Sie den behandelnden Arzt des Alkoholkranken über Ihre Beobachtungen und äußern Sie Ihren Verdacht hinsichtlich der Alkohokrankheit. Das hat nichts mit Verrat zu tun, sondern ist eine Möglichkeit, dem Betroffenen zu helfen.[/li]
      [li]Machen Sie keine Vorwürfe mehr, denn der Kranke macht sich diese selbst. Ständige Vorwürfe führen zu Aggressionen und können das Trinken verstärken.[/li]

      [li]Vermeiden Sie es, den Alkoholkranken zu kontrollieren. Das bringt nichts und reibt nur unnötig Ihre Nerven auf. Schlimmstenfalls ruft das Trotzreaktionen seitens des Alkoholkranken hervor. Auch das Zuteilen von gewissen Alkoholmengen ist sinnlos, das führt allenfalls vermehrt zum heimlichen Trinken. Wenn Sie dem Alkoholkranken seinen Stoff entziehen (durch wegschütten oder verstecken), wird er sich neuen Vorrat besorgen und/oder auch sehr aggressiv darauf reagieren.[/li]

      [li]Lügen oder vertuschen Sie nicht! Fehlt der Alkoholkranke beispielsweise bedingt durch seine Trinkerei am Arbeitsplatz oder versäumt er andere Termine, ist das sein Verschulden. Solche "Rettungsaktionen" Ihrerseits machen es dem Süchtigen leicht, weiterzutrinken, da er ja keine unangenehme Erfahrungen durch sein Trinken macht. Er muss selber für solche Ausfälle gerade stehen, das verschärft den Leidensdruck.[/li]

      [li]Versorgen Sie den Alkoholkranken nicht mit Alkohol! Wenn der Betroffene trinken will, muss er selber dafür sorgen! Auch das verschärft unter bestimmten Bedingungen den Leidensdruck enorm, beispielsweise wenn der Betroffene sich nach einem Alkoholexzess sehr schlecht fühlt und das wiederum mit Alkohol bekämpfen will.[/li]

      [li]Auch wenn es schwer fällt, versuchen Sie in allen Situationen sachlich zu bleiben. Finden Sie das richtige Maß - verhalten Sie sich nicht zu nachgiebig, aber auch nicht zu ablehnend. Der Alkoholkranke muss aus Ihrem Verhalten heraus erkennen und spüren, dass er Ihre Unterstützung hat, wenn er etwas gegen seine Krankheit unternimmt.[/li]

      [li]Versuchen Sie Streitsituationen zu vermeiden. Das ist in der Praxis nicht einfach, zumal der Alkoholkranke oft gerade mit dem Streit sucht, der ihm zu helfen versucht. Enttäuschungen und Verletzungen schmerzen sehr, dennoch versuchen Sie mit der Einstellung "Ein Kranker kann mich nicht kränken" zu leben.[/li]

      [li]Viele alkoholkranke Menschen haben bedingt durch ihren Alkoholkonsum finanzielle Probleme. Machen Sie dem Betroffenen bewusst, dass er Schulden hat, jedoch übernehmen Sie diese auf keinen Fall. Das würde sein Fehlverhalten vertuschen und keine Hilfe für den Betroffenen sein, weil er durch seine Alkoholabhängigkeit neue Schulden verursachen wird. Sie selber lassen sich dadurch in diesen Teufelskreis reinziehen.[/li]

      [li]Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen (Kindern, Verwandten, Freunden) sachlich über die Alkoholkrankheit, damit Verständnis und nicht Verachtung für den Alkoholkranken entsteht. Machen Sie den Alkoholkranken nicht zum Sündenbock der Familie, das würde nichts an der Situation ändern.[/li]

      [li]Ist Ihr Lebens- oder Ehepartner der/die Betroffene, dann machen Sie sexuellen Kontakt von Nüchternheit abhängig! Sie vermeiden damit Enttäuschungen und Erniedrigungen.[/li]
      [li]Wenn Sie Schritte androhen, etwas zu unternehmen, seien Sie in Ihrem Handeln konsequent! Ein ständiges Androhen von irgendwelchen Konsequenzen Ihrerseits wird nicht ernst genommen. Wenn der Alkoholkranke keine Konsequenzen zu befürchten hat, wird er sich nicht ändern.[/li]

      [li]Sprechen Sie mit dem Alkoholkranken über die Alkoholkrankheit und Hilfsmöglichkeiten, nur wenn er nüchtern ist oder zumindest einen nüchternen Eindruck macht.[/li]

      [li]Denken Sie bei allem auch an sich selbst. Unternehmen Sie Dinge, die Ihnen Spaß machen (Hobbies, Sport etc.). Üben Sie Gelassenheit durch Entspannungsmethoden oder autogenes Training.[/li]

      [li]Wenn Ihr trinkender Partner nicht einsichtig wird und sich die Situation immer weiter verschärft, machen Sie Ihre Trennungsabsicht deutlich (z.B. nachdrücklich durch einen Anwalt). Weisen Sie darauf hin, dass Sie bei Ihrem Partner bleiben werden, wenn er Hilfe annimmt und sich behandeln lässt. Auch hier ist Konsequenz wichtig und notwendig, denn ständiges Drohen wird nicht ernst genommen.[/li]

    Viele Grüße
    Henri

  • Guten Morgen Henri,

    danke für den aufschlussreichen Beitrag!

    Ich würde gern, da es gerade zum Thema passt, meine Situation unter diesem thread schildern.

    Vor einigen Wochen hatte ich mit dem Beitrag - letzter Ausweg Mutter anzeigen?! - versucht einen Schritt zu gehen, um eben diesen Leidensdruck zu erschaffen. Ich habe mich dann doch gegen die Variante des Anzeigens entschieden, da ich denke, es würde nicht viel bringen.

    Meine Mutter hatte letzte Woche Geburtstag, woraufhin ich ihr eine Karte geschrieben habe. Unser letzter Kontakt war im April und endete mit Streit. Deshalb wollte ich ihr nochmal ganz eindeutig schreiben, warum momentan kein Kontakt besteht - dass ich eben nicht eingeschnappt oder sonstwas bin, sondern es einzig und allein an ihrem Trinkverhalten liegt.

    Darauf hin schrieb ich ihr folgendes:

    "Liebe Mama,
    wir wünschen dir von Herzen alles Liebe zu deinem Geburtstag.Vor allem wünsche ich mir & dir, dass du einen Weg aus deiner Krankheit finden willst. - für dich selbst und auch für uns. Denn mit Alkohol als deinen ständigen Begleiter bleibt kein Platz für uns. Ich hoffe, du verstehst das irgendwann und meldest dich, wenn du dazu bereit bist.
    Bis dahin umarm ich dich."

    Die Karte war ich zusammen mit einem eingerhmten Bild meiner Tochter in ihren Briefkasten.

    Von Ihr kam eine WhatsApp zurück:

    "Hallo mein Kind,
    entsetzt habe ich deine Geburtstagsnachricht erhalten. Ich wünschte, du hättest mich vergessen. Deine Entscheidung und die genannte Begründung muss ich annehmen, aber nicht bestätigen?! Ich wünsche dir, deinem Lebenspartner und meiner Lena alles erdenklich Gute. Solltest du deine Ansicht ändern, weißt du, wo ich bin."

    Ich stehe zu meinen Worten und meiner Entscheidung, aber das hat trotzdem gesessen und mir gehts damit ganz schön schlecht. Hat jemand vielleicht ein paar Tipps, wie man am besten damit umgehen kann? Ich habe bisher nicht darauf geantwortet.

    Viele liebe Grüße

    chillymilly

  • Guten Morgen Chillymilly,

    Ich hab Dir ja schon wegen dem Autofahren mal geschrieben. Gibt wohl mehr Parallelen.

    Formal ist es ihr Recht. Eltern dürfen ihre erwachsenen Kinder aus ihrem Leben heraus halten. Sind keine Rechenschaft schuldig.

    Ich habe das akzeptiert - andererseits habe ich selbst von meinem Vater ja auch verlangt, dass er sich aus meinem Leben heraushält.
    Das war nur in der Schlussphase seines Lebens so, als er zunehmend hilflos wurde und alleine nichts mehr machen konnte, dass ich mich da überhaupt eingemischt habe.

    Und wenn ich das nicht mindestens 30 Jahre lang akzeptiert hätte, dass er macht was er will, und ihn selbst dann, als es wirklich schon eng wurde, nicht noch ganz vorsichtig gefragt hätte, ob er wirklich freiwillig in diesem Elend leben will (denn früher war er trotz Trinkerei absolut auf seine Erscheinung und ein tip top in Schuss gehaltenes Haus bedacht), dann wäre ich in der Schlussphase genau so wenig an ihn herangekommen wie z.B. seine Geschwister. Die hat er einfach raus geschmissen, wenn sie ihm reinreden wollten, und das konnte er noch sehr lange.

    Das ist halt nun mal so.

    Gruß Susanne

  • Liebe Chillymilly,

    das alte, wohlbekannte, sehr schmerzhafte „Spiel“ – oder noch deutlicher ausgedrückt: die Manipulation – von Suchtkranken, das leider die Angehörigen und liebenden Familienmitglieder in tiefe Selbstzweifel stürzt. Oder stürzen soll?

    Hätte mir mein Sohn seinerzeit in meinem nassen Denken und Leben so eine Karte geschickt, wie Du sie jetzt Deiner Mama geschickt hast, ich hätte vermutlich sehr ähnlich wie sie reagiert.
    Ich hätte „den schwarzen Peter zurückgegeben“.
    Leider erwarten Angehörige und Freunde von nassen Alkoholikern immer, dass sie in der Lage sind, Einsicht in ihre Sucht zu zeigen. Dass sie sich zu ihrer Sucht bekennen, und sich ihre Hilflosigkeit und ihr Ausgeliefertsein in die Sucht eingestehen.
    An anderer Stelle hier im Forum wird u. a über „das berühmt berüchtigte Klick“ geschrieben. Also der Zeitpunkt, wann ein vollständiges Erkennen, und dann die Umkehr zum Stillstand der Sucht möglich ist.

    Die Sucht ist eine unglaubliche Macht. Solange sie dominierend über den Suchtkranken herrscht, herrscht keine Fähigkeit einer rationalen, verstandesmäßigen Einsicht. Es ist nicht so, dass ein Suchtkranker das nicht sehen „will“. Er kann es nicht!
    Das ist, als würde man zu einem Blinden tadelnd sagen: „Ja, siehst du denn nicht!“

    Du hast eine klare, konsequente Haltung für Dich (und Deine Familie) gefunden. Dazu möchte ich Dich beglückwünschen! Du hast in liebenden Worten zum Ausdruck gebracht, wie es Dir mit der Sucht Deiner Mama ergeht, und dass Du sie nicht mittragen kannst. Du hast ihr aber auch das Versprechen gegeben, für sie dazu sein, wenn sie die Bereitschaft hat, etwas daran verändern zu wollen.

    Als betroffener Alkoholiker schreibe ich Dir meine eigenen Erfahrungen. In meiner nassen Zeit, ohne jegliche Einsicht und ohne Erkennen, dass ich ein Gefangener meiner Sucht war, meinte ich die „Freunde“ um mich herum, die sich stets davor drückten mir ihren klaren Standpunkt zu meiner Sucht ins Gesicht zu sagen, wären meine „wahren Freunde“. Und alle die, die mir direkt, konsequent und ungeschminkt den Spiegel vorhielten, waren meine Feinde, die mir nur Böses wollten.
    Als ich meine Sucht zum Stillstand bringen konnte, erkannte ich plötzlich, wie verdreht und falsch ich eingeschätzt hatte, wer es wirklich gut, und wer es zwar nicht schlecht mit mir gemeint hatte, aber wem ich im Grunde genommen egal war.

    Ich kann Dir nur die Empfehlung mit auf den Weg geben, wegen „des schlechten Gefühls“, das Du jetzt hast, auch mal in eine reale Angehörigen-Selbsthilfegruppe zu gehen, um von anderen Angehörigen zu erfahren, wie sie damit umgehen.
    Antworten würde ich auf die WhatsApp-Nachricht nicht, weil ja alles gesagt wurde, was es zu sagen gab. Jede weitere Fortsetzung würde Dich noch mehr in die Sucht Deiner Mama verstricken, und mit hoher Wahrscheinlichkeit den Zwiespalt in Dir nur noch größer werden lassen.


  • Hat jemand vielleicht ein paar Tipps, wie man am besten damit umgehen kann?
    Ich habe bisher nicht darauf geantwortet.


    Hallo Chillymilly,

    ich bin selbst Angehörige (Tochter) und habe meiner Mutter zu ihrer aktiven Suchtzeit
    ebenfalls mal einen Brief geschrieben, um zumindest selbst meine Position zu klären.
    (Dass ich ihre Sucht sehe, dass ich unter dem emotionalen nicht-Kontakt leide, und
    dass ich mir Sorgen um ihre Gesundheit mache, und dass es Hilfsangebote für sie gibt.
    Ich habe sogar von meiner Erfahrung mit Gruppen erzählt, um gar nicht erst Scham
    aufkommen zu lassen, oder den Verdacht, ich hielte mich für überlegen/problemlos.)
    Dazu legte ich entsprechende Broschüren von der Suchtstelle, alles ganz formal und real.

    Auch ich empfand ihre Antwort - ein dickes Kuvert (Broschüren) mit einem Zweizeiler -
    wie einen Schlag in die Magengrube: "Ich habe keine Verwendung dafür" (Unterlagen).
    Meinen Brief behielt sie immerhin.

    ... auch mir blieb nichts anderes übrig, als für mich festzuhalten: ICH habe alles mir mög-
    liche getan, um ihr zu signalisieren, dass ich da bin, wenn sie sich helfen lassen möchte.

    Der Schmerz, trotz wirklich offener Worte - auch über mich, meine Gefühle und eigenen
    Erfahrungen mit Machtlosigkeit und Lernprozessen, dass ich dafür Menschen brauchte -
    so GAR NICHT AN SIE HERANZUKOMMEN, war trotzdem da und einfach nicht zu lösen.
    Das ist ohne Frage eine harte Erfahrung als Kind.

    Also blieb ich auf Abstand. (Inzwischen trinkt sie nicht mehr, weil sie ihre medizinische
    Behandlung nicht gefährden will. Das war nicht abzusehen, freut mich aber als Tochter.)

    Ich wünsche Dir Mut und Klarheit, weiterhin auf einem FÜR DICH guten Kurs zu bleiben.
    Selbsthilfegruppen wurden Dir hier ja schon mehrfach ans Herz gelegt. :)

    Ganz herzliche Grüße
    Wolfsfrau

  • Danke für eure Antworten, damit gehts mir auf jeden Fall schon besser.

    Schlimm ist für mich auch, dass sie es immer schafft den Spieß umzudrehen und ich fühl mich, wie ein Verbrecher. Und von Seiten meiner Familie wird das nur noch verstärkt. Meine Oma hat überhaupt kein Einsehen und meint nur, ich muss über meinen Schatten springen. Meine Mutter hat schließlich immer alles für mich getan, also muss ich das als Kind jetzt quasi hinnehmen und von Alkohol will sie sowieso garnichts wissen. Meine Tante genau das gleiche. Ich warte schon auf den Anruf und die Standpauke, dafür dass ich an ihrem Geburtstag nicht da war. Wie auch immer meine Mutter es dargestellt hat.

    Der Einzige, der ihr Problem sieht, ist ihr Freund, der mich regelmäßig um Hilfe bittet und dann doch aus drückendem Gewissen wieder einknickt. Ich bin mir auch ganz sicher, dass er - was meinen Brief betrifft - wieder gute Miene zu bösem Spiel gemacht hat und so tat, als wüsste er von nichts.

    Was ich aus der Antwort meiner Mutter auf alle Fälle rauslese, ist dass sie meinen Freund jetzt als Übeltäter sieht. der mich beeinflusst und uns auseinander bringen will. Er hat von meiner Entscheidung und alledem garnichts gewusst, aber ich kenne ihre paranoide Denkweise und die Suche nach einem Schuldigen.

    Ich war jetzt auch schon 2 mal zur Suchberatung, hab sogar den Freund meiner Mutter überredet, mitzugehen. Ich denke, er versteht trotzdem nicht, wie er mit seinem Verhalten ihr co-abhängiges Umfeld immer weiter aufrecht erhält.

    Mein nächster Beartungstermin ist leider erst in 2 Wochen, deshalb schreibe ich heute. Bin innerlich sehr aufgewühlt durch die Geschehnisse und brauchte ein bisschen Aufbau und Verständnis ;)

    Danke dafür! :)

  • Ich schreib hier mal noch einen kurzen Abschnitt, der zu dem Thema von Chillymilly genau so gut wie zu den ganzen Thema passt.

    Als ich richtig "drauf" war, habe ich für mich ein "Recht auf Selbstzerstörung" reklamiert. Ich war ganz klar der Meinung, ich muss nicht leben wollen, nur weil andere das richtig fänden. Und ich war (bin) der Meinung, es ist mein Leben, damit kann ich machen, was ich will - obs den "Anderen" gefällt oder nicht. Zum Teil hätte ich möglicherweise gegen aufdringliche "helfen-woller" zur Waffe gegriffen, wenn die Strafandrohung nicht so hoch gewesen wäre. Rechtfertigen müsste ich das höchstens, wenn mir nach dem Ableben jemand begegnen würde, der mir das Leben geschenkt hat und das lasse ich auf mich zukommen. Na ja, und geschenkt ist geschenkt, oder?

    Es gab genügend Leute, die mich gegen meinen Willen "retten" wollten, und es hatte nicht nur damit zu tun, dass ich wegen Sucht nicht zur Einsicht fähig gewesen wäre, sondern das war schlicht und einfach übergriffig. Ich verstehe auch nicht ganz, warum Abhängige sich so darum reißen, dafür die "Schuld" auf sich nehmen zu wollen, dass sie auch nur ihr Recht auf ihr Leben ausgelebt haben. Was anderes ist es, wenn ich durch mein Verhalten - Strassenverkehr, Gewalt - andere tatsächlich gefährde. Und Erwachsene Kinder von Alkoholikern, so wie ich es auf der anderen Seite auch bin, sind auch für ihr eigenes Wohlergehen selbst verantwortlich, ich sehe nicht, wo man als erwachsenes Kind eines Abhängigen den moralischen Anspruch hernehmen könnte, von seinen Eltern eine Änderung zu erwarten oder das Recht ableiten könnte, in deren Leben einzugreifen.

    Ich finde z.T - und das darf ich sagen, da ich selbst Anteile davon habe - dass spätere Angehörige von Abhängigen oft Menschen sind, die etwas besitzergreifend und kontrollierend sind. Und sie suchen sich oft Partner, die ihnen irgendwann den Anlass dazu liefern, kontrollieren zu dürfen (gebraucht zu werden). Ich glaube, Vollbluthelfersyndromiker riechen diese Chance schon von weitem. Und dass diese Ansicht nicht nur verrückt ist, zeigen Altenpfleger wie Nils Högel, der für seinen Ruf als "Retter" eine sehr hohe Zahl an ihm Anvertrauten umgebracht hat. Und auf einem viel niedrigeren Level habe ich das selbst so erlebt, deswegen wird ja nicht darauf eingegangen, ob der Andere die Hilfe wirklich will, sondern es wird versucht, sie ihm aufzuzwingen, auch gegen seinen erklärten Willen.

    Das ist natürlich nicht überall so und es wäre sicherlich völlig falsch, jedem Angehörigen zu unterstellen, das er vornehmlich vom Kontrollwahn getrieben ist. Aber dieses Phänomen gibt es und es wäre auch falsch, nur jedem Suchtkranken alleine zu unterstellen, dass der Ganze Mist nur auf dem Boden der Sucht gewachsen wäre. Es gehören auch in Suchtbeziehungen immer beide Seiten dazu.

    Jedenfalls hat vieles davon mit "Hilfe" für mich gar nichts zu tun, sondern es ist einfach ein bequemer Grund, den Anderen zu gängeln.

    Wird nicht viel Zustimmung erhalten, ist trotzdem meine Meinung.

    Gruß Susanne


  • Die Sucht ist eine unglaubliche Macht. Solange sie dominierend über den Suchtkranken herrscht, herrscht keine Fähigkeit einer rationalen, verstandesmäßigen Einsicht. Es ist nicht so, dass ein Suchtkranker das nicht sehen „will“. Er kann es nicht!
    Das ist, als würde man zu einem Blinden tadelnd sagen: „Ja, siehst du denn nicht!“
    ...
    Als betroffener Alkoholiker schreibe ich Dir meine eigenen Erfahrungen. In meiner nassen Zeit, ohne jegliche Einsicht und ohne Erkennen, dass ich ein Gefangener meiner Sucht war, meinte ich die „Freunde“ um mich herum, die sich stets davor drückten mir ihren klaren Standpunkt zu meiner Sucht ins Gesicht zu sagen, wären meine „wahren Freunde“. Und alle die, die mir direkt, konsequent und ungeschminkt den Spiegel vorhielten, waren meine Feinde, die mir nur Böses wollten.
    Als ich meine Sucht zum Stillstand bringen konnte, erkannte ich plötzlich, wie verdreht und falsch ich eingeschätzt hatte, wer es wirklich gut, und wer es zwar nicht schlecht mit mir gemeint hatte, aber wem ich im Grunde genommen egal war.

    Um es kurz zu machen: Das sind 1:1 meine Erfahrungen und Gedanken!

    Und aus vielen Gesprächen weiß ich, nicht nur meine/Dietmars Erfahrungen. Leider ;(

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Susanne,

    ganz ehrlich, ist aber nur meine Meinung: Ich glaube nicht, dass Du wirklich weißt und verstanden hast, was Co-Abhängigkeit ist. ;)

    Aus Chillymillys Geschichte geht hervor, dass sie seit langem fast keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter pflegt, und überhaupt keine Kontrolle über deren Leben ausüben will.
    Von "Gängelei" kann da überhaupt nicht die Rede sein.
    Auch die anderen Schlussfolgerungen - bezogen auf Chillymillys Geschichte, sind hanebüchen und lesen sich, wie Angriffe auf Angehörige, wie sie erst vor geraumer Zeit hier aufgetaucht sind.


  • Wird nicht viel Zustimmung erhalten, ist trotzdem meine Meinung.

    ich liebe es, wenn ich recht behalte.


    lieber Dietmar,

    War nur ein Scherz. Es gibt für mich überhaupt keinen Grund, warum wie einer Meinung sein müssten
    Und Du schreibst sicher viele gute Beiträge hier und hilfst vielen Leuten, dennoch bist Du für mich nicht der alleinige Inhaber der Wahrheit.
    Ich bilde mir aber auch nicht ein, dass ich fehlerlos bin.

    Das tritt sich fest.

    Gruß Susanne

  • Also, ...


    Ich finde z.T - und das darf ich sagen, da ich selbst Anteile davon habe - dass spätere
    Angehörige von Abhängigen oft Menschen sind, die etwas besitzergreifend und kontrollierend sind.
    Und sie suchen sich oft Partner, die ihnen irgendwann den Anlass dazu liefern, kontrollieren zu dürfen
    (gebraucht zu werden).

    ... ich finde, das trifft so absolut AUCH zu. Es gibt so viele Konstellationen, in denen es "chic" ist,
    sich über den ausschweifenden, maßlosen oder unbeherrschten Lebensstil eines Nahestehenden
    aufzuregen, dass der Aufreger damit mächtig Mitleids-Punkte sammeln kann. Oder seinerseits
    große Bestätigung aus der "Anteilnahme" der schockierten Außenstehenden bezieht.

    Damit geht ein Sprachstil einher, der mehr "über" das Problem (den Menschen!) kommuniziert,
    als MIT ihm. Das ist sogar in co-abhängig sortierten Familien oft schon so und hält viele Süchtige
    IN ihrer Abhängigkeit fest. So ein Mensch kann es kaum schaffen, zu zeigen, was er SELBST
    will, leisten kann, fühlt oder denkt. Weil ja alle schon "wissen", DASS er ... Probleme hat, eine
    Zumutung für die anderen ist, jemand, der es allein nicht schaffen würde, oder sonstiges.

    Vielleicht wäre so eine Konstellation dann besser unterm Begriff "Sündenbock" aufgehoben.
    Ich stimme aber absolut zu, dass Co-Abhängigkeit durchaus eine Linderung für den Besorgten
    darstellen kann, wenn der sich dann nämlich geschützt weiß davor, seine eigenen Unzulänglich-
    keiten (und die Scham, die stattdessen dem Süchtigen überschrieben wird) aushalten zu müssen.

    - das ist ein ziemlich weites Feld und man muss ganz sicher unterscheiden zwischen "freiwillig"
    Beteiligten ("späteren Angehörigen" / Partnerwahl bei schon bestehender und erkennbarer Sucht)
    und den "unfreiwillig" Beteiligten (Kinder, oder Partnerschaft, wo die Sucht gerade erst entsteht ...).

    Sorry, wollte den Faden nicht schreddern. Vielleicht kann das Thema / die Debatte ja anderswo
    hin verlegt werden... ?

    Liebe Grüße und Danke für den Input!
    Wolfsfrau

  • Ich kenne das eher andersherum, aus dem ländlichen Umfeld.

    Der Klassiker: Die Ehefrau wird immer verbitterter und verbitterter, weil sie so leben muss, das Geld zusammenhalten muss und sich um alles kümmern muss und nichts dagegen hilft und am Ende hieß es dann im Dorf:

    Der sowieso säuft... Na, kein Wunder bei der Frau.

    Der Trinker, wenn er nicht aggressiv ist wird ja eher als fröhlicher, schwacher Mensch gesehen, der eher etwas bemitleidenswert ist.

    So was ist schlimm und drängt die Menschen immer mehr in die Isolation.

    Ich habe noch nie gehört, dass jemand gelobt wird und bemitleidet wird als Angehöriger. Eher werden die Angehörigen kritisch beäugt, entweder, weil sie ja evt. Schuld sind, oder weil man ungläubig und ohne jedes Verständnis guckt und nicht verstehen kann, warum sich jemand so was antut. Und seinen Kindern auch noch...

    Die Angehörigen haben es nicht leicht!

    Viele Grüße, <br />Risu

  • [quote='Susanne68','https://alkoholforum.de/forum/index.ph…32370#post32370']

    Als ich richtig "drauf" war, habe ich für mich ein "Recht auf Selbstzerstörung" reklamiert. Ich war ganz klar der Meinung, ich muss nicht leben wollen, nur weil andere das richtig fänden. Und ich war (bin) der Meinung, es ist mein Leben, damit kann ich machen, was ich will - obs den "Anderen" gefällt oder nicht. Zum Teil hätte ich möglicherweise gegen aufdringliche "helfen-woller" zur Waffe gegriffen, wenn die Strafandrohung nicht so hoch gewesen wäre.

    Ich denke, hier geht es um zweierlei Dinge, die man schon voneinander differenzieren muss.

    Wer angibt, sein Recht auf Selbtzerstörung in Anspruch zu nehmen und jene, die sich ihm dabei in den Weg stellen diffamiert und ihnen am liebsten mit Waffengewalt begegnen würde, der führt meiner Meinung nach kein freies und selbstbestimmtes Leben, sondern wird bloß durch seine Sucht gesteuert. Das ist für mich alles andere als frei und hat mit geistiger Gesundheit bzw. im weiteren Sinne auch Zurechnungsfähigkeit nichts mehr zutun.

  • entschuldigt die Schreibweise - hab die Zitierfunktion noch nicht ganz raus nixweiss0 :D

    zum zweiten....

    Ich finde z.T - und das darf ich sagen, da ich selbst Anteile davon habe - dass spätere Angehörige von Abhängigen oft Menschen sind, die etwas besitzergreifend und kontrollierend sind. Und sie suchen sich oft Partner, die ihnen irgendwann den Anlass dazu liefern, kontrollieren zu dürfen (gebraucht zu werden). Ich glaube, Vollbluthelfersyndromiker riechen diese Chance schon von weitem. Und dass diese Ansicht nicht nur verrückt ist, zeigen Altenpfleger wie Nils Högel, der für seinen Ruf als "Retter" eine sehr hohe Zahl an ihm Anvertrauten umgebracht hat.

    Das mag schon sein, dass es solche Phänomene gibt. Dass aus dem angelernten Muster, alles kontrollieren zu müssen, irgendwann ein "alles kontrollieren wollen" wird. Sicherlich wird es solche Fälle geben und man liest ja auch häufig, dass sich EKAs auch später in co- abhänngige Beziehungen stürzen.

    Was das beides jedoch jetzt mit meinem Beitrag zutun hat versteh ich wirklich nicht ganz.

    Ich zwinge meiner Mutter ganz sicher nichts auf. Im Gegenteil - ich lass ihr die Freiheit, ihr Leben genau so zu gestalten, wie sie es für richtig hält. Ich wollte lediglich klarstellen, warum ich mich distanziere, auch wenn das wahrscheinlich nie zu ihr durchdringen wird. Aber auch dafür bin ich nicht verantwortlich.

  • Ich hab zwar im internen Bereich schon geschrieben, dass ich mich für ein paar Tage verabschiede, aber ich glaube, ich sollte noch was nachschieben.


    Ich schreib hier mal noch einen kurzen Abschnitt, der zu dem Thema von Chillymilly genau so gut wie zu den ganzen Thema passt.

    damit meine ich in meiner Lesart, das manche Teile auf Chillymilly und manche auf das Gesamtthema passen könnten.
    Du musst Dir nicht jeden Schuh anziehen, den ich Dir hinstelle, Chillymilly. Zum Teil bist Du gar nicht gemeint und ich dachte, das sei bei Deiner Geschichte und dem was ich geschrieben habe, selbstverständlich - kann ja gar nicht alles auf Dich gemünzt sein.

    Und dass es nicht gesund war, was ich damals gemacht habe, würde ich nie abstreiten. Ändert aber nichts daran, dass ich das durfte und dass mir niemand reinzureden hatte. Ich hätte und habe (gab es weil jemand meinte, man müsste mich davon abbringen) jede Befragung wegen meines Geisteszustands mühelos bestanden und war daher für mein Tun voll selbst verantwortlich.

    Bis demnächst, kann ein paar Tage dauern.

  • Ok, dann eine schöne Zeit!

    Und vergiss deine Schuhe nicht, mir passen sie leider nicht ;)

  • Liebe Risu,
    liebe Chillymilly,

    ich denke, dass in der jetzt entstandenen Diskussion einiges vermischt wird, was bei einer Suchtproblematik/Co-Abhängigkeit eine Rolle spielen kann, aber nicht muss.
    Die hier angesprochenen Wesens- und Charakterzüge, wie dominantes oder kontrollierendes Verhalten in einer Beziehung ist m. E. primär ein Persönlichkeitsproblem, das mit und ohne Sucht zum Tragen kommen kann.

    Ich will das mal ganz drastisch auf meine Art verdeutlichen: Ein A … bleibt ein A…, ob es säuft oder nicht säuft.

    Bei Dir Chillymilly ging es meiner Lesart nach vor allem darum, dass Du Dich – nach der Antwort Deiner Mama – schlecht fühlst, weil Du (die immer wieder empfohlene) Vorgehensweise der Distanzierung gewählt hast.
    Das Problem und Dilemma von Angehörigen ist ja leider oft, dass sie – wie jetzt auch hier im Thread versucht wurde – auf die Manipulationen der Suchtkranken hereinfallen.
    „Du bis schuld, weil ich trinken muss“ – „Bei so einer Frau muss man ja trinken“ – „Ich habe kein Problem mit dem Alkohol, und wenn Du Dich von mir distanzierst, und mich meine Enkelin nicht sehen lässt, dann bist Du schuld daran“ … usw.

    All das, zusammen mit der aggressiven Verleugnung des Suchtproblems führt dazu, dass Angehörige oft ihren eigenen Wahrnehmung und ihrem Gefühl, was gut und richtig für sie ist, nicht mehr vertrauen. Sie leben dann in permanentem Selbstzweifel – und ziehen immer wieder in Betracht, ob sie nicht „vielleicht doch Schuld an dem Saufen des Alkoholikers haben“.
    Ich bin der Meinung, wie ich das schon schrieb, dass Du alles richtig gemacht hast. Jetzt geht’s darum, dass Du Deine Gefühle wieder „normalisierst“ (im Hinblick auf Dein Schuldgefühl gegenüber Deiner Mama).

  • Ich bin der Meinung, wie ich das schon schrieb, dass Du alles richtig gemacht hast. Jetzt geht’s darum, dass Du Deine Gefühle wieder „normalisierst“ (im Hinblick auf Dein Schuldgefühl gegenüber Deiner Mama).

    Neulich hast Du mir mit dem Argument, dass jemand, dem es schlecht geht, ja definitiv nicht alles richtig gemacht haben kann, noch massiv widersprochen, als ich genau das zu jemand schrub, nämlich "kein Fehler".

    Ja, ich bin dann wirklich ein paar Tage weg ;)

  • Der Unterschied ist, dass es mir nicht auf Grund meiner Entscheidung schlecht geht, sondern mich die Worte meiner Mutter schlichtweg verletzen. Mit der Entscheidung kann ich leben, die war sowieso schon längst getroffen.

    Danke für deine Worte Dietmar, das hilft mir wirklich sehr. Manchmal reicht schon ein kleiner Zuspruch, der einem ein bisschen den Rücken stärkt und sagt, dass man nicht völlig verrückt ist ;)

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