In einem weiteren Thread wird die Frage erörtert, ob KT oder „kontrolliertes Trinken“ eine besondere Therapie sei. Das kann ich nicht bestätigen, denn bei mir kommen Eigenheiten ins Spiel, die nicht für jeden gelten. Deshalb möchte ich mich vorstellen und erzählen, wie ich den Umgang mit Alkohol erlebte.
Ich bin 62 Jahre alt, arbeitslos und einsam. Hier gibt es niemand, der mich vom Trinken abhalten könnte, und deshalb hatte ich jegliches Maß verloren. Auf meine Sucht wurde ich erst durch Entzugserscheinungen aufmerksam, wobei ich bereits körperlich abhängig war. Ohne Alkohol litt ich unter nervösen Zuckungen und manchmal zitterten mir die Hände. Es gab eine Reihe von Dingen, die ich erst unter Alkohol tun konnte. So brauchte ich erst ein gewisses Quantum, um vernünftig schreiben zu können. (Jetzt schreibe ich nüchtern). Das ging mir gewaltig auf den Keks! Übrigens besitze ich kein Auto und das ist auch gut so. Mit Alkohol darf ich nicht fahren und unter Entzug könnte ich nicht fahren. Nur um meine Sucht zu befriedigen, mußte ich täglich zum Supermarkt gehen, und das bei jedem Wetter. (Bei Sturm und Regen kostet das schon einiges an Überwindung).
Eines Tages wurde mir das zu dumm, und ich entschloß mich aus eigener Initiative zu einer Entgiftung. Zunächst nahm ich mit der Suchtberatung Kontakt auf und dort wurde mir eine nahegelegene Klinik empfohlen. Bis zu meiner Aufnahme brauchte ich noch eine Überweisung vom Hausarzt. Dem Arzt schilderte ich meine Symptome, wobei jeder Mediziner wohl weiß, was ich damit meine. Sofort hatte ich die Überweisung und machte mit der Klinik einen Termin aus. Auf der Suchtstation wurde ich von der ersten Minute an trocken gestellt, denn der Bezug von Alkohol ist praktisch ausgeschlossen. Gegen Entzug helfen Medikamente, die bei mir teilweise wirkten. (Ich wurde mit Oxocepan behandelt). Meine Hände hörten auf zu zittern. Schon am nächsten Morgen konnte ich die Kaffeetasse wieder mit einer Hand halten, während ich vorher beide Hände dazu brauchte.
Dafür wurde eine zweite Krankheit diagnostiziert, von der ich bisher nichts wusste. Das nennt sich Polyneuropathie und bedeutet, daß einige Nerven beschädigt sind. Die Folgen sind individuell unterschiedlich, je nachdem welcher Nerv betroffen ist. Bei mir haben die Nerven im linken Bein gelitten und die Folge sind Gangstörungen. Beim Gehen oder Stehen fühle ich mich wie auf einem schwankenden Schiff. Das ist nicht einmal unangenehm, doch dafür aber riskant. Schon mehrere Male hatte ich das Gleichgewicht verloren und war gestürzt. Also habe ich Angst, daß mir das wieder passieren könnte.
Als ich noch trank, hatte ich die Symptome völlig falsch eingeordnet. Morgens schlotterten mir die Knie und ich hielt das für eine Entzugserscheinung. Dann trinke ich nur im Sitzen und da macht sich die Krankheit nicht bemerkbar. Als ich danach aufstand, geriet ich schon ins Schwanken, doch das hielt ich für die Folge von Trunkenheit. Heute weiß ich, das diese Symptome nichts mit Alkohol zu tun haben. Also sind es keine Entzugserscheinungen, die durch Alkohol vergehen.
Nachdem ich die Entgiftung hinter mir hatte, blieb ich vier Monate lang trocken. Zum Selbstversuch bewog mich mein Unglaube und meine kritische Neugier. Über den Rückfall hörte ich die wildesten Geschichten, die ich nicht auf mich beziehe. Angeblich gehen da irgendwelche Rezeptoren an, welche den Menschen dazu zwingen, bis zum bitteren Ende zu trinken. (Auf der Suchtstation gab es einen Patienten, der nach eigenen Angaben 92 Stunden am Stück getrunken hatte. Das könnte ich gar nicht, denn zwischenzeitlich muss ich auch mal essen und schlafen).
Mein Selbstversuch sah dann so aus: Gegen 22 Uhr suchte ich mir bei YouTube ein schönes Musikvideo aus, das ich gerne höre. Dazu schenkte ich mir einen kleinen Schnaps ein. Ich trinke sehr langsam. (Im Gegensatz zu anderen kann ich nicht auf Ex kippen, denn davon wird mir schlecht). Gegen 23 Uhr meldete sich der Hunger. Ich kochte noch ein leckeres Essen und danach wurde ich müde. Um Mitternacht legte ich mich dann schlafen. Ich verbrachte eine ruhige Nacht und das war’s dann. Heute habe ich noch keinen Alkohol zu mir genommen. (Ja „trinken“ schon, aber in dem Sinne, dass ich gerne auch Tee trinke). Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich heute abend wieder trinken möchte. (Im Supermarkt hatten sie gerade weißen Rum im Sonderangebot und davon habe mal ich eine Flasche mitgenommen. Auch wenn ich heute nicht will, dann kann die Flasche ruhig stehenbleiben).
Darauf will ich hinaus: Alkohol jagt mir keinen Schrecken mehr ein. Es ist eine andere Frage, ob KT soviel bringt. Ich möchte das mal so sagen: In Gesellschaft trinke ich gerne das, was andere auch trinken, und das muss nicht immer alkoholfrei sein. Außerdem habe ich für November eine Reise an die Algarve gebucht. Dort gehört der Tischwein quasi zur Kultur. (Also ein portugiesisches Essen ohne „Vinho verde“ kann ich mir schwer vorstellen. Nur in Deutschland gibt es keinen „Vinho verde“ und ersatzweise hatte ich meine Verträglichkeit mit Rum getestet).
Nun bin ich gespannt auf Eure Kommentare.