Liegt es am fehlenden Willen, an der magelnden Ernstlichkeit des Unterfangens oder betrifft die Qualmerei einfach eine komplexere Sucht als die Flasche?
Nach allem, was ich diesbezüglich inzwischen an Fachliteratur, an Erfahrungsberichten gelesen habe und durch meine eigenen Rückfälle zur Qualmerei am eigenen Leib erfahren habe, liegt es wohl nicht daran, dass die Qualmerei eine komplexere Sucht wäre als die Flasche.
Zwar hat Nikotin offenbar ein höheres Abhängigkeitspotential, aber das bedeutet letztlich nur, dass du erheblich schneller von Nikotin abhängig werden kannst als von Alkohol.
Umgekehrt wirkt Alkohol offenbar viel tiefer auf die Neurochemie und -biologie des Gehirns und des Körpers allgemein ein als Nikotin das tut.
Die diversen Erfahrungsberichte enthalten völlig unterschiedliche Erfahrungen. Den einen fällt der Ausstieg aus der Qualmerei verhältnismäßig leicht und sie bleiben problemlos rauchfrei, dafür kämpfen sie aber sehr beim Ausstieg vom Alkohol und werden schlimmstenfalls rückfällig. Den anderen fällt der Ausstieg vom Alkohol verhältnismäßig leicht und sie bleiben mehr oder minder problemlos abstinent, dafür kämpfen sie aber beim Ausstieg aus der Qualmerei und haben u.U. auch mit Rückfällen zu tun.
Ich zum Beispiel muß mich offenbar zur zweiten Kategorie zählen… :rotwerd:
Nach meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen liegt es auch nicht am fehlenden Willen oder einer magelnden Ernstlichkeit des Unterfangens.
Als ich zum Beispiel die Erkenntnis, wohin ich mit meinem Alkoholkonsum auf dem Weg war, zuließ und ich tatsächlich offen dafür wurde, dass ein abstinentes Leben erstrebenswert werden könnte (zufriedene Abstinenz), war der Ausstieg gar nicht sooooo schwer. Mein damaliger Faden hier zeugt davon.
Was das Rauchen betrifft, so habe ich schon eine Ewigkeit klar vor Augen, was das in meinem Körper anrichtet und meine etlichen Unterfangen, damit aufzuhören, waren zweifellos immer sehr ernstlich und ich habe sehr, sehr viel Energie darein investiert, von dieser Sucht wegzukommen. Und wenn ich‘s geschafft hatte, hatte ich stets die feste Überzeugung und den Willen, nie wieder mit der Qualmerei anzufangen.
Ich hab‘s vor einiger Zeit endlich wieder geschafft, aus dieser Sucht auszusteigen. Ich hoffe, dass ich damit nun wirklich endlich durch bin. Die Chancen stehen nach allem, was ich inzwischen erreichen dürfte, ziemlich gut.
Rückfällig wurde in in den letzten Jahren immer dann, wenn ich völlig unerwartet unter höchste psychische Anspannung geriet. Unter einen Druck, der jedes Mal so groß war, dass ich das Gefühl hatte, ihn keinen Moment länger aushalten zu können. - Wer sowas schon mal erlebt hat, weiß, wovon ich spreche…. - In solchen Situationen hat bislang jedes Mal keines meiner eingeübten Werkzeuge geholfen. Ich wusste, was passiert, wenn ich auch nur eine rauche, aber in solchen Situationen war mir „das Hemd näher als die Hose“.
Ich erkläre mir das damit, dass ich in genau so einer Situation vor ein paar Jahren Nikotin bzw. eine richtig inhalierte Zigarette als sehr, sehr hilfreich erlebt habe, der unerträgliche psychische Druck ließ nahezu unmittelbar deutlich spürbar nach. Keines meiner Notfall-Medikamente hat das je geschafft. - Darf es auch nicht, denn dann hätte es ein überaus starkes Abhängigkeitspotential.
Nebenbei bemerkt: Ich vermute, dass ich in Teufelsküche gekommen wäre, wenn ich in einer solchen Situation jemals Alkohol konsumiert hätte. DAS aber habe ich ganz bewusst niemals getan, weil ich um die Gefahr diesbezüglich wusste. Bei Zigaretten habe ich damals, als ich diese zum ersten Mal in einer solchen Situation nutzte, diese Gefahr nicht erwartet. - Heute bin ich schlauer. nixweiss0
Nun zum Willen: Ich habe immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass der Wille, der vorher definitiv da war, nahezu völlig weggewischt war, wenn ich tatsächlich in höchster Not und eigentlich nur als absolute Ausnahme zu Zigaretten gegriffen hatte. Hatte ich einmal wieder geraucht, wollte ich merkwürdigerweise nicht mehr damit aufhören. Als Außenstehender packst du dir einen den Kopf, aber von Innen sieht das aus mir nicht bekannten Gründen anders aus.
Ich vermute, dass das mit dem hohen Abhängigkeitspotential von Nikotin zu tun hat, weiß dazu aber nichts näheres. Der Wille, nicht rauchen zu wollen, mir diesen Mist nicht antun zu wollen, musste sich jedes Mal aus mir unerfindlichen Ursachen erst wieder aufbauen. Manchmal habe ich nur ein paar Monate dafür gebraucht, zuletzt mehr als ein Jahr.
Diese Rückfallerlebnisse aber führen mir vor Augen, was passieren KÖNNTE, wenn ich auch nur ein Mal, ausnahmsweise - wer kennt diese Argumentation nicht - Alkohol konsumieren würde. Und dazu will ich es niemals kommen lassen.
Ansonsten: Nikotin kommt irgendwie nicht so schlimm daher wie Alkohol. Sowas wie einen Rausch erlebst du damit nur, wenn du’s so richtig übertreibst. Dazu kommt’s tatsächlich aber sehr, sehr selten, im Gegensatz zu Alkohol.
Menschen mit ADHS, die aufgrund der ständigen Reizüberflutung, enorm gefordert und gestresst sind, erleben eine spürbare Milderung, wenn sie rauchen. Dazu gibt’s meines Wissens sogar wissenschaftliche Untersuchungen.
Das wiederum, diese gewisse Milderung von etwas, das sonst als unangenehm erlebt wird, - mancher dürfte zum Alkoholiker geworden sein, weil er eben nicht zu den „Normalen“ gehört* - KÖNNTE ein Grund sein, warum so manchen Alkoholikern zwar der Ausstieg von der Flasche gelingt, sie aber von den Kippen nicht lassen können.
*Bezug auf das Buch von Manfred Lütz, „Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde“