Vorstellung: ich bin neu und am Anfang

  • Hallo Zusammen

    Ich möchte mich gerne vorstellen: w, 39 Jahre alt und Alkoholikerin.

    Ich bin noch ganz am Anfang: heute ist erst der 10. Tag, an dem ich nicht trinke. Da war ich schon oft, aber ich glaube, diesmal ist es anders. Bisher habe ich immer versucht, heimlich aufzuhören, so wie ich auch heimlich getrunken habe. Mir ist erst jetzt bewusst geworden, dass ich mir damit immer ein Hintertürchen offen gehalten habe: wenn ich heimlich aufhöre, kann ich auch heimlich wieder anfangen. Aber diesmal habe ich endlich meiner langjährigen Therapeutin davon erzählt und damit nicht nur das Hintertürchen geschlossen sondern mir auch Hilfe geholt.

    Was auch anders ist: ich habe mir eingestanden, dass ich Alkoholikerin bin. Bisher hatte ich "nur" ein Alkoholproblem.

    Und das andere Hintertürchen habe ich mir auch verbaut: "in Gesellschaft ein Glas Wein kann ich ja trotzdem trinken, das ist ja nicht mein Problem, sondern das alleine heimlich Trinken" - was natürlich unter anderem auch mit dem ersten Hintertürchen zu tun hat, da ich vielleicht unangenehmen Fragen gegenübergestanden wäre, wenn ich plötzlich "Nein danke" gesagt hätte.

    Nein, diesmal habe ich eine Entscheidung getroffen: Ich will nie mehr Alkohol trinken.

    Bis jetzt fällt es mir relativ leicht. Ich freue mich über meinen Entschluss. Ich fühle mich schon fitter und es gibt so viele Vorteile. Auch mich gegenüber meiner Therapeutin zu öffnen hat mich erleichtert - wenn es auch sooo viel Mut gekostet hat.

    Ich weiss aber auch, dass das nicht so weitergehen wird. Irgendwann kommen auch die schwierigen Momente, wo der Schmerz nicht auszuhalten ist, die Angst beruhigt werden will, ich eine Belohnung verdient habe... und einfach die Sucht ruft.

    Ich versuche deshalb, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, auch wenn es vielleicht im Moment gar nicht so nötig scheint. Aber ich will gewappnet sein und nicht blind in die nächste Falle tappen, die mir mein Gehirn spielt.

    Ich suche nach neuen Gewohnheiten: jeden Tag ein Spaziergang an der frischen Luft zum Beispiel. Oder ein leckeres Abendessen, selbst gekocht - und es darf auch mal etwas zeitaufwändig sein, ich muss ja nicht so schnell wie möglich zur Flasche zurück. Und ich habe mir zwei Listen gemacht: eine mit Dingen, die ich tun kann, wenn es kritisch wird, wenn das Verlangen kommt. Da sind Dinge drauf die einfach nur ablenken, andere um mir was Gutes zu tun, andere um irgendwo Unterstützung zu finden... Ein Eintrag ist, die zweite Liste zu lesen, die aus den Gründen / Vorteilen für die Nüchternheit besteht. Ich habe gesehen dass es hier einen Thread gibt mit demselben Inhalt, den habe ich als erstes hier im Forum gelesen und das eine oder andere in meiner Liste noch ergänzt.

    Das Lesen im Forum hat mir bis jetzt auch schon viel geholfen, mich in meiner Entscheidung bestärkt, mich mit Hoffnung erfüllt, dass es auch tatsächlich möglich ist und mit Respekt vor dem was viele hier geschafft haben und wie gross diese Aufgabe ist, die ich mir da vorgenommen habe.

    Ich möchte aber nicht nur lesen, sondern mich auch aktiv einbringen, weil ich glaube, dass es für mich wichtig ist, mich irgendwie zu zeigen.

    Danke fürs Lesen!

    Liebe Grüsse
    Schotterblume

  • Hallo Schotterblume,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum. Schön, dass Du ernsthaft etwas gegen Deine Sucht unternehmen möchtest und Dich hier im Forum öffnest.

    Ich bin Anfang 50, Alkoholiker und trinke jetzt schon lange keinen Alkohol mehr. Davor trank ich weit über 10 Jahre abhängig und die meiste Zeit davon komplett heimlich. Obwohl ich Familie hatte (Frau und zwei Kinder) ist es mir gelungen meinen, zum Ende hin sehr hohen, Konsum zu verbergen. Etwas, was normalerweise nicht funktioniert scheint bei mir ganz "gut" geklappt zu haben. Erklären kann ich mir das selbst nicht so richtig, denn eigentlich sollte gestunken haben wie ein Elch. Aber gut, vielleicht wollte meine Frau es auch einfach nicht wahr haben oder hat es für ausgeschlossen gehalten. Genau dafür habe ich auch alles getan. Ich war ein wahrer Meister im Lügen, im Tarnen und Täuschen und in der Entsorgungslogistik (leere Flaschen, etc.)

    Ich kenne also Deine Problematik genau, denn auch ich war so schlau es mehrere Male heimlich zu versuchen. Was natürlich, wie Du ja selbst erfahren durftest, nicht funktionieren kann. Ich denke, da ist Du Sucht einfach zu mächtig, als dass man mit ihr solche Spielchen treiben könnte.

    Ich kenne Deine private Situation nicht, möchte Dir aber aus meiner eigenen Erfahrung heraus sagen, dass es sicher Sinn macht, wenn Du neben Deiner Therapeutin auch die wichtigsten Menschen in Deinem Umfeld informierst. Also z. B. einen Partner, Familie, enge Freunde. Es muss sicher nicht jeder wissen, manchmal kann es auch kontraproduktiv sein es z. B. in der Arbeit zu erzählen. Manchmal ist es aber auch unerlässlich, das kommt auf die persönliche Situation. Ich habe auf jeden Fall die Erfahrung gemacht, dass es sehr gut und wichtig war, dass ich es meinem näheren Umfeld erzählt habe.

    Du kannst Dir sicher vorstellen, dass das eine der schwierigensten Aufgaben war. Also ganz am Anfang. Als erstes erfuhren es meine damalige Frau und meine Kinder, da fand sozusagen mein Spontanouting statt. Dann folgten aber eben auch Geschwister, Eltern und enge Freunde. Naja, und alle hatten natürlich ein ganz anderes Bild von mir und waren natürlich entsetzt. Da mein Outing auch damit verbunden war, dass ich mich von meiner Frau getrennt habe, waren die Nachrichten die ich da dann (ein paar Tage / Wochen später) zu überbringen hatte für die Empfänger absolut schockierend. Und für mich waren diese Gespräche einfach nur fürchterlich schlimm. Ich wusste aber, es muss sein und es führt für mich kein Weg daran vorbei. Damit hatte ich mir dann wirklich ALLE Hintertürchen geschlossen.

    Vielleicht hat Du ja Lust ein wenig mehr von Dir zu erzählen. Da Du von einer Therapeutin schreibst, vermute ich mal, dass Du etwas aufarbeiten willst. Angst scheint auch eine Rolle zu spielen und die Kombination mit Alkohol ist dann eine nicht selten verbreitete. Und das ist dann oft so, dass der Alkoholkonsum zwar temporär für Erleichterung sorgt, gleichzeitig jedoch verhindert, dass man die eigentliche Ursache aufarbeiten kann. Denn wenn man aktiv trinkt, dann ist jedwede psychologische Therapie schwierig, ich möchte sogar sagen, fast unmöglich. Süchtig wird man dann natürlich "nebenher" auch noch. Also muss erst mal die Sucht weg, bevor man an die eigentlichen Ursachen ran kommen kann.

    Und da hast Du Dich ja jetzt auf den Weg gemacht. Was Du geschrieben hast, hört sich so an, als ob Du Dir richtig Gedanken gemacht hättest wie es dieses Mal funktionieren könnte. Ich würde Dir gerne noch von meinen Erfahrungen, etc. berichten, jedoch macht das jetzt keinen Sinn, denn dazu weiß ich einfach zu wenig von Dir und Deiner Situation. Und ich würde mir ggf. die Finger wund schreiben und der Inhalt meiner Zeilen trifft auf Dich gar nicht zu oder ist für Dich komplett uninteressant.

    Deshalb, wenn Du möchtest, erzähle uns ein wenig mehr von Dir und wir werden Dir hier unsere Gedanken dazu mitteilen.

    Ich wünsche Dir einen guten Start hier im Forum und viele hilfreiche und interessante Diskussionen.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla

    danke für dein Willkommen und deine Antwort.

    Ja, das mit der Heimlichkeit ist schon eine üble Sache. Ich schäme mich deswegen auch sehr und habe ein schlechtes Gewissen. Aber das darf mich nicht davon abhalten, jetzt ehrlich zu sein. Wie du geschrieben hast, ich werde noch andere Menschen informieren. Bei der Arbeit möchte ich es nicht sagen, ich finde das ist zu persönlich und sehe nicht ein was es bringen würde mich so zu outen, ausser dass ich mich sehr "nackt" fühlen würde. Da sehe ich auch kein Hintertürchen.

    Da ich ansonsten allein lebe und mein Umfeld recht überschaubar ist, werden es auch sonst nicht allzu Viele sein die ich informieren werde. An wichtigen Freunden habe ich meinen Ex-Freund und eine Freundin, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, aber mit der ich regelmässig stundenlang telefoniere. Diesen beiden werde ich es sagen. An Familie gibt es nur meine Mutter und meine Schwester. Meine Mutter sehe ich morgen und ich werde es ihr sagen. Ein bisschen Bammel habe ich schon, ich kann bei ihr nie wissen, wie sie auf Persönliches von mir reagiert, sie kann mir gegenüber sehr abwertend sein (früher immer, heute gibt es auch mal Verständnis). Ich bin deshalb bei Ihr sehr oberflächlich normalerweise. Ich möchte es ihr aber trotzdem sagen, mich dem stellen und sie konfrontieren. Ich bin aber gewappnet für die Abwertung und schon gar nicht erwarte ich etwas.

    Dann der wichtigste Mensch, das ist meine Schwester. Es ihr zu sagen ist mir ein wirkliches Anliegen. Aber gerade hier weiss ich noch nicht so recht, wie und wann. Sie ist momentan sehr im Stress und deshalb werde ich sie das nächste Mal an Weihnachten sehen. Und das scheint mir irgendwie nicht gerade die passende Gelegenheit zu sein. Wir schreiben einander oft auch, deshalb könnte ich es ihr vielleicht auf diesem Weg mitteilen, allerdings kommt mir das auch irgendwie falsch vor, irgendwie feige.
    Bisher denke ich dass es am Besten ist, ich werde an Weihnachten einfach sagen, dass ich keinen Alkohol mehr trinke, aber nicht näher darauf eingehen und das Gespräch später zu suchen. Allerdings frage ich mich, ob es gut ist, das so auf die lange Bank zu schieben (Stichwort offene Hintertürchen...) - was denkst du, was waren deine Erfahrungen, ist es wichtig das so schnell wie möglich zu machen?

    Ja, ich habe eine Menge aufzuarbeiten, das ist richtig. Genau darauf eingehen möchte ich hier im offenen Bereich nicht. Aber Ängste spielen unter Anderem schon eine grosse Rolle. Ich bin seit 20 Jahren (seit ich 19 war) in Therapie, mit Unterbrüchen, bei verschiedenen Menschen, ambulant und stationär... Und du hast bestimmt recht, dass die Trinkerei ein wirkliches Vorankommen in der Therapie verunmöglicht. Deshalb habe ich jetzt auch ein wenig Hoffnung, dass ich es nun nach so langer Zeit endlich doch noch schaffe, etwas wirklich zu verändern und mit der Aufarbeitung weiterzukommen. Diese Hoffnung hatte ich eigentlich schon verloren. Allerdings bin ich in der Therapie auch schon nicht weitergekommen, als ich noch nicht trank. Aber jetzt gebe ich mir wenigstens wieder eine Chance. Ich denke das greift auch so ein wenig ineinander, ich kann in der Therapie nicht wirklich etwas aufarbeiten solange ich trinke und ich kann auch nicht langfristig trocken sein wenn ich mich nicht an die Aufarbeitung mache. Oder was denkst du?

    Ich bin auch heute, am 11. Tag, noch sehr überzeugt von meiner Entscheidung. Heute morgen war ich allerdings ziemlich durcheinander und aufgewühlt, da ich in der Nacht sehr realistisch geträumt hatte, dass ich getrunken habe. Ich war richtig erschrocken als ich aufwachte und brauchte einen ziemlich langen Moment um wieder sicheren Boden unter den Füssen zu haben und zu wissen: es war nur ein Traum, nix passiert. Kennt Ihr sowas auch? Wie geht ihr damit um?

    Liebe Grüsse
    Schotterblume

  • Hallo Schotterblume,

    auch von mir ein herzliches Willkommen hier im Forum. :welcome:

    Nach dem, was du über dich erzählst, bist du schon entscheidende Schritte gegangen, du hast für dich erkannt, dass du ein ernsthaftes Problem hast, hast diesbezüglich auch schon sinnvolle Vorbereitungen getroffen und du hast dich hier geöffnet.

    Was die Heimlichkeit betrifft, schließt du dir gerade deine Hintertürchen, das ist schon mal gut. Wie Gerchla schon geschrieben hat, muss es sicher nicht jeder wissen, besonders dann, wenn es dir eher schaden könnte, aber gewiss entwickelst du ein Gespür dafür, wen du informieren solltest, weil dich das stützt. Ich habe auch nicht jeden informiert und werde es auch nicht tun, aber die, die mir wichtig sind und mich auf ihre Weise stützen, die wissen inzwischen Bescheid und das hat mir gut getan.
    Du hast dir auch Listen bereit gelegt, für den Fall, dass dich der Suchtgedanke überfällt. Auch das ist eine sehr sinnvolle Maßnahme.
    Hast du für dich schon analysiert, zu welchen Anlässen du getrunken hast? Kennst du schon mögliche Trigger? Das können positive und negative Situationen sein.
    Wenn du diese kennst, kannst du schon - und solltest du - möglichst rechtzeitig handeln, damit du möglichst nicht unter Druck gerätst.
    Wenn du schon solche ausführlichen Therapie-Erfahrungen hast, bist du gewiss vertraut mit der Vorstellung von Achtsamkeit. Sehe ich das richtig?
    Betrachte das, was vor dir liegt, als Chance.
    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es viel zu entdecken gibt.

    Dass du keinen Alkohol mehr im Haus haben solltest, ist dir bekannt? Grundsätzlich solltest du dich erstmal nicht in die Nähe von Alkohol begeben oder dich Situationen aussetzen, in denen Alkohol getrunken wird. Wenn du aufmerksam mit dir bist, wirst du bemerken, wann du wieder einigermaßen gefestigt und stabil bist.
    Ich selbst musste und muss noch immer lernen, dass ich das Recht habe, eine Situation zu verlassen, wenn sie mir nicht gut. Du wirst das auch bei anderen lesen können, wie wichtig das für sie war.

    Zu deinem Traum, der dich sehr beunruhigt hat: Solche Träume sind bei vielen von uns schon vorgekommen, ich selbst bin da keine Ausnahme. Lass dich deswegen nicht beunruhigen. Das Gehirn verarbeitet nachts im Schlaf und manches von dieser Verarbeitungsarbeit bemerken wir in unseren Träumen. Für dich ist das Thema Alkohol im Moment sehr präsent, deshalb ist es kein Wunder, dass du einen solchen Traum hattest. Durch den Verzicht auf Alkohol ändert sich auch einiges in der Biochemie deines Gehirns, es könnte gut sein, dass sich dein Belohnungszentrum meldet. Auch das muss dich nicht beunruhigen. Wenn ich so einen Traum gehabt habe und wach werde, dann bin ich natürlich im ersten Moment erschrocken, im zweiten Moment aber erleichtert, denn der Schock bestärkt mich darin, weiterzumachen, weil ich erleichtert bin, nicht mehr zu trinken.

    Auch ich selbst, w, 48 Jahre alt, blicke auf viele Jahre in Therapie zurück. Du musst hier nicht ins Detail gehen, wenn du das nicht willst. Wenn du mit 19 Jahren mit Therapie angefangen hast und seit 20 Jahren dabei bist, müssen sehr tiefe Verletzungen in dir vorhanden sein. Das Trinken, das anfangs so verführerisch daher kommt, wird dir bei der Aufarbeitung oder Bewältigung deiner Probleme keine Hilfe sein. Das hast du zu deinem Glück richtig erkannt. Weißt du eigentlich, das nasse Alkoholiker anders ticken? Dass sie eine andere Wahrheit empfinden und leben als „normale“ Menschen? Mir war das früher nicht ganz so klar, aber seit ich mich intensiv mit diesem Thema und auch meiner eigenen Vergangenheit beschäftige, sehe ich es ziemlich deutlich.
    Ich bin erst 37 Tage lang abstinent, bemerke aber zunehmend eine Veränderung und zwar körperlich als auch psychisch. Das bestätigt für mich das, was ich darüber gelesen habe. Je länger du abstinent bist, desto klarer wirst du im Kopf werden. Und das ist eine nicht unwesentliche Voraussetzung dafür, erfolgreich an seinen Problemen arbeiten zu können. Ich habe mir eine App zugelegt, die meine abstinenten Tage zählt und auch ein paar hilfreiche Infos enthält.
    Warum auch immer du mit den verschiedenen Therapeuten nicht weitergekommen bist, vielleicht klärt sich in Zukunft einiges für dich.

    Ich schrieb ja, dass ich selbst auf jahrelange Therapie-Erfahrung zurückblicke. Ich bin da ziemlich weit gekommen, aber irgendetwas war da bislang, weshalb ich nicht weiter kam. Erst durch die Auseinandersetzung mit dem Thema „Alkohol“ und, für mich von großer Bedeutung, mit dem Thema „Erwachsene Kinder von Alkoholikern“ wurde mir sehr vieles klar und ich sehe für mich inzwischen die Chance, weiter vorankommen zu können.

    „Ich denke das greift auch so ein wenig ineinander, ich kann in der Therapie nicht wirklich etwas aufarbeiten solange ich trinke und ich kann auch nicht langfristig trocken sein wenn ich mich nicht an die Aufarbeitung mache. Oder was denkst du?“
    - Ich denke, das siehst du ganz richtig.

    Empfehlen kann ich dir übrigens folgende Bücher, die ich selbst als sehr hilfreich empfunden habe:
    Simon Borowiak, „Alk“
    Daniel Schreiber, „Nüchtern“
    Catherine Gray, „Vom unerwarteten Vergnügen, nüchtern zu sein
    Frei und glücklich - ein Leben ohne Alkohol“
    Du findest sie in der Literaturliste:
    https://alkoholforum.de//index.php?topic=1715.0


    Wenn du irgendwelche Fragen hast, nur heraus damit. Es findet sich immer wieder jemand hier, der dir darauf antworten kann und wird.

    Viele Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo Schotterblume,

    AmSee hat bereits sehr viele ihrer Gedanken mit Dir geteilt. Vieles von dem was sie Dir schrieb, hätte auch ich Dir geschrieben. Deshalb lasse ich das jetzt, denn es wären ja nur Doppellungen.

    Ich möchte deshalb einfach auf Deine konkreten Fragen eingehen.

    Zitat

    Bisher denke ich dass es am Besten ist, ich werde an Weihnachten einfach sagen, dass ich keinen Alkohol mehr trinke, aber nicht näher darauf eingehen und das Gespräch später zu suchen. Allerdings frage ich mich, ob es gut ist, das so auf die lange Bank zu schieben (Stichwort offene Hintertürchen...) - was denkst du, was waren deine Erfahrungen, ist es wichtig das so schnell wie möglich zu machen?

    Das finde ich jetzt ganz interessant. Denn auch ich habe meinen letzten Alkohol ein paar Wochen vor Weihnachten getrunken. Mir war es sehr wichtig, meinen Bruder unbedingt vor dem Weihnachtsfest und dem damit verbundenen Familientreffen zu informieren. Auch mein Bruder war und ist ein relativ viel beschäftigter Mensch. Ich habe das damals so gemacht, dass ich mich bei ihm angekündigt habe und ihn um einen gemeinsamen Spaziergang bat. Und den haben wir dann auch gemacht. Und er war informiert und an meinem ersten Weihnachtsfest ohne Alkohol wussten alle anwesenden Personen dann Bescheid. Das war mir extrem wichtig, denn ich wollte keine Heimlichkeiten mehr.

    Ich kam aus einem jahrelangen Doppelleben und ich hatte mir eines ganz fest vorgenommen: KEINE LÜGEN MEHR! Und das war gar nicht so einfach umzusetzen denn mein Hirn war ja trotz paar Wochen ohne Alkohol noch ziemlich im alten Modus unterwegs. AmSee hat es sehr schön geschrieben. Wenn man trocken wird ändert sich auch die Denkweise aber es geht eben nicht von heute auf morgen. In meiner Trinkerzeit war es regelrecht ein Reflex von mir zu lügen. Problem lösen = lügen. Da gab es gar keine andere Option mehr. Zumal ich das Lügen ja perfektioniert hatte.

    Und das wollte ich eben nicht mehr und ich muss Dir sagen, damit bin ich bis heute sehr gut gefahren. Denn damit sorge ich dafür, dass es zumindest von dieser Seite nichts gibt, das mich belasten könnte. Lügen belasten nämlich enorm, auch wenn man das vielleicht nicht sofort glauben möchte.

    Nun kannst Du natürlich sagen, dass Du ja gar nicht lügst. Du sagst halt einfach nicht die ganze Wahrheit... sondern "nur" das Du nicht mehr trinkst. Kommt ja irgendwie auf das Gleiche raus aber irgendwie halt auch nicht. Denn wenn sie Dir der wichtigste Mensch in Deinem Leben ist, dann hat sie die ganze Wahrheit verdient. Und ich glaube, dass das auch für Dich der viel bessere Weg wäre, als eine Heimlichkeit zwischen Dir und Deiner Dir so wichtigen Schwester. Ich kenne sie nicht, wenn Du jedoch glaubst Du müsstest sie vor dieser Wahrheit "schützen", weil sie sich vielleicht Sorgen machen könnte, etc., dann tust Du das letzten Endes auf Deine Kosten, denn Du weißt das Du nicht ehrlich warst. Und ich kann mir auch vorstellen, dass sie besser damit umgehen kann, als Du Dir das jetzt gerade selbst vorstellst.

    Zusammengefasst meine Überzeugung: Ehrlichkeit sich selbst und anderen Gegenüber ist eine absolute Grundvoraussetzung für ein Leben ohne Alkohol. Das ist meine Überzeugung und diese beruht auf meinen eigenen Erfahrungen. Tun musst Du natürlich das, was Du für richtig hälst, denn es ist ja Dein Leben und Du bist alleine dafür verantwortlich.

    Zitat

    Ich denke das greift auch so ein wenig ineinander, ich kann in der Therapie nicht wirklich etwas aufarbeiten solange ich trinke und ich kann auch nicht langfristig trocken sein wenn ich mich nicht an die Aufarbeitung mache. Oder was denkst du?


    Sowohl die Aufarbeitung Deiner Sucht als auch eine Therapie haben eine Grundvoraussetzung. Und das ist, dass Du nicht mehr trinkst. Ich denke Du hast Recht wenn Du sagst, dass das bei Dir alles ineinander greift. Vielleicht ist bei Dir eine Therapie auch gleichzusetzen mit der Aufarbeitung. Egal wie, egal was, es geht nur (erfolgreich) ohne Alkohol. Wie und wann und vor allem auch, wann dann was, das ist sicher eine individuelle Angelegenheit. Dazu kann ich Dir nichts schlaues sagen. Ich begann sehr früh mit der Aufarbeitung.

    Nach den ersten paar Tagen ging das schon ganz langsam los. Nach ein paar Wochen bemerkte ich schon, dass die Hilfsangebote die ich aktuell nutzte nicht mehr die waren, die mich weiter brachten. Also suchte ich mir neue. Und so veränderte sich das dann auch immer wieder und ich habe immer wieder andere Dinge gemacht. Aber, das will ich auch sagen, ich hatte keine Depressionen, ich hatte keinen Angstzustände, keine Panikattacken oder gar ein Trauma, das ich zu verarbeiten gehabt hätte. Ich hatte "nur" meine Suchtvergangenheit und die damit verbundenen schweren Schuldgefühle. Das kann bei Dir ganz anders aussehen, deshalb will ich Dir hier keine schlauen Ratschläge geben. Fakt ist und bleibt aber: Egal was Du wann tust, es kann nur erfolgreich sein, wenn Du dauerhaft ohne Alkohol lebst.

    Zitat

    s war nur ein Traum, nix passiert. Kennt Ihr sowas auch? Wie geht ihr damit um?


    Na klar, kenne ich. Bei mir weniger bezogen auf den Konsum von Alkohol an sich, sondern mehr auf Ereignisse, die im Rahmen meines Doppellebens statt fanden. Was dann natürlich schon auch wieder mit Alkohol zusammen hing. Ich denke das mich das alles so geprägt und belastet hat, dass es eben auch mal im Traum verarbeitet werden muss. War anfangs häufiger und wurde immer seltener. Kann mich gar nicht genau erinnern, wann ich das letzte mal so einen Traum hatte. Aber es war bei mir immer so, dass ich nach dem Erwachen einfach dachte: Gott sei Dank! Nur ein Traum. Und schon war ich erfüllt von großer Dankbarkeit darüber, dass ich heute so ein Leben leben darf.

    Alles Gute weiterhin. Bleib dran!

    LG
    gerchla

  • Hallo zusammen,

    Danke für eure Antworten und eure Gedanken.

    Nein, natürlich habe ich keinen Alkohol mehr in der Wohnung. Von Achtsamkeit habe ich schon viel gehört, aber es ist etwas, was mir sehr schwer fällt. Aber mir ist auch bewusst wie wichtig es ist, deshalb bleibe ich dran, versuche es immer wieder.

    Ich bin dabei, mein Suchtverhalten, die Anlässe und die Trigger zu analysieren. Meine Therapeutin hilft mir sehr dabei, ich bin froh dass ich mich dem nicht allein stellen muss, denn da ist sehr viel Scham mit dabei, wenn ich da hinsehe.

    Gestern habe ich einen grossen Schritt gemacht und meine Mutter informiert. Sie hat erfreulich gut reagiert, unterstützend, nicht abwertend. Wie es der Zufall so wollte kam dann noch meine Schwester mit ihren Kindern vorbei und ich habe die Gelegenheit als wir allein waren beim Schopf gepackt und es ihr auch gesagt. Sehr viel Zeit um gross darüber zu reden hatten wir nicht, aber die Karten sind jetzt auf dem Tisch.

    Es stimmt schon Gerchla, dass ich mir auch Sorgen gemacht habe, meine Schwester damit zu belasten. Ich habe mit ihr auch schon darüber geredet und weiss, dass es ihr umgekehrt genauso geht. Dann verschweigen wir Dinge voreinander, um die andere zu schützen - dabei geht es uns aber beiden gleich: dass wir lieber die Wahrheit wissen wollen, wie es der anderen geht.

    Obwohl das alles so gut gegangen ist und ich froh war, es getan zu haben, war ich gestern und bin ich heute noch völlig erschöpft. Als hätte ich weiss-ich-nicht-was geleistet. Ich bin auch irgendwie deprimiert, aber ich halte es aus, ich weiss, ich trinke nicht. Und aufgerafft zu meinem Spaziergang habe ich mich auch, trotzdem.

    Liebe Grüsse,
    Schotterblume

  • Hallo Schotterblume,

    wie geht es Dir denn jetzt? Ich finde es wirklich super, dass Du es auch Deiner Schwester gleich gesagt hast.

    Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, das Lügen oder auch Heimlichkeiten belastend sind. Und je größer das ist, was dahinter steckt, desto belastender ist es. Insofern kann ich nur sagen, dass Ehrlichkeit wirklich das beste ist, was Du hier tun kannst. Also zumindest den Leuten gegenüber, die einem wichtig sind.

    Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass das am Anfang gar nicht so einfach ist. Schließlich steckt man ja noch in alten Verhaltens- und Denkmustern fest. Diese zu durchbrechen, damit sich auch nachhaltig etwas verändern kann, ist aus meiner Sicht wichtig.

    Und das Du Dich erschöpft fühlst, das empfinde ich als absolut legitim. Auch wenn Du keine körperlichen Höchstleistungen erbringen musstest war doch eine enorme psychische Belastung vorhanden. Und das kann einen natürlich schon viel Energie abverlangen. Unser Hirn macht etwa 2 - 3 % des Körpergewichts aus, verbraucht aber im Schnitt 20 % unserer Energie. Und in Stresssituationen (und nichts anderes hattest Du) sogar deutlich mehr. So ist es also völlig ok, wenn Du dann erst mal einen Durchhänger hast.

    Ich hoffe es geht Dir heute wieder besser, auch was Deine Stimmung betrifft.

    LG
    gerchla

  • Danke Gerchla, für deine Antwort und das Nachfragen.

    Ich bin auch sehr froh dass ich es meiner Schwester gleich gesagt habe. Und ich empfand es eben gar nicht so belastend, ich war eher erleichtert. Und weil es so spontan war hatte ich auch gar keine Zeit, mir vorher einen riesen Kopf zu machen - was ich normalerweise schon tun würde. Deshalb war ich ein wenig überrascht, wie k.o. ich dann war.

    Es geht ziemlich auf und ab. Manchmal bin ich stolz und neugierig / freue mich sogar irgendwie auf das was jetzt noch so kommt. Sehe es als Herausforderung und fühle mich stark genug die zu meistern.

    Dann wieder kommen Scham- und Schuldgefühle und grosse Angst vor einem Rückfall, davor zu Versagen.

    Ich denke mal das ist normal. Ich versuche mich den Schwankungen und Emotionen zu stellen, möglichst nicht zu bewerten, sondern einfach schauen was da ist und das Schlechte gehört auch dazu - und vergeht irgendwann wieder.

    Liebe Grüsse
    Schotterblume

  • Liebe Schotterblume,

    es freut mich, dass es Dir dann letztlich doch relativ leicht gefallen ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich viele Dinge in meinen Gedanken größer gemacht habe, als sie dann letzten Endes tatsächlich waren. Da spreche ich jetzt von der Zeit nachdem ich aufgehört hatte mit dem Trinken. Es gab Probleme, die mich sehr stark beschäftigten, sehr viele und viele davon waren einfach unaufgearbeitete Altlasten aus meiner Trinkerzeit. Und so stellte ich mir oft die Frage: "Wie soll ich das nur hinbekommen oder jenes" oder "wie soll ich nur reagieren, wenn dieses oder jenes auf mich zu kommt", etc.

    Irgendwann lernte ich dann "positives Denken", ganz bewusst. Und ich begann mir auch zu sagen: "über diese Brücke gehe ich erst, wenn ich davor stehe". Das half mir sehr und ich machte nicht selten die Erfahrung, dass auf dem Weg hin zur Brücke sich das Problem löste und ich gar nicht mehr über eine Brücke gehen musste. Ich hätte mir aber vorher 1.000 Gedanken machen können, am Ende völlig umsonst.

    Was ich Dir auch sagen möchte, dazu

    Zitat

    Ich denke mal das ist normal. Ich versuche mich den Schwankungen und Emotionen zu stellen, möglichst nicht zu bewerten, sondern einfach schauen was da ist und das Schlechte gehört auch dazu - und vergeht irgendwann wieder.

    Ja, natürlich gibt es mal bessere und mal schlechtere Tage. Aber weil Du auch von Scham- und Schuldgefühlen sprichst: Das war für mich die größte Herausforderung. Also vor allem meine Schuldgefühle. Die ich ja besonders immer dann spürte, wenn ich z. B. meine kleine Tochter besuchte. Aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten. Und da wusste ich schnell, dass ich da nicht einfach abwarten kann, dass das irgendwann mal wieder vorbei geht.

    Ich weiß nicht, ob ich das sehr lange durchgestanden hätte und vor allem nicht, in welchem psychischen Zustand ich dann irgendwann mal gewesen wäre. Deshalb war mir hier klar, dass ich externe Hilfe brauche. Ich denke jeder hat etwas, das ihn besonders beschäftigt und belastet. Jeder, der suchtkrank wurde und in dieser Sucht dann gelebt hat, bringt seine persönlichen Päckchen mit, die er zu tragen hat. Vielleicht gibt es Menschen, die vieles (oder alles) ganz allein und mit sich selbst lösen können. Ich denke aber, dass viele genau daran scheitern und vielleicht auch deshalb wieder zur Flasche greifen. Denn gelernt ist ja gelernt und wir wissen ja, wie der Alkohol wirkt. Wird's zu viel, dann sorgt er dafür, dass man mal "abschalten" kann. Und dieses Wissen um die Wirkung macht es vor allem in der Anfgangszeit so schwer.

    Alles was ich sagen möchte: Achte auf Dich und pass auf, dass Du Dich nicht überforderst. Auch wenn Du der Meinung bist, dass Du dieser Herausforderung gewachsen bist, solltest Du immer auch bereit sein Dir RECHTZEITIG einzugestehen, dass es vielleicht doch auch anders sein könnte. Wenn Du das kannst und dann auch sofort reagierst und Hilfe suchst und annimmst, dann kannst Du dieser Herausforderung tatsächlich gewachsen sein. Wenn Du also das Gefühl bekommst, dass da etwas in Dir schlummert, dass Dich stark beschäftigt, belastet und mit dem Du nicht wirklich klar kommst, dann warte nicht einfach darauf, dass es irgendwann mal besser wird. Sondern gehe es aktiv an. Lieber einmal eine Hilfe zu viel oder umsonst, als einmal zu wenig.

    Es ist halt leider so, dass man diese Schlacht nur dann gewinnen kann, wenn man nicht mehr kämpfen muss. Solange man kämpft und alle Kämpfe gewinnt, was man anfangs sicher einfach erst mal tun muss, ist alles noch soweit ok. Leider aber reicht es, wenn man nur einen einzigen Kampf verliert. Deshalb ist es so wichtig, dass man an den Punkt kommt, wo das Kämpfen überflüssig wird. Und das erreicht man m. E. sehr gut dadurch, dass man dem Alkohol den Sinn im eigenen Leben nimmt. Und das wiederum geht sehr gut, wenn man zu einem zufriedenen Leben findet. Und das zu erreichen halte ich persönlich für das Ziel, für das es sich mehr als lohnt, an sich zu arbeiten, gerne auch mit Hilfe von außen.

    Ich wünsche Dir, dass Du Dein Ziel schnell erreichen kannst.

    LG
    Gerchla

  • Lieber Gerchla

    du hast natürlich recht, einfach nur die Füsse hochlegen und abwarten dass es wieder vorbei geht, das wird nicht funktionieren. Das habe ich eigentlich auch nicht so gemeint. Es gibt bestimmt eine Menge Dinge die ich aktiv angehen muss und wo ich auch Hilfe brauche. Die ich ja bei meiner Therapeutin habe. Ich meinte das eher so im Sinne von Achtsamkeit - weiss nicht recht wie ich es beschreiben soll. Bisher habe ich auf unangenehme Gefühle folgendermassen reagiert: ich habe mich selbst fertig gemacht deswegen, mich regelrecht runtergeputzt, und dann in den Rausch geflüchtet. Dann waren für einen Moment die unangenehmen Gefühle nicht mehr so präsent und ich konnte es wieder mit mir aushalten. Und jetzt versuche ich eben dieses Muster zu ändern. Also nicht runterputzen sondern annehmen und nicht bewerten. Und nicht fliehen. So merke ich auch eher rechtzeitig, wenn ich irgendwo Hilfe brauche.

    Zitat

    Alles was ich sagen möchte: Achte auf Dich und pass auf, dass Du Dich nicht überforderst. Auch wenn Du der Meinung bist, dass Du dieser Herausforderung gewachsen bist, solltest Du immer auch bereit sein Dir RECHTZEITIG einzugestehen, dass es vielleicht doch auch anders sein könnte.

    Das versuche ich auch. Dass ich der Meinung bin, ich bin der Herausforderung gewachsen, stimmt nur bedingt. Manchmal habe ich dieses Gefühl - bei weitem nicht immer - aber mein Kopf weiss immer, dass ich aufpassen muss und wird nicht übermütig. Ich bin auch weiterhin immer dran, mich auf die Kämpfe vorzubereiten, die bestimmt noch kommen werden, da mache ich mir nichts vor, auch wenn ich bisher nur wenig kämpfen musste.

    Wo ich ein bisschen Bedenken habe: ich habe vor 3 Tagen auch das Rauchen aufgegeben. Ich weiss nicht ob die Gefahr ist, dass ich mich überfordere, wenn ich das beides gleichzeitig angehe. Aber ich dachte eben, wenn ich schon meine Gewohnheiten und Denkweisen ändere und auf mich und meine Gesundheit achte, dann gehört das Nichtrauchen doch auch irgendwie dazu. Habt ihr diesbezüglich auch Erfahrungen gemacht?

    Liebe Grüsse
    Schotterblume

  • Hallo Schotterblume,
    kann es sein, dass du dich selbst sehr viel unter Druck setzt und sehr häufig Verantwortung und Rücksicht übernimmst, selbst, wenn es eigentlich über deine Kräfte geht?

    Dass du dich nach dem Gespräch mit deiner Schwester erschöpft fühltest, ist eigentlich nicht verwunderlich und ganz normal. Auch, wenn du das Gespräch als gar nicht so belastend empfunden hast, hat dein Gehirn eine Hochleistung vollbracht. Es kann durchaus sein, dass du dich zur Zeit öfter müde fühlst, wenn du gedanklich viel durcharbeitest. Mir ergeht das jedenfalls auch so und mein Therapeut bestätigt mir, dass das an meiner Kopfarbeit liegt. Bei mir geschieht durch die Beschäftigung mit diesem Thema innerlich zur Zeit sehr, sehr viel.

    Du schreibst, dass du Scham empfindest. Wofür schämst du dich? Dass du auch Alkoholikerin geworden bist, wie ein Elternteil von dir? Dass du‘s nicht allein alles hingekriegt hast? Dass du nicht perfekt bist?
    Wenn du deswegen Scham empfindest, bist du hier in bester Gesellschaft. Ich jedenfalls kenne dieses Gefühl auch sehr gut. Da es nun mal da ist, nimm es einfach nur wahr und nimm die Gedanken, die damit verbunden sind, einfach nur wahr.
    Grundsätzlich musst du dich eigentlich nicht schämen, denn niemand ist perfekt, niemand sollte perfekt sein und Alkoholiker sind häufig Menschen mit einer ganz besonderen Sensibilität, die an den Normen der „Normalen“ verzweifeln. Ich habe in diesem Zusammenhang mal ein ganz amüsant geschriebenes Buch des Psychiaters und Psychotherapeuten Manfred Lütz, „Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde“ gelesen, dessen Lektüre ich dir nur empfehlen kann. Darin geht es nicht nur um Alkoholiker, sondern auch um andere psychisch Erkrankte und meine Sicht auf meine Erkrankungen hat es etwas verändert. Ich bin nun gar nicht mehr so unglücklich darüber, nicht zu den „Normalen“ zu zählen.
    Doch, wenn das Gefühl von Scham nun mal da ist, lässt es sich mit dem Verstand nicht wegdiskutieren. Es ist da und will wahrgenommen werden. Es reicht aber, wenn du es einfach nur wahrnimmst. Vielleicht magst du uns ja schreiben, welche Gedanken mit diesem Gefühl verbunden sind. Wenn du das nicht möchtest, ist das natürlich auch ok.

    Du schreibst, dass du viel von Achtsamkeit gehört hast, dich aber schwer damit tust. Magst du erzählen, was dir schwer daran fällt?
    Ich selbst hatte vor ein paar Jahren davon gehört, hatte gegoogelt, um zu wissen, was das eigentlich ist, konnte aber mit dem, was ich las, irgendwie nichts anfangen. Erst als ich vor fünf Jahren wegen Depressionen in der Klinik war, lernte ich das richtig kennen und konnte es ausprobieren. Ich war ziemlich verblüfft, welche Wirkung es auf mich hatte, beim Spaziergang einfach mal den Autopiloten auszuschalten und ganz bewusst einfach nur darauf zu achten, was ich wahrnehme (ohne es in Kategorien einzuordnen oder es zu bewerten). Die nächste Ebene, die Gefühlswelt, probierte ich erst später aus, der war ich damals noch nicht gewachsen.
    Heute meditiere ich häufig, ich habe da eine ziemlich gute App, die mit einer „7“ anfängt und mit dem englischen Wort „mind“ endet. Die geführten Meditationen tun mir gut und helfen mir bei der Wahrnehmung dessen, was in mir ist.

    Viele Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.


  • Wo ich ein bisschen Bedenken habe: ich habe vor 3 Tagen auch das Rauchen aufgegeben. Ich weiss nicht ob die Gefahr ist, dass ich mich überfordere, wenn ich das beides gleichzeitig angehe. Aber ich dachte eben, wenn ich schon meine Gewohnheiten und Denkweisen ändere und auf mich und meine Gesundheit achte, dann gehört das Nichtrauchen doch auch irgendwie dazu. Habt ihr diesbezüglich auch Erfahrungen gemacht?

    Hab deinen neuen Beitrag gerade erst gelesen.
    Also, tatsächlich mutest du dir recht viel auf einmal zu. Vom Kopf her ist das, was du tust, gewiss konsequent, aber es ist auch sehr anspruchsvoll. Angst solltest du keine haben, das wäre kontraproduktiv. Entscheidend ist beim Aufhören auch, recht entspannt zu sein und sich darüber im Klaren zu werden bzw. zu sein, aus welchen Gründen man aufhört. Wenn du diesbezüglich Fragen hast, könnte ich dir das Forum, in dem ich bzgl Nicht-mehr-Rauchen seit dreieinhalb Jahren unterwegs bin und auf das auf jeder Zigarettenpackung hingewiesen wird (rauchfrei-...) empfehlen.
    Unterschätz dein Belohnungszentrum nicht! Ohne Nikotin wirst du vermutlich zunächst mal weniger Glückshormone im Körper haben. Das legt sich nach einer Weile wieder, deine Biochemie verändert sich wieder zum Positiven.
    Einige haben mit dem Rauchausstieg gar keine Probleme, andere tun sich ziemlich schwer.
    Ich rate dir, gut auf dich zu achten und, wenn der Druck zu groß wird, dir keine Vorwürfe zu machen, wenn der Rauchausstieg diesmal noch nicht klappt. Das Alkoholproblem finde ich persönlich vordringlicher als das Rauchproblem, auch wenn Rauchen auch ziemlich schädlich ist.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Liebe Schotterblume,

    danke für Deine erklärenden Worte. Jetzt verstehe ich sehr gut was Du gemeint hast. Und kann Dir sagen, dass ich damals ähnlich gehandelt habe.

    Bir mir war das so, dass ich den Entschluss gefasst hatte, negative Gefühle (und davon gab es in der Anfangszeit reichlich) bewusst zuzulassen und zu spüren. Das waren natürlich unterschiedliche Gefühle negativer Art, jedoch viele davon gingen in Richtung Scham und vor allem auch Schuld. Also ähnlich wie bei Dir, wie vielleicht bei den meisten Alkoholikern. Und die "Standard-Alkoholiker-Reaktion", nämlich das Wegtrinken dieser Gefühle, die hatte ich ja ausgeschlossen. Wie also damit umgehen? Was tun, wenn ich plötzlich, oft durch irgend ein unscheinbares Ereignis, hineingezogen wurde in diesen Gefühlsstrudel. Das war bei mir so, dass es mir richtig gut gehen konnte, nichts deutete auf irgendwas negatives hin und durch irgendwas, z. B. eine Bemerkung, einen Artikel irgendwo, ein Kind das meiner Tochter ähnlich sah, etc., ging plötzlich das Gedankenkarussell los.

    Wie gesagt, ich entschied mich bewusst, das dann zu durchleben und zu durchdenken. Alternative wäre natürlich Ablenkung und Verdrängung gewesen. Ich spielte mit dem Gedanken, z. B. "meinen Sport" wieder anzufangen. Ich war in meiner Jugend und auch als junger Erwachsener ein begeisterter Läufer gewesen und ich wusste, dass mir das wahnsinnig gut tun würde. Mir war klar, dass ich da ganz schnell wieder diese alte Leidenschaft entwickeln würde und dort dann auch entsprechend aufgehen würde. Ich wusste aber auch, dass ich damit Gefahr lief, die eigentlichen Gefühle zu verdrängen und nicht aufzuarbeiten. Und ich glaube auch, dass es für alles eine gute Zeit gibt, also ein Zeitfenster, in dem man Dinge besonders gut oder erfolgreich bewältigen kann. Nach dem Motto vielleicht: Alles hat seine Zeit.

    Und so habe ich ganz bewusst nicht mit dem Laufen begonnen sondern mir vorgenommen es erst dann zu tun, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich meine Sucht, zumindest die großen Baustellen dieser Sucht, einigermaßen aufgearbeitet habe. Ich kann jetzt im Nachhinein sagen, dass das für mich genau richtig gewesen ist. So spürte ich auch, dass ich Hilfe benötigte und holte mir diese dann auch. Ich bin also nicht "weggelaufen" sondern habe mich gestellt. Für mich war das sehr gut, ich schreibe bewusst "für mich", weil damit nicht sagen will, dass das bei jedem so funktionieren muss.

    Bei dem was Du schreibst könnte ich mir aber vorstellen, dass Du ähnlich unterwegs bist wie ich damals. Insofern möchte ich Dich bekräftigen diesen Weg zu gehen, aber dabei immer ganz genau auf Dich und Deine Gefühle zu achten. Überforderung ist sehr gefährlich, vor allem am Anfang.

    Zum Thema Rauchen kann ich nichts beitragen. Glücklicherweise hatte ich dieses Problem nicht. Sehe es aber (so aus der Ferne) ähnlich wie AmSee. Wenn es Dir einigermaßen von der Hand geht, dann hänge diese Sucht auch gleich an den Nagel. Wenn es Dir größere Probleme bereitet, dann ist wohl besser, wenn Du erst mal bei der Alkoholsucht für stabile Verhältnisse sorgst und diese Baustelle dann eben später angehst.

    LG
    gerchla

  • Hallo Zusammen,

    Vielen Dank für eure Antworten und das Teilen eurer Erfahrungen. Gerne möchte ich auf alles eingehen, was ihr geschrieben habt, aber ich weiss nicht ob es mir gelingt.

    Ja, ich glaube schon dass ich mir oft selbst viel Druck mache, hohe Anforderungen an mich stelle. Ich selbst finde es schwierig das zu sehen, aber du bist nicht die erste die mir diese Rückmeldung gibt, AmSee. Wie ich schon geschrieben hatte, ich versuche jetzt bewusst weniger hart mit mir zu sein, etwas Gnade walten zu lassen. Da ich meine Kräfte dafür sparen möchte, was mir im Moment das Wichtigste ist, nämlich abstinent zu bleiben.

    Zu meinen Schuld- und Schamgefühlen:
    Die sind da, solange ich denken kann. Ich habe als Kind viel sehr beschämendes erlebt und massive Schuld auf mich genommen, die eigentlich jemand anderem gehörte. Meine Therapeutin hat mir das so erklärt, dass das ei Überlebensmechanismus ist: wenn ich selbst die Schuld auf mich nehme bedeutet das, dass ich noch Kontrolle habe und nicht restlos ausgeliefert bin. Jedenfalls schäme ich mich wegen jeder Kleinigkeit furchtbar, wenn ich z.B. mal stolpere, möchte ich gleich im Boden versinken. Und natürlich schäme ich mich dass ich Alkoholikerin geworden bin. Mit den Schuldgefühlen ist es ähnlich, ein kleines Versehen kann die schon triggern und dass ich meine Alkoholsucht verheimlicht habe und z.T. sogar gelogen habe, deswegen zerfleische ich mich fast. Ich denke im Hintergrund sind aber da immer diese Gefühle die bereits seit der Kindheit da sind und sehr tief gehen und allumfassend sind: das sind dann so Gedanken wie: „es dürfte mich nicht geben“ „ich bin schuldig einfach nur weil es mich gibt“ „sobald ich mich zeige falle ich jemandem zur Last“...

    Ich habe schon oft versucht daran zu arbeiten und vom Kopf her kriege ich auch öfter die Kurve...aber die Gefühle bleiben unverändert. Ich hoffe jetzt mit einem klaren Kopf komme ich da weiter. Denn es ist schon ganz schön heftig und ich leide sehr darunter.

    Wie ist das bei dir Gerchla, hast du diese Gefühle noch immer und kannst jetzt besser damit umgehen, oder sind sie durch das Bearbeiten weniger (weniger oft, weniger intensiv) geworden?

    Wie auch du anfangs, AmSee, habe ich eher Zugang zu der Achtsamkeit nach Aussen, z.B. die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen. Bei der Achtsamkeit nach Innen glaube ich, hapert es daran, dass es schnell zuviel wird und ich dann fliehen möchte. Wenn ich zum Beispiel Meditationsübungen versuche, wo man sich darauf konzentrieren sollte, tief zu Atmen, kommt bei mir sofort Panik auf und ich habe das Gefühl keine Luft mehr zu kriegen.


    Mit dem Rauchen hattet ihr recht. Es war zuviel auf einmal. Ich hatte seit dem Rauchstopp sehr häufig das Verlangen nach einer Zigarette und auch der Saufdruck wurde dann deutlich häufiger und stärker. Ich habe deshalb heute Mittag schon wieder zu Rauchen angefangen, bevor meine Abstinenz, die im Moment das Wichtigste ist, zu sehr gefährdet war. Und jetzt versuche ich mich nicht allzusehr zu schämen und runterzuputzen weil ich versagt habe.

    Ich danke euch dass ich das alles hier lassen darf und ihr es lest und antwortet. Ich merke wie es mir hilft zu schreiben (Worte finden für das was in mir vorgeht) und eure Antworten zu lesen, weil ich merke ich bin nicht allein, ich bin nicht die erste die diesen Weg geht und ich darf von euren Erfahrungen und Gedanken profitieren.

    Liebe Grüsse
    Schotterblume

  • Liebe Schotterblume,
    mit den Informationen, die du über dich preisgegeben hast, kann ich dich viel besser einschätzen.
    Und natürlich freue ich mich, wenn das, was ich dir schreibe, dir irgendwie weiterhilft.

    Ich habe mir übrigens ebenfalls selbst sehr häufig viel Druck gemacht, ich war Perfektionistin, gegenüber anderen freundlich, nachgiebig und hilfsbereit, mit mir selbst jedoch ziemlich hart. Mein innerer Kritiker fand immer etwas an mir zu mäkeln, für den war ich nie gut genug. Mich hat dieses Leisten-müssen-ohne-Ende schließlich sehr krank gemacht.
    Inzwischen habe ich gelernt, mich selbst anzunehmen und freundlich und sorgend mit mir selbst umzugehen und den Kritiker einzuschätzen als das, was er ist, und ihn auch mal zum Schweigen zu bringen. Das gelingt mir nicht immer, aber immer besser.
    Erst durch die Tätigkeit hier im Forum habe ich so richtig begriffen, dass und wie die Ursache meiner Probleme, meiner teils etwas unglücklichen Persönlichkeitsmerkmale in meiner Kindheit in eben dieser dysfunktionalen Familie liegt. Ich wusste zwar schon früher, dass da was schief gelaufen ist, aber so richtig begriffen habe ich das erst in den letzten Wochen hier beim Lesen und Antworten.

    Wie du schreibst, bist du als Kind sehr verletzt worden. Das kommt mir sehr bekannt vor und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie tief und prägend solche Verletzungen sein können.


    Meine Therapeutin hat mir das so erklärt, dass das ei Überlebensmechanismus ist: wenn ich selbst die Schuld auf mich nehme bedeutet das, dass ich noch Kontrolle habe und nicht restlos ausgeliefert bin.


    Das ist interessant, was du schreibst.
    Ich habe von meinem Therapeuten gelernt, wie kleine Kinder das Prinzip von Ursache und Wirkung kennenlernen und lernen, dass sie für das Wohlbefinden ihrer Eltern verantwortlich sind. Bsp.: Wenn ich mein Bett selbst gemacht habe, dann sind Mama und Papa glücklich. Und umgekehrt sind sie unglücklich, wenn ich etwas falsch mache.
    Ich jedenfalls habe mich schon sehr früh verantwortlich für das Wohl meiner Eltern gefühlt.
    Und gewisse Gefühle waren bei uns verpönt. Ich weiß noch gut, wie oft ich symbolisch die kleine AmSee die Treppe vor der Wohnung meiner Großeltern runterschubsen sollte, weil ich mal wieder wütend gewesen war oder ein ähnliches unerwünschtes Verhalten gezeigt hatte. - Das war damals die Art meiner Großmutter, wie wir wieder zusammenkommen konnten und das böse Verhalten meinerseits vergessen konnten.
    Und ich weiß noch, wie ich mich geschämt habe, wenn ich meiner Großmutter unwissentlich etwas, was bei uns geschehen war, anvertraut hatte, und von meiner Mutter dafür getadelt wurde.
    Auch ich habe gelernt, irgendwie die Kontrolle zu bekommen angesichts der überaus unsicheren Situation, in der ich mitunter lebte.
    Du bist also - aber das weißt du sicher inzwischen - nicht allein und wirst Hilfe finden können.

    Zitat


    das sind dann so Gedanken wie: „es dürfte mich nicht geben“ „ich bin schuldig einfach nur weil es mich gibt“ „sobald ich mich zeige falle ich jemandem zur Last“...


    Solche Gedanken kenne ich auch ziemlich gut.....
    Was ich in den sechs Wochen Abstinenz bereits bei mir bemerkt habe, ist, dass die Tiefs weniger tief sind. Wenn’s mir schlecht geht, geht’s nicht mehr so weit runter, dass diese zerfleischenden Gedanken aufkommen. Das empfinde ich als enorme Erleichterung und es bestärkt mich auch darin, weiter abstinent zu bleiben.
    Ich habe auch eher das Gefühl, die Kontrolle zu haben, klarer im Kopf zu sein. Und ich schlage mich nicht mehr mit Scham- und Schuldgefühlen herum, weil ich etwas getrunken habe, denn ich trinke ja nicht mehr. ;D

    Zitat


    Bei der Achtsamkeit nach Innen glaube ich, hapert es daran, dass es schnell zuviel wird und ich dann fliehen möchte. Wenn ich zum Beispiel Meditationsübungen versuche, wo man sich darauf konzentrieren sollte, tief zu Atmen, kommt bei mir sofort Panik auf und ich habe das Gefühl keine Luft mehr zu kriegen.


    Das kann ich bei deiner Geschichte ziemlich gut nachvollziehen. Ich verstehe das so: Du bist dem noch nicht gewachsen, dich allein deinen Gefühlen zu stellen. Die Verletzungen sind so groß, dass du damit überfordert bist, dich ihnen allein zu stellen. Dein Körper schützt dich vor Überforderung.
    Für mich spricht das dafür, sich nochmals professionelle Unterstützung zu holen. Auch wenn du es schon mit verschiedenen Personen versucht hast, vielleicht war‘s noch nicht der richtige Zeitpunkt oder nicht der geeignete Therapeut. Wenn du an einen richtig guten Therapeuten gerätst, geht der mit dir z.B. erstmal Stellvertreter-Konflikte an und nicht gleich ans Ganze. Wenn er gut ist, wirst du dich dort zum rechten Zeitpunkt fallen lassen können. Voraussetzung dafür ist, wie Gerchla dir schon mal geschrieben hat, dass du abstinent bleibst. Wenn du hier ein bisschen mitgelesen hast, bist du vielleicht auch schon darauf gestoßen, dass es mitunter Monate dauert, bis du im Kopf richtig klar bist.

    Was Gefühle betrifft, bist du schon mit der Methode der Gefühlsregulation vertraut? Wenn nicht, suche ich da mal was raus, was ich dazu an die Hand bekommen habe.

    Was das Rauchen betrifft. Mach dir deswegen keinen Druck. Ich hab mehr als einmal versucht aufzuhören (und ich hab mich grundlos fertig gemacht, wenn ich rückfällig geworden war - da hat das o.g. Forum mir übrigens geholfen, mich nicht länger fertigzumachen), vor 111 Tagen war bei mir offenbar endlich der richtige Zeitpunkt. Ich hatte das Wissen, die Erfahrungen und irgendwie hat‘s alles gepasst.

    Liebe Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo Zusammen

    Ich gehe noch immer in die Therapie und habe auch nach vielen Fehlschlägen jemanden gefunden, der für mich gut ist. Ich denke ich habe schon einiges gelernt seit ich bei ihr bin, aber da ist eben doch die Sucht auch immer im Weg gestanden. Ich hoffe, dass ich jetzt eher weiterkomme, wo ich abstinent bin und wo ich mich ihr gegenüber auch endlich geoutet habe.

    Ja, ich weiss dass ich nicht allein bin. Das tut natürlich auch gut, aber manchmal macht mich das auch traurig, zu wissen wieviele Menschen so viel Leid erfahren müssen.

    Gerchla : ich finde das sehr interessant, dass du dir das Laufen versagt hast, obwohl du ja wusstest dass es dir gut getan hätte. Ich verstehe irgendwie dass du keine Ablenkung wolltest, sondern mittendurch. Ich für mich dachte, dass ich eher beides brauche: aufarbeiten, mich mit dem Thema beschäftigen- aber auch mal Ablenkung, Dinge tun die mir guttun, neue Gewohnheiten „installieren“. Oder denkst du, dass das Laufen so etwas wie eine Ersatzsucht geworden wäre? (Gibts ja anscheinend auch, Sport-Sucht).

    Heute ist der 18. Tag an dem ich nicht trinke. Immer noch der Anfang. Und heute war ein seltsamer Tag. Eigentlich lief alles gut, ich habe gut gearbeitet und meinen Spaziergang an der Sonne gemacht - aber als ich nach Hause kam war ich trotzdem irgendwie down und wusste überhaupt nicht wieso und der Gedanke an ein Glas Wein war doch ziemlich hartnäckig. Ich habe versuch den Auslöser zu finden, bin aber nicht drauf gekommen nixweiss0
    Habe dann hier gelesen, was mein nie wieder bestärkt hat und mich zwischendurch abgelenkt - und jetzt ist es wieder gut. Und ich bin sehr froh dass ich diese Klippe umschiffen konnte.

    Liebe Grüsse
    Schotterblume

  • Hallo Schotterblume
    ich trinke seit dem 1. November keinen Alkohol mehr und hatte bereits im Sommer 2 abstinente Monate.
    ich hab zuvor jahrelang regelmäßig und viel Wein konsumiert.. manchmal täglich eine ganze Rotweinflasche am Abend und empfand das als "normal".
    Ich habe in den letzten Jahren immer gemerkt, dass ich nicht ohne Alk kann , obwohl ich aufhören wollte. Mein Kopf sagte tausend mal nein, aber mein Drang, am Abend dann doch wieder zu trinken war immer stärker.
    Ich hab dann auch versucht, kontrolliert zu trinken, so nach dem Motto"nur noch am Wochenende"-ich hab mich jahrelang selbst beschissen und ich glaube, dass ich erst jetzt kapiert habe, dass ich wirklich ein Problem habe und ich vermute, dass ich erst jetzt eine Chance habe, es dauerhaft zu lassen.
    Im Sommer ließ ich mir immer noch ein Hintertürchen und nach 8 Wochen sagte ich mir, na siehst du, ich bin gar ninct abhängig, du kannst doch jetzt mal 1 Glas trinken...
    was natürlich nicht klappte.
    Der Frust wurde größer und der alte Kreislauf war wieder da: Scham, Selbsthass, kein Selbstbewusstsein, angeekelt sein von sich selbst.

    Eines hast du mir voraus: Du hast es anderen mitgeteilt,dass du aufhörst und dass du ein Alkoholproblem hast. Ich trage das mit mir alleine herum. Ich habe mich noch nicht geoutet, außer 1 Person ..
    Ich lebe auch sehr zurückgezogen und habe auch kaum das große Bedürfnis,mich da zu outen. Meinen Freundinnen oder Bekannten würde ich es nicht erzählen wollen und ich gebe zu, weil ich doch noch sehr schambehaftet bin.
    Vielleicht hab ich auch Angst vor ihren Reaktionen.
    Ich lass es erst mal so, wie es ist. Momentan bin ich froh, dass ich es für mich selbst gut handhaben kann und ich seit dem 1. Nov wirklich keinen Suchtdruck oder das Bedürfnis nach Rotwein hatte.

    LG Orangina

  • Guten Morgen Schotterblume,

    Zitat

    Oder denkst du, dass das Laufen so etwas wie eine Ersatzsucht geworden wäre? (Gibts ja anscheinend auch, Sport-Sucht).


    Diese Angst hatte ich tatsächlich überhaupt nicht. Das ist übrigens auch eine ganz furchtbare Sucht die nicht selten tödlich enden kann. Nein, es war eher so, dass ich mir Gedanken darüber gemacht habe, was passieren könnte, wenn ich diese Leidenschaft dann mal nicht mehr ausüben könnte. Also z.B. weil ich irgend einen körperlichen Schaden erleide, der das Laufen dann einfach verhindert.

    Darüber dachte ich nach und ich hatte Angst davor, dass dann das wieder hochkommen könnte, was ich noch nicht aufgearbeitet habe. Weil ich es ja durch den Sport und die damit verbundenen positiven Effekte weggedrückt statt aufgearbeitet habe. Ich wollte also so klar mit mir selbst sein, dass ich auch dann, wenn ich nicht das tun kann was ich möchte oder was mir unheimlich viel gibt, keinen Gedanken mehr an Alkohol verschwende. Oder einfach gesagt: Ich wollte verhindern, dass ich in ein "Loch" falle, wenn meine "Ablenkung" mal wegfallen sollte.

    Darum, erst mal mit mir und meiner Vergangenheit klar kommen, dann ins neue Leben starten. So habe ich es versucht und jetzt, im Nachhinein, kann ich sagen, dass es für mich recht gut funktioniert hat. Damals war das natürlich nicht so klar, da hatte ich natürlich auch Zweifel ob das alles so richtig ist was ich da mache. Mir gings ja teilweise auch einfach richtig schlecht so dass diese Zweifel ja auch angebracht waren. Wenn es sich heute vielleicht so anhört als hätte ich immer genau gewusst was zu tun, dann will ich hier mal ganz deutlich sagen: Nein, so war es nicht! Aber ich musste irgendwann mal eine Entscheidung treffen. Ehrlich gesagt musste ich in dieser Zeit ständig, teils sehr wichtige, Entscheidungen treffen. Und das war wirklich wichtig, dass ich das getan habe und nicht darum herum geschifft bin oder verschoben, verschoben, verschoben als Stratgie angewendet habe.

    Sich zu entscheiden ist enorm wichtig, auch wenn vielleicht mal eine falsche dabei sein sollte. Dann hat man immernoch die Möglichkeit zu korrigieren und daraus zu lernen.

    Zitat

    Ich verstehe irgendwie dass du keine Ablenkung wolltest, sondern mittendurch.


    Auch dazu möchte ich noch was sagen. Es hört sich bei mir vielleicht manchmal so an, als hätte ich ständig nur aufgearbeitet und mich mit mir und meinen Leben beschäftigt. Das stimmt natürlich so nicht. Ich habe mir "nur" bewusst, regelmäßig (täglich) Zeit dafür genommen. Natürlich habe ich mich auch (temporär) mal abgelenkt. Wenn ich nicht einschlagen (oder durchschlafen) konnte, was in den ersten Wochen oft der Fall war, habe ich z. B. Hörspiele gehört. Das hat mir sehr geholfen mich abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen. Denn schlafen wollte ich natürlich dann schon auch irgendwann mal. Ich habe versucht meine "Denkzeiten" in lange Spaziergänge, die ich wirklich fast täglich gemacht habe, egal bei welchem Wetter, zu packen. Das waren meine Denkspaziergänge, entweder abends nach der Arbeit oder auch untertags am Wochenende oder wenn ich frei hatte.

    Also es war nicht so, dass ich keine Ablenkung gesucht hätte. Aber eben keine, die mir das Aufarbeiten erschweren hätte können. Aber Auszeiten brauchen wir ja alle und die sind sogar wichtig. Sonst ist man ja irgendwann total leer und das ist gerade in der Anfangsphase eines Suchtausstiegs eine große Gefahr.

    LG
    gerchla


  • Darüber dachte ich nach und ich hatte Angst davor, dass dann das wieder hochkommen könnte, was ich noch nicht aufgearbeitet habe. Weil ich es ja durch den Sport und die damit verbundenen positiven Effekte weggedrückt statt aufgearbeitet habe. Ich wollte also so klar mit mir selbst sein, dass ich auch dann, wenn ich nicht das tun kann was ich möchte oder was mir unheimlich viel gibt, keinen Gedanken mehr an Alkohol verschwende. Oder einfach gesagt: Ich wollte verhindern, dass ich in ein "Loch" falle, wenn meine "Ablenkung" mal wegfallen sollte.

    das finde ich interessant. Bei allen Unterschieden hatte ich auch den Gedanken, dass die Trockenheit unter allen Umständen funktionieren muss, wenn sie auf Dauer sein soll. Und auch bei sämtlichen Tiefschlägen, Schwierigkeiten und Unvorhersehbarkeiten. Aber natürlich auch umgekehrt, bei sämtlichen euphorischen Höhenflügen, Feierlaune etc.. Ich hatte aber auch den (zusätzlichen) Gedankengang, dass ich mir im Prinzip jeden Schwachsinn (in gewissem Rahmen) erlauben kann, solange ich dabei nüchtern bleibe.

    Jedenfalls war ich mit Sicherheit nicht bei Schonhaltung...

    Gruß Susanne

  • Hallo zusammen


    Eines hast du mir voraus: Du hast es anderen mitgeteilt,dass du aufhörst und dass du ein Alkoholproblem hast. Ich trage das mit mir alleine herum. Ich habe mich noch nicht geoutet, außer 1 Person ..


    Für mich war es ganz wichtig, dass ich es den wichtigsten Personen in meinem Leben gesagt habe. Es sind auch nur wenige, da ich auch sehr zurückgezogen lebe. Aber es war wichtig, da ich wusste, wenn ich es allein mit mir herumtrage, überfordert es mich und ich würde über kurz oder lang scheitern. Ich hatte nämlich auch schon viele Trinkpausen (immer ohne es jemandem zu sagen) hinter mir, manchmal auch 3 Monate. Ich wusste dass ich es diesmal anders machen musste. Ausserdem habe ich mir damit ein Hintertürchen verbaut, ich kann jetzt weniger gut wieder heimlich anfangen, weil ich nicht heimlich aufgehört habe.


    Ich habe versucht meine "Denkzeiten" in lange Spaziergänge, die ich wirklich fast täglich gemacht habe, egal bei welchem Wetter, zu packen. Das waren meine Denkspaziergänge, entweder abends nach der Arbeit oder auch untertags am Wochenende oder wenn ich frei hatte.


    Ich habe auch angefangen fast täglich spazieren zu gehen. Für mich ist das irgendwie Aufarbeitung und Ablenkung gleichzeitig. Ich kann gut denken beim Gehen und da ich doch immer wieder darauf achten muss wo ich gehe (besonders jetzt mit Schnee und Eis) bin ich immer wieder abgelenkt, was mir aber hilft, mich nicht in den Gedanken zu verlieren. Wenn ich nur sitze und nachdenke, besteht die Gefahr, dass ich irgendwie hängenbleibe, die Gedanken nur kreisen, aber nirgendwo hin führen. Derselbe Effekt wie das Spazieren hat auch das Schreiben für mich.


    Jedenfalls war ich mit Sicherheit nicht bei Schonhaltung...

    Darf ich fragen, was meinst du mit Schonhaltung? Dass du den schwierigen Situationen und Gefühlen nicht aus dem Weg gegangen bist?

    Ich wünsche euch allen einen schönen Tag, lieber Gruss
    Schotterblume

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