Hallo an alle,
ich bin neu hier und habe, wie viele andere auch, schon seit ein bisschen längerem in diesem Forum mitgelesen. Die Frage, die ich stelle, ist wohl auch keine Neue. Das Thema gibt es ja schon oft. Trotzdem schreibe ich jetzt diesen Text hier und hoffe auch irgendetwas, was mir ein bisschen weiterhilft.
Meine Geschichte ist diese: Ich bin seit 8 Monaten bin einem wundervollen Mann zusammen. Ich bin wirklich sehr glücklich. Wir sind noch sehr jung, deswegen kann ich sagen, dass ich sowas wirklich noch nie erlebt habe und einfach alles passt. Mein Freund ist ein sehr aufgeschlossener, sozialer, sehr hilfsbereiter und empathischer Mensch. Er ist gerade am Ende seiner Promotion.
Seit 2 Monaten wohnen wir zusammen - das ging relativ schnell auf Grund von Corona. Und auch das lief toll, obwohl wir eigentlich 24/7 auf kleinstem Raum zusammen waren. So viel zum Geschwärme. Jetzt das Problem.
Er kommt aus Russland und im Allgemeinen ist es so, dass er ein sehr lockeres Verhältnis zu Alkohol hat. Ich selber trinke fast gar nichts, mal alle zwei Monate auf einer Feier vielleicht was. Bei ihm in der Familie hat Alkohol einen hohen kulturellen Stellenwert - es gehört fest dazu sonntags zum Familien Mittagsessen Wein oder Bier zu trinken. Genau so ist es in seinem Freundeskreis (fast nur Männer und im technisch-naturwissenschaftlichen Umfeld) sehr normal, dass einiges getrunken wird. Seit dem wir zusammen sind, kommt es auch viel häufiger vor, dass ich mit ihm zusammen zum Genuss beim Kochen, zum Feierabend, im Park in der Sonne, etc. ein Bierchen oder ein Weinchen trinke. Fand ich alles aber nie schlimm oder bedenklich, da mir nie irgendwas 'besonderes' dabei aufgefallen ist, oder er es irgendwie übertrieben hat.
Seit dem wir zusammen wohnen, ist mir nun an einem Abend vor circa drei Wochen aufgefallen, dass er an diesem einem Tag eine relativ große Menge Alkohol getrunken hat, für meine Verhältnisse. Nach der Arbeit hatte er sich im Park ein Feierabend Bier gegönnt und danach, als wir abends zuhause waren, hatte er alleine vor dem PC noch vier weitere Bier getrunken. Ich hatte vorher nicht wirklich diesem Thema Beachtung geschenkt, seit diesem Abend schon. Als er da so saß, fing ich an zu Grübeln und mir wurde bewusst, dass er circa an 5 von 7 Tagen um die 2-4 Bier alleine trinkt. Dann ist mir rückwirkend aufgefallen, dass wir oft zusammen Alkohol gekauft haben (Wein oder Cider) und wenn ich mir mal ein Glas nehmen wollte, es meistens schon immer weg war und ich noch keinen Schluck davon hatte. Dabei fällt es mir jetzt aber schwer irgendwelche Zeitangaben zu machen, weil ich, wie gesagt, nie vorher drauf geachtet habe und es mir wortwörtlich alles plötzlich bewusst wurde. Von einen Moment auf den Anderen.
Am selben Abend habe ich ihn noch darauf angesprochen. Sehr vorsichtig, da ich mir ja selber nicht mal sicher war, ob da irgendein Problem herrscht oder nicht.
Er war ja an dem Abend auch schon ein bisschen angetrunken, was sonst wirklich sehr selten vorkam. Aber 5 oder 6 Bier an einem Abend ist ja auch schon eine Menge. Unser Gespräch lief so ab:
Ich: Mir ist da mal was aufgefallen und irgendwie habe ich mir da gerade Gedanken drüber gemacht...
Er: Du findest dass ich zu viel Alkohol trinke, richtig?
Ich...Woher weißt du das? Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Aber ja, darum ging es. Mir ist mal aufgefallen, dass du viel alleine vor dem PC trinkst, auch wenn ich gar nichts mittrinke.
Er: Ich habe ein Alkoholproblem.
So. Das war der Schock. Mit der Antwort habe ich nicht gerechnet. Er war, wie gesagt, schon leicht angetrunken und das ganze Gespräch wurde sehr emotional. Er hat mir von schlimmen Dingen erzählt, die in seiner Vergangenheit passiert sind und dass er seit längerem Alkohol so als Problemlösung angenommen hat. Ich habe ihn gefragt, wie wir jetzt vorgehen sollen, ob wir professionelle Hilfe brauchen, etc. Er meinte, was ihm helfen würde, wäre, dass wir einfach kein Alkohol mehr kaufen und nicht mehr in der Wohnung haben, fertig. Natürlich war ich innerlich skeptisch, aber ich hatte mich darauf erstmal eingelassen und wir haben die Regelung gemacht: In Gesellschaft ist es in Ordnung zu trinken, zuhause alleine wird nicht mehr getrunken. Da ich mir ja nicht mal sicher bin, von welchem Ausmaß wir hier reden und ich auch definitiv es noch nicht in diesem Stadion sehe, in dem mal solche Forderungen wie "entweder die Beziehung oder Alkohol" stellt.
Danach fing es an. Ich habe gegoogelt bis zum Abwinken und gefühlt alles über dieses Thema gelesen, wusste nicht wie ich was einordnen soll und wie ich am Besten vorgehen soll.
3 Tage nach unserem emotionalen Gespräch, bei dem wir beide sehr aufgelöst waren, hatte mein Freund beim Einkaufen zufällig alte Freunde getroffen (ja, es war wirklich zufällig). Er hatte sie zu uns nach Hause eingeladen und natürlich haben die Freunde Alkohol als 'danke' mit zu ihm gebracht und natürlich hat mein Freund auch getrunken. Nichts übermäßig wildes, vielleicht 4 oder 5 Bier und er war leicht angetrunken. Er hatte sich ja lediglich an die Abmachung gehalten, trotzdem wuchsen meine Sorgen innerlich. Das Gespräch war ja erst ein paar Tage her. Zu später Stunde ist es dann nochmal 'eskaliert', weil ich völlig aufgelöst war deswegen und ich habe mir erklärt, dass ich mir Sorgen mache. Anders als beim ersten Gespräch, konnte er es diesmal nicht nachvollziehen und war wirklich überrascht über meine Reaktion. Zudem war er auch wirklich überrascht, wenn nicht schockiert, darüber dass ich anscheinend denke, dass er Alkoholiker ist. Er war dann so "ich meinte damit dass ich ein Alkoholproblem habe, dass ich in schwierigen Zeiten mal abends mit Freunden, oder auch alleine, mehr Alkohol getrunken habe. Nicht dass ich süchtig nach Alkohol bin." Das Gespräch war relativ wirr. Er war ja auch leicht angetrunken. Mal habe ich mich richtig schlecht gefühlt, dass ich gerade übertreibe. Mal hat er sehr wirre Sachen gesagt, wie, dass jeder Mensch irgendein Päckchen mit sich trägt und das komplett normal ist.
Danach hat er von sich aus freiwillig gesagt, dass er jetzt für zwei Wochen gar keinen Alkohol trinken wird und danach die vorherige Regel (Zuhause nein, in Gesellschaft ja) gilt. Die zwei Wochen hat er ohne Probleme geschafft. Ich habe sehr genau darauf geachtet. Und nein, ich schließe vollkommen aus, dass er heimlich was trinkt. Das EINZIGE, er trinkt seit dem jeden Abend mindestens 2 oder 3 alkoholfreie Bier. Manchmal auch 4.
Jetzt hatten wir beide Geburtstag innerhalb von einer Woche und es wurde insgesamt 4x gefeiert in kleineren Runden. Ich hatte mir vorher schon Sorgen gemacht, wie es wird, wenn er wieder Alkohol trinkt. Aber es lief alles sehr kontrolliert ab. Auch als die anderen mehr Alkohol getrunken hatten und ihn animieren wollten, hat er die Situation nicht ausgenutzt und ist manchmal wieder auf sein alkoholfreies Bier nach 2 oder 3 Gläschen Wein.
Ich hatte aus lauter Grübelei auch bei einer Beratungsstelle angerufen und die Situation geschildert. Die Dame war sehr nett und bestimmt auch kompetent, allerdings hat sich schon nach der Hälfte gesagt "es tut mir leid, aber Ihr Freund ist Alkoholiker. Es wird jetzt jede Situation in Gesellschaft ausnutzen." Ich versuche, Sachen nicht schön zu reden, aber trotzdem kann ich ihr irgendwie widersprechen, denn mein Freund hätte in den letzten Wochen Situationen oft ausnutzen können, hat er aber nicht. Auf der Arbeit wurde es öfter auf ein Bier eingeladen und er hat abgelehnt oder was alkoholfreies genommen (natürlich war ich nicht dabei, aber ich vertraue ihm zu 100%). Bei seinem Geburtstag mit der Familie meinte der Bruder vorher "ihr habt nur ein sixer Bier und 2 Flaschen Wein für 8 Leute geholt?! Das ist viel zu wenig. Lasst uns mal mehr kaufen. Lieber mehr haben, als zu wenig." Und mein Freund hat direkt abgelehnt, obwohl er das ohne Probleme hätte machen können, denn er weiß, dass ich vor seinem Bruder keine Szene machen würde. Genau so hat er an seinem Geburtstag nur 3 Bier getrunken und und und. Ich finde nicht, dass er versucht, jetzt möglichst viele Situationen sich zu bauen, in denen er Alkohol trinken kann.
Er hat bis jetzt unsere Regel noch nicht gebrochen, mit einer kleinen Ausnahme, wenn man die so zählen kann. Wir wollten uns in die Sonne im Park legen und er wollte beim Kiosk ein alkoholfreies Bier kaufen. Da gab es aber keins und er hatte ein V+ geholt stattdessen. Er hat es nicht zuhause getrunken, aber wir waren ja nur zu zweit im Park.
Also abschließend: ich stecke in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite, weiß ich, dass ich ihm vertrauen kann. Und sein Trinkverhalten in den 2-3 letzten Wochen seit den Gesprächen war für mich sehr normal und nicht besorgniserregend. Auf der anderen Seite... dass er selber einmal gesagt hat, dass er ein Problem hat.. und dann das konstante alkoholfreie Bier. Ich habe dieses Thema noch ein drittes Mal angesprochen, als er eine Woche keinen Alkohol getrunken hatte. Ich hatte ihn gefragt, ob es ihm bis jetzt schwer gefallen ist und er hat verneint. Er wollte auch nicht über das Thema reden. Ich habe in allen 3 Gesprächen immer betont, dass mir Ehrlichkeit dass Wichtigste ist und dass er immer mit mir über alles reden kann, und dass, so bald er merkt, dass unsere Regel nicht ausreicht oder er ein Verlangen oder sonst was hat, er es direkt ehrlich mit mir kommunizieren soll. Er meinte immer, dass ich mir wirklich keine Sorgen machen muss und er sofort mit mir reden würde, aber es kein Problem gibt.
Ich weiß gerade ehrlich gesagt nicht, wie ich mich verhalten soll. Das Thema nochmal ansprechen, wenn doch alles 'gut' läuft und er sich an alles hält und nichts besorgniserregendes passiert, sehe ich irgendwie als kontraproduktiv an. Außerdem finde ich dieses 'nie wieder Alkohol' Thema auch schwierig, gerade weil es in seinem sozialen und familiären Umfeld eine riesen Rolle spielt. Und auch glaube ich, dass dieser Punkt bei ihm (zum Glück) nicht erreicht ist. Auf der anderen Seite... wir sind dabei uns eine Zukunft aufzubauen und je früher man mit einem Problem umgeht, wenn eins da ist, um so höher wären bestimmt die Chancen, dass man es noch in den Griff kriegt.
Was sagt ihr zu der ganzen Geschichte? Kann ich irgendwas tun? Oder einfach abwarten?
Viele Grüße und danke bereits.