Guten Tag!
Nachdem ich in diesem Forum ein paar Tage mitgelesen habe, möchte ich mich vorstellen: ich bin 62 Jahre alt und habe ein Problem mit meinem Alkoholkonsum. Dieses Problem existiert mindestens seit ich mit Anfang zwanzig mit meinem Studium nicht klar kam und es schließlich abbrach. Damals entwickelte ich mich zum Problemtrinker: die Flasche Wein am Abend half mir, meine Probleme weit von mir zu schieben, natürlich immer nur temporär: nach dem alkoholbegünstigten Verdrängen kam natürlich irgendwann das böse Erwachen. Inzwischen sind viele Jahre vergangen und die Probleme wurden andere, wurden mit der Zeit bedeutungsloser und das was mir einmal als Problemlösung erschien, wurde selber zum Problem.
Ein paar Worte zu meinem aktuellen Alkoholkonsum: ich führe seit 14 Jahren ein Doppelleben. Seit dieser Zeit lebe ich nämlich in einer glücklichen Fernbeziehung (nachdem ich vorher die allermeiste Zeit als Single gelebt hatte). Wir leben 230km voneinander entfernt und sehen uns an vielen (aber nicht allen) Wochenenden, in den Urlauben, über Weihnachten usw. Wenn ich alleine lebe, kehre ich immer wieder zu meinem Alkoholkonsum aus der Single-Phase zurück, d.h. z.B. in der Woche eine Flasche Wein pro Tag, an (Single-)Wochenenden auch gerne mehr (bis zu zwei Flaschen). Variationen sind dabei möglich: Craftbier, zwischendurch Jägermeister, u.ä. Zwar gab es Versuche hier einzuschränken, wenn ich z.B. in der Woche morgens vor der Arbeit schwimmen ging, blieb ich den Abend vorher nüchtern, oder auch während der Fastenzeit (dazu später mehr).
Warum sprach ich von Doppelleben? Weil mein Alkoholkonsum ganz anders aussieht, wenn ich mit meiner Freundin zusammen bin. Man muss dazu sagen, dass ihr (verstorbener) Vater Alkoholiker war und die Familie darunter zu leiden hatte, das hat sie stark geprägt und ihr eine Abwehrhaltung gegen Alkohol eingeimpft. Trotzdem hat sie mir nie den Alkohol „verboten“, im Gegenteil: während unserer Beziehung ist sie selber von einer Nichttrinkerin zu einer Gelegenheitstrinkerin geworden, d.h. hin und wieder gönnt sie sich ein Radler oder Aperol-Spritz, wobei ich glaube, dass sie sie mehr wegen des Geschmacks (Zucker!) als wegen des Alkohols trinkt, jedenfalls kann ich ihr um 8 Uhr ein Radler auf den Tisch stellen und um 9 ist es immer noch unangerührt: ich muss immer darüber lachen, bei mir wäre es unvorstellbar! Jedenfalls passe ich mich ihr in meinem Trinkverhalten an, wenn wir zusammen sind: zuhause trinke ich eine Flasche Bier, wenns hoch kommt zwei, wenn wir ausgehen trinke ich schonmal ein Glas Wein, eine Zeitlang tranken wir zusammen Cocktails, es blieb dann in der Regel bei einem. Ihre Familie, mit der wir mehr zusammen sind, als mit meiner (die viel Alkohol-affiner ist), trinkt auch kaum, und im gemeinsamen Freundeskreis wird schonmal eine Flasche Wein auf- und leergemacht, die aber dann zu zweit bis viert geteilt wird und nicht alleine getrunken.
Ich kann mich also sehr gut an eine Nicht- oder Wenigtrinker-Umgebung anpassen: aber! Dies geschieht, weil ich erstens sowieso ein anpassungswilliger Mensch bin und vor allem, weil ich mir nicht die Blöße geben will, zu offenbaren, dass ich ein Problem mit dem Alkohol haben könnte, indem ich mehr trinke als die anderen. Aber das Verlangen ist oft da: vor allem dann, wenn wir bei Freunden übernachten, oder diese bei uns, und wir trinken abends Wein, in Mengen, die mir eigentlich viel zu gering sind. Dann schaue und prüfe ich: wieviel hat der andere im Glas? wie schnell trinkt er? darf ich jetzt schon mein Glas austrinken? sollte ich auf die Frage, ob man noch eine Flasche holen soll mit JAAA! antworten oder lieber mit einem kleinen schüchternen nein, weil es mich in einem falschen (eigentlich im richtigen) Licht dastehen lassen könnte?
Dieses Verhaltens, also nach außen wie ein kontrollierter Trinker zu erscheinen, nach innen ein großes Verlangen nach mehr zu haben, bin ich mir erst in letzter Zeit bewußt geworden. Ich habe in den letzten zwei Jahren schon zweimal versucht (immer zur Fastenzeit), das Trinken auf Null zu reduzieren (Ausnahmen habe ich mir aber auch während der Fastenzeit immer gestattet, z.B. Feste) und nach der Fastenzeit zu einem Zustand kontrollierten Trinkens zu kommen, d.h. auch an den Single-Tagen so zu trinken wie bei meiner Freundin oder den Freunden. Es gelang mir aber nicht: spätestens im Sommer oder Herbst war ich wieder beim alten Zustand.
Seit 15 Tagen bin ich jetzt wieder nüchtern und während dieser Fastenzeit ist mir klar geworden, dass mein Weg nur sein kann: ganz weg vom Alkohol. Keine Ausnahmen während der Fastenzeit und kein gemäßigtes Trinken danach, sondern Null für immer. Beweis, dass es bei mir nicht anders geht, sind neben den regelmäßigen Rückfällen während des Alleinseins eben auch die beschriebenen Situationen „gemäßigten Trinkens“ im Bekanntenkreis, die für mich immer Verzichtsituationen sind. Aber ich möchte nicht gerne auf etwas verzichten, auf das ich ein Verlangen habe! Also muss ich dafür sorgen, dass sich das Verlangen gar nicht einstellt.
Meine Freundin unterstützt mich sehr, worüber ich sehr glücklich bin. In den letzten Tagen habe ich ihr „reinen Wein“ eingeschenkt über das Ausmaß meiner Sucht und über meine Gefühle und mein Vorhaben. Mir zuliebe würde sie sogar auf ihre kleinen Genussdrinks verzichten, obwohl ich ihr sagte, dass es mich wahrscheinlich gar nicht stören würde, wenn hin und wieder ein kleines Radler vor ihr auf dem Tisch schal wird … Ich beschäftige mich mit dem Thema Sucht in Büchern (z.B. Catherine Gray), Podcasts (Nathalie Stüben), Blogs und eben diesem Forum und bin noch der Meinung, dass ich es ohne weitergehende Hilfe (SHG o.ä.) schaffen kann. Ich bin zuversichtlich und im Moment genieße ich das Nüchternsein geradezu.
Ich freue mich auf den Austausch mit diesem Forum.
Liebe Grüße, Klaus