das ewig schlechte Gewissen ...

  • Hallo ihr Lieben,

    ich melde mich mal wieder zurück - nach einiger Zeit...

    Es ist schon ein bisschen Zeit vergangen seit meinem letzten Beitrag, ich fasse meine Situation noch einmal kurz zusammen:

    Ich bin erwachsene Tochter einer nassen (nicht erkannten) Alkoholikerin. Stehe im Leben, bin gefestigt und mir gehts soweit gut.

    Vor ca. 9 Monaten habe ich den Kontakt zu meiner Mutter nach etlichen Eskalationen und einigen Interventionsveruchen vollständig abgebrochen. Für sie völlig unverständlich und aus der Luft gegriffen. Der Freund meiner Mutter, der immer wieder hilfesuchend wegen Ihres Alkoholproblems auf mich zu kam, hat seitdem kein Wort mehr mit mir gesprochen.

    Meine Mutter schrieb mir ab und an noch eine Kurznachricht, bedankte sich für Bilder oder Nachrichten, die ich ihr nie geschickt habe. Ich hab nicht darauf reagiert.

    In den vergangenen Monaten distanzierte ich mich aufgrund der angespannten Lage auch von meiner Oma und Tante (mütterlicherseits - sie wohnen zusammen)
    Kurz vor Weihnachten drückte das schlechte Gewissen dann doch so sehr, dass ich meine Oma anrief. Nach einer von Reihe Vorwürfen konnte ich mal meine Sicht der Dinge von der Seele reden. Das stieß und stößt nachwievor auf völliges Unverständnis. Meine Mutter sei kein Assi, der sein Leben nicht auf die Reihe kriegt, ungepflegt ist und dummes Zeug erzählt (Definition eines Alkoholikers aus der Sicht meiner Oma) und sie hätte doch schließlich immer alles für mich gemacht und ich lasse sie im Stich. Ich solle mich doch mit ihr versöhnen.

    Ich versuche ständig zu erklären, dass es keine Entscheidung aus einem Streit heraus war, dass ich ihr auch nicht böse bin und ihre Definition eines Alkoholikers doch ein wenig weltfremd sei...

    Aber ich stoße nur auf Unverständnis und muss mir nun ständig die selben Vorwürfe anhören. An der Wahrheit ist leider keiner wirklich interessiert.

    Ich fühl mich ganz schön hilflos und allein und unter diesen ganzen Vorwürfen fang ich selbst oft an, an meiner Wahrnehmung zu zweifeln... Außerdem fehlt mir meine Mama im Moment auch sehr. Ich stehe nachwievor zu meiner Entscheidung und empfinde sie als das einzig Richtige, was ich "für uns" tun konnte. Aber sie fehlt mir trotzdem. So wie früher - ohne die Alkoholbrille :-\

  • Hallo chillymilly,

    willkommen zurück bei uns im Forum.

    Ein paar Gedanken von mir:

    Ich erinnere mich noch an Deine ersten Beiträge. Damals hast Du schon eine für Dich unerträgliche Situation geschildert, wo Du u. a. auch schon darüber berichtet hast, dass seitens Deiner Mama keinerlei Einsicht vorhanden ist. Wenn ich richtig rechne, müsstest Du dann zu dieser Zeit auch den Kontakt abgebrochen haben. Konsequenterweise und aus Gründen des Selbstschutzes, was ich bei dem was Du geschrieben hattest absolut nachvollziehen kann. Und so sind bis heute also 9 Monate ohne Kontakt zu Deiner Mama zusammen gekommen.

    Und jetzt schreibst Du hier wieder und beschreibst die ganze Situation im Grunde noch genauso, wie Du sie vor 9 Monaten beschrieben hast. Wahrscheinlich fährt Deine Mama auch nach wie vor betrunken Auto. Es hat sich also in den 9 Monaten überhaupt nichts geändert und auch die Tatsache, dass Du den Kontakt zu ihr abgebrochen hast, hat in ihr nichts bewirkt. Kein Einsehen, kein Nachdenken, kein Umsteuern. Nichts außer Kurznachrichten, die bei Dir so ankommen, als wollte sie Dir den schwarzen Peter zuschieben und Dir ein schlechtes Gewissen einreden, weil Du sie ja einfach sitzen lässt und Dich gar nicht mehr meldest. Und wie aus Deinem Text entnehme, gelingt ihr das auch. Auf schön subtile Weise.

    Auf die Idee, dass es an ihr liegt kommt sie nicht. Auf die Idee, dass ihr Trinken und ihre Sucht, damit also ihr eigenes Verhalten, dafür verantwortlich ist, dass Du Dich distanziert hast, kommt sie nicht. Oder sie will gar nicht darauf kommmen, weil ihr die Konsequenzen dieser Erkenntnis nicht gefallen würden.

    Du hast es also nach wie vor mit einer völlig uneinsichtigen Alkoholikerin zu tun und wenn Du jetzt wieder Kontakt aufnehmen würdest, was denkst Du, wie die ganze Geschichte dann weiter verlaufen würde? Ich denke die Beantwortung dieser Frage ist für Dich ganz wichtig. Meine Vermutung ist, dass Du ganz schnell wieder an der Stelle ankommst, weswegen Du vor 9 Monaten den Kontakt abgebrochen hast. Denn es hat sich ja nichts verändert, im Gegenteil, jetzt kann man Dir erst mal ordentlich Vorwürfe machen, weil Du so eine Rabentochter warst.

    Das weitere Umfeld Deiner Mutter ist ja leider auch alles andere als reflektiert. Deine Oma macht Dir Vorwürfe, die Tante mischt auch noch mit. Und alle schieben sie Dir die A-Karte zu. Na wunderbar. Weißt Du, Deine Oma, die ja die Mama Deiner Mama ist wenn ich das richtig lese, wird sich auch nicht eingestehen wollen, dass ihre eigene Tochter eine Alkoholikern ist. Meine Eltern ignorieren meine Alkoholsucht ebenfalls seit meinem Outing, was nun schon viele Jahre zurück liegt, stets und sehr erfolgreich. Kann man schon verstehen, ist ja nun nicht so toll, wenn die eigene Tochter, der eigene Sohn Alkoholiker ist. Da könnte man gar auf den Gedanken kommen, dass man selbst irgendwas nicht ganz richtig gemacht hat. Was ich aber jetzt Deiner Oma keinesfalls Vorwerfen möchte, denn dazu habe ich keinerlei Informationen / Wissen und es steht mir auch nicht zu. Ich wollte Dir hier nur mal so meine Gedankengänge wiedergeben.

    Und naja, was Du auch nicht vergessen darfst: Je nach Informationsstand, nach Informationswille, nach genereller Offenheit, nach Reflexionsfähigkeit und Reflexionswillen definieren die Menschen einen Alkoholiker halt auch unterschiedlich. Es sind nicht wenige, für die allein aus Unkenntnis heraus ein Alkoholiker nur jemand ist, der völlig verwahrlost auf der Parkbank übernachtet und ne Flasche Fusel im Arm hält. Jemand der noch funktioniert, der noch Job, Führerschein, etc. hat, kann dann ja logischerweise kein Alkoholiker sein. Der trinkt halt ab und an mal ein wenig zu viel, aber mein Gott, wer macht das nicht?

    Und ich denke, mit so einem Umfeld hast Du es zu tun, wobei Du selbst die Dinge ganz anders siehst. Du hast reflektiert, hast Dich informiert und hast aus dem, was Du erleben und ertragen musstest, Deine Rückschlüsse und Konsequenzen gezogen. Und ich glaube Dir, dass diese Konsequenzen für Dich ganz harte waren und sind, denn es geht ja hier um nicht weniger als um Deine Mama.

    Deshalb kann ich das hier auch sehr gut verstehen und nachvollziehen:

    Zitat

    Ich fühl mich ganz schön hilflos und allein und unter diesen ganzen Vorwürfen fang ich selbst oft an, an meiner Wahrnehmung zu zweifeln... Außerdem fehlt mir meine Mama im Moment auch sehr.


    Ja, das ist doch klar. Du hättest es ja gerne anders und Du wärst sicher bereit sofort wieder in Kontakt zu treten, wenn Du ein Signal bekämst, dass sich bei Deiner Mama bezüglich ihrer Sucht etwas zum Positiven verändert. Alles was Du tust ist Dich und Dein Leben schützen. Und dafür brauchst Du Dir keine Vorwürfe machen. Es ist schlimm genug, dass der Alkohol Dir Deine Mama weg genommen hat und sie nicht in der Lage ist, das zu erkennen und etwas dagegen zu unternehmen.

    Zitat

    Ich stehe nachwievor zu meiner Entscheidung und empfinde sie als das einzig Richtige, was ich "für uns" tun konnte.


    Das ist für mich der wichtigste Satz in Deinem Post. Du stehst nach wie vor dazu und Du siehst, dass es für Dich der richtige Weg ist. Und weil Du das so empfindest gehst Du diesen Weg auch konsequent weiter. Ich möchte hier nicht sagen, dass das der einzig mögliche Weg ist, aber Du hast für Dich erkannt, dass es der einzig Richtige ist. So wie Du die Situation von Dir aber beschreibst, ist es in jedem Fall für mich ein sehr logischer und nachvollziehbarer Weg.

    Ich hab ja auch einen Papa, der alkoholbedingt ab und an mal grenzwertig unterwegs ist. Der für mich eine Art persönliche Challenge darstellt und der mich ein ums andere mal vor persönlche Herausforderungen stellt. Durch seine Ignoranz meiner Situation gegenüber, viel mehr jedoch noch durch Provakationen die aus dieser Ignoranz heraus dann teilweise bewusst erfolgen. Ich möchte aber ganz deutlich sagen, dass meine Situation absolut überhaupt nicht mit der Deinigen vergleichbar ist. Also meine Situation ist hier Meilenweit von der Deinen entfernt und wir haben auch viele gute Tage zusammen, weil man Papa nicht ständig trinkt und es meist einigermaßen im Griff hat. Ich würde sagen, er betreibt sei Urzeiten Alkoholmissbrauch auf hohem Niveau, ist jedoch nie komplett in die Sucht gerutscht.

    Was ich Dir eigentlich schreiben wollte: Ich habe mir, als ich begann mich mit dieser Vater-Sohn-Beziehung tiefer auseinander zu setzen, folgende "Vorgabe" gemacht: Wenn ich heute den Anruf bekomme, dass mein Vater verstorben ist, dann möchte ich ihn in Frieden gehen lassen können und meinen Frieden mit ihm gemacht haben. Und auf diese "Vorgabe" meinerseits hin reflektiere ich immer wieder mein Verhalten ihm gegenüber. Hatten wir an Weihnachten noch einen Desput, der mich wirklich fast zur Weißglut gebracht hätte und wo ich nahe dran war richtig auszuflippen, so habe ich mich jetzt wieder geerdet und längst "die Hand gereicht". Will sagen, es ist vergessen bzw. was mich betrifft, in der entsprechenden Schublade abgelegt. Denn ich weiß, dass er mich liebt, auch wenn er das nicht so zeigen kann und auch wenn ihn ab und an mal der Alkohol richtig fiese Dinge sagen lässt.

    Aber der Unterschied zu Dir ist, dass es mich nicht oder nur temporär belastet und ich einen guten Umgang damit gefunden habe. Und eben auch nicht ständig so ist, sondern nur an wirklich schlechten Tagen. Wäre ich in Deiner Situation, würde ich sicherlich auch mich und meine Familie schützen. Vor allem auch dann, wenn die Situation derart ausweglos erscheint, wie das bei Dir der Fall zu sein scheint.

    So, viel geschrieben, vielleicht auch ein wenig wirr ab und an. Aber ich wollte Dir einfach mal meine Gedanken da lassen.

    Ich wünsche Dir ganz viel Kraft damit Du Deinen Weg weiter konsqeunt gehen kannst.

    Alles alles Gute.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla,

    vielen Dank für deinen ausführlichen Text! Es hilft mir wirklich sehr, das zu lesen. In meinem nahen Umfeld gibt es schon Menschen, die mir glauben und mir zuhören, aber wirklich Erfahrung in dieser Sache hat damit eigentlich keiner...

    Zitat

    Du hast es also nach wie vor mit einer völlig uneinsichtigen Alkoholikerin zu tun und wenn Du jetzt wieder Kontakt aufnehmen würdest, was denkst Du, wie die ganze Geschichte dann weiter verlaufen würde? Ich denke die Beantwortung dieser Frage ist für Dich ganz wichtig. Meine Vermutung ist, dass Du ganz schnell wieder an der Stelle ankommst, weswegen Du vor 9 Monaten den Kontakt abgebrochen hast. Denn es hat sich ja nichts verändert, im Gegenteil, jetzt kann man Dir erst mal ordentlich Vorwürfe machen, weil Du so eine Rabentochter warst.

    Genau da bin ich mir ganz sicher. Würde ich jetzt einfach wieder Kontakt aufnehmen, wäre es letztendlich vielleicht einfach nur eine Bestätigung in ihrem Verhalten. Ich komme zurück - ist ja alles in Ordnung. Hatte ich eben nur ne komische Phase nixweiss0

    Ich würde mir einfach von meiner Familie wünschen, dass sie mich ernst nehmen. Dass sie mal ein bisschen genauer hinschauen, evtl. auch mal mit jemandem Außenstehenden darüber sprechen, um einen anderen Blick auf die Geschichte zu bekommen und ihr etabliertes Bild eines Alkoholikers zu überdenken... Genau das hab ich ihnen auch so gesagt, aber ich bin mir sicher, dass das nie passieren wird... So wie sie sich jetzt verhalten, unterstützen sie meine Mama in ihrem Verhalten und ihren Gewohnheiten voll und ganz. Ihrer Meinung nach hab ich meine Mutter auch hintergangen, indem ich Beratungsstellen aufgesucht hab.

    Zitat

    Kann man schon verstehen, ist ja nun nicht so toll, wenn die eigene Tochter, der eigene Sohn Alkoholiker ist. Da könnte man gar auf den Gedanken kommen, dass man selbst irgendwas nicht ganz richtig gemacht hat.

    Das war auch der Grund, warum ich meine Oma zunächst garnicht mit dem Thema belasten wollte. Naja sie ist eben auch schon 80 Jahre alt, da wollte ich ihr auf "ihre alten Tage" nicht noch das Herz schwer machen... Aber irgendwie muss ich mich ja auch erklären dürfen und ich dachte, vielleicht würde es meiner Mama am Ende sogar helfen können, wenn sie Bescheide weiß.

    Aber das war wohl ganz schön viel verlangt. Jedenfalls glauben sie mir keine Silbe und der Umgang mit mir ist jetzt auch sehr beklemmend. Sie tun so, als würde ich jetzt mit dem Finger auf jeden zeigen, der Abends ein Bier trinkt. Und fragen mich, ob ich denn nie was trinken würde - haben einfach den Kern der Sache garnicht begriffen.

    Es ist auch wirklich schwer bzw. einfach unverständlich für mich, dass der Freund meiner Mama einfach nicht mehr mit mir spricht. Er kam immer wieder auf mich zu und wollte das Problem angehen, wir waren zusammen bei einer Suchtberatung, haben auch mit ihr gesprochen und ich habe ihm sogar angekündigt, dass ich die Konsequenzen so für mich ziehen werde. Jetzt geht er nicht mehr ans Telefon, antwortet auf keine Nachricht mehr und lässt mich hängen. Gerne hätte ich wenigstens ab und zu gewusst, wie es ihr geht, wie im Moment der "Stand der Dinge" ist. So hab ich jeden Draht zu ihr verloren.


  • Ich versuche ständig zu erklären...

    Warum eigentlich? Bist Du Rechenschaft schuldig?
    Ich hab früher Bedingungen gestellt, denn wenn sie Kontakt wollen, müssen sie ja mir entgegenkommen. Also, erste Bedingung, Gespräche finden nur mit einem nüchternen Gegenüber statt. Zweite Bedingung, wer mit mir reden will, macht mich nicht schräg an. Usw.
    Solche Vorwürfe hätte ich mir gar nicht erst angehört, da hätte ich das Gespräch abgebrochen.

    Später dann, als mein Vater älter wurde, hab ich das auch so gemacht wie Gerchla. Wie wichtig ist das eigentlich noch, wenn jemand stirbt? Muss ich eigentlich alles persönlich nehmen oder beeinträchtigt mich das wirklich?

  • Zitat

    Warum eigentlich? Bist Du Rechenschaft schuldig?

    Weil es mir einfach wichtig ist.

  • Dann hätte ich vielleicht letztendlich mit keinem aus meiner Familie mehr Kontakt. Müsste ich auch hinnehmen, wenn es so ist, aber ich wär sicherlich traurig darüber.

  • Bei mir in der Famile war das viele Jahre Normalität, das keiner mehr was mit dem Anderen zu tun haben wollte, deswegen sehe ich das vermutlich relativ locker. Und es ging auch nur deswegen wieder zusammen, weil jeder Beteiligte davon abgerückt ist, jemand Anderen ändern zu wollen.

  • Eine andere Frage hätte ich noch ... Vielleicht hat ja jemand damit schon Erfahrung oder Ideen.

    Meine Tochter ist 5 Jahre alt und bekommt demnach auch schon vieles mit. Sie vermisst natürlich ihre Oma, fragt oft nach ihr, will sie besuchen und anrufen.

    Als ich den Kontakt abgebrochen habe, hab ich auch ihr gesagt, dass wir Oma erstmal nicht besuchen können, weil sie krank ist und ich nicht weiß, wann es wieder geht.
    Ich dachte, damit lüge ich sie nicht an und muss ihr aber auch nicht im Detail erklären, was los ist, weil sie das mit ihren 5 Jahren so noch nicht greifen kann. Außerdem - wie Kinder so sind - erzählt sie es bei Gelegenheit natürlich auch jedem anderen weiter ;D

    Die Begründung reicht ihr allerdings so langsam nicht mehr, bzw. denkt sich ein Kind natürlich: die muss doch endlich mal wieder gesund werden, oder wir können sie doch wenigstens einfach mal anrufen!

    Es fällt mir wirklich sehr schwer und tut mir auch Leid, sie immer vertrösten zu müssen. Aber ich wüsste auch nicht wirklich, was ich ihr sonst sagen sollte...

  • Hallo Chilymilly,

    also, ich kann Dir auf Deine Frage leider keine Antwort geben, die Anspruch auf absolute Richtigkeit hätte.

    Ich kann Dir nur sagen, dass uns (meiner Ex-Frau und mir) die Kinderpsychologin damals eindeutig geraten hat, die Wahrheit zu sagen. Dabei ging es nicht nur um meine Sucht sondern noch mehr um die Trennung von meiner Frau und damit war ich dann natürlich auch erst mal aus dem gewohnten Umfeld meiner Tochter weg. Allerdings war sie damals im Grundschulalter.

    In einem anderen Fall, den ich sehr gut kenne, hat sich eine junge Mama das Leben genommen. Bei ihrm Kind (im Kindergartenalter, also genau das Alter Deiner Tochter) standen dann die Hinterbliebenen vor der Frage: was sagen wir diesen Kind jetzt.

    Die Antwort des Psychologen war: sagen sie, dass die Mama tot ist und nie wieder zurück kommen wird! Und zwar genau so deutlich.

    Das ist das, was ich aus meiner Erfahrung zu Deiner Frage beisteuern kann. Wenn ich Dir was raten dürfte: Geh doch einfach mal zu einer Kinderpyschologin und frag dort mal nach. Ich erinnere mich, dass es zumindest in unserem Umkreis Beratugsstellen gab, wo man erst mal schnell und kostenlos gewisse Basisinformationen bekommt. Dort könnte Deine Frage sicher gut beantwortet werden. Wenn es darum geht, mit den Kind selbst intensiv zu arbeiten, dann ist das natürlich was anderes. Aber Dir geht es hier ja jetzt einfach mal um eine Einschätzung.

    LG
    gerchla

  • Hallo zusammen!

    Nach meinem letzten Post hab ich beschlossen einen Brief an meine Mama zu verfassen, um meinem Herzen ein bisschen Luft zu verschaffen. In dem Breif habe ich nochmal erklärt, was mich genau dazu bewegt hat, den Kontakt abzubrechen und dass nur ich allein diesen Entschluss getroffen habe und mich niemand dahingehend beeinflusst. Auch hab ich ihr versucht zu erklären, dass es keine geschlossene Tür ist und dass sie jederzeit auf mich zukommen kann, wenn sie Hilfe möchte, bzw. dass ich es auch akzeptiere, wenn sie sich dagegen entscheidet. Auch hab ich ihr geschrieben, dass ich mehrmals eine Suchtberatungsstelle aufgesucht habe.

    Ich wollte sie nicht beeinflussen, ich wollte ihr nur erklären, dass ich es als Krankheit verstehe und ihr nicht böse bin. Und ihr nochmal Mut geben, sich zu trauen, wenn sie es möchte.

    Am Donnerstag warf ich ihr den Brief in den Briefkasten, Sonntag Mittag rief sie mich an. Sie klang sehr traurig und gleichzeitig so erleichtert mich zu hören. Am Nachmittag fuhr ich zu ihr, damit wir reden können. Das Gesrpäch löste einen riesigen Schwall an Emotionen aus. Sie brach regelrecht unter ihrer Jahrzehnte lang angestauten Last zusammen, weinte nur. Erzählte 1000 schlimme Dinge aus ihrer Vergangenheit und war völlig aufgelöst.

    Ich hab in dem Gesrpäch versucht, ganz sachlich und offen mit ihr zu sprechen, auch über das Thema Alkohol. Sie fragte mich natürlich, wie ich darauf komme und warum ich nicht nochmal das Gespräch mit ihr gesucht habe. Es war nicht leicht ein einigermaßen ruhiges und sachliches Gespräch zu führen, da sie immer wieder aufsprang und wegrannte, dann nach ein paar Minuten wieder zurückkam und es erneut versuchte, so ging das in etwa 1,5 Stunden. Wenn ich sie was fragte, ging sie überhauptnicht darauf ein. Wenn ich ihr erklärte, welche Situationen ich bei ihr beobachtet habe, so sei das alles nie passiert und ich hab mir das ausgedacht oder eingebildet...

    Sie hat einfach eine völlig andere Realität und Sicht der Dinge, was ja irgendwo einleuchtend ist, wenn man sich das Krankheitsbild betrachtet. Jedoch kann ich nicht einschätzen, ob sie an diese verschobene Wirklichkeit auch selbst glaubt, oder ob sie insgeheim weiß, dass es nicht stimmen kann.

    In ihr steckt so viel Selbstmitleid und Enttäuschung über ihr ganzes Leben, das kann man schon als ausgewachsene Depression bezeichnen denke ich.... Da bin ich auch völlig überfordert. Zuletzt ist sie dann weinend weggerannt und hat mich sitzen lassen, woraufhin ich gegangen bin. Später rief sie mich nochmal an und wir verabredeten uns erneut zum Reden für Donnerstag Abend. Ich weiß auch, dass man von solchen ersten Gesrpächen nicht viel erwarten kann und bin einfach schonmal glücklich darüber, dass sie zumindest die Initiative zeigt und reden möchte. Das werde ich ihr auch nicht ausschlagen. Ich weiß nicht recht, wie ich mit diesen Unwahrheiten umgehen soll. Wenn ich ihr zu verstehen gebe, dass ich ihr nicht glauben kann, wird sie abblocken und nicht weiterreden. Andererseits hilft es auch nicht, wenn ich ihr ihre verfälschte Realität bestätige.

    Ich habe ihr vorgeschlagen, dass wir mal zusammen oder auch allein eine Beratungsstelle aufsuchen. Darauf sagte sie, dass sie schon in Betreuung sei, hat das Thema aber sofort wieder abgebrochen, als ich wissen wollte, wo wie warum... Ich hoffe, dass ich darauf vielleicht noch eine Anwort bekomme.

    Gibt es irgendwelche Tipps/Dinge die ich beachten kann, um einigermaßen ruhig im Gesrpäch zu bleiben ohne dass sie ständig die Flucht ergreift? Ich gebe ihr auf jeden Fall alle Zeit der Welt und auch Pausen wenn sie sie braucht. Ich denke, es ist ein guter Weg, dass sie reden möchte. Meine Hoffnung ist, dass sie sich öffnen kann, wenn ich ihr mit Offenheit und Verständnis begegne. Ich möchte ihr das Gefühl geben, dass ich für sie da bin. Leider sieht sie den Alkohol für sich überhaupt nicht als Problem. Sie vertritt die selbe Ansicht wie meine Oma, Alkoliker kriegen nichts mehr auf die Reihe und sie gehe schließlich täglich auf Arbeit. Im Gerpäch ist sie alle paar Sekunden völlig umgeschwungen, zwischen Freude und Erleichterung, dass ich bei ihr bin und wir reden können, zu Abwehr und Vorwürfen, wenn es um das Thema Alkohol geht bis zu völliger Resignation ihrem Leben gegenüber. Sie ist innerlich so zerrissen, dass es enorm schwer ist, ein bisschen Ruhe reinzukriegen. Vielleicht wird es beim zweiten Gespräch etwas besser. Ich geb ihr Zeit und bleibe ruhig.

    Vorhin hab ich mir in dem Zusammenhang gleich wieder einen Gesrpächtermin bei der Suchberatung geholt, der dauert allerdings noch eine gute Woche... Schwer auszuhalten! :-\ :-X

  • Moin, ich bin Betty, (steinalt :D) nein, 63 Jahre alt und seit März 2014 alkoholfrei. Ich würde mich für dich freuen, wenn ihr einen Weg findet.
    Warum ist deine Mutter immer weggelaufen? Ich hab das nicht so ganz verstanden. Oder ist sie dann immer zu einer Alkoholquelle gelaufen? Dann wird das mit den Gesprächen schwierig. Vielleicht wäre tatsächlich eine professionelle Hilfe besser, aber dafür müsste deine Mutter natürlich wollen.

    Egal, versuche einfach was du kannst. Ich drück euch die Daumen.

    LG Betty :sun:

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.

  • Liebe chillymilly,

    ich möchte es erst mal als positiv bewerten, dass Du wieder einen Zugang zu Deiner Mama gefunden hast. Möglicherweise ist dieser Zugang nur temporär und sie wird, wenn Deine Reaktionen nicht so kommen wie sie es sich wünscht, diesen Zugang wieder verschließen. Und ja, es ist nur ein ganz kleiner Zugang und sie ist weit davon entfernt eine wirkliche Einsicht für ihre Krankheit und ihre Situation und auch für Dich zu haben. Dennoch, für Dich, für Dein Seelenheil (wenn ich diesen alten Begriff mal verwenden darf) kann das alles (diese Gespräche) sehr wertvoll sein. Denn Du hast hier einen sehr großen Schritt auf sie zu gemacht, Du hast die Hand ausgestreckt und Du würdest, da bin ich ganz sicher, noch viel mehr für sie tun, wenn sie nur bereit wäre ebenfalls ernsthaft an sich zu arbeiten.

    Aber eines möchte ich Dir auch unbedingt sagen. Bitte achte unbedingt darauf, dass Du dich selbst nicht überforderst. Super, dass Du bereits einen Termin bei der Suchtberatung für Dich ausgemacht hat. Der aber leider ja erst nach dem 2. Gespräch stattfinden wird. Achte auf Dich und distanziere Dich notfalls. Deine Mama rennt weg, wenn sie mit Deinen Fragen überfordert ist. Ich denke auch Du hast das Recht, notfalls das Gespräch abzubrechen, zu beenden oder auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben. Wenn es Dich psychisch überfordert. Ich weiß nicht, was Deine Mama Dir alles erzählt, ich könnte mir aber vorstellen, das da Dinge dabei sind, die man als Tochter nicht unbedingt hören möchte. Und die einen, wenn man sie hört, vielleicht selbst sehr belasten. Deshalb: bitte achte auch unbedingt auf Dich. Du bist ihre Tochter, Du bist aber nicht ihre Psychologin.

    Ich möchte Dir noch meine Meinung zu ein paar Sachen schreiben:

    Zitat

    Sie brach regelrecht unter ihrer Jahrzehnte lang angestauten Last zusammen, weinte nur. Erzählte 1000 schlimme Dinge aus ihrer Vergangenheit und war völlig aufgelöst.


    Darum mein "achte auf Dich" und "Du bist nicht ihre Psychologin"-Anmerkung. Was nicht heißt, dass Du Dir das nicht anhören sollst (wenn Du es verarbeiten kannst). Lösen sollte sie all das aber mit HIilfe von Menschen, die etwas davon verstehen. Und ich denke das sollte hier auch Dein Standpunkt sein.

    Zitat


    In ihr steckt so viel Selbstmitleid und Enttäuschung über ihr ganzes Leben, das kann man schon als ausgewachsene Depression bezeichnen denke ich


    Das ist gar nicht untypisch für alkoholkranke Menschen. Aus der Sucht heraus entwickelen sich nicht selten depressive Verstimmunen aber auch "richtige" Depressionen. Manchmal ist es auch umgekehrt und Menschen rutschen über eine Depression in die Sucht, weil sie den Alkohol als Stimmungsaufheller missbrauchen. Bei den meisten Geschichten die ich kenne, wo also Menschen eine Depression (oder depressive Phasen) in der Sucht entwicklt haben, sind diese nach Überwindung der Sucht "von selbst" verschwunden.
    Und was das Selbstmitleid betrifft: Ja, darin sind Alkoholiker auch Meister. Denn das dient ja dann auch wunderbar als Grund dafür, warum man trinken muss. Und naja, dadurch dass sich ja die Psyche und das eigene Wahrnehmen durch die Sucht verändert, glaubt man das alles ja auch.

    Zitat

    Ich weiß nicht recht, wie ich mit diesen Unwahrheiten umgehen soll. Wenn ich ihr zu verstehen gebe, dass ich ihr nicht glauben kann, wird sie abblocken und nicht weiterreden. Andererseits hilft es auch nicht, wenn ich ihr ihre verfälschte Realität bestätige.


    Das ist wirklich nicht einfach und hier wäre eigentlich ein Psychologe gefragt. Ich meine, Du solltest auf jeden Fall versuchen immer sachlich zu bleiben. Ggf. auch gezielte, aber nicht wertende Nachfragen stellen. Es wird darauf hinaus laufen, dass Du viele Dinge dann einfache "stehen lassen" musst, wenn Du nicht in die von Dir angedeutete Gefahr geraten willst. Also das sie einfach dicht macht. Andererseits ist das wieder genau das, was ich mit "achte auf Dich" gemeint habe. Sowas ist wirklich nicht einfach, kann extrem belastend sein und ist eigentlich was für einen Profi. Denn Du wirst Deine Mama nicht therapieren können, das ist auch überhaupt nicht Deine Aufgabe. So bist Du jetzt hier also im Spagat zwischen Tochter die helfen will und betroffene Tochter, die sich unbedingt schützen muss. Nicht einfach und ich kann Dir auch keine Lösung sagen. Außer meinen "Ideen" die ich Dir schon genannt habe.

    Zitat

    Darauf sagte sie, dass sie schon in Betreuung sei, hat das Thema aber sofort wieder abgebrochen, als ich wissen wollte, wo wie warum... Ich hoffe, dass ich darauf vielleicht noch eine Anwort bekomme.


    Das kann alles und nichts bedeuten. Ich würde eher an nichts glauben wollen. Denn wenn sie wirklich ernsthaft in Betreuung wäre, also in psychologischer Betreuung, dann hätte sie keinen Grund hier so zu reagieren. Es sei denn, sie macht das erst ganz kurz und hat noch nicht verstanden, dass sie eine Krankheit hat wofür sie sich nicht zu schämen braucht.

    Zitat


    Gibt es irgendwelche Tipps/Dinge die ich beachten kann, um einigermaßen ruhig im Gesrpäch zu bleiben ohne dass sie ständig die Flucht ergreift?


    Tja, außer meinen persönlichen Anmerkungen von oben, die keinerlei Anspruch auf "Wirksamkeit" haben, kann ich Dir hier leider nichts sagen. Da bräuchte es jetzt jemanden, der damit richtig Erfahrung hat. Ich halte das alles aber eben gerade aufgrund Deiner persönlichen und damit auch sehr emotionalen Nähe für sehr schwierig. Sachlich bleiben, sachlich nachfragen, keine Vorwürfe machen wird sicherlich hilflreich sein. Die Frage ist eben, was die Antworten Deiner Mama mit Dir machen....

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    Jedoch kann ich nicht einschätzen, ob sie an diese verschobene Wirklichkeit auch selbst glaubt, oder ob sie insgeheim weiß, dass es nicht stimmen kann.


    Ich kann ich Dir noch sagen, wie das bei mir war. Ich bin, je länger meine Sucht andauerte, mehr und mehr in eine Parallelwelt abgetriftet. Diese war zwar mit der normalen Welt verknüpft, hatte jedoch andere Wertevorstellungen, andere Moralvorstellungen und ganz andere Regeln im Bezug auf Gut und Böse. Schwer zu erklären. Jedenfalls habe ich Dinge geglaubt, wirklich richtig geblaubt, wo ein anderen die Hände über den Kopf zusammen geschlagen hätte. Weil ich sie auch glauben wollte. Das machte mich auch zu einem exzellenten Lügner und Betrüger. Denn wenn man seine Lügen selbst glaubt, dann kann man nahezu perfekt lügen. Und da das normale Umfeld sich gar nicht vorstellen kann, dass man das alles erlügen und erfinden kann, hat es mir vertrauenvoll geglaubt. Verrückt aber es war so. Aber eines möchte ich auch noch sagen: Selbstverständlich hatte ich immer wieder Momente, wo mir klar wurde, was ich da eingentlich tue. Und diese Momente endeten dann entweder darin, dass ich eine Trinkpause einlegte (weil es ja so nicht weitergehen könnte und ich etwas ändern wollte / was mir aber am Ende meiner Suchtzeit gar nicht mehr gelang) oder, dass ich sofort zur Flasche griff um diese Gedanken zu verdrängen, weil ich sie nicht ertragen konnte (was besonders in den letzten Jahren meiner Sucht der Normalfall war).

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    Ich möchte ihr das Gefühl geben, dass ich für sie da bin.


    Das ist schön. Aber ich meine, dass ist unbedingt damit zu verknüpfen, dass sie Einsichtig ist und etwas gegen ihre Sucht unternimmt. Ansonsten wirst Du ganz schnell wieder da sein, wo Du bereits warst. Du wirst nicht weiter kommen mit ihr, wenn sie uneinsichtig der Meinung ist kein Problem zu haben. Da kannst Du dann mehr oder weniger co-abhängig neben ihr her feudeln und ihr beim Trinken und immer weiter abgleiten zuschauen. Helfen kannst Du ihr damit nicht und ganz nebenbei geht Dein eigenes Leben dabei auch noch kaputt. Darum pass hier bloß auf was Du machst und auch was Du sagst. Für sie da sein ist gut. Aber nur wenn sie da raus kommen möchte und bereit ist, die ersten Schritte selbst zu gehen. Alles andere wird eine unendliche Geschichte werden.... Leider....

    Zitat

    Vielleicht wird es beim zweiten Gespräch etwas besser. Ich geb ihr Zeit und bleibe ruhig.


    Dafür wünsche ich Dir alles alles Gute. Kraft, Geschick und das Du sie irgendwie erreichen kannst. Auf die möglichen Gefahren für Dich bin ich schon eingegangen so dass ich jetzt nicht mehr zu sagen haben. Meine besten Wünsche begleiten Dich!

    LG
    gerchla

  • Viele Dank für eure Antworten!

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    Warum ist deine Mutter immer weggelaufen? Ich hab das nicht so ganz verstanden. Oder ist sie dann immer zu einer Alkoholquelle gelaufen?

    Damit meinte ich, dass sie bei direkten bzw. unangenehmen Fragen meist aufgesprungen ist, weinend oder schmipfend, um aus der Situation auszubrechen. Manchmal nur ein paar Meter weg und nach ein paar Minuten wieder zurück.

    Den Gefahren bin ich mir schon bewusst. Im Moment kann ich ihr Gesagtes ganz gut einordnen und für mich unter der Krankheit verbuchen. Ich hab nur gespürt, was in ihr für ein heilloses Chaos herrscht und dass ich dem überhauptnicht Herr werden könnte. Wie du sagst Gerchla, das kann nur ein Profi. Mein Anliegen ist es, sie zu einem Gespräch zu motivieren. Ich bin natürlich auch nicht sonderlich davon überzeugt, das zu schaffen. Ich versuche ihr beim nächsten Gespräch auch nochmal meine Grenzen deutlich zu machen.

    Manchmal, auch im Zusammenhang mit der erwähnten "Betreuung", machte sie Andeutungen, als ginge es um eine Krankheit. Zumindest hat es sich für mich so angehört, was manchmal schwierig zu deuten ist, weil sie oft nur in halben Sätzen spricht. Das kann wiederrum natürlich auch nur Gerede sein. Würde mich aber auch nicht völlig überraschen, wenn sie schon arge gesundheitliche Probleme hätte. Sie sah wieder sehr sehr schlecht aus. Ganz fahle graue Haut, zerknittert, trübe gelbliche Augen. Schwer sie so zu sehen. Ich habe ihr auch gesagt, dass es sich anhört, als hätte sie (in unserem Gesrpäch) eine schwere Zunge. Ich glaube das war der Moment, in dem sie garnichts mehr gesagt und völlig abgebrochen hat. Später am Telefon sagte sie, es liegt an ihren Zähnen oder dass sie im Job immer so viel reden müsste. ???

    Mir wär es auch lieb gewesen, wenn das Beratungsgespräch vorher stattfinden könnte, aber nun ist es so. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Kontakt wieder völlig abreißt (muss), aber es ist ein kleiner Versuch und zumindest weiß sie dann, dass ich ihr immer helfen würde.

    Es hat mir mal wieder gezeigt, wie tief eigentlich alles im Argen ist. Ich erwarte nichts, aber ich hoffe auf Positives. Zum Glück ist sie, wenn sie Zeit zum beruhigen hatte, doch immer wieder recht zugänglich. Vielleicht nützt es was. Ich versuche ihr das Gute aufzuzeigen, wofür es sich lohnt.

  • Zitat

    Vielleicht nützt es was. Ich versuche ihr das Gute aufzuzeigen, wofür es sich lohnt.


    Gemeinhin weist man (ich mach das auch meist) ja immer darauf hin, dass es falsch ist einen uneinsichtigen Trinker bekehren zu wollen und dass man damit nur seine Zeit verschwendet, weil man ihn nicht erreichen kann. Das stimmt in der Regel auch aber es gibt m. E. eben auch noch die andere Seite, dieich besonders bei Eltern-Kind-Beziehungen sehe. Denn wenn es mal vorbei ist, sprich wenn Mama oder Papa z. B. aufgrund der Sucht, verstorben ist, dann hat man keine Gelegenheit mehr das zu sagen was man gerne gesagt hätte und keine Gelegenheit mehr das zu tun, was man gerne getan hätte (oder von dem man glaubte es tun zu müssen). Dann muss man selbst mit diesem Ist-Zustand leben, so lange man eben lebt....

    Deshalb halte ich es immer für sehr wichtig, dass man mit seinen Eltern im Reinen ist. Was aber nicht unbedingt gleichzusetzen damit ist, dass alles gut sein muss. Man sollte nur im Reinen mit dem sein, was man getan, gesagt oder nicht getan und nicht gesagt hat. Ich habe hier z. B. meinen Vater als denjenigen, bei dem ich genau das zu praktizieren versuche.

    Insofern kann es also sein, dass Du das alles jetzt auch ein Stück weit für Dich tust. Und wenn dem so ist, dann ist es auch gut, dass Du es tust. Wichtig ist eben aus meiner Sicht "nur", dass Du Grenzen definierst, diese dann auch erkennst und sie keinesfalls überschreitest. Dass Du eben weißt, wann es gut ist, wann der Punkt erreicht ist, wo Du selbst klar sagst: Bis hierhin und nicht weiter. Und Dich dann eben ggf. wieder zurück ziehst und DEIN Leben weiter lebst. Ohne das Du dann belastet bist, denn Du hast ja alles getan, was Dir wichtig war. Das ist alles nicht einfach.

    LG
    gerchla

  • Hallo chillymilly

    Ich kenne weder Dich noch Deine Mutter, von daher ist es schwierig für mich, aus der Ferne wirklich abzuschätzen, was Ihr beide für Menschen wärt, wenn ihr vor mir stehen würdet.

    Ich schreib da mal ein paar Punkte aus meiner Sicht. Du musst es ja nicht so sehen wie ich, entscheidest ja sowieso Du was Du daraus machst.

    Alkoholiker, also auch ich und vermutlich auch Deine Mutter, sind gut darin, zu leiden und selbstmitleidig zu sein. Für Alkoholiker ist das allerdings normalerweise kein Grund, etwas daran zu ändern, sondern eine Rechtfertigung fürs Trinken. Bei mir war das längere Zeit so, wenn jemand nachgebohrt hat, warum ich so bin und nicht anders, dann hab ich halt alle möglichen Gründe aufgeführt, bis ich irgendwann keine Lust mehr dazu hatte und gesagt habe, ich bin halt so, kannst Du damit leben oder es lassen...ich wusste, dass ich nicht aufhören will und es machte keinen Sinn mehr für mich, da jemandem was vorzumachen. Später hatte ich sogar alle Probleme gelöst und trotzdem weiter getrunken, das nennt sich halt Sucht. Und oft schafft die Sucht ja erst die Probleme, nur zieht man nicht die Konsequenzen draus, weils zu mühselig wäre und man sowieso nicht glaubt, dass Aufhören was helfen würde oder dass das Elend überhaupt erst vom trinken kommt. Dass Alkoholiker alle wegen Problemen trinken, ist ja auch so ein Klischee, betrifft aber nur einen Teil, genauso wie nicht jeder Alkoholiker als Penner auf den Parkbank lebt.

    Ich kann das, was Du schreibst, mühelos so interpretieren, dass Deine Mutter bei Dir um Verständnis für ihr Trinken wirbt und bei Dir die Knöpfe zu drücken versucht, damit Du funktionierst und für sie springst, ohne dass sie etwas ändern muss. Das ist jedenfalls das, was oft passiert. Und ich traue Dir mit Leichtigkeit zu, dass Du auch so funktionierst, tut mir leid, sehe ich so.

    Geredet wird viel, wenn der Tag lang ist, bei einem Alkoholiker mindestens so viel wie bei anderen Leuten. In den meisten Fällen merkt man ziemlich schnell, wenn ein Alkoholiker wirklich was tut. Das, was Du beschreibst, sehe ich eher als taktieren, Spielchen die sie mit Dir treibt, und Du, weil Du Dich an die Hoffnung klammerst, spielst mit. Sie erzählt Dir, was Du hören und glauben willst.

    Ich hab mal drüber nachgedacht, ob es bei mir eine Möglichkeit gegeben hätte, so mit mir zu reden, dass ich irgendwann aufgehört hätte. Ich denke, die Möglichkeit gab es nicht. So lange ich trinken wollte, habe ich niemanden an mich rangelassen - ich meine, geredet habe ich schon, viel sogar, aber geändert habe ich deswegen trotzdem nichts. Ich sah keinen Sinn darin, aufzuhören. Und andere Leute habe ich nicht an mein Leben rangelassen, ich fand, das geht andere einfach nichts an, wie ich lebe. Wenn jemand wollte, dass ich aufhöre - dem sein Problem, nicht meines.

    Bei meinem Vater wusste ich, dass er als Alkoholiker ähnlich tickt wie ich, und ich habe gar nicht erst probiert, ihn davon zu überzeugen, dass er aufhören soll. Ich habe mich im Wesentlichen nur über andere Themen mit ihm unterhalten, da waren wir zwar in Kontakt, aber wir hatten keine Probleme mehr miteinander. Es musste halt einigermaßen nüchtern sein, wenn er mit mir reden wollte, weil er betrunken ziemlich beleidigend wurde und ich mir das nicht anhören wollte und das wusste er, ansonsten habe ich ihn einfach sein Ding machen lassen. Wenn ich versucht hätte, ihn irgendwie zu manipulieren oder ihn zu irgendwas zu bewegen, was er nicht wollte, wäre bei ihm genauso Feuer unterm Dach gewesen wie bei mir, wenn das bei mir jemand versuchte.
    Ich wusste, er wollte trinken, er hat es auch gesagt, also habe ich ihn so gelassen. Mich hat das da schon gar nicht mehr gestört.
    Dazu kann ich auch zu gut nachvollziehen, dass es für einen Trinker absolut sinnlos erscheinen kann, damit aufzuhören, da er sich vom Aufhören kein besseres Leben erwartet. Also warum sollte er sich dafür anstrengen? - und ohne was zu tun, gehts halt meistens nicht.

    Das ist jetzt nur mal eine mögliche Sichtweise so als Input, weil Du ja auch fragst.

    Gruß Susanne

  • Hallo Susanne,
    Danke für deinen Input :)

    Ich verstehe, was du mir sagen willst und kann es schon irgendwo nachvollziehen.

    Der Unterschied hier ist nur, dass meine Mutter nicht ihr Trinken mit Selbstmitleid usw rechtfertigt, sondern zum einen im Selbstmitleid zerfließt und die Trinkproblematik gänzlich abstreitet. Kann sie auch leicht, da ich garnicht dabei bin ,wenn sie trinkt. Sie behauptet also , sie trinkt abends immermal einen Schoppen wein und fertig. Dass das nicht stimmt,weiß ich aus eigener früherer Erfahrung, von ihrem Freund ,der es jahrelang tagtäglich mit ansieht und an ihrem Verhalten, welches einfach dazu passt.

    Ich will nur damit sagen, dass "ihr Leid" keine Ausrede fürs trinken ist, weil es das nach ihrer Auffassung ja garnicht gibt.

  • Das sind Zwecklügen und vielleicht ist sie auch eine Dramaqueen. Ob sie es selber glaubt, weiss ich nicht, ich stecke ja nicht drin, Verdrängung ist aber ein recht verbreitetes Phänomen bei Trinkern. Ich habe jedenfalls ewige Zeiten geglaubt, dass ich nur trinke, weil ich das will und weil es das Leben schöner macht, auch als es sich langsam aber sicher anders entwickelt hat und vielleicht noch nie ganz gestimmt hat. Wenn Du säufst, kann die Welt halt so aussehen. Und um zu trinken, wird gelogen, dass sich die Balken biegen, sonst müsste man ja eventuell was dagegen tun oder den Konflikt ausfechten und das will man ja nicht. Insofern bist Du natürlich der Feind, der ihr das wegnehmen will, und zu dem muss man nicht ehrlich sein.

  • Ich erzähl mal noch was von meiner Tante.

    Da geht es nicht direkt um Alkohol, aber ihr verstorbener Ehemann war auch Alkoholiker und sie Coabhängig. Jetzt ist sie jedenfalls schwer depressiv und verbarrikadiert sich seit 10 Jahren in ihrer Wohnung. Wenn ihre beiden Kinder nichts zu essen vorbei brächten, würde sie nur noch aus Konserven leben.

    Ich hab sie schon lange nicht mehr gesehen, aber anscheinend jammert sie ziemlich rum wie schlecht es ihr geht. Aber sie war vor vielen Jahren mal in Behandlung, hat anscheinend nicht gleich geholfen und seit dem weigert sie sich, etwas dagegen zu tun. Lieber jammert sie halt rum. Und man hat schon mehrfach versucht, sie in Behandlung zu bringen, sie sagt zum Arzt, dass sie das nicht will und dann muss er sie wieder gehen lassen.
    Jedenfalls ist sie auch nur noch eine Belastung und ihr Sohn wartet nur noch drauf, dass sie endlich stirbt, weil das die einzige (Er-) Lösung wäre.

    Wenn jemand nicht wlll, stehst Du machtlos daneben. Und es kommt überhaupt nicht darauf an, ob Du das verstehst oder auch nicht. Das ändert alles nichts. Du kannst es nur akzeptieren oder daran verzweifeln.

    Das ist meinerseits das letzte, was ich dazu schreibe, denn ich kanns auch nicht ändern. Weder das, was Deine Mutter tut, noch das, was Du so alles probierst. Du musst auch selbst wissen, was Du tust, und wenn Du das so willst, musst Du halt auch mit den Konsequenzen leben, dass Du eventuell nicht mehr weisst wo Dir der Kopf steht. Ich bin jedenfalls raus.

  • Hallo chillymilly,

    ich bin selbst erwachsene Tochter aus suchtgeprägtem Elternhaus.

    Zwei Stellen fielen mir hier in Deinen Beschreibungen (auch) auf.
    Susanne und Gerchla haben Dir aus Sicht der Sucht ja schon einiges
    zum Verhalten (Leugnen) Deiner Mutter und ihres Umfelds gesagt.



    Ich versuche ständig zu erklären, dass es keine Entscheidung aus einem Streit
    heraus war, dass ich ihr auch nicht böse bin und ihre Definition eines Alkoholikers doch
    ein wenig weltfremd sei...

    "Erklären" bedeutet, Du bleibst abhängig von der Einsicht der Süchtigen und auch
    der co-abhängig handelnden Familie (incl. Freund Deiner Mutter). Damit hältst Du
    Dich selbst gefangen. - Die Angst, meine Eltern zu "verlieren" (dass wir also nur
    aneinander vorbei, völlig emotional getrennt voneinander leben könnten) schwand
    bei mir irgendwann. Nämlich dann, als mir klar wurde, wie einsam ich schon war.

    (Weil es auch meine Eltern kein bißchen interessierte, wie es MIR mit ihrer Sucht
    ging. Anstelle von Sucht kann man auch jede Art emotionaler Verstrickung im Sinn
    von leugnendem Leben setzen.)



    Ihrer Meinung nach hab ich meine Mutter auch hintergangen, indem ich Beratungsstellen
    aufgesucht hab.

    Wieder macht die (nicht-einsichtige) Unterstellung und Abwertung DEINES Interesses
    Dich machtlos. Das ist überhaupt nicht vorwurfsvoll von mir gemeint, ich sehe einfach die
    Übermacht des süchtigen und co-abhängigen Systems in ihrer gegenseitigen Zuarbeit.

    Du hast dort keine Chance, Deine Interessen (emotional gesunden, entlastenden Umgang
    mit dem Suchtthema anzustreben) anzumelden. Die "Wahrheit" bedroht Deine Mutter und
    Deine Familie (? noch). Solange Leugnen dort der einzig mögliche Umgang mit der Sucht ist,
    haben Deine Gefühle, Deine (sehr klare!) Wahrnehmung und Dein Kummer über die Sucht
    und ihre Folgen für Deinen Platz in der Familie kein "Ohr" in diesem Getriebe dort.

    Vielleicht kannst Du Dir das Leugnen als Krach vorstellen, der notwendig ist, damit niemand
    an seinem Weltbild rütteln muss. ("Wir" haben kein Problem. Auch "Deine Mutter" nicht.)

    Jetzt komme ich nochmal aufs "Erklären", weil mir ein Therapiesatz aus meiner Zeit damals
    dazu einfällt. Als ich Gewissensbisse beschrieb, weil ich es zu Hause immer nur so kurz mit
    meinen Eltern aushielt, lieber eigentlich weg blieb, klärte mich mein Therapeut über meine
    eigene emotionale Gesundheit auf: "Sie bleiben weg, um iHRE eigene Sucht zum Stillstand
    zu bringen." (Er meinte das ständige und völlig uneinsichtige Antreten gegen die Sucht
    meiner Eltern, bzw. meine ständigen Retter-Impulse, die zeitweise völlig meinen Kopf und
    mein Gefühlsleben besetzt hielten. Eigenes Leben war da gar nicht möglich, Freude z.B .)

    Solltest Du nochmal angesprochen werden, könntest Du (nur wenn Dir nach einer Antwort
    ist), sagen, dass Du weg bleibst, um Deine eigene Gesundheit nicht zu gefährden. Einem
    leugnenden, süchtigen System etwas über das Wesen der Sucht zu erklären ... (Funkloch).

    Anders kann ich es auch nicht beschreiben. Ich finde es gut, dass Du Dich abgrenzt und auf
    Dich achtest.

    Viele Grüße
    Wolfsfrau

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