Guten Morgen Gerchla,
(auch wenn es jetzt bereits Mittag ist, ich sitze schon eine Weile an meiner Antwort, und habe dabei viel nachgedacht).
Vielen Dank für Deinen sehr persönlichen Einblick. Was wäre die Welt nur ohne Menschen wie Dich?
Über die Jahre des heimlichen Trinkens hat unsere Ehe stark gelitten. Meine Frau versuchte wirklich alles um irgendwie an mich heran zu kommen, hatte jedoch keine Chance. So lebten wir uns natürlich nach und nach immer mehr auseinander.
Ich kann das gut nachvollziehen. Wenn da eigentlich nichts mehr ist außer ein Berg von Schuld, dann steht man nach der Reparatur trotzdem vor dem nichts. Bei uns ist das glaube ich (noch) nicht so. Ein Freund hat zu mir neulich gesagt: ganz egal, wie sehr Du etwas verzeihen und akzeptieren kannst - was geschehen ist, wird immer geschehen sein, und kann nicht rückgängig gemacht werden, sondern wird Dich für immer begleiten.
Auch unsere Ehe hat durch die Trinkerei gelitten, bis hin zur Haltung: ich gehe den Weg noch, bis die Kinder aus dem Haus sind, und dann werden die Karten neu gemischt. So weit sogar, dass für mich nun die Entscheidung steht, jetzt entweder einen gemeinsamen Weg zu finden, oder die Sache zu beenden. Auf unserem Weg ist bisher aber noch nichts wirklich "krasses" passiert. Aus der Verwandtschaft kenne ich hier u.a. sich Dinge an den Kopf werfen aus unterster Schublade, Würgen der Partnerin, Reaktion mit Polizei und Anwalt, Entwenden des Autos, Schlechtmachen des anderen bei gemeinsamen Bekannten etc. - da sind wir Gott sei dank nicht mal in der Nähe. Da wäre wirklich nichts mehr zu retten, das kann man nie mehr gut machen.
Kränkungen: ja, zwangsläufig - aber nicht durch Böswilligkeit, Gemeinheiten oder gar Taten. Wir besitzen noch immer die gleiche Grundhaltung, schätzen den anderen, und egal, welcher Wind uns bisher ins Gesicht geblasen hat - wir haben uns immer gemeinsam dagegen gestellt, und jeder hat seine Stärken eingesetzt. In letzteren unterscheiden wir uns, wir sind auch beruflich in sehr unterschiedlichen Gebieten unterwegs, aber gerade die Kombination macht uns aus.
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Also, es ist gar nicht so selten, dass sich Paare trennen, nachdem der trinkende Teil trocken wurde. Es halt so, dass ein Trinker wenn er trocken wird, sich natürlich verändert. Wie er sich ja auch verändert hat durch die Sucht.Deshalb ist es auch oft ratsam, dass sich beide Partner, also auch der nicht trinkende, der somit ja eigentlich gar kein akutes Problem hat, in Therapie begibt bzw. sich in irgend einer Form bei diesem Prozess begleiten lässt. Einfach auch um zu verstehen, was da jetzt beim anderen gerade passiert und wie man damit umgehen kann. Denn nicht nur der Trinker muss sein Leben verändern, sondern auch der Partner.
Verstehe ich. Und er entwickelt sich nicht in den Menschen zurück, der er einmal war. Was ihn ausmacht ist nun mal die Summe seiner Erfahrungen, auch die während der Trinkerei gemachten, auch nach dem die Trinkerei zu Ende ist.
Für eine Reha wäre die Anlaufstelle nochmals die Suchtberatung, da werde ich wohl ohnehin teilweise dabei sein. Ich vermute, dass ich da ohnehin mit einbezogen werde. Mir würde das auf jeden Fall gut tun, gerade die letzen Monate waren hart.
Nicht ganz schlüssig bin ich mir beim Thema Co-Abhängigkeit.
Natürlich beschütze ich meine Frau, genau wie den Rest meiner Familie, auch dann, wenn ein Familienmitglied sich etwas zu Schulden kommen lassen hat. Dann aber nicht als blindes Universalschutzschild - die Themen kommen dann schon auf den Tisch, idealerweise aber so, dass der andere eine Chance hat, die Verfehlung zu verstehen und daraus zu lernen, ganz anders, als wenn jemand mit dem Rücken zur Wand steht, und mit der großen Keule bearbeitet wird.
Natürlich übernehme ich auch Aufgaben meiner Frau, die sie derzeit nicht leistet/leisten kann. Aber weniger, um etwas zu verdecken, sondern weil die Aufgaben nun mal erledigt werden müssen, und andernfalls Schaden entstünde, der z.B. die Kinder betrifft. Das kann ich ja nicht einfach hinnehmen, und dadurch rechtfertigen, dass das ja eigentlich nicht meine Aufgabe sei.
Ich kann auch nicht leugnen, dass ich nicht manchmal Verachtung und Wut gegenüber meiner Frau empfunden hätte. Ich denke, das ist ein Stück weit normal, wenn man langsam an der Situation verzweifelt, an der der andere in gewisser Weise "schuld" ist.
Wenn ich mich so durch Artikel zum Thema Co-Abhängigkeit hangle, sind das durchaus Punkte, die sich einer Beschützerphase, Kontrollphase und Anklagephase zuordnen ließen. Ob das der Fall ist, kann ich im Moment noch ganz schlecht beurteilen.
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Bei Deiner Frau scheinen ja nun keine Symptome vorhanden zu sein. Was aber eben nicht bedeutet, dass sie deshalb ein kleineres Problem hat. Denn die körperliche Abhängigkeit folgt in aller Regel erst deutlich nach der psychischen.
Das hatte ich fast so befürchtet. Meine innere Hoffnung war, dass die eine gewisse Relation zwischen körperlich und psychisch bestünde. Aber da war wohl der Wunsch der Vater des Gedanken.
Ich hoffe, dass "nur" die Last die Ursache war.
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Klar, man ist als Alki ein super Blender und Täuscher, man ist ein begnadeter Lügner, ein super Betrüger. Und man hat so seine "Tricks".
Das ist einer der härtesten Nüsse, die ich zu knacken habe: der Vertrauensverlust. Wir verfolgen keineswegs eine naive Idee, dass Geheimnisse voreinander verboten wären - solche Ideen gibt es durchaus, und das halte ich für großen Quatsch. Jeder braucht seine Privatsphäre, und dazu gehören auch Dinge, die den anderen einfach nichts angehen, die aber auch gar keine Bedeutung für den anderen haben. Ich lese ja auch nicht die e-mails meiner Frau oder umgekehrt - das geht den anderen absolut nichts an.
Aber mit dem Entzug des Vertrauens in so gravierenden Dingen komme ich nicht ganz klar, auch wenn ich vom Verstand her verstehe, wie das passiert ist. Gerade das billigend in Kauf nehmen, dass beim anderen ein völlig falscher, und auch alles andere als positiver Eindruck entsteht, das macht mir zu schaffen.
ZitatGrundsätzlich denke ich: je früher weg von dem Zeug, desto besser.
Wie lange das nun schon geht, weiß ich immer noch nicht. Für mich wahrnehmbar würde ich sagen ca. 2 Jahre. Aber das muss ja nichts viel heißen. Die Sache mit den Verstecken habe ich ja auch erst ganz zum Schluss bemerkt.
ZitatNun, wie der Name schon sagt, ist dieser Tiefpunkt ein sehr persönlicher. Beim einen "reicht" der Verlust des Führerscheins, beim anderen die Tatsache, dass er im Job darauf angesprochen wurde und wieder andere mussen erst Familie und ihr gesamtes Umfeld verlieren.
Das stellt mich jetzt wieder vor ein anderes Problem: die Entscheidung, aufzuhören, muss die des Betroffenen bleiben, er muss dazu an seinen persönlichen Tiefpunkt kommen, an dem er den Entschluss dazu fasst. So weit, so gut.
Druck, selbst Hilfe, die so empfunden werden kann, ist kontraproduktiv. Gleichzeitig hielte ich es aber für keine gute Idee, Kinder und Koffer zu packen, und Tatsachen zu schaffen, die dann vielleicht den notwendigen Tiefpunkt bieten, der zur Wende führt.
Wie lässt sich das in Einklang bringen? Eine Trennung nimmt dann zwar den Druck aus einer Beziehung - weil die ja schlicht und ergreifend geplatzt, und der Druck damit - sozusagen - entwichen ist. Aber letztendlich ist es dann doch das Scheitern, das den Druck erzeugt, sein Leben neu zu ordnen. Oder sehe ich das falsch?
Ich hoffe eben, dass das nötige "Klick" jetzt kam, und immerhin: heute ist Tag 6 der Nüchternheit. Sie hat mir ein paar Bücher gezeigt, die sie sich in der Vergangenheit zugelegt und gelesen hat, aber ohne Taten folgen zu lassen. Ich glaube nicht, dass sie zu irgend einem Zeitpunkt den Alkohol als Lösung begriffen hätte, sondern sich durchaus im Klaren war, dass dadurch nur alles immer schlimmer wird. Aber sie hat bisher die Kurve nicht bekommen.
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So kannte ich das von Klein auf. Es wurde weder über Probleme noch über Gefühle diskutiert. Alles was nicht real greifbar war (wie z. B. Gefühle, psychische Probleme, etc.) existierte auch nicht bzw. wurde nur mit Unverständnis zur Kenntnis genommen. Ich habe nicht gelernt Probleme als solche zu akzeptieren und diese dann auch entsprechend zu behandeln und zu lösen.
In der Art bin ich aber ebenfalls aufgewachsen, auch meine Eltern sind dazu kaum in der Lage, haben so etwas selbst nie gelernt, und mich nie gelehrt. Ich musste mir das alles erst im Laufe meines Lebens aus eigenem Antrieb drauf schaffen. Vielleicht hat mich sogar gerade das dazu motiviert.
Meine Eltern stecken oft tief in allgemeinen Klischees fest, was auch heute immer wieder für Konflikte sorgt, weil sich mir bei diesem Gewäsch über "einfache Lösungen" für komplexe Dinge einfach die Nackenhaare sträuben. Wie ich meine Schwiegerleute einschätze, sind die sogar weniger festgefahren.
Frei von Klischees sind wir auch nicht, das wäre anmaßend. Aber Offenheit für neues, sich in andere reindenken und zu Versuchen, nicht nur den eigenen Blickwinkel als Maß aller Dinge zu sehen - so waren wir beide, seit wir uns damals kennengelernt haben, und ich könnte nicht mit jemandem auf Dauer zusammen sein, der starr in seinem Denken und in sich verschlossen ist. Daran sollte es daher eigentlich nicht scheitern.
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Also, Du merkst sicher: einen Königsweg gibt es nicht und ehrlich gesagt: Eigentlich müsste das alles hier Deine Frau lesen. Für sie wären das alles wichtige und vielleicht hilfreiche Information. Dir können sie sicher helfen, als nicht Süchtiger das alles ein wenig besser zu verstehen oder nachvollziehen zu können. Aber letztlich liegt alles allein in den Händen Deiner Frau.
Ich habe das im Verlauf an anderer Stelle geschrieben: mein Part hier ist nur mein Part, den ich unabhängig von dem halte, was meine Frau tut. Sie muss ihr Forum, ihre Gruppe, Literatur oder sonstiges geeignetes für sich finden. Die Informationen tauschen wir aus, vier Augen sehen mehr als zwei, und sie sehen noch mehr, wenn sie nicht das gleiche betrachten. Vom Blauen Buch weiß ich seit gestern, ich werde mir das bei Gelegenheit auch ansehen, aber mit genügt aktuell, was sie herausdestilliert, und für sie Bedeutung hat. Zusammen im gleichen Forum schreiben birgt auch die Gefahren, dass man sich gegenseitig verletzt; das kann auch passieren, wenn man unter vier Augen miteinander redet, aber vor anderen übereinander reden, auch anonym, birgt unnötig Sprengstoff, auch wenn eine Bloßstellung nicht Sinn der Sache ist. Der Verstand weiß das zwar, nicht unbedingt aber der Bauch.
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Du selbst hast hier nur eine Nebenrolle, kannst Unterstützen wenn Du das möchtest und musst gleichzeitig aber höllisch aufpassen, dass Du Dein eigenes Leben nicht durch die Sucht Deiner Frau zu stark negativ beeinflussen lässt. Was natürlich alles andere als einfach ist, das ist mir schon klar. Aber letztlich kannst Du nur auf Dich schauen und Dinge für Dich verändern. Während Deine Frau ihr Leben verändern kann, wenn sie es denn möchte. Denn wenn sie weiter trinken will, dann wirst Du machtlos sein und kannst nur Deine Konsequenzen ziehen.
Genau an dem Punkt bin ich ja. Die negativen Folgen sind jetzt an einem Punkt, der eine Änderung unabdingbar macht. Auf die eine oder andere Weise. Sollten die Dinge letztendlich fürchterlich schief gehen, dann brauche ich andere Hilfe und andere Informationen. Wenn wir die Kurve bekommen, bin ich hier richtig, und noch habe ich/habe ich wieder Hoffnung, dass wir das schaffen können. Weiter verbiegen kann und will ich mich nicht. Aber ich werde alles tun, um wieder aufrecht gehen zu können - im schlimmsten Fall allein, im besten Fall zusammen mit meiner Frau.
LG
P.