Auf der Suche nach Rat als indirekt Betroffener

  • Guten Morgen Gerchla,

    (auch wenn es jetzt bereits Mittag ist, ich sitze schon eine Weile an meiner Antwort, und habe dabei viel nachgedacht).
    Vielen Dank für Deinen sehr persönlichen Einblick. Was wäre die Welt nur ohne Menschen wie Dich?


    Über die Jahre des heimlichen Trinkens hat unsere Ehe stark gelitten. Meine Frau versuchte wirklich alles um irgendwie an mich heran zu kommen, hatte jedoch keine Chance. So lebten wir uns natürlich nach und nach immer mehr auseinander.

    Ich kann das gut nachvollziehen. Wenn da eigentlich nichts mehr ist außer ein Berg von Schuld, dann steht man nach der Reparatur trotzdem vor dem nichts. Bei uns ist das glaube ich (noch) nicht so. Ein Freund hat zu mir neulich gesagt: ganz egal, wie sehr Du etwas verzeihen und akzeptieren kannst - was geschehen ist, wird immer geschehen sein, und kann nicht rückgängig gemacht werden, sondern wird Dich für immer begleiten.

    Auch unsere Ehe hat durch die Trinkerei gelitten, bis hin zur Haltung: ich gehe den Weg noch, bis die Kinder aus dem Haus sind, und dann werden die Karten neu gemischt. So weit sogar, dass für mich nun die Entscheidung steht, jetzt entweder einen gemeinsamen Weg zu finden, oder die Sache zu beenden. Auf unserem Weg ist bisher aber noch nichts wirklich "krasses" passiert. Aus der Verwandtschaft kenne ich hier u.a. sich Dinge an den Kopf werfen aus unterster Schublade, Würgen der Partnerin, Reaktion mit Polizei und Anwalt, Entwenden des Autos, Schlechtmachen des anderen bei gemeinsamen Bekannten etc. - da sind wir Gott sei dank nicht mal in der Nähe. Da wäre wirklich nichts mehr zu retten, das kann man nie mehr gut machen.

    Kränkungen: ja, zwangsläufig - aber nicht durch Böswilligkeit, Gemeinheiten oder gar Taten. Wir besitzen noch immer die gleiche Grundhaltung, schätzen den anderen, und egal, welcher Wind uns bisher ins Gesicht geblasen hat - wir haben uns immer gemeinsam dagegen gestellt, und jeder hat seine Stärken eingesetzt. In letzteren unterscheiden wir uns, wir sind auch beruflich in sehr unterschiedlichen Gebieten unterwegs, aber gerade die Kombination macht uns aus.

    Zitat


    Also, es ist gar nicht so selten, dass sich Paare trennen, nachdem der trinkende Teil trocken wurde. Es halt so, dass ein Trinker wenn er trocken wird, sich natürlich verändert. Wie er sich ja auch verändert hat durch die Sucht.

    Deshalb ist es auch oft ratsam, dass sich beide Partner, also auch der nicht trinkende, der somit ja eigentlich gar kein akutes Problem hat, in Therapie begibt bzw. sich in irgend einer Form bei diesem Prozess begleiten lässt. Einfach auch um zu verstehen, was da jetzt beim anderen gerade passiert und wie man damit umgehen kann. Denn nicht nur der Trinker muss sein Leben verändern, sondern auch der Partner.

    Verstehe ich. Und er entwickelt sich nicht in den Menschen zurück, der er einmal war. Was ihn ausmacht ist nun mal die Summe seiner Erfahrungen, auch die während der Trinkerei gemachten, auch nach dem die Trinkerei zu Ende ist.

    Für eine Reha wäre die Anlaufstelle nochmals die Suchtberatung, da werde ich wohl ohnehin teilweise dabei sein. Ich vermute, dass ich da ohnehin mit einbezogen werde. Mir würde das auf jeden Fall gut tun, gerade die letzen Monate waren hart.

    Nicht ganz schlüssig bin ich mir beim Thema Co-Abhängigkeit.
    Natürlich beschütze ich meine Frau, genau wie den Rest meiner Familie, auch dann, wenn ein Familienmitglied sich etwas zu Schulden kommen lassen hat. Dann aber nicht als blindes Universalschutzschild - die Themen kommen dann schon auf den Tisch, idealerweise aber so, dass der andere eine Chance hat, die Verfehlung zu verstehen und daraus zu lernen, ganz anders, als wenn jemand mit dem Rücken zur Wand steht, und mit der großen Keule bearbeitet wird.

    Natürlich übernehme ich auch Aufgaben meiner Frau, die sie derzeit nicht leistet/leisten kann. Aber weniger, um etwas zu verdecken, sondern weil die Aufgaben nun mal erledigt werden müssen, und andernfalls Schaden entstünde, der z.B. die Kinder betrifft. Das kann ich ja nicht einfach hinnehmen, und dadurch rechtfertigen, dass das ja eigentlich nicht meine Aufgabe sei.

    Ich kann auch nicht leugnen, dass ich nicht manchmal Verachtung und Wut gegenüber meiner Frau empfunden hätte. Ich denke, das ist ein Stück weit normal, wenn man langsam an der Situation verzweifelt, an der der andere in gewisser Weise "schuld" ist.

    Wenn ich mich so durch Artikel zum Thema Co-Abhängigkeit hangle, sind das durchaus Punkte, die sich einer Beschützerphase, Kontrollphase und Anklagephase zuordnen ließen. Ob das der Fall ist, kann ich im Moment noch ganz schlecht beurteilen.

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    Bei Deiner Frau scheinen ja nun keine Symptome vorhanden zu sein. Was aber eben nicht bedeutet, dass sie deshalb ein kleineres Problem hat. Denn die körperliche Abhängigkeit folgt in aller Regel erst deutlich nach der psychischen.

    Das hatte ich fast so befürchtet. Meine innere Hoffnung war, dass die eine gewisse Relation zwischen körperlich und psychisch bestünde. Aber da war wohl der Wunsch der Vater des Gedanken.

    Ich hoffe, dass "nur" die Last die Ursache war.

    Zitat


    Klar, man ist als Alki ein super Blender und Täuscher, man ist ein begnadeter Lügner, ein super Betrüger. Und man hat so seine "Tricks".

    Das ist einer der härtesten Nüsse, die ich zu knacken habe: der Vertrauensverlust. Wir verfolgen keineswegs eine naive Idee, dass Geheimnisse voreinander verboten wären - solche Ideen gibt es durchaus, und das halte ich für großen Quatsch. Jeder braucht seine Privatsphäre, und dazu gehören auch Dinge, die den anderen einfach nichts angehen, die aber auch gar keine Bedeutung für den anderen haben. Ich lese ja auch nicht die e-mails meiner Frau oder umgekehrt - das geht den anderen absolut nichts an.

    Aber mit dem Entzug des Vertrauens in so gravierenden Dingen komme ich nicht ganz klar, auch wenn ich vom Verstand her verstehe, wie das passiert ist. Gerade das billigend in Kauf nehmen, dass beim anderen ein völlig falscher, und auch alles andere als positiver Eindruck entsteht, das macht mir zu schaffen.

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    Grundsätzlich denke ich: je früher weg von dem Zeug, desto besser.

    Wie lange das nun schon geht, weiß ich immer noch nicht. Für mich wahrnehmbar würde ich sagen ca. 2 Jahre. Aber das muss ja nichts viel heißen. Die Sache mit den Verstecken habe ich ja auch erst ganz zum Schluss bemerkt.

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    Nun, wie der Name schon sagt, ist dieser Tiefpunkt ein sehr persönlicher. Beim einen "reicht" der Verlust des Führerscheins, beim anderen die Tatsache, dass er im Job darauf angesprochen wurde und wieder andere mussen erst Familie und ihr gesamtes Umfeld verlieren.

    Das stellt mich jetzt wieder vor ein anderes Problem: die Entscheidung, aufzuhören, muss die des Betroffenen bleiben, er muss dazu an seinen persönlichen Tiefpunkt kommen, an dem er den Entschluss dazu fasst. So weit, so gut.
    Druck, selbst Hilfe, die so empfunden werden kann, ist kontraproduktiv. Gleichzeitig hielte ich es aber für keine gute Idee, Kinder und Koffer zu packen, und Tatsachen zu schaffen, die dann vielleicht den notwendigen Tiefpunkt bieten, der zur Wende führt.

    Wie lässt sich das in Einklang bringen? Eine Trennung nimmt dann zwar den Druck aus einer Beziehung - weil die ja schlicht und ergreifend geplatzt, und der Druck damit - sozusagen - entwichen ist. Aber letztendlich ist es dann doch das Scheitern, das den Druck erzeugt, sein Leben neu zu ordnen. Oder sehe ich das falsch?

    Ich hoffe eben, dass das nötige "Klick" jetzt kam, und immerhin: heute ist Tag 6 der Nüchternheit. Sie hat mir ein paar Bücher gezeigt, die sie sich in der Vergangenheit zugelegt und gelesen hat, aber ohne Taten folgen zu lassen. Ich glaube nicht, dass sie zu irgend einem Zeitpunkt den Alkohol als Lösung begriffen hätte, sondern sich durchaus im Klaren war, dass dadurch nur alles immer schlimmer wird. Aber sie hat bisher die Kurve nicht bekommen.

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    So kannte ich das von Klein auf. Es wurde weder über Probleme noch über Gefühle diskutiert. Alles was nicht real greifbar war (wie z. B. Gefühle, psychische Probleme, etc.) existierte auch nicht bzw. wurde nur mit Unverständnis zur Kenntnis genommen. Ich habe nicht gelernt Probleme als solche zu akzeptieren und diese dann auch entsprechend zu behandeln und zu lösen.

    In der Art bin ich aber ebenfalls aufgewachsen, auch meine Eltern sind dazu kaum in der Lage, haben so etwas selbst nie gelernt, und mich nie gelehrt. Ich musste mir das alles erst im Laufe meines Lebens aus eigenem Antrieb drauf schaffen. Vielleicht hat mich sogar gerade das dazu motiviert.

    Meine Eltern stecken oft tief in allgemeinen Klischees fest, was auch heute immer wieder für Konflikte sorgt, weil sich mir bei diesem Gewäsch über "einfache Lösungen" für komplexe Dinge einfach die Nackenhaare sträuben. Wie ich meine Schwiegerleute einschätze, sind die sogar weniger festgefahren.

    Frei von Klischees sind wir auch nicht, das wäre anmaßend. Aber Offenheit für neues, sich in andere reindenken und zu Versuchen, nicht nur den eigenen Blickwinkel als Maß aller Dinge zu sehen - so waren wir beide, seit wir uns damals kennengelernt haben, und ich könnte nicht mit jemandem auf Dauer zusammen sein, der starr in seinem Denken und in sich verschlossen ist. Daran sollte es daher eigentlich nicht scheitern.

    Zitat


    Also, Du merkst sicher: einen Königsweg gibt es nicht und ehrlich gesagt: Eigentlich müsste das alles hier Deine Frau lesen. Für sie wären das alles wichtige und vielleicht hilfreiche Information. Dir können sie sicher helfen, als nicht Süchtiger das alles ein wenig besser zu verstehen oder nachvollziehen zu können. Aber letztlich liegt alles allein in den Händen Deiner Frau.

    Ich habe das im Verlauf an anderer Stelle geschrieben: mein Part hier ist nur mein Part, den ich unabhängig von dem halte, was meine Frau tut. Sie muss ihr Forum, ihre Gruppe, Literatur oder sonstiges geeignetes für sich finden. Die Informationen tauschen wir aus, vier Augen sehen mehr als zwei, und sie sehen noch mehr, wenn sie nicht das gleiche betrachten. Vom Blauen Buch weiß ich seit gestern, ich werde mir das bei Gelegenheit auch ansehen, aber mit genügt aktuell, was sie herausdestilliert, und für sie Bedeutung hat. Zusammen im gleichen Forum schreiben birgt auch die Gefahren, dass man sich gegenseitig verletzt; das kann auch passieren, wenn man unter vier Augen miteinander redet, aber vor anderen übereinander reden, auch anonym, birgt unnötig Sprengstoff, auch wenn eine Bloßstellung nicht Sinn der Sache ist. Der Verstand weiß das zwar, nicht unbedingt aber der Bauch.

    Zitat


    Du selbst hast hier nur eine Nebenrolle, kannst Unterstützen wenn Du das möchtest und musst gleichzeitig aber höllisch aufpassen, dass Du Dein eigenes Leben nicht durch die Sucht Deiner Frau zu stark negativ beeinflussen lässt. Was natürlich alles andere als einfach ist, das ist mir schon klar. Aber letztlich kannst Du nur auf Dich schauen und Dinge für Dich verändern. Während Deine Frau ihr Leben verändern kann, wenn sie es denn möchte. Denn wenn sie weiter trinken will, dann wirst Du machtlos sein und kannst nur Deine Konsequenzen ziehen.

    Genau an dem Punkt bin ich ja. Die negativen Folgen sind jetzt an einem Punkt, der eine Änderung unabdingbar macht. Auf die eine oder andere Weise. Sollten die Dinge letztendlich fürchterlich schief gehen, dann brauche ich andere Hilfe und andere Informationen. Wenn wir die Kurve bekommen, bin ich hier richtig, und noch habe ich/habe ich wieder Hoffnung, dass wir das schaffen können. Weiter verbiegen kann und will ich mich nicht. Aber ich werde alles tun, um wieder aufrecht gehen zu können - im schlimmsten Fall allein, im besten Fall zusammen mit meiner Frau.

    LG
    P.

  • Zitat

    Wie lässt sich das in Einklang bringen? Eine Trennung nimmt dann zwar den Druck aus einer Beziehung - weil die ja schlicht und ergreifend geplatzt, und der Druck damit - sozusagen - entwichen ist. Aber letztendlich ist es dann doch das Scheitern, das den Druck erzeugt, sein Leben neu zu ordnen. Oder sehe ich das falsch?

    Lässt sich nicht in Einklang bringen. Voraussagen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Es tritt a, b, c oder d ein, und vorher weisst Du es nicht. Ob das Scheitern den Druck zum aufhören überhaupt erzeugt oder ob derjenige dann erst recht säuft, oder ob die Beziehung hinter der Sucht nicht sowieso schon nachrangig ist...wer weiss das schon?

    Das ist der Punkt, an dem Du nichts mehr durch Verständnis, planen und berechnen verbessern, sondern nur abwarten, hoffen und Tee trinken kannst. Wenn Du das aushältst. Das ist die Quintessenz Deiner Machtlosigleit.

  • Moin P.

    Wie ist es euch in der letzten Woche ergangen? Hat es weiter einen positiven für euch alle genommen? Schade, dass man nichts mehr hört/liest.

    Gruß Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.

  • Moin Betty,

    wir leben noch :)

    Was geklappt hat:
    - wir schreiben heute Tag 14 ohne Alkohol!

    Was halbwegs geklappt hat:
    - fürs entsorgen der Alkoholvorräte habe ich ihr Einverständnis (selbst entsorgen ist ein ist-doch-noch-gut Problem)
    - über das Thema Hilfe stellen vs. Druck ausüben habe ich mit ihr gesprochen. Wir haben ausgemacht: ich versuche, mich zu bremsen, auch wenn mir das schwer fällt. Sie weiß, dass meine Absicht ist, zu helfen. Sie wird mir offen und direkt sagen, falls es ihr zu viel wird. Das ist zumindest eine Basis, die helfen kann, manchen ggf. unnötigen Konflikt zu vermeiden.

    Was seitens meiner Frau bisher nicht geklappt hat:
    - kein Arzttermin (mehrere Versuche jeweils Leitung belegt, danach nicht mehr versucht)
    - kein Termin bei der Suchtberatung
    - auch keine weiteren Infos eingeholt

    Nach der Urlaubszeit kommt natürlich auch der berufliche Stress wieder zum Tragen. Zu allem Überfluss steppt auch gerade mal wieder in der Schule der Bär. Das setzt ihr sichtlich zu (mir ebenso, nur eben ohne das Risiko einer flüssigen Lösung).
    Zumindest hat das dafür gesorgt, dass sie sich gesten nach Therapeuten in unserer Nähe umgesehen hat, und sich Montag einen Termin beim Hausarzt holen will. Diese Notwendigkeit siehst sie also.

    LG
    P.

  • Zitat

    Was geklappt hat:
    - wir schreiben heute Tag 14 ohne Alkohol!

    Das ist doch schon ein Anfang und auch eine positive Entwicklung 44.

    Zitat

    Was halbwegs geklappt hat:
    - fürs entsorgen der Alkoholvorräte habe ich ihr Einverständnis (selbst entsorgen ist ein ist-doch-noch-gut Problem)
    - über das Thema Hilfe stellen vs. Druck ausüben habe ich mit ihr gesprochen. Wir haben ausgemacht: ich versuche, mich zu bremsen, auch wenn mir das schwer fällt. Sie weiß, dass meine Absicht ist, zu helfen. Sie wird mir offen und direkt sagen, falls es ihr zu viel wird. Das ist zumindest eine Basis, die helfen kann, manchen ggf. unnötigen Konflikt zu vermeiden.

    Ich mochte meine Alkoholvorräte auch nicht entsorgen, aber ich habe es dann doch getan. Es war für mich eine absolute Befreiung.

    Reden ist hier wohl das A und O. Ohne Ehrlichkeit kommt man ja keinen Schritt weiter. Ich habe mit meinem damaligen Partner zig Stunden, Tage etc. gesprochen. Er hat das Problem verstehen wollen, aber manchmal konnte er mich nicht verstehen. Das ist wohl auch nicht so ganz einfach. Nachdem er selbst irgendwann aufgehört hat, Alkohol zu trinken, denn auch er hatte ein Missbrauchsproblem, hat er mich voll und ganz verstanden. Wir sind immer noch sehr gute Freunde und sprechen heute noch oft über dieses Verständnisproblem ;) :)

    Zitat

    Was seitens meiner Frau bisher nicht geklappt hat:
    - kein Arzttermin (mehrere Versuche jeweils Leitung belegt, danach nicht mehr versucht)
    - kein Termin bei der Suchtberatung
    - auch keine weiteren Infos eingeholt

    :o Das ist ja sehr schade. Sieht sie die Dringlichkeit dann wohl doch noch nicht. Aber... das ändert niemand außer sie selbst.

    Weiterhin euch ein gutes Gelungen und auch ein entspanntes Wochenende.

    Gruß Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.


  • :o Das ist ja sehr schade. Sieht sie die Dringlichkeit dann wohl doch noch nicht. Aber... das ändert niemand außer sie selbst.

    Jein. Wo ich in vielen Fällen sofort (und manchmal unnötigerweise) Vollgas gebe, schiebt sie nicht selten Unangenehmes auf die lange Bank, und wenn es nicht sofort klappt (Feiertag, Leitung belegt, ...), fällt es dort auch gerne hinten runter. Je mehr Dinge von außen einprasseln, und Zeit binden, desto häufiger. Dagegen bin ich ebenfalls nicht "immun", aber ein Stück hartnäckiger.

    Uns würde weniger Stress eindeutig gut tun. Manches davon hat man selbst in der Hand. Anderes, meistens die richtig stressigen Ding, aber nicht - sie schlagen auf, und erfordern ihren Tribut, der Tag hat aber weiterhin nur 24 Stunden. Genau da sehe ich ja diese Zwickmühle: um langfristig eine positive Veränderung zu erzielen, muss man Maßnahmen ergreifen, die dann unmittelbar zu einer zusätzlichen Belastung führen. Wenn einem dadurch alles um die Ohren fliegt (oder zu fliegen droht), erscheint es natürlich "einfacher", die notwendige Handlung nach hinten zu schieben; und dort watet sie dann geduldig, und der Status quo sorgt dafür, dass bis zum St. Nimmerleinstag alles beim alten bleibt.

    Ich denke, das Problem kennt jeder. Oft kompensieren wir das gegenseitig, indem dann eben der andere dran zieht. Ich bin noch immer hin und her gerissen, wie ich mich hier verhalten soll. Machtlos fühle ich mich ich nicht wirklich; ich würde gerne anpacken, um eine Lösung herbeizuführen, aber dabei nicht riskieren, dass es dadurch erst recht in die Hose geht. Da sehe ich das Problem.

    Zitat


    Weiterhin euch ein gutes Gelungen und auch ein entspanntes Wochenende.

    Vielen Dank, ebenso!
    Ich werde gelegentlich von mir hören lassen.

    LG
    P.

  • Hallo ihr Lieben,

    höchste Zeit, mal wieder etwas von mir hören zu lassen, auch um vielleicht dem einen oder anderen in ähnlicher Lage Mut zu machen. Status bei uns: meine Frau ist jetzt seit über 5 Monaten abstinent. Eine Reha wollte sie nicht, aber eine Therapie läuft seit einer ganzen Weile (unter durch Corona erschwerten Bedingungen). Kein Suchtdruck, und ihr geht es so auch sichtlich besser. Gerade nochmal rechtzeitig die Kurve bekommen...

    Ich hoffe, Euch allen gehts gut, und dass Euch die Decke durch die Einschränkungen nicht auf den Kopf gefallen ist.

    LG

  • Hallo Poetr Y. Slam,

    das freut mich für Dich. Und natürlich auch für Deine Frau. Ich bin ein wenig neugierig und mich würde interessieren, wie sich (aus Deiner Sicht) bei ihr dann letztlich der Schalter umgelegt hat. War sie es selbst die dann gesagt hat: "ja ich habe ein Problem und ich mach' jetzt was dagegen?". Oder hast Du sie "überredet" und sie kam dann zur Einsicht? Und die Therapie die sie jetzt macht, hat die unmittelbar mit ihrem Alkoholproblem zu tun oder geht es um etwas das sie als Auslöser für ihr Trinkverhalten sieht bzw. identifiziert hat?

    Bitte nur antworten wenn Du möchtest. Mir geht es einfach nur darum auch zu hören und zu erfahren wie es funktioniert hat, also wie es positiv funktioniert hat. Jenseits der klassischen Wege meine ich. In den häufigsten Fällen bekomme ich (leider) immer nur mit, wie es nicht funktioniert hat. Liegt wahrscheinlich daran, dass die Mehrzahl derer die Versuchen von Alkohol weg zu kommen es nicht schaffen. Oder auch viele Anläufe brauchen.

    Aber wie gesagt, antworte nur wenn Du möchtest.

    Ansonsten kann ich Dir/Euch nur gratulieren. 5 Monate ist jetzt noch keine Ewigkeit aber es ist ein sehr solides Fundament. Und ich wünsche Euch von Herzen, dass sie/ihr daraus 5 Jahre und noch viel mehr macht.

    Alles alles Gute für Dich und Deine Frau.

    LG
    gerchla

  • Hallo gerchla,

    vielen Dank für Deine guten Wünsche, und gerne erzähle ich darüber (denn wo, wenn nicht hier, sollte ich darüber reden? Es ist schön, dass es dieses Forum zum Austausch gibt...).

    Was sie offenbar sehr geschockt hatte, war ein Restalkoholpegel vom Vorabend, durch den sie auch am Nachmittag noch nicht fahrtüchtig war (gemessen mit einem billigen chinesischen Tester, der sicher keinen Anspruch auf absolute Präzision geltend machen kann, aber durchaus brauchbare und plausible Messwerte liefert). Als sie mit den Kindern zum einkaufen fahren wollte, habe ich ihr zuerst den Tester in die Hand gedrückt, nach dem Testergebnis den Schlüssel abgenommen, und bin dann selbst gefahren. Sie hatte offenbar nicht mit dem hohen Wert gerechnet.

    Sicher auch das Wissen, dass ich ihre Alkoholverstecke gefunden hatte, inkl. der Wucht der Erkenntnis, dass etwas ganz gewaltig schief läuft, wenn man so weit ist, Verstecke anzulegen. Das klingt vielleicht komisch, aber ich glaube, dass man die Bedeutung dessen - obwohl man ja selbst aktiv handelt und an sich weiß, was man tut - gar nicht unmittelbar begreift. Erst in der direkten Konfrontation damit ergibt sich die eigentliche Erkenntnis. Wie siehst Du das, kannst Du das so nachvollziehen?

    Von meiner Seite wäre "überredet" wohl zu gelinde ausgedrückt. Ich habe ihr sehr klar gesagt, dass ich sie in jeglicher Hinsicht unterstützen werde, wo ich nur kann, und sie nicht aufgegeben habe - aber dass ich sie an Taten messen werde, und sich unsere Wege trennen werden, wenn sie die Sache nicht in Angriff nimmt. Letzteres hätte ich auch durchgezogen, denn das war so nicht mehr tragbar.

    Sie hat damals unmittelbar kalt entzogen (ohne meine Kenntnis bei zum Glück relativ milden Symptomen) und seither keinen Alkohol mehr angerührt. Die Entscheidung zur Therapie, und der Besuch beim Hausarzt hat sich dann erst mal eine ganze Weile lang hingezogen, wohl auch aus Angst, ein paar Wochen in einer Klinik verbringen zu müssen. Der Arzt hat ihr das zwar grundsätzlich empfohlen, meinte aber, dass die Entgiftung an sich ja bereits erfolgt, und vielleicht ein anderer Weg möglich sei. Er hat sie dann an eine Psychologin (eine Psychodynamikerin, im Vordergrund steht die Suche nach der Ursache des Alkoholismus) vermittelt, und mit ihr scheint das recht gut zu funktionieren. Sie erzählt nicht viel darüber, aber das ist für mich in Ordnung, und dränge nicht darauf. Etwas hakelig ist die Sache allein bzgl. der Kostenübernahme durch die Kasse, da offenbar so nicht vorgesehen - aber machbar.

    Aus anderen Dingen (wie Besuch der anonymen Alkoholiker) ist bisher nichts geworden - aber da muss sie wohl den Weg gehen, der gut und machbar für sie ist. Und das scheint glücklicherweise bisher der Fall zu sein.

    LG

  • Guten Morgen Poetr Y. Slam,

    vielen Dank für Deine ausführliche Antwort. Ich finde es toll, dass Du Deine Geschichte hier teilst. Das ist nicht nur für mich sehr interessant sondern vor allem auch für andere Betroffene. Denn es zeigt wie es gehen kann.

    Ich freue mich wirklich sehr für Dich / Euch, dass Deine Frau scheinbar wirklich den richtigen Impuls bekommen hat und den Schalter umlegen konnte.

    Zitat

    Sicher auch das Wissen, dass ich ihre Alkoholverstecke gefunden hatte, inkl. der Wucht der Erkenntnis, dass etwas ganz gewaltig schief läuft, wenn man so weit ist, Verstecke anzulegen. Das klingt vielleicht komisch, aber ich glaube, dass man die Bedeutung dessen - obwohl man ja selbst aktiv handelt und an sich weiß, was man tut - gar nicht unmittelbar begreift. Erst in der direkten Konfrontation damit ergibt sich die eigentliche Erkenntnis. Wie siehst Du das, kannst Du das so nachvollziehen?

    Ja, ich kann das absolut nachvollziehen. Es hat mich deshalb so interessiert wie es bei ihr jetzt zu diesem Umdenken gekommen ist, weil ich wissen wollte, ob es einen nachvollziehbaren Auslöser gegeben hat. Und was Du da schreibst hat durchaus auch was mit dem von uns oft angeführten persönlichen Tiefpunkt zu tun. Wo wir ja immer sagen, dass dieser i. d. R. erst mal erreicht werden muss bevor beim Alkoholiker ein Umdenken einsetzen kann. Auch wenn das vielleicht keine absolute Allgemeingültigkeit hat so zeigt die Erfahrung doch, dass es häufig so ist. Zumindest berichten das Betroffene die es geschafft haben häufig im Nachhinein.

    Und dieser Tiefpunkt ist eben persönlich, sprich: sehr individuell. Ich kenne z. B. einen Alkoholiker, der mit dem Trinken aufhörte nachdem ihm der Führerschein abgenommen wurde. Er fuhr morgens, ohne dass er bereits getrunken hätte, mit dem Auto und wurde angehalten. Und hatte noch etliches an Promille im Blut (ich weiß nicht mehr genau wie viele es waren). Das hat ihn dermaßen geschockt, dass es dazu führte das er nach Jahren des abhängigen Trinkens in die Klinik ging, entgiftete und anschließend das ganze Programm durchlief. Bei ihm hing dann noch eine Angststörung mit dran, die der eigentliche Auslöser für sein Trinken war und heute ist er alles los. Seit vielen Jahren lebt er ohne Alkohol und ohne Angst.

    Ich kann mir also sehr gut vorstellen, dass Du Deine Frau genau zur richtigen Zeit mit genau der richtigen "Maßnahme" konfrontiert hast und sie genau damit zu einem Umdenken bewegen konntest. Und das noch kombiniert mit Deiner klaren Ansage sich von ihr zu trennen, wenn sie das jetzt nicht in Angriff nimmt. Perfekt und genau richtig.

    Ich möchte aber auch sagen, dass das bei jemand anderen genauso gut in die Hose gehen hätte können. Und das ist eben das, was so verdammt schwierig ist bei dieser Krankheit. Es gibt absolut keinen Königsweg, also einen Weg der i. d. R. immer funktioniert. Den gibt es nicht. Im Gegenteil: Meistens funktioniert es eben nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Dich Deine Frau abtropfen hätte lassen können erscheint mir als wesentlich höher als das was Dir jetzt tatsächlich passiert ist.

    Und deshalb ist es auch immer so wichtig, dass der betroffenen Angehörige einen Plan B hat. Also das er ganz klar ist und weiß was er tut, wenn seine klaren Ansagen und anderen Aktionen beim trinkenden Partner nichts bewirken. Denn das ist eher die Regel als dass sich der trinkende Partner, wie Deine Frau glücklicherweise jetzt, plötzlich wandelt und dann konsequent gegen die Sucht vorgeht.

    Es ist wirklich toll, dass das bei Euch so gekommen ist. Das passiert nicht so oft, aber halt doch immer wieder mal. Darum schreiben wir hier ja auch oft, ,dass man es auf jeden Fall ansprechen sollte, dass man den Trinkenden mit seiner Sucht und seinem Verhalten konfrontieren soll aber auch gleichzeitig entsprechende Konsequenzen ankündigen sollte. Die man dann aber eben auch ziehen muss, wenn es schief geht, was, wie schon gesagt, leider eher die Regel ist. Bei Dir /Euch ist es glücklicherweise nicht so! :)

    Zitat

    Sie erzählt nicht viel darüber, aber das ist für mich in Ordnung, und dränge nicht darauf.


    Super, sie ist in Behandlung und es geht um die Trinkgründe. Super das sie offenbar auch jemanden hat mit dem es funktioniert, dem sie vertrauen kann (war bei mir z. B. nicht der Fall). Und nochmal super, dass Du sie nicht drängst. Du bist nicht ihr Therapeut, das ist überhaupt nicht Deine Rolle. Du bist ihr Mann nicht ihr Psychologe. Ich kann von mir sagen, dass ich meiner jetzigen Frau gegenüber immer offen und ehrlich war und bin. Das ist für mich eine zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Beziehung. Sie kennt meine Geschichte, weiß um meine Sucht, kennt die schlimmen Dinge die ich getrieben habe. Trotzdem würde ich ihr nicht meine seelischen oder psychischen Probleme im Detail aufbürden wollen. Oder mir von ihr eine Lösung der selbigen erwarten. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht der Auslöser dafür ist. Denn damit könnte ich sie ja auch sehr schnell überfordern, das ist auch nicht ihre Aufgabe, zumindest in meinen Augen.

    Insofern glaube ich, dass es gut ist, wenn Du sie hier machen lässt. Es ist ihre Krankheit die sie bekämpfen muss und offenbar auch bekämpfen will. Wenn sie Dich tiefer mit einbeziehen will, wenn sie Dich an der ein oder anderen Stelle braucht, dann wird sie Dir das bestimmt sagen. Gleichzeitig zeigst Du ihr durch Dein Verhalten auch, dass Du ihr vertraust und zutraust, dass sie ihren Weg aus der Sucht gehen wird.

    Zitat

    Aus anderen Dingen (wie Besuch der anonymen Alkoholiker) ist bisher nichts geworden - aber da muss sie wohl den Weg gehen, der gut und machbar für sie ist.


    Das sehe ich auch so. Sie muss ihren Weg gehen. Und wenn sich abzeichnet, dass der eingeschlagene Weg funktioniert oder funktionieren könnte, dann ist das gut so. Man muss meiner Meinung nach nicht alles machen nur um des Machens Willen. Es ist sicher von großem Vorteil, wenn man grundsätzlich bereit ist alles zu tun, aber wenn man, wie im Falle Deiner Frau, bereits einen guten Weg für sich gefunden hat, dann kann man sich sicher auch erst mal darauf konzentrieren. Möglicherweise hat sie im Laufe der Zeit selbst einfach mal das Bedürfnis sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Das ändert sich ja auch alles im Laufe des "Trockenwerdens". Bei mir war's z. B. so, dass die AA meine erste Anlaufstelle waren, bereits 24 h nach meinem letzten Bier. Noch lange bevor ich zum ersten mal zum Arzt gegangen bin. Wochen, nein sogar 2 Monate bevor ich meinen ersten Psychologentermin hatte.

    Und trotzdem stellte ich nach einigen Monaten fest, dass ich mich dort nicht mehr wohl fühle und dass mir diese Besuche nicht mehr das bringen, was ich eigentlich bräuchte. Und ich verließ diese Gruppe wieder, obwohl sie Anfangs mein Anker war und das beste was mir passieren konnte. Das ist jetzt viele Jahre her und ich lebe seither ohne analoge SHG, habe aber eben andere Dinge gemacht, die mich weiter gebracht haben.

    Wie gesagt, es ist alles sehr individuell. Schön, dass Du uns so ein positives Feedback geben konntest. Schön, dass es für Dich und Deine Frau eine gute Perspektive gibt. Und nochmals vielen Dank, dass Du Deine Geschichte hier teilst. Ich glaube das ist für viele andere Betroffene hoch interessant. Alles alles Gute für Eure gemeinsame Zukunft wünsche ich Dir!

    LG
    Gerchla

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