Eine Zeitreise

  • Hallo liebes Forum,
    das hier ist mein erster Eintrag. Ich bin das Kind einer Alkoholikerin, ein erwachsendes Kind wie man so schön sagt.
    Ich habe meine Mutter seit gut 10 Jahren nicht mehr gesehen, ich bin nicht sicher ob und wo sie lebt.

    Ich möchte mein Thema der Zeit widmen. Ich weiß nicht ob es anderen auch so geht, naja deswegen suche ich vermutlich den Austausch, aber ich aber keinerlei Fähigkeit Ereignisse meiner Kindheit Jahreszahlen oder einer gewissen Chronologie zuzuordnen.

    Meine früheste Kindheit ist geprägt durch Erlebnisse mit meiner betrunkenen Mutter, von Vollsuff, bis kotzend und blutend am Boden liegen. Ich habe erlebt wie sie eingeliefert wurde und wie sie dann "weg" war und welche verwirrende Erleichterung das mit sich brachte. Ich habe so viele Situationen mit ihr und wegen ihr als Kind erlebt, die Erinnerungen sind da, teilweise sehr klar aber irgendwie ist alles ein Erinnerungs-Brei.
    Ich kann dem kaum bis gar nicht Jahreszahlen zuordnen, teilweise ist es wie im Nebel. Als ob ich selbst betrunken gewesen wäre.
    Wem von euch geht es ähnlich?

    Auch die überall beliebten "Kindheitserinnerungen", dieses "weißt du noch?" oder "ach damals da war ich da und da" das gibt es bei mir nicht. Ich habe leider auch keinerlei Kinderbilder von mir.

    Ein weiterer Punkt: die Zeit heilt alle Wunden, so heißt es, doch tut sie das? Ich bin über den zu tiefst verletzten pubertären Punkt hinweg, dass ich meiner Mutter die Krätze an den Hals wünsche. Ich war lange, viele Jahre so wütend. Hin und wieder bin ich es auch immer noch aber eben anders. Aber im Großen und Ganzen habe ich meine Wut getauscht, gegen Trauer. Gegen Trauer gegen Liebe, gegen Sehnsucht und Enttäuschung. Ich weiß inzwischen das all diese Gefühle gelebt werden dürfen, trotz dem was vorgefallen ist. Und dennoch fühle ich mich wund, wie das Kind dieser Frau eben. Es fühlt sich an, als ob sie mich mit einer Behinderung versehen hätte, mit der ich leben muss.
    Wie ist es für euch?
    Ich spüre diese "Behinderung" in meiner Ehe, im Umgang zu meinem Kind, in Minderwertigkeitsgefühlen, in so vielen Situationen.
    Trotz Therapieerfahrung, sowie dem Besuchen einer Selbsthilfegruppe habe ich das Gefühl eine Tasse mit Sprung zu sein :D Ich lächele während ich das tippe und dennoch fühlt es sich so unbeschreiblich tief und traurig an. Ich lache und weine buchstäblich gleichzeitig.

    Ich freue mich über jede einzelne Antwort, jede Erfahrung die mit mir geteilt wird, ich wünsch euch was!

  • Hallo, liebe freieGedanken, :)

    Hallo und ein erstes herzliches Willkommen hier im Forum!

    Ich bin gerade über Deinen Beitrag gestolpert und möchte gern mit Dir teilen.


    Ich lächele während ich das tippe und dennoch fühlt es sich so unbeschreiblich tief und traurig an.
    Ich lache und weine buchstäblich gleichzeitig.

    Mein erster Einfall dazu war eben: Es klingt wie die Ungläubigkeit eines verdutzten Kindes, das
    nicht weiß, ob nun das Leid stimmt oder die Tatsache, dass es trotz allem lebt ... ? Als wäre ein
    Hurrikan über Dich hinweg gefegt und Du weißt nicht, wie Dir geschehen ist, was von allem "Du"
    bist.

    Namen für das Geschehene finden, es ausdrücken, zugewandte Reaktionen darauf in den
    Gesichtern Deiner Gegenübers erleben, das wünsche ich Dir gerade von Herzen! Schön, dass
    Du schon in eine Gruppe gehst und so einen Rahmen hast, wo sich-zeigen möglich ist und auch
    geschützt.

    Die gefühlte "Behinderung" teile ich mit Dir. Auch wenn in meinem Elternhaus nichts äußerlich
    trostlos war, naja, außer den Gesichtern eben. Ich bin Einzelkind und habe viele Erfahrungen
    zum Umgang mit mir, meinen Gefühlen, iM Kontakt, überhaupt gleichberechtigten Kontakt, nie
    wirklich gelernt. Ich konnte nur "Anpassung" (völlig im Kopf des anderen sein) oder Weglaufen.
    Oder gleich Wegbleiben (Partnerschaft als Thema).

    Ich glaube, das ist wirklich so: All diese unnatürlichen Abläufe daheim, und die passend dazu
    erworbenen Anpassungsmuster, um da irgendwie noch "durchzukommen", die kleben einem
    wie eine Steuerflosse unterm Kahn. - Wo ich gerade bei diesem Bild bin: Ich glaube zutiefst
    an die Möglichkeit, herauszufinden, wie diese Flosse auf welche Situationen reagiert. Erstmal
    meine eigenen typischen Reaktionsweisen zusammen zu tragen. - So lange das eben braucht.
    Und dann, wieder mit aller Zeit der Welt, eins nach dem anderen oder so, wie sie aufsteigen,
    anschauen. Was passiert da? Wie nennt sich das? - Will ich das überhaupt? Was zieht mich
    wirklich an, was weckt Freude in mir (oder so)? - Bis man irgendwann diese Flosse anfassen
    und gelegentlich vielleicht umlenken kann.

    "Man" ist immer doof, ich spreche nur so allgemein, um es weder Dir noch mir anzudichten.
    Niemand weiß ja vorher, wie Dein Weg oder meiner wirklich aussieht, und wie Heilung letztlich
    geschieht. Wodurch sie angestoßen wird, welchen Verlauf sie nimmt, das fließt ja eher, als dass
    wir vorher wüssten, wie es zu machen sei. (In meinem Fall GottseiDank, ich würde es noch
    schaffen, sie kaputt zu planen.)

    Einfach liebe Grüße, Mut und vor allem ganz viel Geduld mit Dir und Deinem Tempo,
    das wünsche ich Dir für jetzt!

    Wolfsfrau

  • Liebe Wölfin,
    vielen Dank für deine Antwort, sie berührt mich sehr.
    Einfach weil ich das Gefühl habe, du kannst lesen was ich schreibe. Was ich "wirklich" schreibe.

    Ich bin früher in eine Gruppe gegangen, schon lange nicht mehr. Ich nehm´s mir immer wieder mal vor aber schaffe es dann doch irgendwie nicht. Aber meine Zeit wird schon noch kommen.

    Ja diese Floße... sie kam, als es wichtig war irgendwie manövierfähig zu sein, irgendwie zu leben, einfach nur zu über (wasser)leben...
    Diese tollen Muster die man selbst noch viel zu wenig durchschaut hat. Ich reflektiere viel und erkenne inzwischen einige von ihnen aber was mir Angst macht, ist dass ich einige an mein Kind weitergebe, einfach weil sie mir nicht klar sind. Und erst wenn sie mir zeigt was ich weitergegeben habe, erschrecke ich und es wird mir schmerzlich bewusst.

    Was das Anpassen angeht, das empfinde ich ganz ähnlich wie du, zumindest glaube ich es.
    Ich habe nur mehr und mehr Angst, einfach kein "Ich" zu haben, so aus Anpassungs-& Überlebensstrategie zu bestehen, das da einfach kein Individuum ist. Wie gehst du damit um? Oder siehst du es eher als etwas possitives?

    Grüße

  • Hallo DieGedankenSindFrei,

    Bei deinem Namen höre ich sofort das Lied dazu ... das kannte ich schon als Kind.

    Ich empfand / empfinde mich - ähnlich wie du es beschreibst - auch mitunter als „leer“, ohne eigenes Ich. So wie auch Wolfsfrau es beschreibt: Ganz und gar im Kopf der anderen (vermeintlich, denn es ist ja eigentlich doch mein Kopf, nur eben voller Gedanken, die ich nicht als meine erlebe.)

    Seit einigen Jahren arbeite ich mit Hilfe einer Therapeutin daran, mich (wieder) zu finden. Es ist ein richtiges Glück, wenn ich mich spüre. (“Oh, das mag ich ja wirklich gerne.“) und mich dadurch entdecke. Aber es ist schwer, und die Flosse unten am Kiel (was für ein gutes Bild!) bewegt sich noch immer kaum.

    Hast du denn jetzt derzeit therapeutische Unterstützung?

    Auch ich habe ein Kind und mir ist es sehr wichtig, zumindest zu versuchen, nicht alles einfach an die nächste Generation weiterzugeben. Das ist eine der stärksten Motivationen, dranzubleiben, auch wenn es immer wieder Stagnation und Rückschritte gibt.

    Herzlich willkommen hier und einen guten Austausch!

    Camina

  • ... ich nochmal, liebe freieGedanken,

    bin noch wach und dachte mir eben, dazu möchte ich noch was sagen ... :)

    Zitat von: DieGedankensindfrei am Heute um 23:14:13

    Ich habe nur mehr und mehr Angst, einfach kein "Ich" zu haben, so aus Anpassungs-&
    Überlebensstrategie zu bestehen, das da einfach kein Individuum ist.


    Es gibt 12-Schritte-Gruppen ("Anonyme X", "Anonyme Y"), darunter auch eine Abteilung für uns
    "Erwachsene Kinder". Ich weiß jetzt nicht, ob Du die als Gruppe kennst. Der amerikanische Zweig
    heißt "ACA" (Adult Children of Alcoholics) und arbeitet mit hervorragender Literatur zur Begleitung
    und inneren Stärkung auf dem Genesungsweg VOM ich-losen Zustand hin zu der Person, als die wir
    gedacht waren/sind (wenn man von menschlichen Verzerrungen durch Umstehende absieht).

    Ich verlinke hier einfach mal die Seite von ACA, falls Du sie nicht selbst schon entdeckt hast:
    https://erwachsenekinder.org/taegliche-meditation/

    (Die "Architektur" und Begriffe der 12 Schritte kann man erstmal auch überlesen. Es sind die
    Feinheiten in den Beschreibungen, wie wir mit was umgehen, die z.B. mich total "abholen"
    und ermutigen, es wohlwollender und irgendwie machtvoller, nicht mehr so verloren, zu
    sehen.)

    Obwohl ich schon sehr viele Meetings der A-Gruppen (anonyme Gruppen) besucht habe und viel
    "wusste", helfen mir die Formulierungen in diesen Texten (z.B. Tagestexte) so sehr, mir liebevoll
    auf die Schliche kommen zu können. Nicht mehr mit diesem inneren Streber, der sich selbst am
    liebsten gegen eine bessere Person eintauschen WOLLTE. Ich will das nicht mehr! Das ist für mich
    ein Riesenfortschritt. Ich lerne, dass ich sogar die "kaputten" Muster lieben darf, dass sie überhaupt
    nicht meine Schuld sind. UND dass ich trotzdem eine Wahl habe, damit auch einen Ausweg, wann
    immer ich mich mit etwas unwohl fühle. Das nicht im Alleingang, sondern eben im Vertrauen darauf,
    dass mir für mein Leben nur das Beste zugedacht ist. (Nicht äußerlich, sondern im Gefühl von Wert,
    Liebe, Nähe, Ausdruck, Kreativität, Rechten, allen Gefühlen, ... und dass ich das gezielt angehen 'darf'.)

    Ich möchte Dir diese Texte ans Herz legen, oder überhaupt solche kleinen Kraftquellen, die mehr
    auf Annahme (des Sprungs) zielen als auf "weg damit". Ich habe meine Selbstlieble mit der "weg"-
    Variante unzählige Jahre ausgesperrt, immer auf der Flucht vor mir. Warum eigentlich? In ACA weiß
    "jedes Kind", DASS wir einen Schaden haben. Wir SIND aber nicht mit ihm zu verwechseln. Wir
    können lernen, MIT uns zu leben, auch mit Leerstellen und allem, was es da noch zu entdecken gibt.

    Das "wir" ist der Sicht entlehnt, dass 'wir' - alle Erwachsenen Kinder - alle im selben Kahn (schon
    wieder) sitzen.

    Zum Thema "Muster ans eigene Kind weitergeben" wird Dir vielleicht noch jemand schreiben, die
    selbst in Deiner Position war oder ist. Ich denke dazu einfach: Je ehrlicher die Kommunikation mit
    sich selbst wird, umso leichter wird es auch, Schwieriges auszusprechen, Verantwortung dafür zu
    übernehmen (ohne in Scham oder Schuld unterzugehen), ... dem Gegenüber (Kind oder Partner)
    damit auch wieder klaren Raum für seine eigenen Gefühle und Befindlichkeiten zu lassen. Heilung
    ist auch hier ein ganz eigener, oft unmerklich einsetzender Prozess, der sich dann auch in den Be-
    ziehungen positiv niederschlägt.

    Ich glaube, dafür ist es völlig egal, welche Gruppe, Literatur, Therapieform oder andere Quelle man
    nutzt. Hauptsache, sie passt zu einem selbst. Bei mir hat sich die Angst durchs Annehmen verringert.
    Angst davor, pedantisch zu sein? Feststellen (wertfrei), das bin ich. - Nicht schön, aber wer sagt das
    eigentlich? usw. ... Viel bei der Heilung dreht sich eigentlich ums Aufhören, sich abzuwerten.

    Jetzt habe ich genug "Schlaues" geschrieben.

    Schön, dass Camina Dir etwas aus der Sicht einer Mutter schreiben konnte. (Ich bin leider keine.)

    Für jetzt eine geruhsame Gute Nacht,
    und bis zum nächsten Mal, liebe Grüße

    Wolfsfrau

  • Liebe Camina1969,
    ich habe derzeit keine theraputische Unterstützung. Ich möchte das zwar wieder aber diesmal unter anderen Bedingen, dazu vielleicht ein ander Mal mehr.

    Wenn du *dich* fühlst, spürst das DU irgendwas wirklich magst, ist das dann eher bewusst oder zufällig? Hinterfragst du aktiv und spürst dann, so und so ist es? Oder fühlst du es und merkst dann das du es fühlst? Ich versuche den Ansatz, wie man dazu kommt nachzuempfinden.

    Kennst du von E.T.A. Hoffmann noch Klein Zaches - genannt Zinnober? Ich setze mich selbst in Gedanken häufig mit Klein Zaches gleich, der nichts Eigenes an sich hat, völlig blendet und am Ende bleibt nur ein kleiner hässlicher Wicht übrig. Ok bei mir Wichteline.... Ich weiß, kein besonders tolles Selbstbild, aber durch diese völlige Anpassung, diese Überlebensstrategien ist einfach nichts anderes da. Ich erinnere mich an einen Morgen, ich bin als Kind mit unserem Hund die tägliche Runde spazieren gegangen, als mich eine Nachbarin ansprach ob jemand bei uns krank sein und was den los wäre. Der Hintergrund zu dieser Frage war, das meine Mutter die gesamte Nacht durch gekotzt hatte, da sie stets Alkohol mit einem Cocktail aus Tabletten zu sich nahm. Meine Reaktion war wie lange einstudiert und dennoch kam sie reflexartig, spontan auf die Situation passend: natürlich ist bei us niemand krank, bei uns ist alles in Ordnung, ich wüsse gar nicht was sie meine und überhaupt.... Rückblickend ist das eines der ersten echten Szenen in denen ich mich angepasst, in denen ich ein "Klein Zinnober" war... Sicher gibt es da schon frühere Situationen aber diese ist die erste mir bewusste.


    Wie du bin ich auch sehr motiviert, es beim eigenen Kind anders zu machen, doch jedes Mal wenn´s mir wieder nicht gelang oder ich´s an ihrem Verhalten sehe, bin ich niedergeschlagen.

    Ich wünsche dir einen schönen Tag :)

  • Liebe Wolfsfrau,
    lieben Dank für deine sehr ausführliche Erklärung, schön das du schreibst.

    Ich kannte bis lang nur die A-lanon Gruppen bzw. Meetings für erwachsene Kinder.
    Ist das 12 Schritte Programm das selbe??

    Beim lesen deiner Nachricht und beim Schreiben dieser Nachricht merke ich wie wütend ich bin wenn es um den "Sprung" geht. Ich bin einfach unfassbar zornig das ich mit diesem Sprung leben "muss". Dieses keine Wahl haben, ich weiß schon, ich bade etwas in Selbstmitleid. Andererseits wäre das zumindest eine Form des sich Fühlens. Oder verdrehe ich es jetzt völlig? Ich bin nicht sicher...
    Was jedenfalls der Punkt ist, ich bin noch zu sauer, zu motzig um das hinzunehmen und weiter zu machen, es zu akzeptieren und zu erkennen, ja das ist mein Sprung und ja der gehört zu mir aber er definiert mich nicht als Mensch. Ich weiß das im Inneren schon irgendwie aber wie schon geschrieben, wenn da diese verdammte Wut nicht wäre...

    Gibt es die Möglichkeit sich die Literatur erstmal zu leihen? Oder vielleicht sogar gebraucht zu kaufen? Und wie bindest du es in dein Alltag ein? Liest du jeden Tag? Oder nur wenn es Situationen gibt, bei denen du nicht weiter kommst? Oder sporadisch?

    Ich habe ein, zwei Bücher von den A-lanons. Eins habe ich schon mindestens 2 x durchgelesen wenn nicht mehr. Und das andere ist fast unberührt. Keine Ahnung wieso.

    Sei auch du lieb gegrüßt und lass deinen Gedanken freien Lauf :)

  • Guten Morgen, liebe freieGedanken,

    o weia, da habe ich aber unachtsam formuliert gestern ... tut mir leid!


    merke ich wie wütend ich bin wenn es um den "Sprung" geht. Ich bin einfach unfassbar zornig
    das ich mit diesem Sprung leben "muss". Dieses keine Wahl haben, ...

    Doch, wir Erwachsenen Kinder haben eine Wahl, eine machtvolle. Wir dürfen uns selbst die liebe-
    vollen Unterstützer werden, die wir als Kind mit unseren wenig betreuten Erfahrungen gebraucht
    hätten. Das geht! - Die Wahl lautet: Mit sich selbst, den Gefühlen, Bedürfnissen, auch Grenzen so
    umgehen, dass wir nicht mehr allein sind. Einmal innerlich (da wohnt allmählich eine annehmende
    zugewandte, verständnisvolle, mitfühlende Instanz), und auch äußerlich: Hilfe einholen, Probleme
    ansprechen, "es" nicht mehr "allein hinkriegen" müssen.

    "dass wir einen Schaden haben", bezog sich nur darauf, dass wir Falsches gelernt haben und so
    lange dadurch behindert sind, bis wir es - mithilfe von Weggefährten und dem Reden/Zuhören in
    Gruppen z.B. - langsam zu identifizieren lernen als das, was uns von der eigenen Macht über
    unser Leben noch trennt.

    Das war nicht statisch oder übermächtig gemeint. Nur mit einem Augenzwinkern, dass wir an densel-
    ben Baustellen arbeiten, teils auch Eigenschaften haben, die entspannt aufgewachsene Kinder mögli-
    cherweise nicht im selben Maß haben. (Darunter auch gute wie Verlässlichkeit, Sensibilität, Loyalität,
    etc. ...) - Es geht immer eher um den Umgang mit Vorhandenem, nicht das Suchen nach richtig/falsch.

    Ich hoffe, ich habe es etwas entschärfen können. :blumen2:


    Und zur Literatur: Ich habe vollauf damit zu tun, die Tagestexte auf mich wirken zu lassen. ;) Alle anderen
    sind auf der ACA-Seite einsehbar, man muss gar nichts bestellen, kann erstmal ganz in Ruhe schmökern ...
    (Es geht auch hier nicht um viel-Einsatz für schnelles-Ergebnis, es ist das Schwingungsfeld, das nährt.)
    Ich habe festgestellt, dass ich teils an einem einzigen, auf mich zutreffenden Satz lange zu tun habe, im
    unterstützenden Sinn. Er liefert mir Worte für etwas, das ich zuvor gar nicht differenzieren konnte und
    fügt oftmals offene Enden zueinander, so dass ich neues "Land sehe" und mich nicht mehr so verstrickt
    oder orientierungslos fühle. :)

    Das Programm ist dasselbe wie bei Al-Anon, aber die Haltung ist viel viel mitfühlender, als ich es dort
    kennen gelernt habe. Ich bin auch bei Al-Anon gestartet, aber ich fühlte mich immer wie ein Versager,
    weil ich das mit dem "Abstand" zum Süchtigen (Mutter) nicht hinbekam. Äußerlich ja, samt Wut, wie Du,
    aber innerlich lässt es ja das riesige Loch an Nähewünschen und zu betrauernden Verlusten unbeantwortet.

    Dieses Mitfühlen mit mir selbst, gerade wie Du auch schreibst, mit der Wut, dass ich durch all das über-
    haupt ungefragt durch MUSS, wenn ich irgendwie zu meinem eigenen Leben finden will, das habe ich über
    diese Texte gefunden. Den Abstand zur gefühlten Machtlosigkeit, und die Erlaubnis, wirklich FÜHLEND zu
    akzeptieren, dass der andere in seiner Schale unterwegs ist, wie er ist, OHNE dass das etwas an meinen
    Rechten schmälert, mich gut zu fühlen. Und dafür wo immer nötig Rückendeckung bei Weggefährten zu
    suchen, um zu teilen. Hauptsache raus aus dem inneren Druck und diesem leicht entstehenden Vakuum.

    Sodele, das war's zu meinen Gedanken im Moment. Ich hoffe, ich habe alle Deine Fragen aufgenommen.

    :sun:

    Liebe Grüße in Deinen Tag,

    Wolfsfrau

  • Liebe Wolfsfrau, danke für deine Ausführung, jedoch gab es nicht was zu entschuldigen wäre.
    Dein Geschriebenes hat mich nicht wütend gemacht, es hat mich darauf aufmerksam gemacht wie viel Wut noch in mir steckt.

    Ich schreibe später vielleicht nochmal ausführlicher.
    Liebe Grüße

  • Liebe freie Gedanken,

    erst mal hallo und den Gedanken, dass die Gedanken frei sind, pflege ich bis heute.

    Ansonsten bin ich mit einem trinkenden Vater aufgewachsen, der bis zu seinem Tod nicht mit dem trinken aufgehört hat und an den Folgen gestorben ist, auch meine Mutter zwitscherte ganz gern mal Einen oder Mehrere, und bin daher (auch) EKA, aber ansonsten unterscheiden sich meine Erfahrungen an einigen Stellen von Deinen. Mit den Kindheitserinnerungen habe ich z.B kaum Probleme, abgesehen von den ersten Jahren, aber das ist ja normal und bei allen Menschen so.

    Erst mal ist es auch so, dass mein Elternhaus und mein Vater nach außen hin funktionierten und mein Vater beruflich erfolgreich war.
    Und zum zweiten habe ich, teils aus Nachahmung, teils aus Protest selbst einige Jahre sehr viel zu viel getrunken und auch Drogen genommen und als ich mich mit mir selbst auseinandersetzen musste, damit ich damit aufhören konnte, habe ich einerseits besser verstanden, was in meinem Vater vorging und zweitens musste ich diese innere Leere, die ich ohne Betäubungsmittel ebenfalls hatte, füllen, um überhaupt trocken/clean weitermachen zu können. Und das war in erster Linie Arbeit an mir selbst, mit Hilfe von Therapie, Expertengesprächen und Eigenarbeit, es dauerte sehr lange und in gewisser Weise bleibt für mich der Weg bis ans Lebensende das Ziel, da mich meine Kindheit ja auch so geformt hat, dass ich keinen Knopf habe, das alles ungeschehen zu machen.

    Ich möchte aber auch gar nichts mehr ungeschehen machen, denn heute bin ich mehr als doppelt so alt wie Du und mit meinem Leben weitgehend zufrieden. Es war so wie es war, und es trug ja auch dazu bei, mich zu der zu machen die ich heute bin.

    Aber ich erinnere mich auch noch an Zeiten, wo ich meinem Vater - und meiner Coabhängigen Mutter - den Tod an den Hals gewunschen habe und wo ich mir eingebildet hatte, dass damit für mich alles einfacher würde. Und ich teile mit anderen EKAs auch die Erfahrung, dass ich nach außen hin zu funktionieren hatte, dass alles, was ich machte, den Ruf der Familie (was sollen die Nachbarn denken?) nicht beschädigen durfte und dass mir viele Gefühle schlicht verboten waren, so dass ich nie gelernt hatte, mit meinen Gefühlen umzugehen, emotional sehr unausgeglichen war und voller innerer Widersprüche steckte. und: dass ich mich sehr alleine und einsam fühlte, das Gefühl hatte, dass mich niemand versteht und das ich keine Verbindung zu anderen aufbauen konnte. Und genau so wie ich als Kind in verhasste Klamotten gesteckt wurde, damit man mich vorzeigen konnte, war ich auch bei meiner Berufswahl zwar formell frei, es musste aber trotzdem was sein, mit dem meine Eltern (und auch ich, weil ich genau so wenig selbst wusste, was ich wirklich will, und auch selbst an dem Gängelband hing, dass ich unbedingt geliebt oder wenigstens akzeptiert werden wollte) nach außen was hermachen und sich brüsten konnten. Als das nicht mehr wirklich funktioerte, verfiel ich auf das Gegenteil, überhaupt keine Erwartungen mehr zu erfüllen, was leider nicht dazu führte, dass ich dann gewusste hätte, was ich wollte. Und natürlich wurde mir auch während meiner Kindheit und Jugend eingebläut, dass ich für das Glück meiner Eltern verantwortlich war. Ich war das "böse Kind", wegen dem meine Eltern überhaupt erst so schräg drauf waren, wie sie waren - ich war meistens irgendwie schuld und bekam das aufs Brot geschmiert, oder sonstige Züchtigungen. Ich musste mir später, als mein Vater Pflegefall wurde, darüber klar werden, was ich selbst für Werte habe, was ich persönlich gut und wichtig finde und was ich nur machen würde, weil Andere das gut fänden.

    Bei mir hatte das Alles seinen Anteil daran, das sich selbst zu Alkohol und Drogen gegriffen habe, und selbst als ich damit aufgehört hatte - vor vielen Jahren - machten mir meine unkontrollierbaren Emotionen noch lange zu schaffen und sie waren auch nach außen hin und in der Partnerschaft nicht unbedingt von Vorteil für mich. Ich hatte/habe das Glück, dass ich trotzdem eine langjährige, teils mit Kämpfen verbundene, aber insgesamt eher glückliche Partnerschaft habe, wo es mir und meinem Partner auch vergönnt ist, dass wir die Ernte unserer langen Bemühungen auch einfahren. Und so langsam bin ich auch bedeutend ausgeglichener, ich weiß allerdings nicht sicher, ob das an meinen Bemühungen oder nur am Alter liegt :)

    Gruß Susanne


  • Liebe Wolfsfrau, danke für deine Ausführung, jedoch gab es nicht was zu entschuldigen wäre.
    Dein Geschriebenes hat mich nicht wütend gemacht, es hat mich darauf aufmerksam gemacht
    wie viel Wut noch in mir steckt.


    Liebe freieGedanken,

    Dankeschön für Deine lieben Worte. Mir war einfach wichtig, auf keinen Fall zu ent-mutigen!
    Deshalb das "o weia" ... - Weil ICH das so schlimme finde, mich entmutigt zu fühlen von einer
    dahin gesagten Phrase, die mal eben alles in mir umkrempelt. Und ich kann dem mangels
    eigener Erfahrung oder positiver Bodenhaftung nichts entgegen setzen.

    Mit ihrer Wut gehen viele ACA's total bewusst um. Sie würdigen sie als Grenzmarker und
    gestehen sie sich zu, um Distanz zu allen missbräuchlichen Verhaltensweisen im Elternhaus
    zu schaffen, ohne Schnörkel. Viele brechen auch alle Brücken ab. Es ist ganz verschieden.

    Das wolle ich noch nachschicken. :)

    Liebe Grüße
    Wolfsfrau

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!