Ein ganz herzliches "Hallo" an euch,
nun habe ich mir in den Hintern getreten und den Mut zusammengefasst, um mich vorzustellen.
Zu meiner Person: Ich, weiblich, werde bald 27 Jahre alt. Ich bin Halbpolin.
Mein Vater und viele andere Familienmitglieder sind Alkoholiker. Viele, u.a. mein Großvater, starben an den Folgen des Konsums.
In meinem Leben war Alkohol immer präsent und diente meinem Vater als Entspannungshilfe und Problemlöser. Nur mit einem Bier in der Hand kenne ich ihn. Meine Mutter ist eher das Gegenteil, sie hat noch nie in ihrem Leben Alkohol probiert.
Mit 13 Jahren begann ich regelmäßig zu trinken, weil es sich so in meinem Freundeskreis gehörte.
Mit 18 Jahren zog ich aus von zu Hause, es wurde fast täglich getrunken. Ich kann mich an keine Zeitspanne erinnern, in der ich meinen Konsum hinterfragt habe oder es mir Sorgen machte. Es machte mich selbstbewusst, sexy, lustig, offen, abenteuerlustig. Unter Alkohol gelang mir alles, so dachte ich. Zu jeder Gelegenheit trank ich.
Mal "nur" ein Glas am Abend, mal ne ganze Flasche Sekt am Morgen, auf der Arbeit mit Kollegen... und so wurde ich Alkoholsüchtig.
Kontrolliertes Trinken funktionierte NIEMALS. Ich hab es oft versucht.
Jahrelang habe ich so ein "Leben" geführt, immer auf der Suche nach mir selbst. Ich wusste nicht mehr, wer ich wirklich war.
Ich wollte endlich "ankommen". War nie zufrieden. Aber keine Sekunde kam ich darauf, dass es am Alkohol legen könnte.
Als ich letztes Jahr mit meinem Verlobten zusammenzog wurde mir bewusst, dass ich ein Problem habe. Ich versuchte heimlich zu trinken, extra Streit anzufangen oder Gelegenheiten zu suchen, um zu trinken. Es war ein sehr egoistisches Verhalten. Seine Sorgen um mich waren mir egal.
Er sprach mein auffälliges Verhalten an und ich wollte ihmzuliebe aufhören. Er stellte mir die Wahl: Wenn ich mein Problem nicht bald in den Griff kriegen würde, kann er sich keine Zukunft mit mir vorstellen. Seine Mutter ist eine Alkoholikerin, sie hat ihm sein Leben versaut. Er liebt mich sehr doll, aber möchte keine ständig besoffene Frau in seinem Leben mehr haben. Ist völlig verständlich, oder?
Durchgehalten habe ich noch nicht mal eine Woche und trank wieder. Diesmal nicht täglich, das bekam ich hin. Meine Arbeitsstelle habe ich gewechselt, so wurde auch nicht auf der Arbeit getrunken. Aber dafür dann mindestens 1x/Monat immer wieder bis zum Blackout oder bis zum Erbrechen. Ein Warnsignal, ein "Stop" in meinem Kopf gab es nicht. Ich trank und trank und trank... und schämte mich so sehr.
Das Selbstbewusstsein, was ich mir Anfangs ersoffen habe, wandelte sich zu Selbsthass um. Das Trinken machte keinen Spaß mehr, ich konnte nur nicht aufhören. Am schlimmsten war für mich die Vorstellung wenn ich mal schwanger bin, könnte ich dann wirklich 9 Monate nüchtern bleiben? Ich zweifelte daran. Ich möchte irgendwann eine gute Mutter sein...
Warum muss ich ständig an Alkohol denken? Warum muss ich bei jeder Situation ans trinken denken? Wenn ich glücklich bin, traurig, sauer, gestresst... für alles gab es für mich nur die eine Problemlösestrategie: einfach wegtrinken, wird schon irgendwie!
Zu Ostern diesen Jahres verzichtete ich 40 Tage auf Alkohol.
Diese Zeit war extremst wichtig für mich, ich beschäftigte mich zum ersten Mal mit mir und meinen Gedanken, OHNE sie gleich in Alkohol zu ertränken. Ich weinte viel z.B. weil ich nicht wusste, was ich am Wochenende abends außer trinken machen konnte.
Am 40. Tag habe ich auf meine gute Leistung mit einem Wein angestoßen. Und holte alles an Alkohol nach.
Mein endgültiger Schluss mit dem Mist war an Vatertag. Meine Freunde und ich trafen uns zum trinken und grillen, ich war um 16 Uhr Nachmittags so dicht, dass ich auf einer Wiese lag und mich einpinkelte, mich erbrach und nicht mehr laufen und sprechen konnte.
Vor allen meinen Freunden. Niemand hielt mich beim trinken auf, sie kannten mich jahrelang so "trinkfest", das ist halt die "polnische Partymaus, die kann halt was ab".
Aber SO "tief gesunken" bin ich noch nie.
Seit dem 31.05. habe ich keinen Tropfen angerührt. Ich bin unendlich stolz auf mich, habe mein Selbstbewusstsein ein kleines Stück gestärkt, bin bei der Suchtberatung und gehe bald zu meiner 1. Selbsthilfengruppensitzung (oder wie man das nennt :D). Ich spüre meine Fingerkuppen wieder, bin mutiger geworden und habe schon 2 Freundinnen aus meinem Freundeskreis entfernt, die mir nicht gut tun.
Alles geht in die richtige Richtung.
Komisch für mich sind diese "Stimmen", die einen überreden möchten zu trinken.
Viele dieser Gedanken habe ich notiert, um zu sehen in welchen Situationen ich neige "durst" zu bekommen. Und ganz schlimm ist momentan auch, dass gefühlt ÜBERALL Alkohol verfügbar und zu sehen ist (oder kommt es mir grad nur so vor?).
Ich kriege das diesmal hin, das weiß ich.
Ich freue mich hier zu sein
Liebe Grüße,
Himbeere