Rehabilitation Dauer und worauf ist zu achten

  • Hallo zusammen,

    ich versuche gerade dem Alkohol zu entkommen und bin in therapeutischer Behandlung.
    Leider schaffe ich es nicht abstinent zu bleiben und überlege mir ob ein stationärer Aufenthalt nicht erfolgreicher wäre.

    Entzugserscheiningen habe ich noch nicht und meine Blutwerte stimmen zum Glück noch. Deshalb wird eine Entgiftung wahrscheinlich nicht erforderlich sein.

    Habt ihr Erfahrungen wie lange eine Rehabilitation dauert? Natürlich wird es individuell sein, aber eure Erfahrungen würden mir helfen.
    Mich interessiert auch welche Tipps zu Kliniken ihr habt. Wie finde ich die richtige Klinik für mich und worauf sollte ich achten?

    Hoffe auf Tipps von euch und wünche euch allen eine alkholfreie und gute Zeit

    Gruß Bine

  • Hallo Bine,

    da in aller Regel die Rentenversicherung als Kostenträger für ein Sucht-Rehabilitation zuständig ist, hier ein weiterführender Link.

    Die Dauer einer stationären, sogenannten Langzeittherapie, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Spezialisierte Suchtkliniken bieten i.d.R. eine Therapiedauer zwischen 6 Wochen (Kurzzeit, Auffrischungs- Stabilisierungstherapie) und 16 Wochen an. Bei erstmaliger Beantragung wird meist eine 16wöchige Therapie genehmigt. Wird innerhalb von ca. 3-5 Jahren eine erneute Therapie beantragt, kann es vorkommen, dass die Rentenversicherung zunächst auf eine Kurzzeittherapie verweist.

    Voraussetzung für die Übernahme der Kosten ist u.a. ein „Sozialbericht“, indem (meist die Suchtberatung) eine Sozial- und Suchtprognose einschätzt, wenn so eine Therapie erfolgt.

    Ich kenne einige Klinken, würde heute aber keine explizite Empfehlung mehr aussprechen, es sei denn, ich würde die Antragsteller*in sehr gut persönlich kennen.
    Diese Aufgabe übernimmt die Suchtberatung, die in den persönlichen Gesprächen herausfinden möchte, welche Klinik für Dich wohl am ehesten geeignet ist.
    Da sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten lässt, und ein Erfolg so einer Therapie zum mindestens 50% von den Therapieteilnehmern abhängt, der eine Teilnehmer sehr gut mit seinem zugeteilten Therapeut kann, während die andere Teilnehmerin mit diesem Therapeut überhaupt nicht klarkommt, kann ich Dir nur die Empfehlung mit auf den Weg geben: Lass Dich unbeeinflusst und vorurteilsfrei auf die gewählte Therapieklinik ein, und nimm dann mit, was geht und Dich in Deiner Entwicklung, die Sucht stabil zum Stillstand zu bringen, weiterbringt. Lass Dich auch auf sehr gewöhnungsbedürftige und vielleicht erst einmal so eher ungewöhnliche Therapiemaßnahmen ein. Nur so kannst Du feststellen, ob sie bei Dir wirken.

    Alle Kliniken, die ich kenne, sind entsprechend zertifiziert, das heißt sie bieten alle für eine Sucht-Rehabilitation notwendigen Maßnahmen an. Auf die diversen Komorbiditäten (Begleiterkrankungen psychischer und physischer Art) ausgerichtete Indikationsmaßnahmen, runden das Gesamtangebot von guten Kliniken, individuell auf die Patienten abgestimmt, ab.
    Aber all das weiß Deine Suchtberatung.

    Zu Deiner aktuellen Situation:

    Zitat von “bine“

    ich versuche gerade dem Alkohol zu entkommen und bin in therapeutischer Behandlung.
    Leider schaffe ich es nicht abstinent zu bleiben und überlege mir ob ein stationärer Aufenthalt nicht erfolgreicher wäre.


    Ich kann aus Deinen Worten nicht beurteilen, ob Du aufgrund Suchtdruck, und wenn, unter welchen Bedingungen und persönlichen Einstellungsvoraussetzungen, Du „es nicht schaffst“ jetzt trocken zu bleiben.
    Ich ahne aber aufgrund meinen Erfahrungen, dass Du von einer stationären Langzeittherapie etwas erwartest, was sie in aller Regel nicht in Gang setzen kann. Nämlich, dass sie Dich, und Dein Verlangen nach dem Suchtmittel, „umdreht“.
    Wenn Du Dich derzeit in einer ambulanten Therapie befindest, dann wäre das ein Thema für diese Therapie, um herausfinden zu können, worin Dich eine stationäre Therapie, im Gegensatz zur jetzigen ambulanten Therapie, besser und weiterführend unterstützen könnte.

  • Lieben Dank Dietmar für deine ausführlichen Infos. Die helfen sehr!


    Und danke für den Hinweis zu meinem persönlichen Defizit. Das gehe ich an und werde es mit meiner Therapeutin besprechen.
    Grundsätzlich ist glaub der unkomplizerte Zugang zum Alkohol ein Problem und ich halte einfach nicht konstant durch.
    Vielleicht fehlt es auch an der richtigen Motivation...vielleicht geht es mir nicht "shlecht" genug...wenn du verstehst was ich meine. Aber so weit will ich es ja gar nicht kommen lassen.
    Ich dachte einfach, dass ich bei einem stationären Aufenthalt keinen Zugang habe und mir das hilft.

  • Freut mich, wenn Du verstanden hast, was ich Dir mitteilen wollte. Bine!

    Zitat von “bine“

    Ich dachte einfach, dass ich bei einem stationären Aufenthalt keinen Zugang habe und mir das hilft.


    Leider denken so relativ viele, die meinen, die Therapie könnte ihre Sucht zum Stillstand bringen. Und tatsächlich bringen es auch viele fertig, während der Therapiezeit nicht rückfällig zu werden. Auch, weil sie unter dem Druck stehen, dann meist der Therapie verwiesen zu werden.
    Nur: Die Therapie kann Dir nur Handreichungen geben, wie Du die Abstinenz leben kannst, die Du fest vorgenommen hast, und Du mehr als alles andere in Deinem Leben aufrecht erhalten willst.

    Im ersten Jahr nach der Therapie kommt es zu den meisten Rückfällen. Häufig entscheidet sich dann erst – hop oder top.

  • Du hast recht. Die Lösung liegt alleine in mir, es nur zu wollen reicht nicht aus, ich muss es tun/bzw. in dem Fall die Finger vom Alkohol lassen.
    Aber da gibt es eben diese schwachen Momente...
    Ich muss die Trigger frühzeitig erkennen und Strategien entwickeln.

    Besten Dank Dietmar!

  • Guten Morgen Bine,

    ich habe den sehr interessanten Dialog zwischen Dir und Dietmar jetzt eben gelesen. Ich habe ein paar Gedanken dazu, die ich Dir gerne mitteilen möchte.

    Dazu will ich Dir von meinen eigenen Erfahrungen berichten. Ich bin 50 Jahre alt und Alkoholiker. Ich trinke jetzt aber schon lange keinen Alkohol mehr. Bevor ich es geschafft hatte aufzuhören habe ich über 10 Jahre abhängig getrunken. Die letzten Jahre davon war ich quasi im "Dauerrausch", d. h. ich begann morgens nach dem Aufstehen und noch vor der Arbeit und endete irgendwann abends, wenn ich den Kanal soweit voll hatte. Meist blieben mir dann max. 6 oder 7 Stunden nachts, wo ich keinen Alkohol zu mir nahm. Den Zustand, dass ich auch nachts trinken musste habe ich glücklicherweise nicht erreicht.

    Über die Jahre veränderte ich mich stark. Körperlich merkte man mir die Sucht sehr lange nicht an, psychisch begann die Veränderung schon recht früh. Bei mir "verschoben" sich vor allem mein Empfiden für Recht und Unrecht, man könnte auch sagen, mein Charakter wurde immer schlechter. Ich begann immer mehr zu lügen, oft um eben meine Sucht geheim zu halten, oft aber auch um Problemen aus dem Weg zu gehen. Mit Problemen konnte ich gar nicht umgehen. Ich trank fast meine ganze Alkoholikerkarriere über heimlich, konnte es auch gegenüber meiner Familie trotz am Ende wirklich ganz erheblicher Mengen an Alkohol geheim halten. Jedoch erforderte das eben sehr viel "Kreativität", so dass ich oft nur durch Lug und Trug meine Fassade aufrecht erhalten konnte.

    Aber das alles ist eigentlich gar nicht so wichtig, ich schreibe Dir das nur, damit Du ein wenig einschätzen kannst mit dem Du es zu tun hast und wo ich bezüglich der Sucht stand. Ich war also ein heimlicher Trinker mit Frau und Kindern, der einen guten Job hatte, einen normalen Freundeskreis (welcher allerdings zu Ende hin aufgrund meiner passiven Verhaltensweise erheblich litt) und der das alles bis zum Ende hin auch aufrecht halten konnte. Von Außen gesehen war bei mir immer alles prima. Durch meine Täuschungen und Lügen erschien mein Leben sicher auch einigen Menschen als außergewöhnlich erfolgreich oder positiv. Die Wahrheit war aber eine komplett andere.

    Nun kam der Tag, an dem ich mit dem Trinken aufhörte. Ich will jetzt gar nicht so tief darauf eingehen, wieso, weshalb und warum. Er kam, sehr spontan aufgrund einer bestimmten Situation, und ich wusste von diesem Momant an, dass ich nie wieder trinken möchte. Selbstverständlich, das will ich Dir auch sagen, habe ich in den vielen Jahren meiner Sucht mehrere Versuche unternommen, meinen Konsum einzuschränken oder auch zu beenden. Es wurden immer nur Trinkpausen daraus, anfangs sehr lange über Monate andauernd, später immer kürzere.

    Immer war da der Wunsch, nicht mehr zu trinken. Anfangs durchaus "erst mal nichts mehr zu trinken", später dann, als ich merkte das ich da irgendwie schon tief drin hing, auch der Wunsch nie mehr zu trinken. Auslöser für solche Pausen waren meist Erlebnisse vom Vortag /Vorabend. Irgendwas ist eskalliert, ich habe nur mit großem Glück meine Sucht weiter verheimlichen können, irgendwas in diese Richtung. Und am nächsten Morgen wollte ich dann wirklich endlich aufhören, nahm es mir fest vor und .... scheiterte, früher oder später.

    Bis eben zum Tag x, seit dem ich nun nichts mehr trinke.

    Aber, was war denn jetzt an diesem Tag x anders als an den anderen Tagen? Diese Frage konnte ich mir erst im Nachhinein beantworten und es hat auch eine gute Zeit gedauert, bis ich sie mir richtig beantworten konnte.
    Ich will Dir sagen, dass ich ab diesem Tag x bereit war, dass ich ab diesem einen kurzen Moment, wo ich "beschloss" jetzt ist Schluss, bereit war ALLES für ein neues Leben ohne Alkohol zu tun. Dieser Zustand hält bis heute an!

    Das hatte genau in diesem Moment zur Konsequenz, dass ich meiner Frau und meiner Familie eröffnete, dass ich Alkohliker bin. Das wussten sie nämlich bis dato nicht. Ich wusste, wenn ich das jetzt ausspreche, wird nichts mehr so sein wie es vorher war. Dann habe ich genau von diesem Moment an begonnen, alle meine Lügen und Betrügereien zu erzählen, in dem Wissen dass das meiner Frau und Familie den Boden unter den Füßen wegreißen wird. Mir war klar, mit diesem Moment wird nichts mehr so sein wie es einmal war. Und alles was ich über die Jahre versucht habe irgendwie aufrecht zu erhalten, wird wie ein Kartenhaus zusammen brechen. Und so kam es auch.

    Dann bin ich bereits am nächsten Abend in eine SHG, welche mich die ersten Wochen und Monate fast täglich begleitete. Selbstverständlich war ich absolut bereit eine Therapie zu machen, wenn ich eine benötigen sollte. Also bin ich zur Beratung und zum Arzt. Ich ging zum Psychologen, hatte dort aber zunächst eine sehr lange Wartezeit. Ich versuchte irgendwie klar zu werden, meine Gedanken zu ordnen, die gröbsten Baustellen in meinem Leben anzugehen. IMMER wusste ich: Ich will nie mehr trinken, meine Abstinenz steht über allem.

    Daraus erfolgte dann die Trennung von meiner Frau, ganz am Anfang meiner Trockenheit. Ein ganz wesentlicher Einschnitt in mein Leben und diese Trennung ging von mir aus. Meine Kinder waren erschüttert, ich war es auch. Jedoch wusste ich, wenn ich bleibe werde ich rückfällig werden.

    Es war eine ganz intensive Zeit, über viele Monate. Es war ein prägende Zeit und es war "meine" Zeit. Eine Zeit, in der ich mich gefühlt nur mit mir selbst, meinem Leben, meinen Wünschen, wer ich bin und wer ich sein möchte usw. auseinander gesetzt habe. Das alles habe ich vorher nie gemacht, schon gar nicht in der Zeit in der ich trank. In dieser Zeit hatte ich ganz viele Gespräche mit vielen für mich wichtigen Menschen. Einer davon war ein Mönch (eine andere Geschichte, die jetzt den Rahmen sprengen würde), der mich durch die schwerste Zeit begleitete. Meine größte Bürde, mein größtes Problem war die Schuld, die ich durch meine Trinkerei und die vielen vielen Lügen auf mich geladen hatte. Und die Tatsache, dass ich die Zukunft meiner Familie damit zerstört hatte.

    Dabei konnte mir der Psychologe nicht helfen, der Mönch jedoch sehr, wobei ich noch sagen möchte, dass es hier nicht um Religion ging. Diese war sozusagen "außen vor", denn ich war nicht sonderlich gläubig. So merkte ich mehr und mehr, dass ich mich iin die für mich richtige Richtung entwickelte. Eine Therapie in der klassischen Form rückte für mich mehr und mehr in den Hintergrund, denn mein Gefühl (nicht andereres als das) sagte mir: Es ist genauso gut, wie du das gerade machst.

    Und so gingen die Monate in Land und ich "arbeitete" ganz intensiv an mir, viel alleine, immer wieder mit Hilfe von Außen (Mönch / Psychologe / Freunde). Ich denke, dass ich nach etwa einem Jahr mit dem Gröbsten "durch war". Aber noch lange nicht fertig. Je länger ich mich mit mir und meiner Sucht, meinem Leben beschäftigte, desto mehr Erkenntnisse kamen mir. Desto mehr begann ich zu verstehen, was bei mir eigentlich "schief" gelaufen ist. Dieser Zustand hält übrigens bis heute an und ich denke, er wird nie enden. Für mich ist das einfach die Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit.

    Was will ich Dir jetzt damit sagen? Im Grunde, so denke ich, ist es dem was Dietmar Dir geschrieben hat, recht ähnlich. Es ist m. E. nicht die Therapie an sich, die die Sucht zum Stillstand bringen kann, sondern der Trinker selbst ist es. Geht er mit der richtigen Einstellung in die Therapie, ist er bereit und offen sein Leben zu verändern, wird er dort die Hilfe finden, die er dazu braucht. Es er es aber nicht, wird die Hilfe verpuffen. Die Bereitschaft, der Wille, der unbedingte Wunsch, die eigene Sucht zu überwinden, ein neues Leben zu beginnen, das ist m. E. der Schlüssel. Bereit zu sein, alles dafür zu tun, auch die Dinge, die richtig "weh tun", wenn es denn sein muss.

    Man hört ja oft so Sätze wie "du musst dein komplettes Leben verändern, du musst es umkrämpeln" - nun, ich denke das ist was dran aber manchmal muss man nicht alles umkrämpeln, wohl aber die richtigen Dinge. Welche das sind, das kann man u. a. z. B. in einer Therapie erarbeiten. Ich habe letztlich mit Hilfe des Psychologen und es Mönchs nicht anderes getan. Und eben auch ganz viel selbst gearbeitet um mir dann aber immer wieder Input von Außen zu holen.

    Vielleicht ist in dem was ich Dir geschrieben habe was dabei, was Dir weiter hilft.

    Ich wünsche Dir jedenfalls nur das Beste und das Du Deinen Weg finden wirst.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla,

    ganz lieben Dank für deine Geschicht, deine Meinung und dass du dich meinem Thema annimmst.

    Mein großer Vorteil ist glaube ich, dass mich die Sucht erst 2-3 Jahre begleitet, ich über überwiegend nüchterne Zeiten verfüge und mir früh Hilfe gesucht habe. Aber irgendwie hänge ich zwischen Vernunft und Sucht.
    Ich weiß genau dass ich es lassen muss, tu es aber nicht.

    Ich habe hier viel gelesen und mich beschäftigt das Thema "Trinkpausen" sehr.
    Ich möchte keine Trinkpause, ich möchte aufhören, weiß aber nicht wie. (und gleichzeitig frage ich mich, will ich es denn wirklich oder sage ich es nur, weil ich es sagen sollte. Denn sonst wäre ich ja schon lange abstinent).

    Auch ich beschäftige mich intensiv mit mir, meinen Themen und habe den Alkohol seither stark reduziert und bin tagelang ohne (eigentlich ein Erfolg, aber ich freu mich nicht, es ist nicht das Ziel).

    Viele hier spechen von diesem "Schlüsselerlebnis", du von dem Tag "x".
    Darauf will ich nicht warten, aber ich weiß nicht was ich brauche um den Alkohol wirklich hinter mir zu lassen. Ich stelle mein Leben gerade auch gewaltig um, stelle alles in Frage und verändere mich...das ist schon sehr hilfreich, aber nicht genug.

    Vielleicht ist es das "offiziell bekennen". Bei mir weiß es niemand außer meinem Partner, meinem Hausarzt und der Therapeutin. Vielleicht sollte ich den Druck für mich erhöhen, aber ich habe angst zu "versagen", bei Rückfällen verurteile ich mich selbst schon genug, das brauch ich dann nicht noch von außen... aber das bringt mich nicht weiter.

    Ich suche nach dem Schlüssel, dem Aus-Knopf, ... der wirklichen Überzeugung meinerseits, die so groß ist, dass ich es lasse und ich weiß nicht wie...

    Was ist es?
    Ein besonders schlimmer Tag?
    Eine reine Entscheidung?
    Eine Lebensveränderung?
    Wie stelle ich die Abstinenz, mich und meine Gesundheit an oberste Stelle?

    Vielen Dank für Eure Nachrichten! Jede bringt mich weiter und jede beschäftigt mich!

    LG Bine

  • Hallo Bine,

    Zitat von “Bine“

    Mein großer Vorteil ist glaube ich, dass mich die Sucht erst 2-3 Jahre begleitet, ich über überwiegend nüchterne Zeiten verfüge und mir früh Hilfe gesucht habe.


    Der Vorteil – so wie Du dann auch weiterfolgend schreibst – dürfte vor allem darin liegen, dass Du weißt, es geht auch ohne Alkohol.

    Zitat von “Bine“

    Aber irgendwie hänge ich zwischen Vernunft und Sucht.


    Ich glaube nicht, dass es ein „zwischen“ gibt. Wenn die Sucht manifestiert festsitzt, dann hat die Vernunft überhaupt keinen Stellenwert mehr.
    Häufig ist es dann auch so, dass die Nachteile, die Du als Betroffene durch Deine Sucht permanent „erleiden“ musst, sehr gravierend eintreten müssen. Stichwort: Leidensdruck.
    Vielleicht – nur so ein Anstoß – solltest Du mal für Dich herausfinden, was Dir der Alkohol(rausch) bringt, und für was Du ihn (immer wieder) brauchst. Was sind die „Defizite“ in Deinem Alltagsleben, die Du dann meinst, ohne Alkohol nicht aushalten und ertragen zu können? (Das können auch positiv besetzte Defizite sein! Also solche, wo zum Beispiel Betroffene meinen, gesellschaftliche Anlässe wären ohne Alkohol nicht halb so lustig und anregend.)
    Was ist es, wann „kippst“ Du, trotz Deiner „vernunftorientierten Vorsätzen“? Ist es Suchtdruck (Craving), ist es der Kick, oder willst Du mittels Alkohol alles weicher wahrnehmen? So in etwa …

    Wenn’s massiver Suchtdruck ist, also dieses unbändige Verlangen von innen heraus nach Alkohol, dann könnten Dir bestimmte Craving-Medikamente in der Anfangszeit helfen. Dazu müsstest Du Dich mal mit einem Suchtarzt bereden. (Stichwort auch: Bacolofen. Habe ich selbst mal in einer extremen Suchtdruckphase für ca. ein halbes Jahr genommen. Danach war der SD für mich kontrollierbar.)
    Wirklich Freude wird erst nach längerer Zeit der Abstinenz aufkommen. Das hängt mit den biochemischen und hormonellen Nebenwirkungen des Alkohols ab, die durcheinander gekommen sind. Die anfängliche Freude, nach wirklich schlimmen Eskalationen, mal für ein paar Tage ohne Alkohol auszukommen, bricht sehr schnell in sich zusammen.

    Zitat von “Bine“

    Viele hier spechen von diesem "Schlüsselerlebnis", du von dem Tag "x".


    Auch das ist sehr, sehr individuell. Schon deswegen, weil „der Schlüssel“ bei jedem anders ist.
    Bei mir gab es kein „prägnantes Schlüsselerlebnis“, sondern war die Entscheidungsfindung (ab jetzt abstinent bleiben zu wollen) eine ganze Kette von Erlebnissen und Reifeprozesse, die meinen Veränderungswunsch so stark auslösten, dass ich es dann (hoffentlich endgültig) schaffte. Aber welches dieser Erlebnisse dann den größten Einfluss darauf hatte, könnte ich heute nicht einmal sagen.

    Die Veränderungen in Deinem Leben – hinsichtlich Deiner Absicht abstinent leben zu wollen – sollten natürlich auch nicht überfordern. Das würde eher wieder in die falsche Richtung führen. Aber klar ist, dass sehr oft relativ große Veränderungen notwendig sind, um eine stabile Abstinenz leben zu können.

    Zum „offiziellen Bekennen“ gibt es sehr unterschiedliche Meinungen – und vor allem auch wieder höchst individuelle Ansichten und Erfahrungswerte.
    Ich selbst meine, dass die Alkoholkrankheit, für die niemand etwas kann, der sie hat, immer noch sehr negativ in den Köpfen der Menschen herumgeistert, die wenig bis gar keine Ahnung davon haben. Dann geht es für mich in erster Linie auch darum, dass die Betroffenen „geschützt“ sind. Menschen, mit denen ich schon zu tun hatte (beruflich aber auch privat), die mein persönliches Leben nichts angeht, offenbare ich offensiv nichts von meiner Alkoholkrankheit. Vielleicht, aber das würde ich dann von Fall zu Fall entscheiden, dann, wenn sie wirkliches Interesse für mich und mein Leben entwickeln würden.
    In anderen Worten: Bei mir in der Firma wussten nur sehr enge Mitarbeiter und Vorgesetzte um meine Krankheit. Den Rest ging das nichts an.

    Heute bin ich natürlich dazu in einer völlig anderen Situation, sehr frei, sehr unabhängig, wenig auf irgendwelche andere Menschen (und ihr Wohlwollen) angewiesen, und kann damit sehr viel legerer umgehen. Das hängt aber meist ausschließlich von meiner aktuellen Befindlichkeit in der Situation ab.
    Sich mit solchen „Bekenntnisse“ vor einem Rückfall zu schützen, das glaube ich nicht, dass das funktioniert. Und natürlich, im Fall eines Rückfalls, würde das mehrheitlich im Umfeld eher in die Richtung laufen: War ja klar, dass die das nicht schafft … halt ein Alki …

    Vielleicht hilft Dir mein Beitrag ein wenig weiter? Würde mich freuen!

  • Guten Morgen Dietmar,

    vielen, vielen Dank. Ja, das hilft sehr.
    Es sind super Denkanstöße für mich!

    Du hast recht. Ja, ich weiß dass es ohne geht und mir auch besser geht, ich mich wohler fühle an den Tagen an denen ich nicht trinke.

    Und du bringst es auf den Punkt, ich muss die Gründe herausfinden, die mich trinken lassen. Seit wenigen Tagen führe ich ein "Trinktagebuch". Es hilft mir das "Bedürfnis" bewusst zu machen und teilweise sogar das Trinken dann zu lassen.
    Was mir auffällt ist, dass man eigentlich schon im laufe des Vormittags sagen kann ob ich abends trinken werde. Es hat viel mit meinem Wohlbefinden zu tun, manchmal aber auch mit Belohnung und meist mit Stressabbau.
    Es ist nicht der Rausch den ich möchte, ich fühle mich wohl und entspannt wenn ich ein Glas Wein in der Hand habe.... Das allerdings bereits schon ab dem ersten Moment, ich muss noch nicht mal etwas getrunken haben, alias der Alkohl hat noch keine Wirkung. Habe mich da wahrscheinlich bereits konditioniert.

    Dein Hinweis mit den Nebenwirkungen und hormoneller Veränderung finde ich sehr interessant. Werde mal suchen was ich da im Netz so finde.


    Es ist gut für mich zu wissen, dass es bei dir ein Prozess war. Auch ich hoffe darauf, dass ich durch das Verstehen von mir und meinem Problem, Veränderungen und meinem Willen aus der Sucht heraus finde.
    Wieso denkst du, dass es eine "radikale Veränderung" im Leben braucht?

    Im Forum habe ich auch deinen Bericht zum Thema "Stolz" gelesen, der eine super Motivation ist.

    Danke auch für den Hinweis zum Thema "Überforderung", ich will alles auf ein Mal und das natürlich sofort. Damit setze ich mich natürlich wieder unter Druck und das bringt mich schnell zum Scheitern.


    Ich kann es noch nicht mal Freunden erzählen, weil ich Angst habe. Was verrückt ist, denn ich würde niemand deshalb verurteilen, egal ob Sucht oder was auch immer mir anvertreut würde. Wieso nur geht man mit sich selbst so hart ins Gericht?!
    Denke hier muss ich stark an meinem Selbstwert arbeiten...noch keine Ahnung wie...aber immerhin identifiziert.
    Wann konntest du dazu stehen? Wann konntest du dich überwinden dazu zu stehen?


    Dein Beitrag hilft mir unglaublich. Es ist gut zu sehen, dass es Wege gibt und wie du aus der Sucht herausgefunden hast.
    Alles was ich lese und womit ich mich beschäftige hilft mir den Willen zu stärken und manche Hürde zu nehmen. Im Moment bin ich ja "lediglich" bei einer Psychotherapeutin und mach ansonsten keine weitere Therapie.

    Also herzlichen Dank und schön, dass es dir so gut geht!

  • Hallo Bine,

    vieles von dem was ich Dir, nachdem ich Deine Antwort auf meinen Post gelesen hatte, schreiben wollte, hat Dietmar aus meiner Sicht bereits wunderbar erläutert.

    Ich will Dir zu einigen Dingen trotzdem noch meine Meinung sagen:

    Zitat

    Ich weiß genau dass ich es lassen muss, tu es aber nicht.


    Bei dieser Aussage von Dir wird es schön deutlich: Du MUSST es lassen, aber Du willst es eigentlich gar nicht. Du weißt, Du MUSST, aber weiter trinken wollen würdest Du schon gerne. Idealerweise moderat, so wie es nicht süchtige Menschen ja auch tun und können. Ist es nicht so? Und Dein, ich nenne es jetzt mal Suchtteufelchen, wird Dir immer wieder sagen: Das muss doch zu machen sein, das kann doch nicht so schwer sein.

    Wirklich Freude wird erst nach längerer Zeit der Abstinenz aufkommen. Das hängt mit den biochemischen und hormonellen Nebenwirkungen des Alkohols ab, die durcheinander gekommen sind. Die anfängliche Freude, nach wirklich schlimmen Eskalationen, mal für ein paar Tage ohne Alkohol auszukommen, bricht sehr schnell in sich zusammen.


    Hier hat es Dietmar genau auf den Punkt gebracht. Ich kenne das auch von mir. Meist war es irgend ein Ereignis, das mir klar machte: So geht es nicht weiter. Ich MUSS jetzt was unternehmen. Ich MUSS jetzt aufhören mit dem Trinken. Und so begannen bei mir die Trinkpausen. Ich schrieb schon, dass diese am Anfang meiner Sucht relativ lange andaurten, später immer kürzer wurden und am Ende gar nicht mehr möglich waren.

    Was passierte da dann also bei mir? Erst mal war ich entschlossen nichts mehr zutrinken. Und zog das dann auch erst mal durch. Gerade am Anfang motivierte ich mich besonders durch das zählen der Tage, die ich nun schon ohne Alkohol war. Ich erinnere mich gut, dass sich 7 Tage ohne oder 20 Tage ohne so richtig gut für mich anhörten. Ich weiß noch, dass ich mir das auch immer wieder vorgesagt habe und mir stolz auf die Schulter geklopft habe. Ich weiß auch noch, dass ich nie ernsthafter darüber nachdachte, was ich denn jetzt für Vorteile habe. Klar erkannte ich die für mich ganz offensichtlichen, z. B. das ich mich nicht um Beschaffung und Entsorgung (ich trank ja heimlich wie Du weißt) kümmern musste. Ansonste, das kann ich klar sagen, war der GROßE Vorteil für mich aber, dass ich mein Gewissen beruhigt hatte.

    Und das in mehrer Hinsicht. Einmal gegenüber meiner Familie, der ich in dieser abstinenten Phase keine Lügengeschichten erzählen musste, denen ich mit "gutem Gewissen" zeigen konnte, dass alles so ist wie sie glaubten das es sei. Und dann auch mir Gegenüber, denn je länger diese Phase andauerte, desto beruhigter wurde ich und desto mehr Hoffnung hatte, vielleicht doch kein Alkoholproblem zu haben.

    Nun, eine ganz fatale Angelegenheit. Denn hat sich die Sucht bereits manifestiert, egal übrigens auf welchen Trinkniveau und auch egal wie lange man schon süchtig war, dann wird eben diese Sucht alles dafür tun, um wieder aktiv werden zu können. In meinem Fall gab es meist zwei Szenarien:

    Szenario 1: nach längerer Zeit ohne Alkohol meinte ich, ich könnte ja vielleicht doch moderat bzw. kontrolliert wieder trinken. Weil, wer so lange ohne sein kann, der kann ja auch mal ein Bier am Tag trinken, aber keinesfalls mehr = fataler Irrtum, wenn man bereits süchtig ist. Warumj ich das unbeding aber wollte, das habe nicht hinterfragt :o

    Szenario 2: irgend ein Anlass stand an (z. B. Geburtstagsfeier / ich erinnere mich auch an ein Silvester, etc.) und, da ich ja schon so lange nichts mehr getrunken hatte, kann ich dort ja mal ein paar Bier trinken (öffentlich trank ich ohnehin nicht viel) und danach einfach wieder aufhören = fataler Irrtum, siehe Szenario 1

    All das "machte" die Sucht. Ich hab's damals nur nicht so richtig verstanden. Entscheidend für mich aus heutiger Sicht ist, dass ich immer dachte ich müsste, obwohl ich ja eigentlich nicht wollte. Klar wollte ich nicht mehr so viel und nicht mehr so regelmäßig trinken. Aber ich konnte mir gar nicht vorstellen überhaupt nichts mehr zu trinken. Letztlich wollte ich doch einfach nur das, was die Masse der Menschen auch konnte: Ab und an mal was trinken!

    Zitat

    ch möchte keine Trinkpause, ich möchte aufhören, weiß aber nicht wie. (und gleichzeitig frage ich mich, will ich es denn wirklich oder sage ich es nur, weil ich es sagen sollte. Denn sonst wäre ich ja schon lange abstinent).


    In dem was Du in Klammer geschrieben hast steckt für mich der Kern. Siehe das, was ich oben geschrieben habe.

    Leider, liebe Bine, kann ich Dir nun nicht sagen, wie Du dazu kommst, es wirklich zu WOLLEN. Darüber hat Dir Dietmar ja schon einiges geschrieben. Es ist höchst individuell. Bei Dietmar war es Prozess, es klingt fast danach als hätte er es sich "erarbeitet". Bei mir war ein Punkt erreicht, wo ich so am Ende war, dass ein kleiner Auslöser reichte um quasi "spontan" zu beschließen: ab jetzt ist schluss. Aber im Grunde war es auch ein Prozess, der mich über Jahre immer tiefer in die Sucht sinken ließ um dann an meinem "persönlichen Tiefpunkt" zu dieser Entscheidung zu finden.

    Zitat

    Viele hier spechen von diesem "Schlüsselerlebnis", du von dem Tag "x".
    Darauf will ich nicht warten, aber ich weiß nicht was ich brauche um den Alkohol wirklich hinter mir zu lassen.


    Dazu möchte ich Dir sagen: ja, viele HIER IM FORUM, hatten so ein Erlebnis oder aber kamen, wie Dietmar, anderweitig zur Erkenntnis aufhören zu wollen. ABER: Hier sind ja nur die, die es geschafft haben (und natürlich die, die Hilfe suchen so wie Du). Die ganz große Masse an Alkoholiker bleibt in ihrer Sucht gefangen. Es sind ja eher wenige, die den Kampf gegen die Sucht aufnehmen und dann noch weniger, die ihn auch dauerhaft gewinnen.

    D. h., viele erleben keinen Tag X, haben kein Schlüsselerlebnis und können sich auch anderweitig nicht dauerhaft vom Alkohol lösen. Und funktionieren dann halt irgendiwe trotz Sucht (Stichwort: funktionierender Alkoholiker) bis sie irgendwann halt mal.... ja was auch immer.

    Ich schrieb Dir, dass ich Dir auch nicht sagen kann, wie Du vom müssen zum wollen kommst. Ich finde hier aber Dietmar's Ansatz, Dir einfach mal klar zu machen, wozu Dir der Alkohol eigentlich dient, als sehr guten Weg.

    Ich (und ich glaube viele andere trockene Alkoholiker auch) haben sich diese Frage dann im Nachhinein gestellt um überhapt erst mal verstehen zu können, wieso sie in diese Sucht gerutscht sind und dann so lange darin gefangen waren. Ich musste mir diese Frage auch beantworten, weil mir die Antwort darauf elementar hilft, mein Leben dauerhaft ohne Alkohol zu leben. Als ich erkannte, warum ich trank (ich hatte objektiv gesehen überhaupt keinen Grund mit dem Saufen anzufangen), konnte ich lernen, diese "Suchtauslöser" zu bekämpfen. Ich konnte Alternativen finden, die das Ergebnis brachten, welches ich glaubte durch den Alkohol zu erreichen. Und je mehr mir das gelang, je mehr ich verstand, desto klarer wurde mir wie sinnfrei der Alkohol in meinem Leben eigentlich war und ist.

    Ich sage Dir hier aus vollster Überzeugung, dass ich (und auch Du) ohne Alkohol alles genauso gut, mindestens genauso gut, erleben / machen /fühlen /lösen etc. kann wie mit. Hätte mir das jemand in der Zeit als ich trank, ich hätte das als frommen Wunsch empfunden. Und ich sage Dir das als jemand, der durchaus auch positive Erinnerungen an Alkohol hat. Was war das schön, wenn wir im Urlaub zusammen mit einem Glas Rotwein in den Sonnenuntergang gesehen haben.. oder wie war das schön und verbindend, wenn ich mit Freunden um den Grill stand und wir über Gott und die Welt philosophiert haben und uns dabei zugeprostet haben. Es gibt da ja auch den Spruch: Wie soll ich meinem besten Kumpel denn sagen das ich ihn liebe, wenn ich mich mit ihm zusammen nicht mehr betrinken kann?

    Nun, ich habe heute all diese Erlebnisse auch. Sogar größtenteils mit den selben Freunden. Nur ohne Alkohol und ich sage jetzt mal: Es ist noch viel schöner.

    Ich könnte hier jetzt unzählige andere Beispiele nennen. Ich denke, Du weißt was ich meine.

    Ich wünsche Dir in jedem Fall, dass Du nicht so tief in Sucht versinken musst umd irgendwann mal einen Tag X zu haben. Vielleicht kannst Du (noch) gegensteuern. Ich wünsche es Dir.

    LG
    gerchla

  • Hallo Bine,
    ich bin Britt, Mitte 50 , Alkoholikerin und mache gerade eine 2. Ambulante Suchttherapie.


    Guten Morgen Dietmar,
    Wieso denkst du, dass es eine "radikale Veränderung" im Leben braucht?
    Im Forum habe ich auch deinen Bericht zum Thema "Stolz" gelesen, der eine super Motivation ist.
    Im Moment bin ich ja "lediglich" bei einer Psychotherapeutin und mach ansonsten keine weitere Therapie.


    Auch wenn die Frage an Dietmar ging, antworte ich mal, ist das ok.?
    Als ich 2014 die erste Therapie machte, war der Tenor: Abstinenz heißt Veränderung. Leben heißt Veränderung. Wenn ich nichts verändert hätte, würde ich noch heute im alten Fahrwasser schwimmen.
    Erst als ich die Gründe meiner Sucht mit Hilfe einer Therapeutin erkannt habe (ein Trinktagebuch habe ich übrigens auch geführt), ging es ans „Eingemachte“ und glaub mir,
    das kann ganz schön wehtun und kostete unglaublich viel Kraft. Aber mit dieser professionellen Hilfe schaffte ich es, meine Gewohnheiten zu ändern, neue Verhaltensmuster zu erlernen,
    meine Gedanken umzulenken, und mein geprägtes Verhalten in andere Bahnen zu lenken. Und das habe ich natürlich nur mit klarem Kopf geschafft. Darauf bin ich unglaublich stolz
    (ja, heute kann ich mich auch selber wertschätzen ;))
    Für mein restliches Leben wünsche ich mir, dass ich nicht wieder in meine alten Verhaltensmuster zurückfalle.
    Ich find es klasse, dass du dir jetzt professionelle Hilfe suchen willst. Vielleicht kannst du dich in einer Suchtambulanz bei dir vor Ort erkundigen? Es gibt ambulante, teilstationäre oder stationäre Terapien.
    Sicher werden dir dort alle wichtigen Fragen beantwortet.
    Bitte schreib doch, wie es bei dir weiter geht.
    Alles Liebe dir von Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Ich bin euch wirklich sehr dankbar! Ich merke wo meine Gedankenfehler sind. Vielen Dank, dass ich von euren Erfahrungen profitieren darf!

    Heute hatte ich keinen guten Tag. Seit dem Aufstehen war ich nicht gut drauf, von außen merkt das natürlich niemand... hab mich durch den Tag gerettet und eure Nachrichten haben mir sehr geholfen, als ich heute Abend trinken wollte! Ich habe es gelassen. Aber es geht mir nicht gut, körperlich ist alles prima und ich stelle mit Verwunderung fest, dass ich nicht mal Lust oder Verlangen nach Wein hatte, aber hätte ich welchen da gehabt ich weiß ich hätte ihn getrunken...Immerhin bin ich nicht losgezogen und hab welchen gekauft.


    Gerchla : Ja, du hast vollkommen recht mit deiner Einschätzung. Einige Momente (die du auch beschreibst: Gläschen Wein im Sonnenuntergang....) möchte ich, wenn ich ganz ehrlich bin, nicht aufgeben. Aber ich sehe durch eure Nachrichten, dass es ja eigentlich nicht weh tut, eigentlich kein Verzicht ist...Das muss jetzt nur noch wirklch in meinem Kopf ankommen. Aber ich fange an zu verstehen.

    Und du hast recht, Tage zählen ist nicht der Schlüssel. Zuverlässig geht es nur darüber es zu wollen. Und auch dein Hinweis zu den Szenarien will ich beherzigen.
    Im Moment schaffe ich es aber bestenfalls mal ne Woche... Ich brauch einen Anfang aus Überzeugung! Puh...wenn es so einfach wäre..


    Liebe Brit , vielen Dank für deine Antwort. Ich bin für jede ehrliche und wertschätzende Nachricht dankbar!
    Ich glaub ich weiß was du meinst. Ich verändere viele kleine Dinge und vielleicht führen die zu einer großen Veränderung.


    Ich glaub ich verstehe meine Probleme noch nicht. Also ich meine nicht den Alkohol, sondern die Auslöser, die wirklichen Veränderungen,...
    Ich bin nicht traumatisiert, ich hatte keine schlimme Kindheit,...ich habe ein gutes Leben...und trotzdem ruiniere ich es mir (will jetzt kein Mitleid, bin nur etwas verzweifelt, weil ich mich selbst nicht verstehe).


    Kannst du mir etwas über die ambulante Therapie erzählen? Kannst du arbeiten? Kann man eine Dauer abschätzen?


    Euch allen wünsche ich, dass ihr den Weg gehen könnt, den ihr möchtet!
    (witzig: kann ich eigentlich auch, wenn ich es will...vielleicht fehlt es am Weg/Ziel/Richtung...)

  • Guten Morgen Bine,

    nur ganz kurz, weil ich weg muss:

    Zitat

    Aber ich sehe durch eure Nachrichten, dass es ja eigentlich nicht weh tut, eigentlich kein Verzicht ist...Das muss jetzt nur noch wirklch in meinem Kopf ankommen.

    Du darfst das "eigentlich" getrost weg lassen. Es dauert einen Moment, bis man an diesem Punkt ankommt. Dietmar hat auch schön beschrieben warum das so ist. Aber man kommt dort an, das darfst Du mir gerne glauben.

    Zitat

    Aber ich fange an zu verstehen.


    Das freut mich sehr!

    Bleib dran! Ich wünsche Dir nur das Allerbeste!

    LG
    gerchla

  • Heute hatte ich keinen guten Tag. Seit dem Aufstehen war ich nicht gut drauf, ... hab mich durch den Tag gerettet und eure Nachrichten haben mir sehr geholfen, als ich heute Abend trinken wollte! Ich habe es gelassen. Aber es geht mir nicht gut ... Immerhin bin ich nicht losgezogen und hab welchen gekauft.

    Zunächst einmal: Super 44. Das ist doch schon mal ein Riesen Fortschritt :D


    Ich glaub ich verstehe meine Probleme noch nicht. Also ich meine nicht den Alkohol, sondern die Auslöser, die wirklichen Veränderungen,...
    Ich bin nicht traumatisiert, ich hatte keine schlimme Kindheit,...ich habe ein gutes Leben...und trotzdem ruiniere ich es mir (will jetzt kein Mitleid, bin nur etwas verzweifelt, weil ich mich selbst nicht verstehe).


    Kannst du mir etwas über die ambulante Therapie erzählen? Kannst du arbeiten? Kann man eine Dauer abschätzen?

    Auch wenn die Frage an Britt ging ...

    Ziel der Therapien ist es (grob gesagt), Dich eben an diese Ursache zu führen und Dir Wissen über die Krankheit an sich und "Handwerkszeug" an die Hand zu geben, damit DU mit diesem ganzen Wissen (über Dich, die möglichen Ursachen, die Krankheit an sich, über Rückfallprävention etc pp) etwas gegen Deine Sucht tun kannst. Dies geschieht u.a. in vielen Gruppen- und Einzelgesprächen.
    Und hierbei gibt es diverse verschiedene Therapie-Formen, wie Britt ja auch schon schrieb. Um Dich hier wirklich eingehend zu informieren, solltest Du wirklich mal zu einer Suchtberatung gehen.

    Ich kann Dir hier nur aus meinem eigenen Erleben, meiner eigenen Erfahrung berichten. Denn Eines haben alle Therapien gemeinsam: die HauptARBEIT musst DU, der Patient leisten!

    Ich habe damals eine ambulante Therapie gestartet, da ich ja ein kleines Kind zu Hause hatte und meine damalige Frau nicht mit dem Kind, der ganzen Hausarbeit ... und den ganzen Alltagsproblemen ... und überhaupt ... alleine lassen konnte. Auf keinen Fall - ich war doch unentbehrlich!
    Bei dieser ambulanten Therapie hatte ich 2x Woche jeweils 1,5 Stunden Gruppen- und 1x eine Stunde Einzelsitzung bei einem Therapeuten. Ansonsten war ich ganz normal zu Hause und ging arbeiten. Die ganze Therapie war angelegt auf ca. anderthalb Jahre.
    Die Therapie war auch nicht schlecht. Aaaaaber - ich konnte einfach nicht von meinen Alltagsproblemen abschalten und mich auf das eigentliche Problem konzentrieren: auf MICH. Und das machte mir zunehmend zu schaffen. Aber dagegen gab es ja ein probates Mittel :-\

    Also zog ich dann die Reissleine und schwenkte um auf eine vollstationäre Therapie. Und lies mich auch davon überzeugen, dies möglichst weit weg von zu Hause zu tun! Auf Grund von Erlebnissen dort bin ich auch heute noch der Meinung, dass dies das Beste ist, was man tun kann - weit weg von zu Hause und den Alltagsproblemen.
    Diese Therapie ist/war angelegt auf 12 Wochen mit der Option, bei Bedarf/Notwendigkeit noch "Nachschlag" zu erhalten. Und was ich vorher für unmöglich gehalten hatte ist eingetreten: Ich habe freiwillig um 4 Wochen "Nachschlag" gebeten - und diese zu Glück auch erhalten! Ich muss dazu sagen, es ist bei mir nun schon eine ganze Weile her, aber Gruppenfreunde haben es ebenso gemacht.
    In dieser Zeit hat man die Gelegenheit, sich intensiv mit sich selbst, seiner Vergangenheit, seinen Gefühlen und Befindlichkeiten zu beschäftigen - und so den Ursachen der Sucht auf die Spur zu kommen. Eins kann ich versprechen: Das ist kein Urlaub! Es ist anstrengend, es ist Arbeit und es tut auch weh! Allerdings: Man muss sich auch darauf einlassen!
    Ich habe mich in diesen 16 Wochen so intensiv wie noch nie mit mir selbst beschäftigt und mir sind einige Mechanismen klar geworden, die dazu geführt haben,dass ich zur Flasche gegriffen habe. Einige - nicht alle.

    Übrigens musste ich nach diesen 16 Wochen auch feststellen, dass sich die Welt auch ohne mein Zutun weitergedreht hat: mein Kind ist gewachsen und prächtig gediehen, meine Frau hat überlebt ... ;)

    Natürlich ist jeder Mensch verschieden. Für mich war die stationäre Therapie das Non plus ultra. In meiner SHG habe ich auch Gruppenfreunde, die haben es mit einer ambulanten Therapie geschafft - und auch welche, die es ohne Therapie geschafft haben.

    Auch wenn es Kraft kostet - es ist die beste Investition ever!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Liebe Bine,

    danke für Dein Feedback!

    Zitat von “bine“

    Und du bringst es auf den Punkt, ich muss die Gründe herausfinden, die mich trinken lassen.


    Klar ist sicher, dass wir uns als Betroffene sehr viel leichter tun, unsere Sucht zum Stillstand zu bringen, wenn wir die Gründe wissen, die immer wieder das Verlangen auslösen.
    Nur, und jetzt kommt das große Aber: Diese höchst individuelle Gründe können so vielschichtig sein, sind meist sehr tiefgreifend, oft durch jahrelange Übung gut vergraben und verschüttet, und erfordern, meiner Ansicht nach, neben einer qualifizierten fachlichen Begleitung (und Anweisung) auch unglaublich viel „Arbeit“, Geduld und sehr, sehr viel Freundlichkeit und Achtsamkeit für uns selbst.
    Schon sehr viele sagten mir, „Wenn ich die Gründe wüsste, warum ich immer wieder zur Flasche greife, dann könnte ich mit dem Trinken aufhören“.
    Da sie dabei den zweiten Schritt vor dem ersten im Blick hatten, haben sie dann halt solange weitergetrunken … zumeist trinken sie auch heute noch, immer auf der Suche nach den Gründen …

    Zitat von “bine“

    Seit wenigen Tagen führe ich ein "Trinktagebuch". Es hilft mir das "Bedürfnis" bewusst zu machen und teilweise sogar das Trinken dann zu lassen.


    Dasselbe Prinzip wird beim „Kontrollierten Trinken“ (nach Prof. Körkel) angewendet. Richtig praktiziert, und vorausgesetzt die Sucht hat sich noch nicht allumfassend manifestiert, führt das zu diesem Ergebnis: Du lässt das erste Glas stehen.


    Zitat von “bine“

    Was mir auffällt ist, dass man eigentlich schon im laufe des Vormittags sagen kann ob ich abends trinken werde. Es hat viel mit meinem Wohlbefinden zu tun, manchmal aber auch mit Belohnung und meist mit Stressabbau.


    Ich habe Dir dazu heute einen neuen Beitrag in der Rubrik Selbsthilfe und Therapie eingefügt.
    Mir hat bei der Bewältigung meines Suchtproblems u.a. sehr viel Wissen geholfen, weil ich mich, und alles was sich auch biochemisch in mir tut, besser verstehen konnte.

    Zitat von “bine“

    Es ist nicht der Rausch den ich möchte, ich fühle mich wohl und entspannt wenn ich ein Glas Wein in der Hand habe.... Das allerdings bereits schon ab dem ersten Moment, ich muss noch nicht mal etwas getrunken haben, alias der Alkohl hat noch keine Wirkung. Habe mich da wahrscheinlich bereits konditioniert.


    Hier kommt dann das Priming ins Spiel: Bereits das Glas in der Hand löst bei Dir die erwarteten inneren, biochemischen Prozesse aus.

    Zitat von “bine“

    Dein Hinweis mit den Nebenwirkungen und hormoneller Veränderung finde ich sehr interessant. Werde mal suchen was ich da im Netz so finde.


    Dazu gibt es hier im Forum zahlreiche Beiträge!

    Zitat von “bine“

    Wieso denkst du, dass es eine "radikale Veränderung" im Leben braucht?


    Ich habe in meiner Wortwahl „radikal“ zwar vermieden, weil man (heute) in der Suchtselbsthilfe allzu offensive und erschreckende Hinweise auf eine notwendige Vorgehensweise, so gut es eben geht, vermeidet.
    Aber tatsächlich trifft es zu, wenn Du von „radikalen Veränderungen“ schreibst.
    An vielen Stellen schrieb ich hier schon, dass meine Sucht in jeden noch so kleinen Lebens- und Daseinsbereich meines Lebens eingegriffen hat. Sie hat vor nichts Halt gemacht, und überall ihre Spuren hinterlassen. Und dies über viele Jahre hinweg.
    In anderen Worten: Sie hatte sich „eingegraben“, und die Gleise, auf denen „mein Sucht-Zug“ fuhr, waren so dominant, dass sie – siehe oben, Deine „Konditionierung“ – beinahe bei jedem Vorgang eine programmierte Vorgehensweise auslösten.

    Ich schrieb dazu erst dieser Tage, dass die Sucht nichts ist, „das man mal so nebenbei erledigen“ (zum Stillstand) bringen kann. Eine dauerhafte, stabile Abstinenz lässt sich nur mit sehr intensiver, geduldiger und stetiger „Arbeit an und mit sich selbst“ erfüllen.
    (Sicher gibt es auch hier Glückliche, bei denen die Erkenntnis über Nacht kam, und die fortan nichts mehr vom Alkohol wissen wollten, und ohne einen einzigen Gedanken daran, für immer die Finger von ihm lassen konnten.)
    Sucht ist ja viel, viel mehr, als „nur das Verlangen nach dem nächsten Schluck“. Die Auslöser für Suchtdruck sind unglaublich vielseitig, und häufig haben Betroffene die Auslöser, die sie schließlich zu Fall bringen, gar nicht auf dem Schirm.
    Du wirst von „erfolgreichen“ trockenen Alkoholikern immer wieder die nur schwer zu verstehende Aussage (nach einiger Zeit ihrer Trockenheit) hören: „Ich bin dankbar, dass ich diesen Weg (die Sucht) erlebt habe!“
    Weil ihnen nämlich die Bewältigung der Sucht Türen und Fenster zu menschlichen Bereichen geöffnet hat, die sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlossen geblieben wären. (Wozu soll sich darum jemand bemühen, wenn keine Not vorhanden ist?)

    In der Tat kenne ich sehr viele Betroffene (ich gehöre auch dazu), die ihr komplettes Umfeld (soziale Kontakte, Freunde, partnerschaftliche Beziehungen, usw.) verändern mussten, um überhaupt eine Chance gegen ihre Sucht zu haben. Manche sind sogar von ihrem alten Wohnort weggezogen, um der permanenten Gefahr der Verlockung aus dem Weg gehen zu können. Andere haben ihren alten Job aufgegeben.
    Das ist schon „radikal“ – aber eben notwendig.

    Zitat von “bine“

    Danke auch für den Hinweis zum Thema "Überforderung", ich will alles auf ein Mal und das natürlich sofort. Damit setze ich mich natürlich wieder unter Druck und das bringt mich schnell zum Scheitern.


    Genau deswegen schrieb ich es Dir! Ich, genauso wie die Freund*innen in der Suchtselbsthilfe überall, habe ja oft miterlebt, wie motiviert und engagiert viele Betroffene „in ihr neues Leben ohne Alkohol gestartet“ sind. Hat man Erfahrung, auch aus eigenem Erleben, dann wird einem angst und bange dabei!
    Gerade „die ganz großen Schritte“ brachten die Betroffenen dann ins Wanken, und nicht selten zu Fall.
    Ich bin Schwabe, deswegen mein Spruch: Däpperle um Däpperle (Schrittchen um Schrittchen) macht am Ende auch eine lange Wegstrecke aus, und birgt in sich nicht die Gefahr, über die eigenen Füße zu stolpern.

    Zitat von “bine“

    Ich kann es noch nicht mal Freunden erzählen, weil ich Angst habe. Was verrückt ist, denn ich würde niemand deshalb verurteilen, egal ob Sucht oder was auch immer mir anvertraut würde. Wieso nur geht man mit sich selbst so hart ins Gericht?!

    Mal abgesehen davon, dass Du aufgrund der eigenen Betroffenheit eine völlig andere Sicht auf die Krankheit hast, kann es für diese Angst viele Gründe geben.
    Das Bedürfnis, geliebt, anerkannt und geachtet zu werden, ist wahrscheinlich einer davon. Alkoholismus, obwohl eine anerkannte Krankheit (nicht überall!), ist völlig anders, als alle anderen „Krankheiten“. In der Regel fehlt gesellschaftlich das gleiche Verständnis.

    Zitat von “bine“

    Wann konntest du dazu stehen? Wann konntest du dich überwinden dazu zu stehen?


    Für mich war eine der größten Barrieren überhaupt sagen zu können „ich bin Alkoholiker“. Das war unglaublich schwer! Obwohl mir das in den eingeweihten, und in den fachlichen Kreisen immer und immer wieder gesagt wurde, war ich sehr lange der Meinung: „Okay, ich habe zwar ein Problem mit dem Alkohol, aber ein Alkoholiker, wie so viele andere, die ich sehe, bin ich deswegen noch lange nicht!.
    Schließlich, weil ich ein sogenannter „funktionierender Alkoholiker“ war, hatte ich eine insgesamt glückliche kleine Familie, einen Job, war erfolgreich, machte „Karriere“, lebte auf gutem, mittelständischen Niveau, und hatte überhaupt nichts gemein, mit „dem Säufer auf der Parkbank“.
    Als ich dann – nach einem psychischen und physischen Totalzusammenbruch – das erste Mal Kontakt zur Suchtberatung aufnahm (weil’s nicht mehr anders ging), und viel in der Suchthilfe unterwegs war (damals war noch eine völlig andere Zeit und andere Ansätze und Vorgehensweise), wurde der Druck in diesen Kreisen dann so groß, dass ich mich dazu überwand, nur für die Anderen, zu sagen: Okay, dann bin ich eben Alkoholiker.
    Aber innerlich kam gleichzeitig der Zusatz: Aber nicht so, wie „die anderen Alkoholiker“.
    Da war ich natürlich noch meilenweit von einer einigermaßen sicheren Abstinenz entfernt. (Weil um die zu erreichen, musste ich zu mir selbst, und eben meiner Sucht, voll und ganz stehen können!)

    Ich hatte dieselbe Angst, wie Du sie beschrieben hast: Bei einem allzu offensiven Bekenntnis, und in dem Wissen (und der nun mal tatsächlich gemachten Erfahrung mit meinen Rückfällen), dass ich noch nicht sicher war, ob ich zeitlebens den Alkohol weglassen würde können, sah ich die große Gefahr, dass im Falle eines (oft verheimlichten) Rückfalls gleich mit den Fingern wieder auf mich gezeigt würde.
    Viele Jahre wusste in meinem Job gar niemand etwas davon, dass ich Alkoholiker war. Warum auch? Ich funktionierte, tat meine Arbeit (offenbar zufriedenstellend), und wenn ich mal wieder soff, dann immer nur außerhalb, privat und nach außen so gut es ging verheimlicht.

    Irgendwann dann ging mir ein Licht auf, dass es „so“ nicht ewig weitergehen konnte. Da weihte ich dann die engsten Kollegen und Chefs ein. Aber immer auch wissend, dass ich mich vorzüglich gegen alle Eventualitäten abgesichert hatte (Kündigung, Repressalien, usw.)
    Tja, und dann – jetzt auch schon viele Jahre her – hatte ich meine Krankheit selbst so verinnerlicht und akzeptiert, dass ich uneingeschränkt dazu stehen konnte.
    Wie geschrieben: Das war ein Prozess bei mir, der viele Ereignisse und eine lange Kette von Vorfällen mit sich zog.

    Wenn Du das jetzt gelesen hast, dann – so denke ich gerade – kannst Du vielleicht die Botschaft herauslesen, die darin verborgen ist?
    Man kann immer wieder hinfallen und straucheln, aber am Ende zählt immer nur, dass man wieder aufgestanden, und es wieder und wieder versucht hat (die Sucht zum Stillstand zu bringen).
    Und dabei – siehe oben Deine Worte (warum ist man zu sich selbst so streng?) – ist eines extrem wichtig: Wie Du Dich selbst wahrnimmst, und was Du Dir selbst wert bist!
    Hätte ich nach dem x-ten Rückfall gesagt: „Ach Dietmar, du bist halt ein Versager, du schaffst das nie, und brauchst es gar nicht mehr zu versuchen“, dann wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich hätte aufgeben. (Leider tun das sehr, sehr viele (wie auch Gerchla geschrieben hat.)

    Ich meine grundsätzlich schreiben zu können:
    Es gibt mindestens genauso viele Wege, wie Betroffene ihre Sucht zum Stillstand bringen können, wie es Wege in die Sucht gibt!
    Auch wenn ein Alkoholiker dem anderen Alkoholiker gleicht, wie ein Ei dem anderen: kratzt man an der Schale, dann kommen ganz unterschiedliche Alkoholiker zum Vorschein.
    Vieles, besonders was die bewährten, schon viele, viele Jahrzehnte erfolgreich angewandten Methoden und Vorgehensweisen beim Ausstieg aus der Sucht anbetrifft, hilft (fast) allen Betroffenen, und ist auf jeden Fall „mal zum Ausprobieren“ empfehlenswert!
    Aber daneben gibt es auch unzählige höchst individuelle Möglichkeiten, die Betroffene für sich selbst finden, ausprobieren, testen und erproben müssen.

    Ich werde Dir niemals schreiben können „Bine, wenn ich Dich wäre, dann würde ich ….“.
    Weil ich niemals „Dich sein werden kann“! Ich werde niemals so denken und fühlen können, wie Du!
    Ich kann bestenfalls schreiben „Bine, wenn ich in so einer Situation wäre, wie Du, dann würde ich bei und für mich Dies und Jenes tun …“
    Wenn Du das dann bei Dir anwendest, dann kann es Dir helfen und Dich weiterbringen. Es könnte Dich aber genauso gut direkt in den Abgrund stürzen. (Natürlich nur im schlimmsten Fall, und wenn Du nicht achtsam zu Dir wärst!)

  • Hallo zusammen,

    da bin ich wieder. Hab Eure Beiträge mit allen Links in der Zwischenzeit mehrfach durchgelesen, musste alles etwas setzen lassen und es hat in mir gearbeitet.

    Es hat sich etwas in mir verändert. Ihr habt mir in so vielen Punkten die Augen geöffnet! Weiß gar nicht wie ich wirklich danke sagen kann.
    Ich bin trocken.
    Das ist aber nicht das wirklich Gute, das Gute ist: Ich will nicht trinken.
    Bsp: Ich war einkaufen und erst im Nachhinein viel mir auf, dass ich am Weinregal einfach vorbeigegangen bin. Ich hab nicht mal Lust. Es gibt kurze Momente wo ich daran denke (z.B. im TV trinkt jemand etwas), aber dann ist das nur ein kurzes daran denken, kein "oh Gott, wo bekomm ich jetzt sofort etwas her".


    Jetzt ist mir natürlich vollkommen klar, dass die zwei, drei Tage alkoholfreie Zeit (nach Jahren des täglichen Konsums) an sich nicht viel aussagen, ich bin auch nicht euphorisch oder naiv. Aber ich merke in mir ist etwas anders.
    Ich verzichte nicht weil ich es soll, oder weil ich meine Therapeutin sagen will ich bin x-Tage ohne...nein, ich lass es einfach, weil ich es nicht möchte.

    In den letzten Tagen habe ich mir meine Tage so gestalltet, dass es mir gut geht...ab morgen werde ich mit meinem "bisherigen Alltag" konfrontiert und ich bin gespannt wie es mir damit gehen wird. Aber ich habe nun ein Bewusstsein dafür und wenn ich einen Suchtdruck bekomme, weiß ich genau an welchen Situationen ich arbeiten muss (auch wenn mir vollkommen klar ist, dass das harte Arbeit ist - aber die will ich).
    Mir ist ebenfalls klar, dass es Tage gibt an denen es mir grundsätzlich nicht gut geht und trocken zu bleiben eine besonders große Herausforderung ist. Das ist ein Thema, das ich mit zu meiner Psychologin nehme, bin mir unsicher was das ist (siehe mein Beitrag auch vom 27.06.)


    Im Moment merke ich(und das verdanke ich EUCH!), ich brauche (im Moment) keine weitere Theapie, ich brauch keine andere Hilfe, es liegt in und an mir. Ich muss, will und werde es mir wert sein. Es ist mein Ziel, dass es MIR gut geht.

    Ich habe Respekt vor vielen Situationen (Bsp. Familientreffen, Urlaub in einem schönen Hotel mit gutem Essen und "gutem Wein", Tage in einigen Wochen/Monaten an denen ich einfach Lust bekomme...), viele davon können mein neu errungenes Gefühl einstürzen lassen und es ist noch lange nichts überstanden. Aber ich versuche jetzt einen Schritt nach dem anderen. Mein Ziel ist klar!!!


    (Ich benutze in dieser Nachricht mehrfach das Wort "klar" und will es auch gar nicht korrigieren, da es das perfekte Wort ist, die perfekte Metapher!)

    Ich schreibe diese Nachricht nicht um mir jetzt einen "Schulterklopfer" abzuholen (hab schließlich noch nichts geleistet), ich schreibe sie um Euch zu zeigen, was Eure Nachrichten bewirken! Dankeschön für Eure Zeit, Danke fürs Teilen Eurer Erfahrungen, die Hinweis auf Gedankenfehler meinerseits, die Wertschätzende Kommunikation, Danke fürs Mut machen und Auffangen! Würde euch gerne Blumen zukommen lassen, aber das ist mit der Anonymität etwas schwirig ;)

    Herzliche Grüße von Eurer Bine

    :heartBalloon:


  • Ich bin trocken.
    Das ist aber nicht das wirklich Gute, das Gute ist: Ich will nicht trinken.
    ...
    Jetzt ist mir natürlich vollkommen klar, dass die zwei, drei Tage alkoholfreie Zeit (nach Jahren des täglichen Konsums) an sich nicht viel aussagen, ich bin auch nicht euphorisch oder naiv. Aber ich merke in mir ist etwas anders.
    Ich verzichte nicht weil ich es soll, oder weil ich meine Therapeutin sagen will ich bin x-Tage ohne...nein, ich lass es einfach, weil ich es nicht möchte.

    Vielleicht/hoffentlich hat es bei Dir den berühmten "Klick" gemacht.
    Ich habe früher auch oft - natürlich - vergeblich versucht, mit dem Saufen aufzuhören. es hat einfach nicht funktioniert nixweiss0 Aber irgendwann war etwas anders - und es hat funktioniert. Sogar relativ einfach. So einfach, dass ich sogar so etwas wie Angst bekommen habe: Warum hat es denn dann nicht vorher geklappt?

    Egal - ich wollte einfach nicht mehr. Es gab zwar einige heikle Momente, aber ansonsten hat es bis heute funktioniert :)

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Liebe Bine,

    es freut mich sehr, wenn Dir unsere Beiträge einen Anstoß dazu geben konnten, Dein Konsumverhalten neu zu überdenken.
    Ich nehme aber auch mit Sorge den doch plötzlichen Umschwung (Rehabilitations-Wunsch - jetzt die Problematik alleine durchstehen zu wollen) wahr.

    Ich wünsche Dir von Herzen, dass es "so", wie Du es Dir vornimmst, funktioniert, und Du zu den seltenen Fällen gehörst, bei denen dieses "berühmte Klick" stattgefunden hat, und eine stabile Abstinenzphase auslösen konnte!

    Egal wie's weitergeht: Du bist hier immer willkommen und erhältst Antworten!

  • Danke Euch beiden.

    Da habe ich mich wohl falsch ausgedrückt. Ich werde meine Therapie (Psychologin) weiterhin besuchen. Ich habe noch so viele Baustellen, brauch Hilfestellungen für die "schwachen" Momente... ich weiß nur jetzt viel eher wo ich nicht weiter komme und ich ihre Unterstützung brauche. Ich habe aber nicht mehr die Erwartung, dass sie mich "heilt", ich habe verstanden, dass nur ich selbst das kann.

    Das einzige was sich in den vergangenen Tagen geändert hat, ist meine Einstellung zum Trinken... aber ich hoffe und denke im Moment auch, dass das mein entscheidender Schlüssel sein kann. Ich hoffe nicht, dass ich mir was vor mache, aber im Moment scheint es wie ein weiterer Schritt.

    Aber ich brauche Hilfe und die nehme ich mir auch. Vielleicht reicht das Ambulante auch nicht, aber ich habe im Moment den Mut und die Zuversicht den Weg so weiter zu gehen...

    Ich wünsche Euch einen schönen Abend!

  • Guten Morgen liebe Bine,

    Zitat von “bine“

    Ich habe aber nicht mehr die Erwartung, dass sie mich "heilt", ich habe verstanden, dass nur ich selbst das kann.


    Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis!
    Die Erfahrung in der Suchtselbsthilfe bringt es auf den Punkt: Nur Du allein kannst es schaffen – aber Du schaffst es (wahrscheinlich) nicht alleine.

    Je mehr Du Dich gegenüber Deiner Therapeutin öffnest, Ihr die Punkte offenbarst, bei denen Du Dich schwach und hilflos fühlst, umso mehr kann sie Dich dabei unterstützen stark zu werden.

    Zitat von “bine“

    Ich hoffe nicht, dass ich mir was vor mache, aber im Moment scheint es wie ein weiterer Schritt.


    Selbst wenn Du wirklich bedauerlicherweise doch mal wieder schwach werden solltest, machst Du Dir an Deinem sehnlichen Wunsch, trocken und abstinent bleiben zu wollen, nichts vor.
    Sucht ist halt so viel stärker, wie alles was wir an guten und ehrlichen Vorsätzen kennen.
    Was dann noch fehlt, das ist die richtige Strategie, mit der Du aufkommenden Suchtdruck entgegentreten kannst.

    Weil ich selbst meine Erfahrungen mit diversen Therapien und Therapeuten, Psychologen und Psychiater machen musste, möchte ich Dir noch etwas mit auf den Weg geben.
    Sucht, hier eben Alkoholismus, ist sehr speziell. In fast keinem Bereich der psychischen und physischen Störungen gibt es mit der Selbsthilfe so große Erfolge, wie bei Alkoholismus.
    Das hat damit zu tun, dass in den Selbsthilfegruppen „geballte und sehr unterschiedliche Eigenerfahrungen“ vorzufinden sind. So können die Teilnehmer aus einem großen Pool an Erfahrungen, das für sich Richtige herausfischen und mitnehmen.

    Ich möchte damit keineswegs Deiner Therapeutin die Qualifikation absprechen oder schlecht reden!
    Aber die Psychologie ist halt – weil es sich dabei um menschliche, höchst unterschiedliche Probleme handelt – riesengroß und ganz unterschiedlich ausgerichtet.
    Wenn Du schreibst, „ich brauche Hilfe, und die nehme ich mir auch“, dann möchte ich Dich dazu ermuntern: Nimm so viel wie möglich mit! Nimm alles, was angeboten wird! Du wirst das niemals bereuen!

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