Das Jahr der guten Vorsätze

  • Moin Moin in die Runde an alle,

    da bin ich endlich angekommen um hier meine Seele zu erleichtern, was doch durchaus einiges an Überwindung fordert. Trinken tue ich seit ungefähr 10 Jahren, davon aber die letzen 3-4 Jahre immer härter. Die Jahre davor waren "noch" gesellschaftsvertretbar und haben mich nicht in meinem Leben groß beeinflusst (wie ich das so sehe) aber so in den letzen 2 Jahren hat es sich schon deutlich auf den Alltag ausgewirkt. Und mit dem Wissen dessen und den Erfahrungen speziell der letzen Woche, sehe ich positiv in die Zukunft und hoffe das ich den Schweinehund endgültig bezwingen kann und ein neues Kapitel aufschlagen kann.
    Mehr dazu gleich in Selbsthilfe und Therapie wo ich dann detailierter schreiben werden.

    Auf jeden Fall ein großes Hallo in die Runde!

  • Ha, okay, ich sehe gerade das es so "Usus" ist, hier die Geschichte reinzuschreiben. Dann mache ich das gleich mal ;)

  • Begonnen hat mein Karriere mit dem Stoff so grob mit Mitte 20. Bzw. da sehe ich den Auslöser für meinen Status jetzt. Ich habe damals durch meinen Zivildienst rund im Jahr 2000, den ich nicht aufgearbeitet habe, denke ich mal ein ziemliches Trauma abbekommen, welches ich auch bis heute noch nicht voll reflektiert habe. Das Ergebnis dieses Traumas war eine handfeste Angststörung die dazu geführt hat, das ich fast 6 Jahre kaum bis gar nicht gesellschaftsfähig gewesen bin.
    Mich hat damals sogar das Holen von Zigaretten an der Tanke massiv gefordert bzw. mich in Angst und Schrecken versetzt. An Urlaube war nicht zu denken, es war teilweise so massiv das ich Familienfeiern, die außerhalb unserer Grundstückes stattgefunden haben, blockiert habe.
    Meine Familie hat mein Verhalten zwar mitbekommen, aber niemals Unterstützung angeboten bzw. das irgendwie verstanden. Meine Freundin hat mein Verhalten einfach mitgetragen. Gesellschaftlich bin ich zum Glück nicht abgerutscht, durch ein paar Zufälle und Begebenheiten habe ich immer irgendwie genug Geld verdient.

    Im Jahr 2006 (ja genau zur WM) wollte es der Zufall, das ich zwei Karten für ein WM Spiel gewonnen habe. Und man stelle sich vor, ein Angstneurotiker soll in ein Stadion mit 45 TSD Menschen gehen......unvorstellbar.
    Ich hatte damals meinem Bruder versprochen das er mitgehen kann, er war glühender Fußballfan. Nun saßen wir also in der Wohnung seiner Freundin und wollten gleich ins Stadion. Wie es mir ging, könnt ihr euch ja vorstellen.
    Aber.....Tadaa....was hat geholfen? Wir haben uns vor dem Spiel ein paar Bierchen reingeflankt. Ich war vorher quasi abstinent, hab mit Suff & Drogen nie was am Hut gehabt, sondern eher immer deutlichen Respekt gezeigt. Aber der Stoff sorgte dafür, dass es mir deutlich besser ging und ehrlich gesagt das Spiel (obwohl es Scheisse war) und die Party danach einfach ultra gut gewesen sind. Nach 6 Jahren endlich mal wieder unter Menschen und das auch genießen war wunderbar.

    Tja, da bekam ich 2 Erkenntnisse:

    1. Ich kann ja gar nicht so groß einen an der Marmel haben wenn ich mit ein paar Bierchen mit 45 Tsd Menschen abfeiern kann und
    2. mein Weg in die Freiheit war geöffnet.

    Was danach folgte war quasi jedes Wochenende Party. Ich meine, ich habe mit den 6 Jahren Angststörung quasi meine Jugend weggeworfen, ich hatte einen unheimlichen Nachholbedarf.
    Ich feierte mich so durch die Wochenende und als nächstes passierte es, dass ich eine Frau kennenlernte, mit der ich über 1 Jahr lang meine Freundin betrogen habe. Nur komischerweise hatte die Gute jedesmal wenn wir uns getroffen habe, die Flasche am Hals. Mir fiel das gar nicht so weiter auf, nur, konnte ich nicht mit ihr trinken da ich immer mit dem Auto fahren musste. Und Alkohol und Auto zusammen ging bei mir nicht.
    Als Kompensation allerdings, habe ich mir nach unseren Treffen dann immer zu Hause das eine oder andere Bierchen gegönnt. Ich denke das war so der Ausschlag zur "in der Woche trinken" und nicht "nur" am Wochenende.
    Die Affaire war dann zu Ende aber ich hab mein in der Woche trinken dann nicht gänzlich abgelegt. Ich hab zwar nicht hart getrunken aber so 3-4 Bier jeden Abend, mal weniger, mal eine Flasche mehr. Begünstigt auch dadurch, dass mein Bruder nebenan wohnt der, gelinde gesagt, bei weitem härter unterwegs ist, als ich.

    Na ja, so ging die Zeit ins Land, ich heiratete meine Freundin, wir bekamen unsere erste Tochter, dann unsere zweite und so das in der Woche trinken wurde immer regelmäßiger und regelmäßiger, es steigerte sich auch so langsam die Dosis.
    Gesellschaftlich war ich soweit wieder hergestellt, zwar nicht 100% frei von der Angst aber soweit, dass ein normales Leben möglich gewesen ist. Aber irgendwann kam es dann soweit, ich war dann mittlerweile so bei rund 10 Pils in der Woche, fast jeden Tag, dass meine Angststörungen wieder gekommen sind. Herzklopfen, nasse Hände, Panikattacken. Ich hab mich dann so durch den Alltag geschleppt und zur Kompensation macht man was? Richtig, nach 2 Bier + X gings mir wieder gut.

    Nun sollte uns aber das Schicksal hart treffen, mein Vater starb brutals innerhalb kürzester Zeit an einer miesen Krankheit an Weihnachten letzen Jahres (2017), wir, die Familie waren alle dabei als er sein Morphium bekam.....wie ich diesen Abend oder Nacht "überstanden" habe, könnt ihr euch ja vorstellen.

    Zwei Wochen später nach der Beerdigung bekamen wir dann noch die Diagnose Diabetes Typ I bei meiner "großen" Tochter als Bonbon oben drauf. Dazu sind wir die einzigen die in direkter Näher zu meiner Mutter wohnten, die natürlich mit dem Tod meines Vaters überhaupt nicht klar kam und uns wiederum aber auch keinen Spielraum gab, das wir A: selber trauern und B: uns um unsere Tochter und um uns kümmern konnten.

    Zu deutsch also ein riesen Haufen von Sorgen auf den Schultern und so gut wie keinerlei Freude mehr im Alltag was ich damit kompensierte, mir jeden Abend in der Zeit von 17h - 21h an die 12- 13 Pils reinzuschmirgeln.
    Warum dieser Zeitraum? Ich hab festgestellt, wenn ich um 21h den Kahn vollhabe, komme ich noch irgendwie morgens aus dem Bett. Körperlich baute ich immer mehr ab, Angstattacken, Schweiß, teilweise war ich morgens so fertig und wohl auch noch voll, dass ich nicht zur Arbeit fahren konnte und auch wollte. Allerdings wurden meine Ausfallzeiten in der Arbeit mehr und mehr, dass es eigentlich hätte auffallen müssen.
    Mein Chef rief mich irgendwann zum Gespräch und fragte wie es mir ginge und ich sagte ihm ehrlich wie dreckig, ohne den Alkohol zur Sprache zu bringen. Und, was dazu kam und kommt, ich hab mich selber nicht mehr gemochte. Ich fand mich und mein Verhalten und die Einschränkungen die mit der Sucht im Alltag einher gehen zum kotzen. Ich bin teils mit heftigem Herzklopfen aufgewacht und hatte panische Angst vor dem Tag. Seelen"frieden" fand ich dann, wenn ich mir abends endlich wieder nen Pils aufreißen konnte.

    Tja, so ging / geht das. Meine Frau fing auch langsam an das Thema zu thematisieren, ohne Druck aufzubauen aber immer besorgt. Und ich fand und finde mich selber als echt miesen Typen und auch Vater, so kurz vor der Klippe.

    Na ja, meine Frau ist letzte Woche mit beiden Kindern auf eine Reha gefahren und ich bin alleine zu Hause. Ich hab mir diesbezüglich letze Woche Samstag mit meinem Bruder so richtig einen in die Birne gehauen was sich dann auch in einem amtlichen Kater am letzten Sonntag gerächt hatte.
    Typisches Verhalten von mir dann montag abend...um dich besser zu fühlen...genau....aber irgendwie hat es dann in meinem Kopf so einen kleinen Klick gegeben und ich merke, merkte, dass ich gerade an einem Scheideweg stehe bzw. durch die kommenden 4 Wochen Selbstkonfrontation mit mir selber, dass das eine Chance sein muss. Die Zeit, nur für mich, möglichst viel negativen Einfluss gar nicht an mich heranzulassen sondern die Zeit für mich zu nutzen.

    Ich sage jetzt nicht, dass ich nichts mehr trinke. Ich habe in der Woche bislang insgesamt 4 Bier, jedem Abend nur eines getrunken. Okay, am Wochende 2 halbe bei einem Sportevent, danach war aber auch Schluss obwohl ich wieder Einladungen zum "sumpfen" bekommen habe.

    Ich habe meine Ernährung umgestellt, ich war zwei Mal schwimmen, ich war zwei mal laufen. Ich habe in dieser Woche 1 Kilo abgenommen und vor allem, ich schlafe so gut wie lange nicht mehr. Mein Weg zu Arbeit macht..na ja, Spaß..ich hasse pendeln, aber ja, es ist sowas wie Spaß.
    Auf der Arbeit habe ich wieder Lust und merke einfach, dass es mir durch die deutlichste Einschränkung des Alks körperlich und mental deutlich besser geht. Ich habe mir natürlich die Themen Entzugerscheinungen etc durchgelesen und von daher auch ein wenig Angst davor. Vielleicht ist das der Grund das ich mich nicht traue komplett von jetzt auf gleich Abstinet zu sein.

    Aber bislang äußern sich die Entzugserscheinungen als "Suchtdruck", so würde ich das beschreiben. Ich habe vor über 10 Jahren mit dem Rauchen aufgehört (immerhin) und dieser Entzug war auch nicht einfach, weil ich auch einfach ein "Funktionssüchtling" bin. (Zum Glück hab ich nie Drogen genommen.....). Und ähnlich ist das Gefühl jetzt zur Zeit auch. Allerdings deutlich weniger und durch Ablenkung beherrsch bzw unterdrück bzw. nicht spürbar.

    In Summe hat mir die letzte Woche wirklich gut getan. Liegt vielleicht auch daran, dass ich gewisse "Trinktrigger" umgehe weil ich in der Lage bin, meinen Tag ganz anders zu gestalten. "Lustigerweise" oder zum Glück, habe ich so einen Punkt am Tag, da habe ich keinen Bock mehr mir einen in die Birne zu hauen. Das war meistens, wenn ich lange arbeiten musste. Wenn ich dann so gegen 19 - 20 Uhr zu Hause war, hatte ich einfach keine Lust mehr. Schlimmstenfalls hab ich dann vielleicht 1 Bier getrunken aber der "Schlund", so nenne ich selber den Kontrollverlust, der ging dann nicht mehr auf.

    Und so versuche ich den "Schlund" jetzt auch zu umgehen und vielleicht anders zu verlagern oder mich dauerhaft neu zu programmieren. Drückt mir mal die Daumen. Und jetzt muss ich mit dem Hund raus, Wäsche machen, ne Kleinigkeit zu essen und dann ggf. ein bisschen Schlittschuhlaufen.

    Danke fürs Zulesen!

  • Hallo NiTho,

    danke für deine ausführliche Vorstellung.

    Für mich war der Alkohol auch lange ein Mittel, um besser klarzukommen oder überhaupt zu funktionieren in meinem Leben. So beschreibst du es ja auch, dass du das Bier quasi als „Medizin“ einsetzt, um mit deinen Ängsten klarzukommen. Irgendwann verstärkte bei mir der Alkoholkonsum meine psychischen Probleme nur noch, und spätestens da war ich dann in der Suchtspirale drin.

    Du schreibst, dass du die Zeit, in der deine Familie in der Reha ist, für dich nutzen willst.
    Ich habe damals vor ein paar Jahren mit meiner Hausärztin gesprochen. Hast du einen Arzt, mit dem du über deinen Alkoholkonsum sprechen kannst? Alternativ könntest du auch in eine Suchtberatung gehen. Vielleicht wäre für dich eine Entgiftung mit anschließender Langzeittherapie eine gute Möglichkeit, auch die Ursachen hinter der entstandenen Sucht anzugucken und zu bearbeiten. Mir hat Therapie schon sehr geholfen, auch bei der Selbstakzeptanz zum Beispiel.

    Morgen ist Montag, das wäre doch ein guter Tag, um zum Arzt und/oder zur Suchtberatung zu gehen.

    Viele Grüße, alles Gute und einen guten Austausch hier.

    Camina

  • Hallo, NiTho, und auch von mir ein HERZLICHES WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin m, 55, Alkoholiker und nach mehreren Anläufen nun seit einigen Jahren trocken.

    Morgen ist Montag, das wäre doch ein guter Tag, um zum Arzt und/oder zur Suchtberatung zu gehen.

    Dem kann ich nur zustimmen! Unabhängig davon, ob Du nun Entzugserscheinungen hast oder vermeintlich nicht. Gerade mit Deinem Hausarzt wäre ein solches Gespräch gut, damit er Dich insbesondere in dieser Hinsicht durchchecken kann und gegebenenfalls medikamentös unterstützen kann (zum Beispiel mit Mariendistel-Präparaten zur Unterstützung der Leber o.ä.).
    Die Suchtberatung kann Dich in Hinblick auf die bei Dir vor Ort gegebenen Möglichkeiten (SHG, je nachdem was der Arzt sagt Entgiftung, Therapien etc.) beraten, so dass Du zumindest weisst, welche Hilfsangebote sind da, stünden Dir zur Verfügung.

    Und dann hättest Du "nur noch" die Qual der Entscheidung - Angebote annehmen und wenn ja, welche.

    Mich würde aber noch etwas anderes interessieren: Du schreibst, dass Du damals den Alk als "Medizin" gegen Deine Angststörung eingesetzt hast. Was ist aus der eigentlich inzwischen geworden? Hast Du immer noch Panik vor Menschen (ohne Alk)? Oder hast Du den Teufel erfolgreich mit Belzebub ausgetrieben?

    Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Erfolg weiterhin (Deine Frau wird sich nach der Reha noch mehr freuen!) und einen guten Austausch

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo!

    Willkommen hier im Forum.

    Es ist gut, dass Du deinen überzogenen und auf Sucht hindeutenden Alkoholkonsum kritisch hinterfragst und das Ruder umwerfen willst.

    Ich kann mich voll und ganz Greenfox anschließen; einer kurzfristigen Kontaktaufnahme mit Arzt und Suchtberatung. Machdoch am besten gleich morgen entspr. Termine aus.

    Neueinsteigern rate ich zudem stets zu Fachliteratur und zwar zu "Alk" von Borowiak und "Lieber schlau als blau" von Lindenmeyer.

    Gruß
    Rekonvaleszent

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