Hallo zusammen,
bin 60, männlich, und trinke seit ich 13 war. Als Erwachsener habe ich stets zu den Alkoholikern gehört, die es irgendwie trotzdem schaffen, in der Außenwelt zu funktionieren. In meinem Fall hieß/heißt dies: abgeschlossenes Studium, Familie (trotz Scheidung) , Kinder und Broterwerb. Doch auf den letzten Metern des Lebens stelle ich fest, dass die Spuren, die der Alkohol bei mir hinterlassen hat, so gewaltig sind, dass ich dieses bisherige Leben als weitestgehend gescheitert und sinnlos erachte. Den umfassenden Rückblick möchte ich euch ersparen und dafür eine Begebenheit erzählen, die sich an diesem Heiligabend zugetragen hat. Ich glaube, dadurch kann ich meine Problemantik plastischer zusammenfassen:
Wie fast jedes Jahr habe ich mit meinen (erwachsenen) Kindern und deren Mutter (meine Ex-Frau) gefeiert, diesmal in meiner Wohnung. Seit wir uns getrennt haben, wollten meine (damals kleine) Kinder mich immer dabei haben; die Mutter hatte zunächst nichts dagegen und mittlerweile ist es für sie und für uns alle eine Selbstverständlichkeit. Dieses mal war es auch sehr schön und jeder hat wie immer versucht zu zeigen, wie viel ihm die anderen bedeuten. Meine Kinder und meine Ex-Frau haben - auch wie immer und wohl wie die meisten Menschen - massvoll getrunken und ich tat es ihnen nach... bis sie weg waren. Danach habe ich eine halbe Flasche Grappa getrunken und ich hätte die ganze auch locker geschafft, wäre ich nicht irgendwann auf dem Sessel eingeschlafen.
Naturgemäß waren die körperlichen Symptome am nächsten Tag das geringste Problem, doch seelisch habe ich mich wieder mal wie der letzte Dreck gefühlt; wie ein Arschloch eben, der darauf gewartet oder vielleicht gehofft hat, dass seine lieben Menschen und mit ihnen das schöne Familienerlebnis verschwinden, um seiner Sucht ungestört nachzugehen. Von dieser Heuchelei, von diesem Doppelleben ist meine ganze Existenz durchzogen.
Nun, apropos Leben bzw. wie dieses so spielt: ich bin am 2.Weihnachtstag an einer sehr starken Grippe erkrankt, die mich zur Einnahme von Antibiotika zwingt. Den erforderlichen Alkoholverzicht habe ich zunächst zähneknirschend hingenommen, in der Erwartung, dass ich mich spätestens an Silvester an meine (respektablen) Alkohol-Reserven machen könnte. Doch, siehe da, am zweiten oder dritten Tag fing ich an zu merken, wie angenehm, ja wie geil es eigentlich ist, mit einem klaren Kopf und nicht verkatert aufzuwachen. Trotz Grippe war ich auch z.B, imstande, ein ziemlich schwieriges Buch zu Ende zu lesen, von dem ich zuvor in meiner -meist verkaterten- Freizeit gerade mal eine oder zwei Seiten lesen konnte.
Durch die Erkrankung hatte ich auch viel Zeit nachzudenken, vor allem über die oben beschriebene einsame Sauferei sowie über die unzähligen Abstürze der Vergangenheit und deren Folgen.
Seit nunmehr 6 Tagen stehen die ganzen Alkoholflaschen alle noch im Schrank bzw. Kühlschrank...intakt. Ich kann es kaum glauben.
Mein Alkoholproblem bzw. meine Abhängigkeit habe ich schon längst erkannt, doch ich habe mich stets hartnäckig geweigert, auf einen so wichtigen “Faktor der Lebensfreude“ ganz zu verzichten und mich deshalb auch immer für fähig gehalten, “kontrolliert“ zu trinken. Bloß, den Beginn der kontrollierten Phase habe ich auch ständig auf den nächsten Tag verschoben, so dass ich am Ende an gar nichts und am allerwenigsten an mich geglaubt habe.
Spätestens heute, nach dem ich Silvester allein und bei einem Glas Sprudel bzw. einer Tasse Tee “gefeiert“ habe, ist mir klar geworden, dass es für mich zwischen Alkoholabhängigkeit und Abstinenz keine weitere Option gibt. Will ich in der mir verbleibenden Lebenszeit wirklich ein wenig Linderung für den Schmerz erreichen, den der Alkohol bei mir und indirekt bei meinen lieben Menschen verursacht hat, so muss ich abstinent leben.
Helft mir bitte, diese Erkenntnis zu bestätigen und zu befestigen und, wenn jemand praktische Tipps hat, wie man dem verdammten Craving widerstehen kann, bin ich selbstverständlich sehr dankbar.