Das leidige Thema: Mein Vater, der Alkoholiker

  • Guten Tag liebes Forum,

    nach langem Hin und Her habe ich mich nun doch entschlossen, dass hier mal durchzuziehen.
    Wie im Betreff schon erwähnt, ist mein Vater Alkoholiker. Er gehört zu der Gruppe Epsilon-Trinker bzw. "Quartalssäufer". Wenn manche hier nicht wissen, was das ist: Google hilft ;)
    Seit ich denken kann ist er das schon. Ich versuche mich auch, relativ kurz zu fassen.

    Wenn meine Vater keinen Alkohol trinkt, ist er der liebste Vater, Opa, ... den man sich nur wünschen kann, aber wehe er kommt wieder in seine "Phase" rein.
    Meine Mutter kämpft dagegen seit über 30 Jahren, hat es aber nie geschafft, ihn zu verlassen, da sie so eine Art "Helfer-Syndrom" hat. "Was wird dann aus ihm?" "Wo soll er denn hin?" usw.
    Gewalttätig ist er mir gegenüber noch nie geworden, allerdings hat er meiner Schwester und meinem Bruder schon mal körperlich verletzt (gegen Mauer gedrückt, bis die Luft wegblieb oder gegen Schranktür gedrückt, sodass das Geschwisterchen nicht mehr auf den Rücken schlafen konnte). Würde er sowas bei mir machen, müsste ich ihn anzeigen wegen Körperverletzung, weil irgendwann muss mal Schluss sein!
    Das Hauptproblem ist jetzt:
    1. Meine Mutter möchte ihn nicht rausschmeissen, weil siehe oben.
    2. Mein Mutter möchte ihm das gemeinsame Haus nicht überlassen, weil das ihre Heimat ist. Wir würden sie aber alle finanziell unterstützen.

    Wenn mein Vater seine Phase hat, dann
    - drückt er uns sauber rein, dass er der Großverdiener ist.
    - wären wir ohne ihn nichts
    - macht er einen auf Mitleidstour, dass er Tag und Nacht arbeiten muss, damit wir ein schönes Leben haben.
    - ...
    - ...
    die Liste der Vorwürfe ist echt lang.

    Wir kommen aber auch nicht an ihn ran.
    Wir haben gesagt, dass er krank ist und wir würden ihn alle unterstützen. Ich habe ihm sogar schon Entzugskliniken rausgesucht, wo's schön ist und wo wir ihn besuchen könnten (ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob das erlaubt ist?). Aber es war alles umsonst.
    Das schlimme ist einfach, wann die Phasen sind. Fast immer zur gleichen Zeit. Geburtstag von Mama, sein Geburtstag, Weihnachten/Silvester, Fasching, Ostern und es endet immer in einem Tränenbad. Mir persönlich geht langsam die Kraft aus, da ich mein eigenes Leben habe (Vollzeit-Job und Fernstudium zum Techniker). Meine Geschwister sind mittlerweile alle ausgezogen, die kriegen ja fast nichts mehr mit.

    Im Jahr 2012 war es sehr schlimm, da musste ich meine Mutter mitten in der Nacht wegen einem leichten Herzinfarkt ins Krankenhaus fahren, weil meine Mutter und mein Vater sich wegen dem Alkohol furchtbar gestritten haben. Mein Vater bekam gar nichts mit von dem Ganzen, weil er so in seinem Rausch war.
    1 Jahr später das Gleiche, nur dieses mal war es ein leichter Schlaganfall. Mein Vater war zwar wieder nüchtern, nur hatte er Besuch und den konnte er nicht einfach rausschmeissen. Also rief meine Mutter mich an (wieso keinen Krankenwagen, weiß ich bis heute nicht), ich ging sofort von der Arbeit heim und fuhr sie ins KH.

    Wie dem auch sei... Wir versuchen alles, dass er endlich mal einsieht, dass er krank ist aber er kapierts einfach nicht oder will er es nicht kapieren? Hausärzte wissen Bescheid, aber irgendwie kann uns keiner helfen. Oder will uns einfach keiner helfen? Ich habe ihm auch schon gedroht, dass er wenn er nochmal Alkohol trinkt (dass war kurz nach dem Schlaganfall meiner Mutter), dass er die länger Zeit eine Tochter hatte aber es interessiert ihm einfach nicht.
    Er fährt auch Auto, wenn er was getrunken hat und ich würde ihm ja soo gerne die Polizei hinterherschicken, weil er nicht nur sein Leben damit riskiert, sondern auch das von Anderen und das ist ein absolutes No-Go! Meine Mutter hält mich allerdings davon ab, weil wir nicht wissen, was er dann macht.
    Je älter er wird, desto schlimmer wird er vom Charakter. Wir werden angeschrien, wie der letzte Dreck behandelt und ich mache das nicht mehr mit!
    Das Lustige an der ganzen Sache ist, dass er (bis auf Übergewicht) Top-Blutwerte hat! Wie kann das sein?!

    Falls hier wirklich ein trockener Alkoholiker ist, der ebenfalls ein Epsilon-Trinker ist, so möge er mir doch bitte (auch gerne pn) schreiben, wieso mein Vater das macht, was er macht und sich nicht helfen lässt. Jede Phase, die er bekommt, macht mich nervlich fertiger. Bald kann ich in Therapie gehen wegen ihm. So weit will ich es aber nicht kommen lassen.

    Schönen Sonntag Abend noch! :)

    sunshineLisa

    PS: In Treffen von Angehörigen von AAs kann ich leider nicht gehen, da diese nur jede 2. Woche stattfinden und ich Schicht arbeite. Ausgerechnet da habe ich Spätschicht und die sind immer Abends.

  • Hallo und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin männlich, 55, Alkoholiker und nun schon einige Jahre trocken.

    Und da ich Spiegeltrinker war/bin und mich daher auch nie in Quartalssäufer/Epsilon-Trinker versetzen konnte (wochen-/monatelange Trinkpausen waren mir gar nicht möglich), kann ich Dir wenig zu seiner Motivation sagen.
    In den Jahren meiner Arbeit in der Selbsthilfe habe ich aber auch erfahren, dass es für diese Menschen am schwersten ist, für sich selbst ein Suchtproblem zu erkennen, eben weil sie ja längere Trinkpausen (oft sogar komplett abstinent) haben.

    Das Hauptproblem ist jetzt:
    1. Meine Mutter möchte ihn nicht rausschmeissen, weil siehe oben.
    2. Mein Mutter möchte ihm das gemeinsame Haus nicht überlassen, weil das ihre Heimat ist.

    Also sind da ZWEI Probleme: Dein Vater - und Deine Mutter (bzw. deren Helfersyndrom).
    Das erste Problem könnt Ihr nicht bearbeiten, das funktioniert nicht.
    Und nur wenn Deine Mutter einsieht, dass sie Deinem Vater am besten helfen kann, indem sie ihm NICHT MEHR HILFT - nur dann kann sie sich selbst heldfen, indem sie ihn rausschmeisst.
    Aber wie ihr das klarmachen nixweiss0

    Vielleicht haben ja andere hier im Forum dafür machbare Vorschläge.

    Ich wünsche Dir jedenfalls viel Kraft und uns hier einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox,

    vielen Dank für deine nette Begrüßung.
    Mein Vater (er ist übrigens 57 Jahre) war teilweise schon 2 Jahre trocken, wo wir dachten "jetzt hat er es endlich kapiert".
    Auf die Frage "wieso trinkst du?", erhielten wir als Antwort "Ich weiß es nicht". In dem einen Moment weiß er, dass er ein Problem hat, in der nächsten Phase ist ihm wieder alles egal. Ich versteh ihn einfach nicht. Wir würden ihn ALLE unterstützen aber er möchte ja nicht. nixweiss0

    Dass mit dem -nicht helfen- hat sie schon des Öfteren probiert, aber irgendwann gab sie auch wieder auf. Sie erzählt mir immer, dass sie ja gemeinsam so viel aufgebaut haben und 4 Kinder groß gezogen haben, etc. Sie könnte das nicht einfach wegwerfen. Ich verstehe sie da, aber sie sieht auch wie alle Jahre Weihnachten -das Fest der Liebe- zerstört wird.

    Trotzdem vielen Dank Greenfox! :)

    Gruß
    sunshineLisa

  • Und wenn Du einfach mal Deine Mutter nimmst und mit ihr über Weihnachten schön irgendwohin fährst - ohne den Vater? Und wenn er fragt: "Du lötest Dich doch sowieso zu und zerstörst alles - dann mach es gefälligst alleine!"

    nixweiss0 Nur so 'ne Idee ...

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo liebe sunshineLisa!

    Ich freu mich das du den Weg hierher gefunden hast. Das was du beschreibst, traf auch zu 100% auf meinen Vater zu. Leider hat es bei meinen Eltern nicht gut geendet, mein Vater wurde zum Ende der Ehe aggressiv meiner Mutter gegenüber. Meine Mutter lies sich letztendlich scheiden. Das Problem bei Quartalssäufern ist, denke ich, dadurch das diese teilweise über Monate hinweg nichts trinken können, sehen sie vermutlich schwerer ein, das sie ein Problem mit dem Alkohol haben. Mein Vater hat bis kurz vor seinem Tod getrunken. Die letzten Wochen davor eigentlich nur deshalb nicht, weil er kaum noch in der Lage war sich etwas zu holen, die Gesundheit hat einfach nicht mehr mitgespielt. Wie bei deinem Vater waren seine Blutwerte allerdings top! Nur durch seine Raucherei hatte er es stark an der Lunge, das auch zum Tod geführt hat.

    Leider hat auch meine Drohung damals nicht viel geholfen. Nach der Scheidung meiner Eltern habe ich wegen dem Alkohol den Kontakt mit meinem Vater für über 3 Jahre abgebrochen, mein Bruder sogar noch länger - das war alles egal. Wir waren die bösen! Tut mir leid, wenn ich dir wirklich keine Hoffnung machen konnte :(. Ich hoffe für dich das du genug Kraft hast, um deine Mutter weiterhin zu unterstützen.

    Liebe Grüße
    Claudia

  • Hallo sunshineLisa,

    ich wollte mich eigentlich nicht an Deinem Thread beteiligen, weil ich dachte, dass Dir vielleicht ein trockener Quartalstrinker seine Sichtweise schildern wird. Und das wäre dann um einiges kompetenter als das was ich Dir schreiben kann. Denn ähnlich wie Greenfox war ich auch eher ein Spiegeltrinker. D. h. ich hatte zum Ende hin täglich 10 - 12 Bier intus. Anders hat es dann bei mir nicht mehr funktioniert.

    Aber jetzt will ich Dir einfach trotzdem mal ein paar Gedanken hier lassen. Ich hoffe mal Du liest hier noch.

    Obwohl ich ja selbst Alkoholiker bin und ganz viele Jahre getrunken habe, konnte ich die Quartalstrinker nie richtig "verstehen". Für mich wäre es undenkbar gewesen, immer wieder längere Trinkpausen einzulegen. Natürlich legte auch ich, wie wahrscheinlch fast jeder Alkoholiker, im Laufe meiner Karriere immer wieder mal Trinkpausen ein. Diese waren aber dann eigentlich meist als "ich höre jetzt endgültig mit dem Trinken auf" gedacht. Wurden dann aber zu Pausen, weil es so einfach halt nicht ist.

    Als Quartelstrinker ist es ja ganz normal, dass man nach einem Alkoholabsturz einfach wieder wochenlang gar nix trinkt. Um dann wieder abzustürzen und das ganze wieder von vorne zu beginnen.

    So unterschiedlich die Trinkmuster von Quartalstrinker und Spiegeltrinkern sind, so ähnlich ist allerdings ihre Krankheit und ihr Verhalten. Soviel habe ich in den Jahren die jetzt trocken bin und in denen ich mich mit dieser Krankheit außeinander gesetzt habe, lernen dürfen.

    Damit meine ich das typische Verhalten von Alkoholikern. Du beschreibst es ja von Deinem Vater sehr genau. Die ganzen Vorwürfe, das nicht einsehen, dass man ein Problem hat, das abwiegeln und wenn es drauf ankommt wohl auch der Spruch: Wenn ich möchte, könnte ich jederzeit aufhören.

    Hier unterscheiden sich die Trinkertypen meiner Meinung nach nicht wirklich. Noch ein Wort zu den Leberwerten. Ich persönlich finde, dass diese ein wenig überbewertet werden. Also zumindest immer dann, wenn sie gut sind. Es ist einfach so, dass es Alkoholiker gibt, die jahrelang saufen wie ein Loch und die trotzdem immernoch gute Blutwerte haben. Andere wiederum, die ebenfalls trinken, vielleicht sogar viel weniger, haben miserable Werte. Der eine kann 20 Jahre saufen bevor die Leber hops geht, beim anderen ist sie schon nach 2 Jahren im Eimer. Da gibt es noch viele andere Gründe für, ein Arzt sagte mir mal, dass das auch viel mit den "Genen" zu tun hat, wie lange jemand das "durchhält" oder auch wie gut und schnell der Körper entgiftet bzw. sich auch wieder regeneriert. Gerade die Quartalstrinker haben ja auch längere Regenerationsphasen.

    Man darf sich also davon nicht täuschen lassen. Ich kenne das. Da weiß man eingentlich, dass man ein gewaltiges Alkoholproblem hat, war beim Arzt wegen irgendwas und bekommt die Blutwerte, zittert vorher schon weil man Angst vor den Leberwerten hat, und erfährt dann, das alles wunderbar ist. Und was denkt sich der geneigte Alki dann? Genau, er denkt: Na wunderbar, so schlimm kann es dann ja nicht sein - und hat schon ein besseres Gewissen für seine weitere Sauferei.

    Dir bleibt bei dieser ganzen Geschichte eigentlich nur eines übrig. Du kannst nur auf Dein eigenens Leben schauen. Du deutest ja an, dass Dich die Kraft langsam verlässt, das Du nicht mehr kannst. Spätestens jetzt wäre dann der Zeitpunkt, wo Du Deine Regeln aufstellst und wo Du darauf achtest, dass diese eingehalten werden. Und wenn nicht, musst Du konsequent handeln. Du musst verstehen lernen, falls Du das noch nicht tust, dass Du Deinem Vater nicht helfen kannst. Genau wie bei mir, einem Spiegeltrinker, ist es auch bei Deinem Vater. Niemand kann ihm helfen, kein Arzt, kein Freund, kein Priester oder was auch immer.

    Nur er alleine könnte etwas verändern. NUR ER! Dazu müsste er aber erst mal erkennen (wollen), dass er Alkoholiker ist und ein Riesenproblem hat. Er müsste dann auch noch den festen Willen haben, etwas dagegen zu unternehmen und idealerweise auch bereit sein, sich Hilfe zu suchen. Wenn er das wäre, dann könnten Ärzte, Psychologen etc. ihn unterstützen. Und dann könntest auch Du oder Deine Mama ihn unterstüzten. Aber halt nur dann. Alles andere, alles was ihr jetzt aktuell macht und die ganzen Jahre gemacht habt, war verschwendete Lebensenergie Eurerseits.

    D. h. also, der Alki drückt Dir (Euch) seine Krankheit auf Auge und beeinflusst Dein (Euer) Leben damit negativ. Und da ist einfach die Frage, wieviel Du da zulassen kannst und möchtest. Deine Mama ist Deine Mama, sie muss dieses Problem für sich lösen. Genau wie Du es für Dich lösen musst. Deine Mama ist für ihr Leben verantwortlich, Du bist für Deines verantwortlich und Dein Vater für seines.

    Als Alkoholiker darf ich folgendes sagen: Ein nasser trinkender Alkoholiker, der keinerlei Anstalten macht etwas zu ändern, der keinerlei Einsicht zeigt, dass er ein Problem hat, der statt dessen sogar noch verletzt und beleidigt, der hat keine Unterstützung verdient. Dieser Alkoholiker sollte für sein Leben und sein Handeln komplett alleine verantwortlich sein. Wenn er trinken möchte, dann soll er trinken, aber ohne das andere ihm dabei Rücken frei halten. Denn letztlich unterstützt man ihn damit bei der Fortführung seiner Sucht.

    Ach und eines noch: Du schreibst, Du möchtest es nicht soweit kommen lassen, dass Du wegen ihm in Therapie gehen musst. Natürlich wünsche ich Dir, dass Du ganz schnell für Dich einen Weg findest um mit dieser Situation umzugehen. Aber halte Dir doch diesen Weg auch mal offen. Der richtige Therapeut könnte Dir dabei auch eine große Hilfe sein. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn man nicht alles alleine tragen muss. Wir trockenen Alkis haben uns ja auch (jedenfalls viele von uns) Hilfe von Psychologen oder Therapeuten gesucht. Und ich bin sehr froh, dass es diese gibt.

    Alles Gute wünsche ich Dir. Und das Du es schaffst einen Weg zu finden, Dein eigenes Leben ohne die negativen Einschläge Deines trinkenden Vaters zu leben.
    LG
    gerchla

  • Hallo ihr lieben!

    Ich hatte ziemlich viel zu tun mit meiner Weiterbildung, daher schreibe ich jetzt erst.

    Greenfox

    Die Idee ist an sich gut, nur werden meine Geschwister da nicht mitspielen. Ich muss die Tage mal mit meiner Mutter darüber reden.
    Danke für den Tipp. :)


    @Mausgetier

    Vielen vielen Dank, dass du geantwortet hast. Ich habe mich so darüber gefreut, dass du geschrieben hast! Quartalssäufer sind wohl eher selten, so wie ich das sehe? :-\
    Das mit deinem Vater tut mir sehr leid :(
    Wie ging es dir nach dem Kontaktabbruch damit? Hast du dir oft Gedanken gemacht, was dein Vater gerade treibt oder wie es ihm geht? Wo ist dein Vater nach der Scheidung hingegangen? Ich habe Angst, dass er nur noch seinen Alkohol sieht und dann obdachlos wird. Das typische Bild eben, dass uns immer in den Nachrichten oder Filmen gezeigt wird. Eigentlich sollte es mir egal sein, ist es aber leider nicht.


    Gerchla

    Jede Sichtweise ist willkommen. Ich hatte bisher so wenig Kontakt mit trockenen Alkoholiker oder Angehörigen von Alkoholikern, da tut mir das Schreiben hier mit euch richtig gut, weil ich einfach mehr verstehe und auch dazulerne. Vielen Dank für deine Ehrlichkeit und für deine Worte. Ich habe übrigens jedes Wort gelesen. :)

    Ich habe mittlerweile seit 14 Tagen kaum mit meinem Vater geredet. Ich gehe ihm, so gut es geht aus dem Weg. Wenn er mich etwas fragt, gebe ich ihm kurze Antworten. Er soll merken, dass ich sauer bin. Ob er dann letzendlich noch mehr trinkt, da er vielleicht den Gedanken hat "Mir geht es eh schon so schlecht und dann bekomm ich nicht mal eine Unterstützung von meiner eigenen Familie", ist mir mittlerweile egal.

    Zitat

    Als Alkoholiker darf ich folgendes sagen: Ein nasser trinkender Alkoholiker, der keinerlei Anstalten macht etwas zu ändern, der keinerlei Einsicht zeigt, dass er ein Problem hat, der statt dessen sogar noch verletzt und beleidigt, der hat keine Unterstützung verdient.

    Diesen Satz müsstest du bitte mal meiner Mutter persönlich sagen. ;D

    Gestern kam ich am Abend von meinem Freund nach Hause, da sagte meine Mutter "Heute hat er noch keinen Alkohol getrunken". Ich antwortete darauf: "Mir egal", hab mich umgedreht und bin gegangen. Diese Phase, die er momentan hat, ist noch nicht vorbei.


    Vielen Dank nochmal für eure Antworten

    Eure
    SunshineLisa

    PS an alle hier im Forum: Die Sichtweise eines trockenen Quartalssäufer wäre für mich natürlich die größte Hilfe, dennoch bin ich über jede Antwort, die ihr schreibt, sehr froh. Zum ersten Mal kann ich offen über dieses Thema reden und bekomme auch Antworten, mit denen ich etwas anfangen kann.


  • Greenfox

    Die Idee ist an sich gut, nur werden meine Geschwister da nicht mitspielen. Ich muss die Tage mal mit meiner Mutter darüber reden.
    Danke für den Tipp. :)

    Was haben Deine Geschwister damit zu tun?? Sind sie der Vormund Deiner/Eurer Mutter?
    Genau: Sprich mit Deiner Mutter darüber - wenn SIE nicht will, dann ist das leider so.


    Diesen Satz müsstest du bitte mal meiner Mutter persönlich sagen. ;D

    Druck doch den Thread aus und zeig ihn ihr. Ich als (trockener) Alkoholiker kann Gerchlas Satz übrigens auch "unterschreiben".

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen SunshineLisa,

    ein lieber Mitschreiber bat mich, etwas zu „Deinem Problem“ und zum Quartalssäufer zu schreiben.
    Ich bin wenig älter als Dein Vater und zu meiner Anfangszeit in der Suchtszene galt die Jellinek Typologie der unterschiedlichen Trinkertypen als unumstößlich.
    Nach dieser Einteilung war ich damals ein Delta-Trinker, also Spiegeltrinker.
    Wobei sich schon da mein Trinkverhalten, in der Zeit, bevor ich dann meine Sucht zum vorläufigen Stillstand bringen konnte, durch den immer stärker eintretenden Kontrollverlust immer mehr in den Gamma-Typ (Sucht- oder Rauschtrinker) wechselte.
    Ich war dann viele Jahre trocken, als ich aus Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehe, rückfällig wurde.
    Als sich die Sucht dann im Verlauf von ca. 2-3 Jahren wieder manifestiert hatte, war ich zum reinen Epsilon-Trinker geswitcht.
    Ich hatte monatelange Phasen, in denen ich keinen Tropfen Alkohol anrührte, um mich dann in schöner Regelmäßigkeit so zuzuballern, dass ich mehrere Male auf der Intensivstation zu mir kam.

    Da ich zu der Zeit schon geschieden war und alleine lebte, mich zudem in meinem Saufphasen völlig zurückzog und abschottete, hatte ich natürlich wenig Reflektion von außen in Bezug auf meine Wesensveränderung. Grundsätzlich bin ich mehr „liebster Vater, Opa, ... den man sich nur wünschen kann“.
    Aber aufgrund meines Engagement in der Selbsthilfe habe ich einige Quartalssäufer begleitet, bei denen die gleiche Wesensveränderung wie bei Deinem Vater feststellbar war.

    Ich glaube, dass u.a. genau darin der Grund für diese Quartalsbesäufnisse liegt.
    Auch ich war höchst ambivalent, was meinen Alltag und meine tatsächlichen, tief sitzende Lebenswünsche anbetraf. Im Alltag war ich ein „Sonnyboy“. Ich war der, bei dem immer was los war, der organisierte, machte, jedem in jeder Situation aushalf, es allen recht machen wollte und immer erst für andere sorgte, bevor er sich um sich selbst kümmerte.
    Dabei kam ich selbst nicht nur zu kurz, sondern sehnte mich auch immer mehr „ganz allein für mich zu sein“, was seinen Ausdruck darin fand, dass ich mich eben mittels Alkohol abschoss.

    Ein weiterer Grund, warum ein Quartalssäufer sich sehr schwer tut mit der Einsicht in seine Sucht: Aufgrund der relativ langen Trockenphasen, die im klassischen Sinn nicht als „trocken“ bezeichnet werden können, sondern eben nur Trinkpausen sind, schwellt permanent die trügerische Hoffnung, die Sucht kontrollieren zu können. Schließlich stellte ich es ja immer wieder unter Beweis, dass ich lange Phasen auf Alkohol verzichten konnte.

    Tatsächlich aber ist die Sucht bei Quartalssäufer absolut gleich in ihren Mechanismen, wie bei allen anderen Trinkertypen: Kontrollverlust, psychische Wesensveränderung, langfristige körperliche und geistige Schäden, höchste Prioritätensetzung pro Sucht/Alkohol, Raum und Zeit einnehmen zur „Lieblingsbeschäftigung“ (Saufen), immer stärkere Egalisierung der tatsächlichen Lebensprobleme (Job, Familie, Umfeld, Führerschein …) … usw.

    Es hat, wie Du schreibst, wenig mit „er kapiert es einfach nicht“ oder „will es nicht kapieren“ zu tun, als vielmehr damit, dass grundsätzlich der Wunsch nach einer Veränderung (Sucht zum Stillstand bringen zu wollen) nicht vorhanden ist.
    Bei den anderen Trinkertypen ist der Verfall und die oft drastischen Konsequenten durch den Alkoholismus vergleichbar mit einer Lebenslinie, die stetig abwärts geht. In der Regel ohne nennenswerte Unterbrechung. Also quasi nach der Formel: Saufzeit > zunehmende Konsequenzen > zunehmender Kontrollverlust > zunehmender sozialer, physischer und psychischer Verfall > tiefster Punkt des Betroffenen.

    Beim Quartalssäufer wird dieser abwärtszeigende Trend permanent unterbrochen, und die Lebensqualität erfährt immer wieder eine Verbesserung und Erholung aus dem Desaster.
    Das führt zu einer völligen Fehleinschätzung des tatsächlich „Ist-Zustandes“.
    Und häufig auch zu weitaus größeren „Katastrophen“, als bei den anderen Trinkertypen.
    Ich habe dadurch quasi mein Leben mehrmals komplett neu aufbauen müssen und konnte über mich sagen: In meinen Trinkpausen baute ich jedes Mal vorne, mit meinen eigene Händen mein Leben neu auf, um mich dann umzudrehen (Vollräusche), und mit dem Arsch alles wieder komplett einzureißen.

    Beim Quartalssäufer entsteht in den Trinkpausen die Selbstwahrnehmung, dass ja alles gar nicht so schlimm sein könnte, weil er doch unter Beweis stellt, dass er problemlos lange Phasen auf Alkohol ganz verzichten kann. Zudem, wenn es dann in den vermeintlich trockenen Phasen bestens läuft, und sich Quartalsäufer häufig selbst in ihrer Schaffenskraft übertreffen, erfahren sie auch ein fast schon bewunderndes Feedback von außen.
    „Wie du immer wieder aufstehst, das ist bewundernswert“, bekam ich oft zu hören.

    Der Leidensdruck bei kontinuierlich trinkenden Alkoholiker und den meist daraus resultierenden Konsequenzen nimmt also stetig zu, bis sie dann buchstäblich selbst erkennen können, „dass es so nicht mehr weitergehen kann“.1
    Der Leidensdruck bei Quartalssäufern ist, wenn überhaupt, nur in den Saufperioden vorhanden – oder dann, wenn sich in diesen Saufphasen lang anhaltende, ganz gravierende Konsequenzen ergeben, die auch noch in den „trockenen“ Phasen deutlich spürbar bleiben.

    Als eine anhaltende Konsequenz kann man z. B. die – durch die Sucht bedingte – Trennung von der Familie nennen. Oder Arbeitsplatz- und Führerscheinverlust. Genauso auch schwere körperliche Schäden.
    Es ist richtig, dass gerade Quartalssäufer bei solchen Konsequenzen, weil sie mit anhaltenden negativen Folgen überhaupt nicht erfahren sind (im Gegensatz zu kontinuierlich trinkenden Alkoholikern), oft zunächst erst richtig ihr Saufen steigern, und sowohl die Intensivität, als auch die Häufigkeit ihrer Saufphasen zunimmt.

    Dazu, dass ohne die eigene Einsicht in die Sucht, und ohne den unabdingbaren Wunsch, nicht mehr trinken zu müssen und zu wollen, überhaupt keine Veränderung pro Abstinenz möglich ist, wurde hier schon geschrieben.
    Ich denke aber, dass es angesichts der Reflektion im familiären Umfeld Deines Vaters die logische Konsequenz sein müsste, dass Ihr Euch „selbst rettet“, bevor eben noch weitaus drastischere Konsequenzen Euch als Angehörige treffen.
    Da Deine Mutter – ich meine schon aufgrund der Generation Deiner Eltern (Ich bin ja wie gesagt in derselben Generation aufgewachsen) – sich eine Trennung und Abwendung von ihrem Ehemann überhaupt nicht vorstellen kann, geht deswegen meine Empfehlung ausschließlich an Dich.
    Du erwähntest schon, dass „Du selbst bald reif für eine Therapie“ wärst. Soweit muss und darf es für Dich nicht kommen.
    Du entscheidest ganz alleine über Deine Lebensqualität. Du hast – in diesem Fall – alleine für Dich die Verantwortung zu tragen. Andere, sei es Deine Mutter oder Deinen Vater, kannst Du nicht ändern, erst recht nicht ein Leben aufzwingen, wie Du es für sie für richtig hältst.
    Ich weiß, dass die schwierigste Bewältigung in dieser Problematik die Emotionen sind, die man halt ganz natürlich für seine Angehörige hat.
    Da Du – auch in eigener Sache – sehr engagiert erscheinst, würde ich Dir empfehlen eine Suchtberatung für Dich aufzusuchen und zeitlich auf Deine verfügbare Zeit abgestimmt, eine ambulante Therapie aufzunehmen. Diese Suchtberatung firmieren nicht umsonst unter „Suchtberatung für suchtkranke Menschen und Angehörige“. Dort kannst Du für Dich ganz individuelle Strategien erlernen, wie Du mit Deinem gefühlsmäßigen Dilemma umgehen kannst, ohne dabei Schaden zu nehmen.

    1 Die Rückfallquote, auch bei Alkoholikern, die längere Zeit völlig abstinent lebten, ihre Sucht also bereits zum Stillstand bringen konnten, ist erschreckend hoch. (Vergleiche „Alkoholismus = Rückfallkrankheit) Wie hoch der Prozentsatz der Alkoholiker liegt, die es tatsächlich „lebenslang“ fertigbringen, ihre Sucht im Stillstand zu halten, ist nur schwer, bis unmöglich zu ermitteln. Erfahrungsgemäß dürfte er tatsächlich relativ niedrig sein.

    Viel Erfolg!

  • Hallo Dietmar,

    danke für deine Antwort. Zum Schluss bin ich wirklich sehr emotional geworden. Das Ganze nimmt mich mehr und mehr mit. Auch der Kontakt hier berührt mich mehr als ich erwartet habe.

    Ich habe für mich jetzt eine Entscheidung getroffen. Ich werde versuchen, nächstes Jahr den Job zu wechseln (wenn ich mit meinem Fernstudium fertig bin), damit ich zu den Treffen der AA's bzw. der Angehörigen gehen kann, um das Ganze zu verarbeiten und abzuschließen.
    Mein Freund und ich werden nächstes Jahr nach Grundstücken schauen (zu meinem Freund ziehen, geht aus beruflichen Gründen leider noch nicht), da er sieht wie es mir geht bzw. wie ich bin, wenn ich "Zuhause" bin. Der schwerste Schritt wird dann sein, meine Mutter mit ihm allein zu lassen, aber wie du schon sagst: Ich entscheide über meine Lebensqualität .
    Wenn sie bei ihm bleiben möchte bis zum Ende, dann soll sie das tun, auch wenn es mir das Herz bricht, weil ich weiß, es würde anders auch gehen.

    lg

    SunshineLisa

  • Liebe sunshineLisa,

    In Liebe loslassen – oder loslassen in Liebe – tut immer sehr, sehr weh.
    Aber, und das sehe ich absolut positiv, man kann es nicht nur lernen, sondern man „reift“ dabei auch für „sein ganzes Leben und Sein“!
    Es ist ja dann nicht so, dass Du „außer der Welt bist“, also nicht mehr erreich- oder ansprechbar. Wenn es wirklich – aus welchen Gründen auch immer – brennen sollte, also die Situation für Deine Mutter! so eskaliert, dass sie sich Hilfe suchend an Dich wendet, dann bist Du da.

    Wofür Du nicht da sein solltest: Aus völlig falsch verstandener Liebe und Verantwortung heraus Deiner Mutter (und damit auch Deinem Vater) zu helfen, ihr Leben im Sinne einer, wenn auch völlig unbewussten Aufrechterhaltung der Sucht Deines Vaters tatkräftig zu unterstützen.
    Um das mal plastisch auszudrücken: Damit wärst Du dann zumindest eine/r der Mitverwalter*innen eines in der Sucht gefangenen Lebens.

    Noch ein paar ganz persönliche Worte: Dass Du Dich in eigener Betroffenheit sogar um einen Jobwechsel kümmern möchtest, um an den Al Anon Selbsthilfegruppen teilnehmen zu können, berührt nun wiederum mich sehr.
    Für mich, als trockener Alkoholiker, ist es immer wieder schon fast beschämend, was liebende Angehörige alles tun (müssen), um mit der Sucht ihres Angehörigen klarzukommen.

    Aber auch hier etwas Positives: Du bekommst dabei Einblicke in psychische Vorgänge von Menschen, die Du wahrscheinlich "ohne" nie erhalten würdest, es sei denn, Du hättest selbst eine psychologische Ausbildung. Danach wirst Du Vieles anders sehen, wie „Otto-Normal“, und mit belastenden Situationen in Deinem Leben völlig anders, konstruktiver und lebensbejahender umgehen können.

  • Hallo sunshineLisa,

    Dietmar hat Dir ja seine Erfahrungen als (unter anderem) ehemaliger Quartalstrinker geschildert. Ich glaube, damit bekommst Du jetzt einen guten Einblick, wie solche Menschen ticken. Ich schrieb es ja schon: Für mich als jemand, der jeden Tag trinken musste, ist es nicht so einfach zu verstehen, wie man wochen- oder sogar monatelang nichts trinken kann bzw. muss, dann aber plötzlich in ein paar Tagen scheinbar alles nachholen will. Faszinierend auch, dass Dietmar beide "Versionen" des Alkoholikers selbst durchlebt hat.

    Alles was er Dir bezüglich des wieso, weshalb, warum geschrieben hat kann Dir sicherlich helfen, Dinge die mit Deinem Vater zusammen hängen, zu verstehen. Ob Du sie als gesunder Mensch deshalb auch nachvollziehen kannst ist eine andere Frage und das ist meiner Meinung nach auch nicht die entscheidende Frage.

    Entscheidend ist für mich, was Dietmar Dir am Ende geschrieben hat. Nämlich einfach die aus meiner Sicht unumstößliche Tatsache, dass Du weder für Deinen Vater noch für Deine Mutter etwas tun kannst. Mir ist schon klar, dass man sich als Außenstehender da recht leicht redet. Es ist aber so. Du sieht vielleicht was zu tun wäre, Du erkennst vielleicht genau, was z. B. Deiner Mama helfen würde aber sie lässt es einfach nicht zu bzw. setzt es nicht um. Und genauso ist es ja bei Deinem Vater.

    Es wäre ja alles so einfach. Er müsste doch einfach "nur" diese Saufanfälle künftig sein lassen. Das müsste doch funktionieren, wo er doch wochenlang problemlos ohne Alkohol auskommt. Er beweist es ja immer wieder. Was kann daran so schwer sein? Tja, Dietmar hat es Dir berichtet.

    Jetzt geht es tatsächlich nur noch darum, dass Du auf Dich achtest. Dass Du lernst Verwantwortung nur für Dich selbst und für Dein eigenes Leben zu übernehmen. Und dass Du, wenn Du das tust, kein schlechtes Gefühl, kein belastetes Gewissen dabei hast. Denn es ist einfach so: Deinen Eltern helfen könntest Du, wenn sie Hilfe annehmen würden. Helfen kannst Du nicht gegen den Willen eines anderen. Und die Tatsache, dass Dein Vater eben nichts gegen seine Sucht unternimmt bzw. sie erst gar nicht als solche oder als Problem sieht ist ja nichts anderes, als das er keine Hilfe möchte.

    Und so ist es letztlich auch bei Deiner Mama. Würde sie zu Dir kommen uns sagen: Bitte hilf mir hier raus. Ich möchte mein Leben zurück, ich will ausziehen aber ich weiß nicht wie ich das anstellen soll usw., also irgendwas in diese Richtung, dann könntest Du sagen: Na klar, zusammen bekommen wir das hin.

    Ansonsten "hilfst" Du ihr nur dabei, ihr Leiden zu verlängern in dem Du vielleicht versuchst es irgendwie erträglicher zu gestalten und nebenher untestützt Ihr beide noch die Sucht Deines Vaters, weil der natürlich sein Umfeld weiter so hat, wie er das gewohnt ist und möchte, obwohl er bei jedem Saufanfall einen Kollateralschaden anrichtet. Und ganz "nebenbei" verrinnt Deine eigene Lebenszeit und Du wirst daran gehindert, Dir Dein eigenes Leben so zu gestalten, wie Du das möchtest.

    Dein Vater schafft es also, durch seine Sucht, durch sein Versagen (ich sage das mal so drastisch obwohl mir als Alkoholiker natürlich bewusst ist, dass es sich um eine Krankheit handelt) gleich mal noch zwei andere Leben mit in den Abgrund zu reißen. Na herzlichen Glückwunsch, kann man da ja nur sagen.

    Ja, es ist eine Krankheit. Aber, aus meiner eigenen Situation / Sicht heraus sage ich: Wenn man krank ist, sollte man sich helfen lassen bzw. Hilfe suchen. Tut man das nicht, ist man ganz alleine dafür verantwortlich. Ich alleine war für meine jahrelange Trinkerei verantwortlich und ich schäme mich heute in Grund und Boden dafür, was ich meiner Familie damit angetan habe. Glücklicherweise habe ich gelernt mit dieser Schuld zu leben, sie sogar als "Motor" für meine jetziges Leben und meine Zukunft zu nutzen, jedoch bereue ich zutiefst, was ich alles getan habe und ich hätte auf diese Erfahrungen gut verzichten können.

    Blicke ich heute auf meine Trinkerzeit zurück, würde ich mir wünschen, meine Familie hätte sich frühzeitig von mir getrennt. Es wäre sicherlich einiges anders gelaufen. Das war bei mir nun ein Spezialfall, weil ich ja heimlich trank usw, aber grundsätzlich sehe ich es heute genau so. Denn spätestens dann, wenn der Trinker sieht, dass sein engestes Umfeld sich von ihm abwendet, hat er eine Entscheidung gegen oder für den Alkohol zu treffen. Entscheidet er sich dagegen, wird sich sein Leben ändern und wenn alles gut läuft wird er ein neues und viel besseres Leben führen können. Zumindest wird er dafür kämpfen, vielleicht gibt es Rückschläge, vielleicht dauert es etwas länger, aber er würde den Kampf aufnehmen und diesen kann man auch gewinnen, wie Du hier in diesem Forum ja lesen kannst.

    Entscheidet er sich für den Alkohol, dann ist wenigstens sein Umfeld weg und muss seinen weiteren Niedergang nicht begleiten. Das ist dann seine Entscheidung.

    Ich hoffe Du verstehst was ich damit sagen möchte.

    Alles alles Gute wünsche ich Dir. Und das Du bald Dein eigenes Leben leben darfst.

    LG
    gerchla

  • Hallo zusammen,

    mein Vater hat seine Phase wohl doch schon wieder überstanden (überraschend früher, als ich erwartet habe), da meine Mutter wie ganz normal Mittagessen macht, seine Wäsche etc. Ich dagegen bleibe stark und rede weiterhin nicht mit ihm. Wenn es etwas zu sagen gibt, lege ich ihm einen Post-it-Zettel hin.


    Ich war vor Jahren (da war ich um die 20, gerade mit Ausbildung fertig) schon mal bei einer Suchtberatung. Ich musste da alleine hingehen, niemand von meinen 3 Geschwistern (ich bin ja die Jüngste) hat mich da begleitet. Dieser Weg dorthin fiel mir wirklich sehr sehr schwer und hat mich noch tagelang beschäftigt. Leider hab ich es damals nicht durchgezogen, da ich das Ganze alleine einfach nicht schaffte. Zumindest hab ich das geglaubt oder die Angst stand mir einfach im Weg. Heute sehe ich das anders, bin stärker geworden und ich werde das Durchziehen mit der Selbsthilfegruppe. Vielleicht finde ich dort ja jemanden, mit dem ich außerhalb der "Sitzungen" reden kann.

    Danke für eure Antworten. Sowas zu lesen berührt mich immer wieder aufs Neue.

    lg
    SunshineLisa

  • Hallo zusammen,

    für die, die es interessiert, akutalisiere ich meinen alten Beitrag immer wieder, um euch auf den aktuellen Stand zu bringen.
    Die "Neuen" können meine Geschichte gerne lesen und auch ihre Meinung sagen. Ich mache deswegen keinen neuen Thread auf. Ich hoffe, das ist ok.

    Was seit dem letzten Beitrag passiert ist:

    Ich hatte vor kurzem Geburtstag (bin mittlerweile stolze 26 Jahre alt), aber wie erwartet, hat mein toller Alkoholiker-Vater dies vergessen. Ist nicht weiter schlimm, hab mich schon dran gewöhnt.
    2 Tage nach diesem Geburtstag musste ich zum 3. Mal meine Mutter ins Krankenhaus fahren. Diagnose: Verdacht auf Schlaganfall. Kenn mich damit auch schon aus. Hab sie ja die anderen 2 Male auch ins Krankenhaus gefahren (2013 und 2014 war das glaub ich). So, nun waren nur noch mein Vater und ich im Haus. Damit das Ganze Zuhause funktionierte, mussten wir wohl oder übel miteinander reden. 1 Hund und 2 Katzen mussten ja schließlich versorgt werden. Die Tage waren wieder extrem hart und man hat es mir auch angesehen. Mein Freund konnte mich leider nicht unterstützen, da er aus beruflichen Gründen im Ausland ist.
    Seit September ist mein Vater wieder trocken und seit September rede ich nicht mehr mit ihm, um ihm zu zeigen "Hey, ich möchte nicht mehr Co-Abhängig sein". Kapieren tut er das natürlich nicht. Ich bin wieder diejenige, die rumzickt. Eh klar. Ich muss den ersten Schritt machen. Wie immer halt. Mach ich aber nicht. Natürlich sehe ich, dass meine Mutter darunter leidet. Aber sie hat sich ja bereits entschieden, indem sie so weitermachen will wie bisher. Phase vorbei, alle sind wieder glücklich.

    Seit letzter Woche (seit sie wieder aus dem Krankenhaus raus ist) rede ich auch nicht mehr mit meiner Mutter, weil mich das Alles-ist-wieder-gut-Verhalten so tierisch nervt. Ich habe in 5 Wochen meine staatlichen Abschlussprüfungen (Techniker-Prüfung) und kann und möchte aktuell einfach nicht auf heile Welt machen. Ich hasse es einfach. Wenn sie und alle meine Geschwister wieder Co-Abhängig sein wollen, bitteschön. Ich werde sie nicht aufhalten. Aber ich werde das nicht machen, da ich wirklich was anderes im Kopf habe.

    Man erkennt wahrscheinlich an meiner Schreibweise, das ich ziemlich sauer bin. Ich weiß einfach nicht mehr wo vorne und hinten ist.

    Das einzig Gute derzeit ist, dass ich Urlaub habe (zum Lernen für die Prüfungen) und somit endlich die Chance habe, zu den Al-Anon zu gehen. Habe mich bereits informiert und kommenden Donnerstag wäre die Chance. Ob man mir da weiterhelfen kann?

    Weihnachten steht vor der Tür. Das Fest der Liebe. Wäre alles so schön, aber ich kann mich nicht am Weihnachtsabend an den Tisch setzen und auf Friede Freude Eierkuchen machen. Es geht einfach nicht mehr. Was soll ich nur tun??

    Ich wünsche Euch einen schönen 1. Advent.

    Eure SunshineLisa

  • Liebe SunshineLisa,

    ich bin Poepinna und Tochter einer Alkoholikerin.Deine Geschichte liest sich ähnlich wie meine. Meine Mutter, heute Mitte 70 ist auch Quartalstrinkerin, wobei sich das Quartalstrinken in den letzten Jahren in ein Spiegeltrinken geändert hat. Mein Vater ist nach wie vor bei ihr und es passieren die gleichen Geschichten wie bei Dir: Er lag mehrfach schwer krank im Krankenhaus und meine Mutter säuft sich derweil alleine zuhause um den Verstand und schafft nur neue Katastrophen (Stürze, Autounfälle, Vermisstensuche, Polizei, Koma) um nur ein paar davon zu nennen. So waren in den letzten Jahren wiederholt zeitgleich beide Eltern im Krankenhaus. Eigentlich ist es unglaublich, dass sie bisher so einen Schutzengel hatte und nichts weiteres schlimmes passiert ist. Mein Vater will an der Situation nichts ändern und hält sich auch an keine mühsam gehaltenen Absprachen, wie zum Beispiel nicht mehr Autofahren lassen, häusliche Hilfe annehmen...... alles ertrinkt und erstickt im Chaos.
    Eigentlich hatte ich mich 20 Jahre auch rein räumlich sehr von meinen Eltern distanziert. Nur jetzt stehe ich als einziges Kind wieder vor diesen Gefühlen, die einen wahnsinnig machen.
    Was ich Dir sagen kann, es wird nicht besser durch die Jahre. Aber es ist toll, dass Du schon zu Al-non gehst, das hilft Dir eine neuen Sichtweise Dir zu erarbeiten, nämlich wie schon einige hier geschrieben haben: Nur Deine Vater ist für seine Gesundheit verantwortlich und Deine Mutter ist für ihr Leben verantwortlich. So hart es auch ist, Deine Mutter ist über 18 Jahre, bei Verstand und geschäftsfähig, somit ist sie es auch diejenige, die am Ende die schwierigen Entscheidungen für ihr Leben treffen muss. Wir als Kinder müssen das so hinnehmen, auch wenn das erst einmal wehtut und auch keinen Sinn macht, wenn man jemanden liebt und nicht in den Abgrund stürzen sehen will.
    Wir haben dagegen die Aufgabe für uns gut zu sorgen, auch wenn das ist, was uns am schwersten fällt. In der Alkoholikerfamilie geht es ja immer erst mal um den Trinker und vielleicht noch die Co-Abhängigen.
    Für sich sorgen heisst aber auch wirklich für sich sorgen. Damals als ich von zuhause weg gegangen war, bedeutete das für "sich sorgen" für mich erst einmal viel zu essen. Viel essen bedeutete für mich, dass ich mich emotional versorge. Später "versorgte" ich mich mit dramatischen Beziehungen, dann mit viel Arbeit. Erst jetzt seit ein paar Jahren bin ich innerlich ruhiger und verstehe besser, wie ich auf meine Grenzen achten kann. Nein-sagen, nichts tun, für seinen Körper wirklich sorgen (z.B. Yoga, Sport, gesundes essen). Mit 44 Jahren war ich zum ersten mal beim Zahnarzt. Als Kind und Jugendliche ging mit mir niemand zum Zahnarzt. Irgendwie hatte das niemand auf dem Schirm, weil sich ja so viel um den Alkohol drehte.

    Deswegen bei allem was Du tust versuche Dich selbst in der liebevollsten Art und Weise zu behandeln.
    Poepinna

  • Guten Morgen poepinna,

    wenn ich deine Geschichte so lese, kommt mir meine richtig lachhaft vor. Es passieren keine Unfälle, etc.
    Wurdest du angeschrien, als du von Zuhause ausgezogen bist? Wie hast du dich gefühlt? Wie oft hast du danach nach dem Rechten gesehen?

    Ich bin gespannt auf Donnerstag. Ich brauche auf jeden Fall Hilfe, wenn ich zuhause wieder ausziehe. Schon allein deswegen, damit mich der Gedanke "Ob meine Mutter wohl irgendwo liegt und Hilfe braucht?" nicht 24 Stunden am Tag begleitet.

    Liebe Grüße
    SunshineLisa

  • Liebe SunshineLisa,
    ich wohnte eigentlich seitdem ich 18 Jahre alt war nicht mehr bei meinen Eltern, und bin auch erst einmal ins Ausland gezogen. Danach lebte ich zwar wieder in Deutschland aber mit einem grossen räumlichen Abstand. Im Nachhinein war das das beste was ich tun konnte. Ich hatte die Chance mich selbst zu entwickeln mit vielen "Ups and Downs", und wusste meistens nicht was zuhause los war und fragte auch nicht nach. Wir hatten dann nur noch lose telefonischen Kontakt und sahen uns 1-2 Mal im Jahr (z.B. zu Weihnachten). Aber selbst das war oft zuviel und führte zu Katastrophen. meine Mutter schaffte es gerade mal den Heiligabend zu überstehen und lag dann ab dem 1. Weihnachtsfeiertag stock betrunken im Bett. An einem gewissen Zeitpunkt schwor ich mir nie wieder ohne Auto meine Eltern zu besuchen, da ich jederzeit in der läge sein wollte wegzufahren. Diese Erlebnisse hatten dann immer wieder Kontaktabbrüche für mehrere Jahre zur Folge.
    Eigentlich kann man sagen, dass mir diese viele Jahre mit minimalem Kontakt und grosser räumlicher Distanz ermöglicht haben ein "gesundes" Leben aufzubauen und mich insgesamt mental zu stärken. ich habe heute eine sehr warme und schöne Beziehung, habe einen beruf, der mich erfüllt und ich das Gefühl habe, dass ich angekommen bin.
    Erst in den letzten paar Jahren kommt das Thema Alkohol und alles was damit in Zusammenhang steht mit voller Wucht wieder in mein Leben. Mein Vater fällt immer mehr aus im "Aufpassen" durch eigene Erkrankungen und meine Mutter verliert komplett die Kontrolle mit dem Trinken. Mehrfach war ich dort für mehrere Wochen, weil meine Mutter vermisst, verletzt, Autounfall, Chaos war. Zweimal mussten wir eine Urlaubsreise absagen und so weiter..... ich merke zwar, dass ich viel mehr Distanz als früher habe, aber dennoch doch noch viele alte Co-Abhängigen Muster in mir habe, die einfach letzten Jahre verdrängt waren. Zum Beispiel Flaschen suchen, kontrollieren was passiert, versuchen die Katastrophe verhindern, sich schuldig fühlen, und immer wieder verantwortlich sein für beide. Das ist jetzt heute meine Aufgabe damit mich auseinanderzusetzen. Auch wirklich Abschied zu nehmen von einer Hoffnung, die dann nie erfüllt wurde "wenn meine Mutter nur aufhören würde zu trinken....... dann wäre doch alles gut......"
    Meine Mutter steckt heute sehr tief in ihrer Sucht, man erreicht sie emotional und auf der Gesprächsebene kaum mehr. Sie ruft nie von sich aus an, informiert mich auch nicht, wenn mein Vater ins Krankenhaus musste. Wenn ich sie anrufe, beschuldigt sie mich, oder ist einsilbig. Alle normalen Gesprächsangebote laufen ins Nichts.
    Aber letztendlich ist es heute genauso wichtig sich den Al-Non-Spruch zu sagen "I didn't cause it, can't cure it, can't control it." Beide Eltern sind erwachsen, und können autonom entscheiden wie sie das ihnen geschenkte Leben gestalten möchten. Man kann sich auch mit 75 Jahren Hilfe suchen, sich für das leben und Beziehungen entscheiden.
    Es ist auf jeden Fall gut und wichtig sich Hilfe zu suchen, in Al-non-Gruppen o.ä., Psychotherapie, Online-Gruppen, Bücher lesen (gerade geschrieben von Alkoholikern!!)........ nur so kann man sein eigenes "irres/co-abhängiges" Handeln reflektieren und einordnen lernen.

    Pöpinna

  • Ich muss gestehen, dass ich den Spruch noch nicht kannte ("I didn't cause it, can't cure it, can't control it."). Aber es steckt viel Wahrheit drin. Meine Frau - ich bin der Abhängige - hat sich auch gefragt, was sie hätte anders machen oder verhindern können. Ich habe sie dann mal zur Suchtberatung mitgenommen. Ergebnis: sie hätte gar nichts verhindern oder anders machen können. Ich bin der Überzeugung, macht Euch bitte als betroffene Angehörige keine Vorwürfe o.ä. Ihr könnt bzw. konntet es nicht verhindern. Mit hat es geholfen, dass mich meine Frau so lange "genervt" hat, dass ich es eingesehen habe, dass ich krank bin. Ich denke, dass ist vielleicht nicht die einzige, aber eine sehr wirkungsvolle Hilfe.

    Ich habe meine eigene Mutter vor knapp 14 Jahren in den Entzug "geschliffen". Durch eine räumliche Trennung hatte ich keine Ahnung, dass sie trinkt, geschweige denn wie heftig. Das durfte ich erst feststellen, als sie zum ersten Geburtstag unserer Tochter zu Besuch kam und einen epileptischen Anfall erlitten hat aufgrund des Entzugs. Ich habe mit ihrem Hausarzt gesprochen und sie in einen ambulanten Entzug gebracht. In eine Klinik wollte sie nicht. Es hat nichts geholfen, 2009 ist sie alkoholbedingt verstorben.

    Warum schreibe ich das alles? Ich mache mit auch heute noch Vorwürfe, dass ich evtl. mehr hättte machen können und sie vielleicht noch am Leben wäre. Ich glaube aber mittlerweile, dass - egal, wie viel man unternimmt - es manchmal einfach nicht reicht oder man den Betroffenen nicht erreicht. Schuld ist in meinen Augen leider der, der das Problem hat. Und der muss sich Hilfe suchen. Klingt hart, aber das ist mittlerweile meine Überzeugung...

    LG

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!