Angeregt durch eine diesbezügliche Frage in einem anderen Beitrag möchte ich diese Frage einmal diskutieren. Ich weiß es nicht.
Ab wann ist man eigentlich "trocken"?
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Laurids -
29. Mai 2018 um 18:03
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Hallo!
Schon seit Jahrzehnten nässe ich nicht mehr ein.
Meiner Meinung nach genügt dazu der erst kurzzeitig andauernde Verzicht auf den Konsum alkoholischer Getränke nicht. Es muss mehr hinzutreten, eine gewisse geistige Festigung, dass die eigene Gedankenwelt nicht sogleich beim Anblick von Alkohol anspringt und Kapriolen schlägt.
Ich habe schon mehrfach von langjährig Abstinenten das Datum 1 Jahr gehört. Dann hat man alles, was üblicherweise in einem Jahr so anfällt wie Geburtstage, Weihnachten, Ostern, Sommer .... bereits einmal erfolgreich durchlaufen bzw. Versuchungen widerstanden, z.B. dem Suchtdruck getrotzt.
Gruß
Rekonvaleszent -
Ich finde es sehr interessant, dass Sucht – hier Alkoholismus – eine der wenigen Krankheiten ist, bei der Betroffene sich selbst fragen (können): Bin ich noch von der Krankheit befallen, oder bin ich’s nicht mehr.
Wobei das nach der gängigen Definition von Alkoholismus eigentlich gar nicht definiert werden kann, da Alkoholismus als lebenslange Krankheit gilt.Aber ich beschränke mich auf die Begrifflichkeiten „trocken“ und (lediglich) „nüchtern“.
Nüchtern, das habe ich einst früh erfahren, bin ich nach einer erfolgreichen Entgiftung, wenn mein Blutalkoholgehalt bei Null angekommen ist. Nüchtern bin ich auch dann noch, wenn ich … Tage … Wochen … Monate oder längere Zeiten … keinen Alkohol mehr konsumiert habe.
Aber bin ich dann auch „trocken“?In dem Zusammenhang kenne ich die Begriffe „der läuft mit der geballten Faust in der Tasche“ oder auch „der ist zwar nüchtern, aber im Kopf klitsche nass“.
Da ich – für mich – wahrnehme, dass wir Menschen alle sehr unterschiedliche Charaktere, Wesensarten, Prägungen und Verhaltensweisen unser eigen nennen, wird es für mich sehr schwierig, abschätzen zu können, ob nun einer, der „mit geballter Faust in der Tasche“ abstinent lebt, nun einfach generell aufgrund seiner Biografie ebene diese Faust in der Tasche hat, oder dadurch, dass er, per Definition s.o., in Wirklichkeit „im Kopf nass ist“.Was ich – aus meiner Wahrnehmung heraus – festgestellt habe, ist, dass Menschen, die per Definition irgendwann einmal in ihrem Leben Alkoholiker geworden sind, und ihr Leben auf eine Art und Weise leben, dass sie dadurch permanent Probleme und Ärger in ihrem Leben bekommen bzw. hervorrufen, es sehr schwer haben, ihre Abstinenz aufrecht zu erhalten.
Aus dieser Wahrnehmung und dem Wissen heraus, dass Sucht i.d.R. lediglich die Folge ungelöster, problematischer und belastender Faktoren ist, ist ein nüchterner Alkoholiker ohne die Auflösung und Änderung der suchtauslösenden Ursachen für mich nicht wirklich trocken – im Sinn von „zufrieden trocken“.
Für mich resultiert dies daraus, dass sich bei Sucht quasi eine Waage ergibt:
Probleme, belastende Situation, Ärger etc. = Kompensation/Sucht
Probleme, belastende Situation, Ärger etc. = nüchtern, (geballte Faust)
Auflösung der problematischen u. belastenden Situationen, Lebensfreude = trocken (Kompensation mittels Alkohol nicht mehr notwendig) -
Rekonvaleszent
Mit der Jahresfrist könnte ich mich anfreunden. Aber letztlich denke ich, ist das nicht definiert und wahrscheinlich sogar undefinierbar.So wie man in den Augen einiger Ärzte als „geheilt“ eingestuft wird, nur weil man nach einem Jahr Nichtrinken aus der Alkoholikerstatistik fällt, so kann man wirklich per Definition auch bestimmen, dass man trocken ist, wenn man ein Jahr nicht trinkt. Aber wenn ich mich an die erinnere, die nach 10 Jahren und mehr wieder anfingen mit dem Alkoholtrinken, dann scheint mir die Definition von „Trockenheit“ doch ein schwieriges Unterfangen zu sein. Vielleicht gibt’s ja noch jemanden mit einer anderen Vorstellung von dem, was Trockenheit für einen Alkoholiker bedeutet.
Laurids
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Guten Morgen Laurids,
ich denke auch, dass man das nicht so einfach definieren kann. Vielleicht aber wäre eine Art Faustformel folgendes:
Trocken ist man dann, wenn man als Alkoholiker abstinent lebt und dabei keinen Wunsch mehr verspürt Alkohol trinken zu wollen, egal in welcher persönlichen Situation man sich gerade befindet.
Wobei auch hier eine gewisse zeitliche Komponente wichtig ist, die die Anfangseuphorie gerade frisch abstinenter Alkoholiker berücksichtigt. Meine Erfahrung ist ja auch, dass man die ersten Tage / Wochen ohne Alkohol, die man mit dem festen Entschluss nie mehr zu trinken angetreten hat, geradezu euphorisch, begeistert und ohne große Gedanken an Alkohol meistert. Aber deswegen ist man ja noch lange nicht trocken - Insofern muss schon auch eine gewisse Zeit vergangen sein, bis sich jemand als trocken bezeichnen kann. Wobei die Zeitspanne wahrscheinlich individuell ist.
Ich könnte jetzt, ehrlich gesagt, nicht sagen ab welchem Zeitpunkt ich tatsächlich trocken war. Es muss wohl der Moment gewesen sein, wo ich bemerkt habe, dass ich nicht mehr kämpfen muss. Der Moment, wo ich merkte, dass mein Denken und Handeln nicht mehr überwiegend von meinem Verstand gesteuert wird sondern wieder durch mein Selbstverständnis. Ich denke jetzt mal, ein Jahr ohne Alkohol wird da bei mir nicht aussreichen. Geht schon eher gegen zwei Jahre.
Ein AA-Freund hat mir am Anfang, kurz nach meinem Ausstieg mal gesagt: "So lange Du gesoffen hast, so lange dauert es auch, bis Du wieder normal bist" - wäre auch eine Formel, wobei ich persönlich das für etwas zu simpel halte. Ich glaube das geht so nicht auf aber es war gut für mich das zu hören. Denn es zeigte mir, dass ich hier wohl keinen "Schnellschuss" in Sachen Suchtausstieg hingekommen werde.
Aber gut, diese Gedanken zeigen mir jetzt auch wieder, dass auch "trocken sein" wie unsere gesamte Krankheit eine recht individulle Angelegenheit ist.
LG
gerchla -
Ja, ich denke das sind fürs Thema nützliche Gedanken. Wobei ich den Vorschlag: Solange nicht trinken, wie getrunken, ganz sympathisch finde.
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Hallo,
mmhhh die Frage ist sehr schwer zu beantworten, ich denke so richtig sagen, kann man das auch nicht. Die Gefahr besteht, so wie wir alle wissen immer.
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@Jacueline19
…die Gefahr rückfällig zu werden? Das stimmt wohl. Aber war man dann „richtig“ trocken vorher oder eben nicht? Ich kann mir vorstellen, dass die Antwort auf die Frage für jemanden der mal gerade kurze Zeit nicht mehr trinkt, wichtig sein kann.
Laurids
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ich weis nicht ob die Frage direkt hierzu rein passt, aber wollte nicht extra einen neuen Thread erstellen...
Ab wann ist man eigentlich "trocken" bzw - wann ist zu erkennen, dass jemand es ernst meint aufzuhören mit dem Trinken? Wie ja bereits mehrfach ausgeführt wurde; die meisten nassen Alkoholiker geloben Besserung und dass sie aufhören werden usw. Meist sind dies aber nur leere Versprechungen die sich über kurz oder lang auflösen bzw. der Süchtige wieder in alte Muster verfällt nachdem er ein paar mehr oder weniger engagiert Versuche hatte etwas zu änder. Ich weis nicht ob sich dies pauschal beantworten lässt aber wo ist der Knackpunkt? Was ist der Unterschied zu den üblichen Versprechungen? Die Anmeldung zu einer LZT? eine komplette Änderung der Lebensumstände, ggf. mit Umzug aus gewohnter Umgebung etc.? Oder einfach die Zeit, mit der sich heraus kristallisiert dass tatsächlich kein Alkohol mehr getrunken wird? -
Zitat
Was ist der Unterschied zu den üblichen Versprechungen?
Wenn aus den Versprechungen aus eigener Überzeugung Taten werden, wenn sich der Körper wieder an normale Umstände, d.h. ohne Alkohol, gewöhnt hat. Einfach, wenn der Alk psychisch und körperlich keine Rolle mehr spielt.
Lg Gerd -
Zitat
Was ist der Unterschied zu den üblichen Versprechungen? Die Anmeldung zu einer LZT? eine komplette Änderung der Lebensumstände, ggf. mit Umzug aus gewohnter Umgebung etc.? Oder einfach die Zeit, mit der sich heraus kristallisiert dass tatsächlich kein Alkohol mehr getrunken wird?
Also ich beziehe mich jetzt mal auf Deine Frage, wann man erkennen kann, das es jemand ernst meint. Das ist sehr schwer, denn in der Regel gab's ja vorher x Versprechen die nie eingehalten wurden.
Es kann eine Mischung aus dem sein, was Du geschrieben hast. Eine Anmeldung zur LZT kann ein Zeichen sein, muss aber nicht. Es kann auch Taktik sein. Oder der Alkoholiker macht sogar eine LZT, wird aber danach sofort rückfällig weil er sie nicht ernst genommen hat.
Grundsätzlich glaube ich, musst Du Dich von Taten überzeugen lassen. Versprechen, Ankündigungen usw. kannst Du natürlich alle vergessen. Wenn der Alkoholiker dann wirklich handelt, dann wird es spannend. Also wenn er z. B. beginnt regelmäßig in eine SHG zu gehen, einen Psychologen zu besuchen, Arzttermine wahr nimmt usw, dann wird es interessant. Dann musst Du noch nicht voller Vertrauen vor ihm auf die Knie gehen, aber Du kannst Dir das ganze zumindest mal aus Ferne genauer anschauen. Ihn mal machen lassen, mal checken, ob sich da langsam was verändert.
Aber das braucht Zeit, oft sehr viel Zeit. Für den Alkoholiker der es wirklich ernst meint und dann auch durchzieht ist es wichtig Vertrauen zurück zu gewinnen. Das war bei mir auch ganz wichtig. Dadurch, dass ich trocken war und blieb, wusste ich aber, dass mein Umfeld dafür Zeit brauchte. Denn wie sollten die denn wissen, ob das nicht alles wieder gespielt ist?
So durfte ich z. B. in den ersten Montaten meiner Trockenheit nach der Trennung von meiner Frau nicht mit meiner Tochter alleine Auto fahren. Ich durfte mit ihr gar nicht Auto fahren. Meine Ex-Frau hat es einfach verboten. Wir musste also Zug fahren oder mein großer Sohn hat sie mir gebracht und wieder abgeholt. Und ja, das war verdammt richtig, was meine Ex-Frau da entschieden hatte. Aber sowas von richtig! Denn wie hätte sie mir denn vertrauen können, wo ich sie doch jahrelang belogen und betrogen habe.
Aber mit der Zeit hat sie dann gemerkt, dass da nicht mehr der gleiche Mensch vor ihr stand. Mit der Zeit konnte ich dieses Vertrauen zurück gewinnen, denn ich veränderte mich ja ganz massiv. Und das hat sie natürlich auch wahr genommen.
So wie Du das sicher auch wahr nehmen würdest bei jemanden, den Du gut kennst.
LG
gerchla -
Hallo,
ich hatte diesen wirklich "trockenen" Zustand schon einmal, ich war 17 Jahre lang trocken und zufrieden - vielleicht zu sehr, denn ich habe "Sicherheitsmaßnahmen" vernachlässigt - wie zum Beispiel den Besuch einer Selbsthilfegruppe.
Nun habe ich ein Jahr lang wieder getrunken - durch eine Trennung, die in mir so viele Ängste auslöste, dass ich gar nicht mehr zurechtkam.
Nun bin ich mit der Hilfe meines Arztes seit 30 Tagen trocken - aber noch weit von einer Zufriedenheit entfernt. Ich weiß einfach: Es ist harte Arbeit, aber es lohnt sich.
Wünsche euch allen einen schönen kommenden Tag!
Rachel
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