Hallo ihr Lieben,
ich (41/w) bin neu hier und stehe am Anfang. Nicht ganz am Anfang, wie ich bereits in zwei Beratungsbüchern gelesen habe. Sie haben mich ordentlich erschreckt und sehr klar gezeigt, dass ich die Kontrolle über meinen Alkoholkonsum verloren habe. Daher las ich gestern viel in dem Forum und ich habe das Gefühl, das ist ein guter Ort. Seit vorgestern trinke ich nichts mehr. Ein fester Entschluss.
Ich bin in mindestens drei Süchten bewandert, wie ich hier beim Schreiben gerade zum ersten Mal bewusst feststelle. Vier, wenn man meine exzessiven Arbeitsphasen dazunimmt.
Auch ich habe - wie fast alle hier - eine langlangjährige Erfahrung mit Alkohol, in meinem Fall seit der Jugend. Bereits damals war es ein Mittel für mich, auszubrechen, anarchisch zu sein, einen inneren Schrei nach außen zu verlagern, Maxime: No Future. Gegen alles, vor allem gegen mich und das System, gegen die Familie, gegen meine "Wertlosigkeit". Mit 17 wurde ich heimlich Bulimikerin, was niemand mitbekam. Mit 24 hörte ich von jetzt auf gleich damit auf, weil mich das Erbrechen von Essen anekelte. Zigarettenkonsum wurde stärker und regelmäßiger Alkoholkonsum kam dazu. Das lag auch an meinem Ex-Freund, den ich sehr liebte und der gerne alle möglichen Drogen konsumierte, neben Gras gehörten Bierchen/Cocktails immer dazu. Bei Gras sagte ich allerdings oft Nein, aber es herrschte Gruppenzwang. Er wurde manchmal richtig sauer. Mindestens 20 Mal habe ich versucht mit dem Rauchen aufzuhören.
Mit Anfang dreißig machte ich wegen einer Depression eine Psychotherapie (3x die Woche). Das hat sehr geholfen, zumindest was das Grundwerkzeug angeht. Aber viele Dinge liegen bei mir noch im Schatten.
Ich trinke nur Bier, gelegentlich Wein. In dem letzten halben Jahr bestimmt 3-4 Mal die Woche mindestens vier 0,5 Bier abends in meiner Stammkneipe (tolle Leute, aber alle druff, oftmals eine ausgesprochene Trinkdiktatur) oder vor allem seit einigen Jahren ebenfalls alleine zu Hause. Mittlerweile sind es bestimmt 4-7, auch mal ein alkoholfreies darunter und viel Wasser.
Sowohl die wöchentliche Frequenz hat in den letzten Monaten zu genommen als auch die Menge. Schon lange leide ich mindestens zwei Tage in der Woche an der Entgiftung, fühlt sich an wie eine starke Grippe, bevor ich wieder anfange zu trinken.
Da ich Freiberuflerin bin stehe ich oft unter hohem Druck. Seit zwei Wochen muss ich vier Jobs koordinieren und sie auch gut machen. Montagabend nach den Proben war ich wegen der gefühlten Überforderung verzweifelt. Ich kaufte mir drei Bier (später noch zwei dazu) und arbeitete am Computer. Langsam verschwomm aber alles und ich konnte mir nicht mehr sicher sein, dass das, was ich dort erarbeitete, auch richtig war. Ich schickte den Plan nicht mehr raus, versuchte mir einzureden, dass das in Ordnung sei, schämte mich aber. Dienstag dann auf der Probe das Riesenschlechtegewissen. Wiedereinmal. Und der Versuch, meinen Zustand zu verheimlichen. Angst, dass man es merken könne. Fishermanns her. Zwischendurch schnell eine Stulle reingezwängt, da kein Frühstück. Enormer Drang, die Szenerie zu verlassen und zu rauchen. Es ist das Gefühl, dass das Leben aus der Kontrolle ist. Ich nicht mehr funktionieren kann. Nicht nur wegen der Arbeit, sondern weil ich zu oft und zu viel trinke und überhaupt nicht mehr klar einschätzen kann, was ich beruflich noch leisten kann? Eigentlich will ich gar nichts mehr. Doch! Leben!
Jetzt zu meiner Frage:
Ich schwitze, bin verdaddert, unkonzentriert, ertappe mich dabei, wie ich gestern und heute immer wieder mal laut selbst zu mir spreche, bin innerlich nervös, ängstlich, äußerlich ruhig und gleichzeitig wie auf Droge. Ein positives, erleichterndes Gefühl, ebenfalls im Kopf: als könnte ich unendlich lange träumen. Ich kenne diesen Zustand: Jedesmal, wenn ich (vergeblich) aufgehört habe zu Rauchen, reagierte mein Körper so. Wie auf Droge. Kennt das jemand von euch? Alle weiteren Symptome habe ich nicht (z.B. Erbrechen oder sowas). Kann ich es schaffen, zu entgiften/zu entziehen, ohne Arzt? Denn ich habe keine Zeit grade zum Arzt zu gehen, dafür ist mein Arbeitstag zu dicht?
Eine weitere Frage:
Weil ich die scheiß fucking Suchtstimme vom Nikotinentzug kenne, die mich meistens am dritten oder vierten Tag erwischt, wenn der körperliche Entzug fast vorbei ist - habe ich eine Befürchtung. Ich habe es höchstens mal zwei Wochen geschafft, nichts zu trinken. Werde ich übermorgen oder zum Wochenende durchhalten? Was habt ihr für Strategien? Kneipe etc. werde ich auf jeden Fall meiden, obwohl ich vor einigen Wochen mal dort war und nur Wasser getrunken habe - mir hat gar nichts gefehlt...Das nächste Mal gab es aber wieder Bier.
Weitere Frage:
Ich finde mich in den Suchttypen nicht richtig wieder. Weder habe ich einen zu hohen Blutdruck, noch schlechte Leberwerte (zumindest letztes Jahr). Und dennoch trinke ich viel und schon lange und erfülle alle Stadien - wie Steigerung/ Anpassung der Toleranz, etc. Ich bin mir ganz sicher, dass ich kurz vor knapp grade den Absprung geschafft habe und daher möchte ich den Entzug auch durchziehen. Aber bin ich vielleicht gar nicht süchtig? Das ist eine dumme Frage, ich weiß, - weil ich ja weiß, dass ich ein Problem mit Alkohol habe, weil ich oft ein Problem habe, wenn ich Alkohol getrunken habe. Zur Erklärung. Ich finde diese Krankheitskategorien/Bezeichnungen manchmal schlimm und so entgültig. Da regt sich der Widerstand.
Na ja. Es war schön euch zu schreiben und auch, wenn ihr keine Antworten wisst, finde ich es toll, etwas von mir geschrieben zu haben, was sonst keiner in der Form von mir weiß. Vielen Dank fürs "Zuhören". Und bei einer Suchtberatungsstelle war ich schon, aber ich habe mich mit meinem Problem nicht ernst genommen gefühlt. Die Dame redete vom kontrollierten Trinken. Das geht aber nicht mehr wirklich. Termine platzten und ja, dann bin ich da nicht mehr hin.
Liebe Grüße
Licht