Hallo! Ich bin auch neu. Fragen zum Entzug

  • Hallo ihr Lieben,

    ich (41/w) bin neu hier und stehe am Anfang. Nicht ganz am Anfang, wie ich bereits in zwei Beratungsbüchern gelesen habe. Sie haben mich ordentlich erschreckt und sehr klar gezeigt, dass ich die Kontrolle über meinen Alkoholkonsum verloren habe. Daher las ich gestern viel in dem Forum und ich habe das Gefühl, das ist ein guter Ort. Seit vorgestern trinke ich nichts mehr. Ein fester Entschluss.

    Ich bin in mindestens drei Süchten bewandert, wie ich hier beim Schreiben gerade zum ersten Mal bewusst feststelle. Vier, wenn man meine exzessiven Arbeitsphasen dazunimmt.

    Auch ich habe - wie fast alle hier - eine langlangjährige Erfahrung mit Alkohol, in meinem Fall seit der Jugend. Bereits damals war es ein Mittel für mich, auszubrechen, anarchisch zu sein, einen inneren Schrei nach außen zu verlagern, Maxime: No Future. Gegen alles, vor allem gegen mich und das System, gegen die Familie, gegen meine "Wertlosigkeit". Mit 17 wurde ich heimlich Bulimikerin, was niemand mitbekam. Mit 24 hörte ich von jetzt auf gleich damit auf, weil mich das Erbrechen von Essen anekelte. Zigarettenkonsum wurde stärker und regelmäßiger Alkoholkonsum kam dazu. Das lag auch an meinem Ex-Freund, den ich sehr liebte und der gerne alle möglichen Drogen konsumierte, neben Gras gehörten Bierchen/Cocktails immer dazu. Bei Gras sagte ich allerdings oft Nein, aber es herrschte Gruppenzwang. Er wurde manchmal richtig sauer. Mindestens 20 Mal habe ich versucht mit dem Rauchen aufzuhören.

    Mit Anfang dreißig machte ich wegen einer Depression eine Psychotherapie (3x die Woche). Das hat sehr geholfen, zumindest was das Grundwerkzeug angeht. Aber viele Dinge liegen bei mir noch im Schatten.

    Ich trinke nur Bier, gelegentlich Wein. In dem letzten halben Jahr bestimmt 3-4 Mal die Woche mindestens vier 0,5 Bier abends in meiner Stammkneipe (tolle Leute, aber alle druff, oftmals eine ausgesprochene Trinkdiktatur) oder vor allem seit einigen Jahren ebenfalls alleine zu Hause. Mittlerweile sind es bestimmt 4-7, auch mal ein alkoholfreies darunter und viel Wasser.

    Sowohl die wöchentliche Frequenz hat in den letzten Monaten zu genommen als auch die Menge. Schon lange leide ich mindestens zwei Tage in der Woche an der Entgiftung, fühlt sich an wie eine starke Grippe, bevor ich wieder anfange zu trinken.

    Da ich Freiberuflerin bin stehe ich oft unter hohem Druck. Seit zwei Wochen muss ich vier Jobs koordinieren und sie auch gut machen. Montagabend nach den Proben war ich wegen der gefühlten Überforderung verzweifelt. Ich kaufte mir drei Bier (später noch zwei dazu) und arbeitete am Computer. Langsam verschwomm aber alles und ich konnte mir nicht mehr sicher sein, dass das, was ich dort erarbeitete, auch richtig war. Ich schickte den Plan nicht mehr raus, versuchte mir einzureden, dass das in Ordnung sei, schämte mich aber. Dienstag dann auf der Probe das Riesenschlechtegewissen. Wiedereinmal. Und der Versuch, meinen Zustand zu verheimlichen. Angst, dass man es merken könne. Fishermanns her. Zwischendurch schnell eine Stulle reingezwängt, da kein Frühstück. Enormer Drang, die Szenerie zu verlassen und zu rauchen. Es ist das Gefühl, dass das Leben aus der Kontrolle ist. Ich nicht mehr funktionieren kann. Nicht nur wegen der Arbeit, sondern weil ich zu oft und zu viel trinke und überhaupt nicht mehr klar einschätzen kann, was ich beruflich noch leisten kann? Eigentlich will ich gar nichts mehr. Doch! Leben!

    Jetzt zu meiner Frage:
    Ich schwitze, bin verdaddert, unkonzentriert, ertappe mich dabei, wie ich gestern und heute immer wieder mal laut selbst zu mir spreche, bin innerlich nervös, ängstlich, äußerlich ruhig und gleichzeitig wie auf Droge. Ein positives, erleichterndes Gefühl, ebenfalls im Kopf: als könnte ich unendlich lange träumen. Ich kenne diesen Zustand: Jedesmal, wenn ich (vergeblich) aufgehört habe zu Rauchen, reagierte mein Körper so. Wie auf Droge. Kennt das jemand von euch? Alle weiteren Symptome habe ich nicht (z.B. Erbrechen oder sowas). Kann ich es schaffen, zu entgiften/zu entziehen, ohne Arzt? Denn ich habe keine Zeit grade zum Arzt zu gehen, dafür ist mein Arbeitstag zu dicht?

    Eine weitere Frage:
    Weil ich die scheiß fucking Suchtstimme vom Nikotinentzug kenne, die mich meistens am dritten oder vierten Tag erwischt, wenn der körperliche Entzug fast vorbei ist - habe ich eine Befürchtung. Ich habe es höchstens mal zwei Wochen geschafft, nichts zu trinken. Werde ich übermorgen oder zum Wochenende durchhalten? Was habt ihr für Strategien? Kneipe etc. werde ich auf jeden Fall meiden, obwohl ich vor einigen Wochen mal dort war und nur Wasser getrunken habe - mir hat gar nichts gefehlt...Das nächste Mal gab es aber wieder Bier.

    Weitere Frage:
    Ich finde mich in den Suchttypen nicht richtig wieder. Weder habe ich einen zu hohen Blutdruck, noch schlechte Leberwerte (zumindest letztes Jahr). Und dennoch trinke ich viel und schon lange und erfülle alle Stadien - wie Steigerung/ Anpassung der Toleranz, etc. Ich bin mir ganz sicher, dass ich kurz vor knapp grade den Absprung geschafft habe und daher möchte ich den Entzug auch durchziehen. Aber bin ich vielleicht gar nicht süchtig? Das ist eine dumme Frage, ich weiß, - weil ich ja weiß, dass ich ein Problem mit Alkohol habe, weil ich oft ein Problem habe, wenn ich Alkohol getrunken habe. Zur Erklärung. Ich finde diese Krankheitskategorien/Bezeichnungen manchmal schlimm und so entgültig. Da regt sich der Widerstand.

    Na ja. Es war schön euch zu schreiben und auch, wenn ihr keine Antworten wisst, finde ich es toll, etwas von mir geschrieben zu haben, was sonst keiner in der Form von mir weiß. Vielen Dank fürs "Zuhören". Und bei einer Suchtberatungsstelle war ich schon, aber ich habe mich mit meinem Problem nicht ernst genommen gefühlt. Die Dame redete vom kontrollierten Trinken. Das geht aber nicht mehr wirklich. Termine platzten und ja, dann bin ich da nicht mehr hin.

    Liebe Grüße
    Licht

  • Hallo, Licht (toller Nick!),

    und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin m, Ü50, Alkoholiker, seit einigen Jahren trocken und außerdem in der Selbsthilfe aktiv.

    Das Du gerade einen kalten Entzug durchziehst schwitz. Dazu würde Dir vermutlich niemand hier geraten haben, denn das ist ziemlich gefährlich. Ich weiß nicht, ob Du Dich über das Thema "kalter Entzug" und seine Risiken schon mal informiert hast - auf jeden Fall solltest Du einen Arzt konsultieren.

    Denn ich habe keine Zeit grade zum Arzt zu gehen, dafür ist mein Arbeitstag zu dicht?


    Wenn es schief geht, brauchst Du keinen Arzt mehr - und um die Arbeit brauchst Du Dir dann auch keinen Kopp mehr zu machen.

    Vielleicht ist ja auch die viele Arbeit ... nun, vielleicht nicht DER, aber EIN Grund für Deine Suchtproblematik(en)?!?

    Auch das verniedlichen, verharmlosen (Bierchen, nur Bier, gelegentlich Wein) ist nicht sehr hilfreich - HIER kannst Du mal für Dich Deinen reinen Alkoholkonsum ausrechnen.

    Nun kurz zu Deinen Fragen:

    Die ganzen Entzugserscheinungen, die sowohl hier als auch anderswo im Netz aufgezählt sind, sind nicht abschließend und auch nicht zwingend "erforderlich". Das heisst, manche haben nur einige dieser Erscheinungen - selten alle und manchmal auch andere. Ich persönlich kenne aus eigenem Erleben auch "nur" Schwitzen, Unruhe, extremen Tremor, Unkonzentriertheit, Erbrechen, Trockenkotzen, Gleichgewichtsstörungen ... mehr fällt mir momentan nicht ein. Aber ich bin auch saufroh, nicht noch andere "Nettigkeiten" wie Krampfanfälle o.ä. erlebt zu haben.

    Ähnlich ist es mit den Suchttypen: das sind keine starren Dogmen, sondern nur grobe theoretische Einteilungen, deren Grenzen in der Realität fließend sind, die ineinander greifen, nicht so eindeutig wie auf dem Papier sind. Und wenn Deine Leberwerte und der Blutdruck (noch) okay sind - sei froh! Auch das sind nur Anhaltspunkte.
    Im Übrigen sind meine Leberwerte momentan Scheiße - und ich trinke nun schon seit Jahren definitiv nichts mehr. Hat also nicht viel zu sagen.

    Ich finde diese Krankheitskategorien/Bezeichnungen manchmal schlimm und so entgültig. Da regt sich der Widerstand.


    Ja, es KLINGT endgültig und schlimm - ist aber nicht in Stein gemeisselt. Wenn es bei Dir nicht so schlimm und/oder anders ist, dann sei froh - es könnte auch viiiieeel schlimmer sein.

    Und natürlich kannst Du den Entzug auch ohne Arzt schaffen - ist nur echt nicht empfehlenswert. Hauptsache Du sorgst dafür, immer reichlich Wasser und Tee zu trinken zu haben.

    Ob Du süchtig bist oder (noch) nicht - ist das für Dich wichtig??
    Du hast für Dich gemerkt, dass Dir selbst Dein Trinkverhalten nicht gefällt, dass es Dich stört, dass Du Schwierigkeiten hast, sie abzustellen/zu ändern, dass es Dir nicht gut geht damit. Was interessiert Dich dann, ob andere sagen, Du seist süchtig/nicht süchtig?
    Bleib bei Dir und tu DIR was Gutes. Und wenn es Dir gut und richtig erscheint, mit dem Trinken aufzuhören - dann tu es! Und da es verdammt schwer werden wird/werden könnte, nimm jede Hilfe in Anspruch, die Du kriegen kannst!

    Und wenn Dir die Suchtberatung nicht das Gelbe vom Ei war - dann such Dir anderswo Hilfe. Eine reale SHG zum Beispiel.

    ... auch, wenn ihr keine Antworten wisst, finde ich es toll, etwas von mir geschrieben zu haben, was sonst keiner in der Form von mir weiß. Vielen Dank fürs "Zuhören".


    Auch dort wird Dir zugehört, von Menschen, die genau wissen, wovon Du sprichst, weil sie es selbst erlebt haben. Und Du kriegst sofort Antworten, Antwortmöglichkeiten, Lösungsansätze ...

    Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Kraft und Erfolg bei Deinem Suchtausstieg - und uns allen einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Licht,

    zu Deiner ersten Frage: Wir alle sind hier nur Laien und keine (Fach)Ärzte.
    Die Symptome, die Du bei Dir beobachtest, können durchaus auch psychotisch sein, wenn der Entzug bereits einsetzt. Damit ist nicht zu spassen.
    Ich kann Dir nur den Gang zum Arzt empfehlen, weil daran selbst „herumdoktern“ kann böse ins Auge gehen.

    Zur nächsten Frage: Einerseits ist es richtig, dass man sagen kann, der körperliche Entzug (die Akutentgiftung!) wäre nach ca. 3 – 5 Tagen abgeschlossen.
    Aber das ist nur die Akutentgiftung!
    Tatsächlich ist ja die gesamte Gehirnchemie noch voll auf den Suchtstoff eingestellt. Die Dopaminausschüttung kann sich in so kurzer Zeit gar nicht normalisieren.
    Insofern ist Deine Befürchtung begründet, dass Du gerade in dieser Phase wieder zum Suchtstoff greifst, weil Du das Verlangen danach nicht aushältst.
    Eine wirkliche Strategie, außer eben Aushalten, ggf. ablenken und sich mit etwas anderem beschäftigen, gibt es m. E. nicht. In die Kneipe gehen, in der Du bislang immer Alkohol konsumiert hast, ist jetzt eher eine weniger gute Idee.

    Die dritte Frage: Da war ich jetzt selbst erstaunt! Wo werden denn „Suchttypen“ nach Blutdruck und Leberwerte unterschieden??
    Greenfox schrieb Dir schon: Symptome, wie eben erhöhter Blutdruck oder schlechte Leberwerte können sein, müssen aber nicht.
    Nach ICD-F10 kannst Du die fachlich zugrunde liegenden Kriterien für das Vorliegen einer Suchterkrankung für Dich durchlesen. Immerhin schon mal ein Anhaltspunkt, wo Du wahrscheinlich stehst.
    Ansonsten, was z. B. Jelinek mit seiner Trinkertypologie einst festlegte, ist heute eine grobe Einschätzung, „was für ein Trinktyp“ man sein kann. Aber dann auch wieder sehr individuell und u. U. mit fließenden Übergängen.

    Ich finde nicht, dass es eine „dumme Frage“ ist, wenn Du fragst, ob Du überhaupt (schon) süchtig bist.
    Letztlich ist richtig Erkenntnis darüber entscheidend, wie es mit Deinem Alkoholkonsum überhaupt weitergehen kann – oder eben gar nicht mehr weitergeht.
    Nicht jeder, der in seinem Leben ein massives Alkoholproblem feststellt, muss deswegen bereits Kontrollverlust haben, also die Unfähigkeit mit dem Trinken von Alkohol aufhören zu können, und nicht jeder, der durchaus moderate Mengen konsumiert, muss deswegen kein Suchtproblem – zumindest langfristig – haben.

    Da ich, zumindest hier in meiner Gegend, die Suchtberatungen kenne, nehme ich sehr stark an, dass genau diese „zweifelnde“ Einstellung Deinerseits bei der Beratung dazu geführt hat, dass Dir vorgeschlagen wurde, es mit dem Kontrollierten Trinken zu versuchen.
    Es ist ja nicht so, dass Betroffene zur SB gehen, und es die Aufgabe der SB ist, sie dazu zu „überreden“, dass sie sich selbst als süchtig wahrnehmen.
    Es ist vielmehr so, dass die SB für – Hilfesuchende – da ist, die selbst erkannt haben, dass sie bzgl. ihres Alkoholkonsums alleine nicht mehr weiter wissen.
    Dazu kommt: Wenn Betroffene ihre Sucht zum Stillstand bringen wollen, also aktiv etwas dagegen unternehmen wollen, dann sind ganz gravierende Maßnahmen notwendig. Zu denen die Betroffenen dann auch bereit sein müssen.
    Verständlich, dass dann jemand, der „keine Zeit hat zum Arzt zu gehen“, erstmal sehen möchte, ob sich das Problem „irgendwie“ von alleine auflöst, usw. nicht allzu ernst genommen wird, oder?

  • Lieber Greenfox und Dietmar,

    vielen, vielen Dank für das Willkommenheißen und Eure hilfreichen Antworten.
    In der Tat waren die letzen Tage kein Zuckerschlecken und es ist wirklich wichtig darauf hinzuweisen, dass man ärztliche Hilfe suchen bzw. überhaupt den Arzt informieren sollte. Da ich diesen Entzug bereits seit Jahren mehrfach die Woche durchgemacht habe (was für eine Hölle?!), war ich vielleicht etwas sehr selbstsicher, aber auch einfach fest entschlossen. In der Tat war die Entgiftung stärker als je zuvor und dauert noch an. Das Gröbste ist nun allerdings geschafft. Und die Veränderungen sind bereits jetzt schon toll. Es ist, als ob eine schwere Bürde genommen wurde. Der Körper fühlt sich viel leichter an und auch die Gedanken fließen wieder...Plötzlich gibt es wieder so etwas wie einen Horizont...

    Zitat

    Tatsächlich ist ja die gesamte Gehirnchemie noch voll auf den Suchtstoff eingestellt. Die Dopaminausschüttung kann sich in so kurzer Zeit gar nicht normalisieren.


    Danke für den Hinweis, lieber Dietmar: Weißt du, das ist sehr hilfreich. Ich werde nach wie vor sehr achtsam sein. Das ist sowieso das Thema für die nächste Zeit, um nicht rückfällig zu werden.

    Zwei Freunde habe ich bereits informiert. Sie haben sehr gut reagiert. Die dritte hat sich noch nicht zurückgemeldet...Sie steckt aber selbst in einer anders gelagerten Sucht. Vielleicht deshalb. Mit meiner Nachbarin, die einen klinischen Entzug gemacht hat und nun zur SHG geht, werde ich ebenfalls sprechen. Hilfe suchen - das fällt mir schwer - aber, ich werde es tun.

    zur Suchtberatung:

    Zitat

    Da ich, zumindest hier in meiner Gegend, die Suchtberatungen kenne, nehme ich sehr stark an, dass genau diese „zweifelnde“ Einstellung Deinerseits bei der Beratung dazu geführt hat, dass Dir vorgeschlagen wurde, es mit dem Kontrollierten Trinken zu versuchen.

    Ja, das stimmt irgendwie. Ich nehme mich selbst nicht so ernst und vor allem Krankheiten nicht. Das muss ich leider immer noch lernen. Hinzu kommt: Man sieht es mir äußerlich oft nicht an. Es war ein konkreter Hilfeschrei und dieser Schritt, vor einem Jahr überhaut zur SB zu gehen, viel mir sehr schwer. Aber wenn ich lächelnd sagt, "ich brauche Hilfe" und nicht total am Boden bin (so wie ich mich eigentlich fühle), werde ich z.B. auch bei Ärzten schnell abgespeist. Das nimmt mir dann die Motivation und dann denke ich - genau wie du schreibst - "das wird sich schon von alleine erledigen....Weiter geht's",....bis der Punkt kommt und gekommen ist, wo es nur noch ein schmaler Grad ist vor dem Abgrund.

    Zitat

    Ob Du süchtig bist oder (noch) nicht - ist das für Dich wichtig??
    Du hast für Dich gemerkt, dass Dir selbst Dein Trinkverhalten nicht gefällt, dass es Dich stört, dass Du Schwierigkeiten hast, sie abzustellen/zu ändern, dass es Dir nicht gut geht damit. Was interessiert Dich dann, ob andere sagen, Du seist süchtig/nicht süchtig?
    Bleib bei Dir und tu DIR was Gutes. Und wenn es Dir gut und richtig erscheint, mit dem Trinken aufzuhören - dann tu es! Und da es verdammt schwer werden wird/werden könnte, nimm jede Hilfe in Anspruch, die Du kriegen kannst!

    Danke Greenfox. Du hast Recht. Wichtig ist allein, dass ich selbst das Problem erkannt habe, daher Ja: ich bin süchtig, Kategorien hin oder her.

    Wenn ihr antworten mögt, würde ich gerne wissen, wie ist es bei Euch weiter gelaufen? Was waren die Hürden in der trockenen Zeit?
    Meine ist grade, ich spüre sie heute zum ersten Mal, dass ich mehr Zeit habe als zuvor. Aber ich bleibe erstmal gelassen und versuche trotzdem jetzt am Wochenende etwas Struktur reinzubringen, an der ich mich entlang hangeln kann...

    Lieben Dank für den Austausch!

    Ahoi

    Licht

  • Hallo, Licht!

    Tja, wie ist es bei mir gelaufen? Am Besten wäre es, Du schaust mal hier in meine Vorstellung rein. Die ist ziemlich umfangreich, aber da steht alles drin - meine Höhen und Tiefen und meine Strategien etc. Und hier habe ich mal meine Gedanken niedergeschrieben, warum ich SHG für wichtig und sinnvoll halte.

    Mittlerweile habe ich in wenigen Wochen mein 10jähriges "Jubiläum". Und ich hoffe, es kommen noch viele hinzu. Auch wenn es mir anfangs nicht gerade leicht viel - mittlerweile ist es für mich normal. Alkohol gehört nicht mehr zu meinem Leben.
    Was nicht heisst, das ich es auf die leichte Schulter nehme. Alleine schon, dass ich mich hier im Forum rumtreibe, regelmäßig meine SHG besuche und diese bis vor Kurzem geleitet habe, mich in der Selbsthilfe engagiere und auch in Entgiftungsstationen meinen Selbsthilfeverein vorstelle, viele Gespräche führe - all das hilft mir, nie zu vergessen, dass ich mit Alkohol nicht umgehen kann (habe ich ja auch schon mit katastrophalen Ergebnissen ausprobiert).

    Da ich diesen Entzug bereits seit Jahren mehrfach die Woche durchgemacht habe (was für eine Hölle?!)

    Was für einen "Entzug" kann man denn bitteschön "mehrfach die Woche" durchmachen?? nixweiss0 Du hast wahrscheinlich immer wieder mal versucht, für ein/zwei Tage nichts zu trinken - aber dass war dann kein Entzug, sondern einfach nur Entzugserscheinungen ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

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    können wir nur selber tun!

  • Zitat

    Du hast wahrscheinlich immer wieder mal versucht, für ein/zwei Tage nichts zu trinken - aber dass war dann kein Entzug, sondern einfach nur Entzugserscheinungen ...


    Ja genau, - sorry, für die begrifflichen Ungenauigkeiten... :). Ich habe das Vokabular (noch) nicht drauf...

    Ich bin schon gespannt auf das Lesen Deiner Geschichte.

    Ahoi

  • Hallo Licht!

    Auch von mir ein herzliches Willkommen!

    Es freut mich, dass es Dir jetzt ohne Alkohol besser geht. Das wird sich noch festigen mit den Wochen/Monaten/Jahren.

    Ich stehe leider auch wieder am Anfang, aber ich gebe nicht auf. Meine längste Pause war 3 Jahre und oft mehrere Monate, aber leider bis jetzt noch nicht dauerhaft.

    Wie sieht Dein Wochenende aus? Was bereitet Dir die größten Schwierigkeiten?

    LG
    Caroline

  • Hallo Caroline,

    ich grüß Dich und danke für das Willkommen!

    Es tut mir Leid, dass Du rückfällig geworden bist. Vielleicht kannst Du ausmachen, woran es lag? Welcher Moment/Situation Dich getriggert hat?
    Das ist ja auch das, wo ich versuche sehr achtsam zu sein. Trotzdem glaube ich grob, dass es sich oft um Gefühle der Leere oder Überforderung handeln, die dann auf äußere Situationen treffen (grade jetzt im Frühling: Leute im Biergarten, etc.). Ich weiß nicht, vielleicht ist es bei Dir anders...?
    Das Wochenende verlief bisher richtig gut. Ich wundere mich selbst: Kein Verlangen nach Bier, da ich selbst so voller Freude über den selbstgewählten Neuanfang und dem Nachlassen der körperlichen Beschwerden war. Ich spüre nur positive Veränderungen. Gestern war ich aus und traf Freunde. Unsere Gespräche waren sehr intensiv und sprühten vor Lachtiraden, ich glaube, grade weil wir (ich) nüchtern waren. Es gibt keinen Grund, in die Sklaverei zurückzukehren....

    Liebe Grüße

    Licht

  • P.S. es gibt keine größeren Schwierigkeiten, nur Irritationen:

    1. Ich vertrage kaum noch Kaffee (mein Maß ist um mehr als das Doppelte geschrumpft)
    2. Zigaretten schmecken scheußlich. Das wundert mich wirklich. Trotzdem rauche ich natürlich, um nicht alles sofort umzukrempeln (da wittere ich Gefahr).
    3. Ich habe mehr Geld in der Tasche. So ein Scheiß;)
    4. Ich habe mehr Zeit und kann sie nutzen, um Sonntagsmorgens hier im Forum zu schreiben.
    5. Ich rase mit dem Fahrrad, gehe schnell zu Fuß, nehme zwei Treppenstufen auf einmal
    6. Ich wache auf und stelle fest, ich habe durchgeschlafen
    7. Ich habe morgens wieder Hunger
    8. Ich denke an die Vergangenheit, sie macht mich nicht fertig, sondern sie ist "vergangen". Dann denke ich an die Zukunft. Aber die ist ja noch nicht. Also tja. Was bleibt ist wohl jetzt grade....

    Trotz all dieser Veränderungen bin ich noch nicht in Sicherheit. Also: keine Hybris, keine Selbstüberschätzung, kein Perfektionswunsch


    Na ja. Alles voll schräg und neu.

  • Na ja. Alles voll schräg und neu.

    Hallo!

    Das nenne ich Lebensqualität.

    Weiterhin viel Erfolg beim Wiederentdecken deiner Stärken und positiven Gefühle. Und dabei die lauernden Gefahren nicht vergessen. Das Suchtgedächtnis kann einen schon mal "piesacken".

    Gruß
    Rekonvaleszent

  • Ich stimme Rekonvaleszent zu: Das ist doch eine neue Lebensqualität!

    Nur eins irritiert MICH:

    Ich vertrage kaum noch Kaffee (mein Maß ist um mehr als das Doppelte geschrumpft)

    Was MICH betrifft - und diese Beobachtungen habe nicht nur ich gemacht -, ist mein Kaffee-Konsum (und der meiner Mitpatienten) mit der Entgiftung und danach exorbitant gestiegen. Der hat sich erst nach 2-3 Jahren wieder gelegt.
    Naja - ist halt jeder Mensch anders.

    Ich wünsche Dir noch einen schönen :sun: Sonntag!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!

  • Hallo Licht!

    Wie war Dein Restwochenende noch?

    Ich habe meine Trigger schon ganz gut "eingekreist". Das damit umgehen fällt mir aber manchmal schwer. Besonders wenn der Alkohol plötzlich in meinem Leben auftaucht, fällt es mir schwer damit umzugehen.

    Kaffee trinke ich eher mehr als weniger. Ich muss nur aufpassen, das es nicht zuviel wird, sonst kriege ich Kreislaufprobleme.

    Du klingst sehr gut und ich freue mich für Dich, das Du so viele Vorteile im Nüchternsein erkennst. Am Anfang bin ich oft euphorisch und genieße die Zeit zwar, aber bin auch vorsichtig, weil es leichtsinnig machen kann.

    Hab einen guten Start in die Woche!

    LG
    Caroline

  • Hallo ihr Lieben,

    das ist ja interessant mit dem Kaffee. Es wird bei mir immer weniger...werde davon voll nervös. Vielleicht habe ich das vorher nicht so gemerkt, da ich mich ja dauerkrank gefühlt habe (immer diese Müdigkeit). Was das angeht fühle ich mich wirklich viel fitter. Gestern Nacht (der 6. Tag) noch einmal aufgewacht, tierisch verschwitzt, aber dann auch wieder eingeschlafen.

    Das Wochenende war wirklich schön. Ich merkte zwar, dass ich einiges für mich klären muss, aber trotz allem kein Verlangen. Ich war sogar kurz in meiner Stammkneipe und trank Tee.
    Gestern und heute waren allerdings sehr volle, lange Tage mit viel Arbeit. Jetzt kommt, glaube ich, die eigentliche Herausforderung. Heute traf ich nach dem ersten Arbeitspart einen Freund, den ich doch sehr mit Bier verbinde. Er trank nichts und auch ich blieb bei Limo. Schwierig: Danach musste ich bis jetzt weiterarbeiten. Das hat mich schon gestresst und Stress = meine persönliche Gefahr. Nun habe ich eineinhalb alkoholfreie Biere getrunken, die noch im Kühlschrank waren. Ich weiß nicht, ob das gut für mich ist oder nicht. Das werde ich jetzt herausfinden. Ich hoffe, Becks alkoholfrei ist auch tatsächlich alkoholfrei. Und ich hoffe, dass der Geschmack mich nicht anfixt, aber ehrlich gesagt: Mein Entschluss ist sehr fest. Nach wie vor. Daher gehe ich jetzt mal freundlich ins Bett.

    Gute Nacht und vielen,vielen Dank für Eure Wünsche und Eure Kommentare.
    Liebe Caroline: Ich hoffe, ich bin jetzt nicht leichtsinnig;) Alles Gute auch für Dich in den kommenden Tage. Ich drücke die Daumen....

    Licht

  • Hallo, Licht!

    Dafür, dass Du erst/schon eine Woche auf dem Weg ohne Alkohol bist, spielst Du für meine Begriffe ziemlich mit dem Feuer:


    Ich war sogar kurz in meiner Stammkneipe und trank Tee.
    ...
    Nun habe ich eineinhalb alkoholfreie Biere getrunken, die noch im Kühlschrank waren. Ich weiß nicht, ob das gut für mich ist oder nicht. Das werde ich jetzt herausfinden. Ich hoffe, Becks alkoholfrei ist auch tatsächlich alkoholfrei. Und ich hoffe, dass der Geschmack mich nicht anfixt

    Mit dem alkoholfreien Bier hoffe ich ebenfalls wie Du, dass Du nicht über den Geschmack getriggert wirst (unabhängig davon, dass das "alkoholfreie" Bier eigentlich nur "alkoholarm" ist) - bei mir jedenfalls war dies der Fall. Es schmeckt ja mittlerweile tatsächlich wie Bier (kein Vergleich mehr zu früher) - aber es fehlt eben etwas. Die Wirkung. Also habe ich mir dann damals gesagt, ich lasse es einfach weg.
    Genauso der Kneipenbesuch - wozu?? Was will ich in einer Kneipe, die ich immer mit Bier und "Kompott" verbunden habe?? Schauen, ob ich nach 6 TAGEN schon so stabil bin ...??
    Abgesehen davon, dass ich das früher auch gekonnt hätte - in der Kneipe nur alkoholfrei zu trinken. Aber zu Hause hätte es mich dann arg getriggert.

    Ich bin der Meinung, solche "Tests" sollte man - wenn überhaupt - erst machen, wenn man stabil ist.
    Aber das musst Du für Dich entscheiden. Ich halte es jedenfalls für unnötig und gefährlich.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Licht,

    Du gehst Deinen neuen, abstinenten Lebensweg rasant und voller Elan an. 44.
    Wobei bislang gar nicht zur Diskussion stand, ob Du nur mal eine Pause machen, oder wirklich dauerhaft abstinent bleiben möchtest. Oder habe ich da etwas überlesen?

    Also jedenfalls, ich erinnere mich trotz des zeitlichen Abstands noch an meine Suchtausstiege. Ich wollte oft viel zu viel auf einmal. Fast so, als wollte ich die vertane Zeit wieder aufholen.
    Dabei habe ich dann übersehen, dass ich mich selbst überforderte. Und mich auch Gefahren auslieferte, die überhaupt nicht notwendige gewesen wären. Das hat mich dann zu Fall gebracht.

    Aber so funktioniert die Sucht, genauso wie der Weg in eine stabile, dauerhafte Abstinenz: Man muss es selbst ausprobieren. Man muss seine eigenen Erfahrungen sammeln, damit sie nachhaltig im Gedächtnis bleiben und wirklich wirken.
    Du kennst schon ein paar „Trigger“, die bei Dir immer wieder Suchtdruck verursachen: Stress bei der Arbeit, Kontakte zu Freunden, die gern und oft Alkohol konsumieren, Biergarten bei schönem Wetter, Stammkneipe …

    Dass Du diese Trigger kennst und wahrnimmst, ist schon mal gut!
    Und an dem Punkt stellt sich dann eben heraus, wie wichtig Dir Deine Abstinenz ist – oder eben nicht.
    Ich vergleiche das mal einer Phase in meinem Leben, in der ich eine hohe Infektanfälligkeit hatte, weil mein Immunsystem geschwächt war. Da war mir meine Genesung und meine Gesundheit so wichtig, dass ich alle Risikosituationen (Zugluft, leichte Kleidung bei nass-kaltem Wetter, rausgehen mit noch nassen Haaren, usw.) vermieden habe. Ich wusste ja, was passiert, wenn mich dieser Gefahr aussetzen würde, und das wollte ich unter keinen Umständen.
    „Ach komm, hab dich nichts so“, sagten manche zu mir, „die bisschen Kälte macht einem doch nichts aus.“
    „Doch“, antwortete ich ihnen, „euch vielleicht nicht – aber mir umso mehr!“

    Ich kenne ein paar langjährig trockene Alkoholiker, die immer mal wieder das (tatsächlich völlig) alkoholfreie Bier (z. B. Bitburger) konsumieren, und trotzdem trocken bleiben.
    Bei mir haben diese Versuche, an mein damaliges Lieblingsgetränk zumindest vom Geschmackserlebnis wieder anzuknüpfen, nie funktioniert. Und aus meinem Miterleben, weiß ich, dass es bei sehr vielen trockenen Alkoholikern auch nicht geklappt hat.
    Für mich war es extrem anstrengend, durch diesen Geschmack getriggert zu werden, und ihm widerstehen zu müssen.
    Ich war ja längst „Wirkungstrinker“. D. h., ich konsumierte Alkohol schon lange nicht mehr wegen des Geschmacks, der im Verlauf meiner Suchtkarriere eher zweitrangig geworden war.

    Und entsprechend reagierten wohl meine Synapsen auf das Geschmackserlebnis mit dem alkoholfreien Bier – und erwarteten die Belohnungswirkung. Das war extrem anstrengend. Meist gab ich dann dem Druck irgendwann nach und trank "normales" alkoholhaltiges Bier.
    "Nur eins", sagte ich mir, "das wird dir schon nicht schaden ...."
    Logisch: Dadurch wurde der Suchtdruck dann noch um ein Vielfaches stärker - und binnen Kurzem brach mein Widerstand ein, und ich war wieder dort, wo ich mit dem Alkohol aufgehört hatte.

    An diesem Punkt kann ich nur mal wieder schreiben: Es reicht nicht, nur „den Stoff wegzulassen“, um dauerhaft und stabil abstinent bleiben zu können, wenn man suchtkrank ist.
    Man muss sich auch um Alternativhandlungen kümmern, die den Stoff und die daraus resultierende Gefühle ersetzen.
    Das ist natürlich bei Weitem anstrengender, als das zu tun, was überall und zu jeder Zeit verfügbar ist. Aber definitiv nachhaltiger und lohnender!

  • Hallo Licht,

    ein etwas verspätetes herzliches Willkommen hier im Forum von mir. War die letzten Tag hier nicht aktiv weil mich eine kleine Magen/Darm Infektion geärgert hat.
    Ich bin Ende 40 und Alkoholiker. Und ich lebe seit mehreren Jahren ohne Alkohol.

    Ich habe Deine Vorstellung sehr interessiert gelesen. Und natürlich auch die Antworten von greenfox und Dietmar, die ich wie immer für sehr wertvoll halte.

    Zentrale Aussage ist für mich folgendes:


    An diesem Punkt kann ich nur mal wieder schreiben: Es reicht nicht, nur „den Stoff wegzulassen“, um dauerhaft und stabil abstinent bleiben zu können, wenn man suchtkrank ist.
    Man muss sich auch um Alternativhandlungen kümmern, die den Stoff und die daraus resultierende Gefühle ersetzen.
    Das ist natürlich bei Weitem anstrengender, als das zu tun, was überall und zu jeder Zeit verfügbar ist. Aber definitiv nachhaltiger und lohnender!

    Damit bringt es Dietmar genau auf den Punkt. Einfach nur nix mehr zu trinken funktioniert auf Dauer nicht. Du stehst ja noch ganz am Anfang - da ist es absolut legitim und auch ganz normal, dass man noch kämpfen muss. Da gibt es immer Situationen, wo man seine Trockenheit mit allen Tricks, mit allen Kniffen verteidigen muss. Da kann man auch noch an einem Punkt sein, wo man erst mal von Stunde zu Stunde denkt oder von Tag zu Tag. Das ist völlig in Ordnung, es ist nur wichtig, dass man den Kampf annimmt und gewinnt.

    Mittel- und Langfristig halte ich das allerdings für nicht möglich. Ich meine, man kann viele Schlachten gewinnen, sehr viele. Aber leider reicht es bei unserer Krankheit vollkommen aus, nur eine einzige zu verlieren... Und schon geht's wieder von vorne los. Im Moment trinkst Du seit 6 oder 7 Tagen nichts mehr. Das ist erst mal super und Du wirst, wenn es Dir ähnlich ergeht wie mir damals, bereits jetzt viele meist positive Veränderungen wahr nehmen.

    Nutze diese positiven Effekte für Deine Motivation. Beginne aber irgendwann auch Dir über eine langfristige Strategie Gedanken zu machen. Warum?

    Ich erzähle mal von mir:

    Ich hatte in meiner Trinkerkarriere mehrere längere Trinkpausen. Anfangs hatte ich diese tatsächlich als Pausen "angelegt", d. h. ich nahm mir vor, jetzt mal ein paar Wochen nichts mehr zu trinken. Ich hatte nicht das Ziel nie mehr zu trinken. Ich war auch zu diesem Zeitpunkt schon ein abhängiger Alkoholiker, auch wenn ich damals noch auf sehr niedrigem Niveau trank. Ich war mir dessen aber nicht bewusst. Also, Pause einlegen. War kein größeres Problem, auch wenn es schon ein wenig unangenehm war, weil ich "mein Bier" ja schon ziemlich vermisste. Irgendwann, nach ein paar Wochen (ich pausierte auch mal mehrere Monate) trank ich dann wieder. Ich hatte ja nicht da Ziel nie mehr zu trinken. Eigentlich hatte ich gar kein Ziel, mir war nur als würde ich ein wenig zu viel und zu regelmäßig trinken und da war dann so eine Angst ich könnte mal ein Problem bekommen. Und ja, da war dann noch meine Frau, die das auch meinte und des lieben Friedens Willen habe ich dann halt mal bewiesen, dass ich kein Problem habe.... Nun, heute weiß ich, dass das vollkommen falsch war. Damals, so glaube ich, konnte ich das noch gar nicht wissen. Ich hatte mich ja überhaupt nicht damit beschäftig, ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen mich intensiver mit Alkoholsucht etc. zu beschäftigen. Ich habe mir nur ganz oberflächliche Informationen geholt und immer wieder festegestellt, dass dieses oder jenes gar nicht auf mich zutrifft.

    Gut, also - irgendwann kam dann "Phase 2". Mein Konsum war schon deutlich erhöht und ich war schon umgestiegen auf heimliches Trinken. Ich konnte nicht mehr davon sprechen auf niedrigem Niveau zu trinken und ich musste mich schon anstrengen mir einzureden, dass ich nicht süchtig bin. In diese Zeit fielen ebenfalls mehrere Trinkpausen. Diese waren aber nie als Trinkpausen von mir "angelegt". Hier war es immer so, dass ich mir vorgenommen hatte nichts mehr zu trinken - also erst mal einfach nichts mehr zu trinken. Auf unbestimmte Zeit sozusagen und mit open End... Tja, diese open End.... War nicht so ganz endgültig, war nicht so ganz klar, was das eigentlich bedeutete. Aber ist jetzt mal egal. Diese Trinkpausen jedenfalls, sie fielen mir schon etwas schwerer, besonders am Anfang. Ich hatte noch keine körperlichen Entzugserscheinungen aber ein erheblich psychisches Verlangen. Trotzdem hielt ich noch wochenlang durch. Hatte aber keinen Plan, kein Ziel, keinen Auftrag. Ich trank halt einfach nichts... Spürte die positiven Nebeneffekte durchaus, machte mir aber weiter keine Gedanken außer vielleicht die, dass ich mir immer wieder dachte: Na siehste, Du hast kein Problem, Du kannst gar keins haben. Heute weiß ich, wenn man das denkt, hat man bereits ein Problem!

    In "Phase 3" waren dann nur noch ganz kurze Trinkpausen möglich, ein paar Tage dauerten die dann vielleicht. Ich versuchte da dann auch krampfhaft einfach nur weniger zu trinken. Auch das ging dann mal eine Zeit lang gut, aber immer nicht allzu lange. Da war ich dann schon richtig drin, im Suchtsumpf.

    "Phase 4" (ich teile hier willkürlich meine Trinkerkarriere in fiktive Phasen ein ;D ) ließ gar keine Pausen mehr zu. Und ehrlich gesagt sah ich darin auch keinen Sinn mehr. Ich wusste dass ich akuter Alkoholiker war, körperlich und vor allem psychisch völlig am Ende und welchen Sinn sollten denn dann da noch irgendwelche Pausen haben. Ich wollte überhaupt nicht mehr pausieren oder reduzieren. Ich wusste eigentlich gar nicht mehr was ich wollte und war nur noch fertig. Und konnte mein Dasein nur noch trinkend ertragen, immer die vage Hoffnung im Hinterkopf es könnte irgendwie mal ein Wunder passiern was mein Leben dann komplett ändern würde.

    Dann kam das Wunder. Frage mich nicht woher oder warum. Aber es kam der Tag X wo ich wusste ich will nie mehr trinken. Ich kam nachmittags von der Arbeit nach Hause und hatte zu diesen Zeitpunkt, ich glaube, "nur" 4 Bier intus - was relativ wenig war. Unmittelbar nachdem ich daheim angekommen war, wollte meine Frau einige Dinge mit mir klären. Ich hätte wieder mal mit sehr viel Aufwand und höchstem schauspielerischen Talent, kombiniert mit der Erfahrung eines großen Lügners glaubwürdige Geschichten erfinden müssen. Dann wäre ich sicher mal wieder heil aus dieser Nummer heraus gekommen, wie so oft vorher auch. Aber ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Also outete ich mich als Alkoholiker. Ich war Heimlichtrinker, sie wusste davon nichts, wenngleich sie natürlich schon wusste, dass unsere Ehe im Eimer war und all ihre Mühe immer wieder im Sande verlief. Nur warum, das wusste sie tatäschlich nicht.

    Also ich outete mich. Damit brach meine bisher bekannte Welt zusammen. Komplett und für immer. Ich wusste das. 4 Bier waren auch nicht genug um diese Tatsache zu verdrängen. Ich wusste, wenn ich jetzt die Hosen runter lasse, dann wird nichts mehr so sein wie es mal war. Ich wollte es trotzdem und ich sollte Recht behalten. Und ich hatte nun ein Ziel: Nie mehr dort hin zu kommen wo ich gerade war - wieder ein Mensch zu werden und wieder die Kontrolle über mein eigenes Leben zu erlangen. Und ich wollte schon zu diesem Zeitpunkt NIE mehr trinken. Ich war aber nicht so überheblich zu glauben, dass mir dies einfach gelingen wird. Aber ich WOLLTE es auf jeden Fall.

    Also, da ich es ungedingt wollte war ich selbstverständlich bereit auch jede Hilfe anzunehmen. Schon am nächsten Abend saß ich in einer SHG. Ich machte Termine beim Psyschologen, beim Arzt, Beratung usw. Einiges ging recht schnell, bei anderen gabs erhebliche Wartezeiten (z. B. Psychologe). Aber egal, ich wollte nur etwas TUN!

    Und natürlich trank ich nicht mehr. Anfangs gar nicht so einfach, denn nebenher zerbrach meine Ehe, ich zog aus (alles innerhalb von ein paar Tagen /Wochen), hatte meine Kinder nicht mehr um mich usw, usf. Das wären "schöne" Gründe gewesen weiter zu saufen. Aber ich wollte nicht mehr. Ich hatte mein Ziel. Und so begann ich Hilfe anzunehmen und ich begann mir Gedanken um mein Leben zu machen. Wer bin ich eigentlich und wer möchte ich gerne sein? Wie konnte es passieren das ich da hingekommen bin wo ich aktuell war? Was ist eigentlich der Sinn meines Lebens bzw. welchen Sinn will ich meinem Leben eigentlich geben usw. Das war ein monatelanger, eigentlich sogar ein bis heute andauernder Prozess.

    Gedanken z. B. darüber, ob ich alkoholfreies Bier trinken "darf" oder nicht habe ich mir gar nicht gemacht. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen irgendwas zu trinken wo der Name Bier drin vorkommt. Ich wollte mit dem ganzen Mistzeugs nichts mehr zu tun haben. Und ich war ja damit beschäftigt mein Leben komplett neu zu ordnen. Über solche Dinge habe ich mir tatächlich keine Gedanken gemacht. Das kam sehr viel später. Ich trinke auch heute kein alkoholfreies Bier, denn ich sehe den Sinn darin für mich nicht. Ich trank Bier immer wegen der Wirkung, nie wegen des Geschmacks.

    Ich bin aber kein Hardliner und ich kenne auch Alkoholiker, die viele Jahre trocken sind und alkoholfreies Bier trinken. Für mich ist das aber keine Frage, mit der man sich in den ersten Wochen oder Monaten seiner Trockenheit außeinander setzen muss. Da sind doch erst mal ein Haufen wichtigere Dinge zu tun, denke ich mir. Aber jeder wie er meint.

    Ich wünsche Dir auf jeden Fall, dass Du Deinen Weg findest und alle Deine Ziele gut erreichen kannst.

    LG

  • Liebe Leute,
    ein kurzes Lebenszeichen von mir.
    Heute ist mein zweiwöchiger Geburtstag.

    Es ist toll zu leben.

    Und ihr seid toll.

    Licht

    P.S. Ich befinde mich in einem Arbeitsmarathon (leider), daher kaum Zeit zu schreiben. Aber: hab nichts vergessen...

  • 44.

    Aber mit dem Arbeitsmarathon nicht übertreiben - nicht, dass Du dann eine flüssige Kompensation "brauchst"!

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Liebe MitstreiterInnen,

    vielen Dank für Eure Beiträge und Eure Erfahrungen. Sie sind sehr, sehr hilfreich auf dem neuen Weg, der nach wie vor voll neu gewonnener Lebendigkeit steckt.
    Ich sage nur: Keine Scham mehr, kein schlechtes Gewissen, keine Heimlichkeit, kein körperliches Krankheitsgefühl, keine Verzweifelung. Das ist eine wirkliche Entlastung und sie setzt viel Energie frei.

    Es ist manchmal schwierig, Nein zu sagen, obwohl da die leise Stimme ist, sich bitteschön jetzt mal gehen zu lassen, mit dem Rausch zu fliehen, zu entspannen, alles egal sein zu lassen. Doch das Geschenk eines Neins am nächsten Morgen ist sehr groß. Die Verführung legt sich auch immer mit dem ersten NEIN. Darüber denke ich grade viel nach.

    Zitat

    Ich trank Bier immer wegen der Wirkung, nie wegen des Geschmacks.

    (Gerchla)

    Das ist bei mir anders gelagert. Ich kann mich mit alkoholfreien Bier, sogar mit eiskalter, sprudeliger Club Mate übertölpeln. Es geht bei mir doch zumindest in der Woche viel um Stressabbau und nicht so sehr um den Rausch. Oft bin ich einfach nur müde und das Verlangen wird immer weniger, denn der Schlaf, das Loslassen von dem Vielen am Tag und ein Moment der Ruhe ist für mich oft die eigentliche Lösung. Bis vor drei Wochen wusste ich das nicht und ich stand immer unter Strom (da ich mich über das Bier auch sehr aufgepeitscht habe).

    Zitat
    […]

    Ganz kleine, schöne Alternativhandlungen grade: mal auf einer Wiese zu liegen, zu schreiben, einfach nur auf einer Bank zu sitzen und den Leuten zuzuschauen. Und wenn ich mal Freunde treffe oder meine Stammkneipe feierte ihren Geburtstag -

    Zitat

    Was will ich in einer Kneipe, die ich immer mit Bier und "Kompott" verbunden habe?? Schauen, ob ich nach 6 TAGEN schon so stabil bin ...??

    (Greenfox),
    -
    weiche ich den geselligen Runden (die ich sehr liebe und die eine Gegenwelt zur Arbeit darstellen) nicht aus, sondern ich bin dabei, vielleicht kürzer als sonst, aber trinke nichts. Das sind momentan meinen Antworten.

    Aber mal sehen, wie es weitergeht. Fest steht, dass ich eine echtes Bier nicht anfasse, da ich einfach Angst vor einem Rückfall habe und mir diese unnötige Tortour nicht antun möchte. Das ist natürlich auch Euren Erfahrungen geschuldet, die sich wirklich eingebrannt haben und die einfach sehr wichtig sind für mich und bestimmt auch für viele andere. Dieses Rückfallen in die Sucht kenne ich einfach zu gut vom Nikotin...


    Herzlichst
    Licht

  • Hallo Gerchla,

    vielen Dank für Deinen Bericht, dass tat sehr gut ihn zu lesen.

    Liebe Grüße und Dir alles Gute,
    Maya

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