Trinken gegen Unruhe

  • Hallo zusammen,
    ich trinke seit vielen Monaten (eher Jahren) jeden Abend Alkohol. Meistens 1-2 Flaschen Wein, dazu noch 1-2 Flaschen Bier, am WE dann abends oft noch einges mehr - alles aber immer nur abends.
    Ich bin bin beruflich sehr erfolgreich - niemand im berufllichen Bereich käme auf die Idee, dass ich diese Probleme haben könnte - das wiederum finde ich besonders beschämend. Ich habe es vor ein paar Wochen geschafft, länger nichts zu trinken, da ich eine Prüfung hatte - kurz danach habe ich dann gleich viel mehr getrunken.
    Der Grund für mein Trinken: Innere Unruhe und Ängste (trotzdem nehmen mich die meisten besonders beruflich als besonders erfolgreich und selbstsicher wahr), Einsamkeit, kein Kontakt mehr zu meiner Familie (den habe ich abgebrochen vor vielen Jahren, das war wirklich besser so, trotzdem leide ich darunter, vor allem an Weihnachten, wenn ich allein bin).
    Kurz: Nach außen hin sieht alles sehr gut aus, innerlich fühl ich mich oft richtig elend - und denke, ich habe nicht das Recht, mich so zu fühlen - die meisten wären froh, wenn sie auch nur ansatzweise den Erfolg hätten, den ich habe. Leider hab ich auch Kollegen, die offen sagen, dass sie neidisch auf mich sind. Sie wissen aber nicht, welches Bild ich jeden Abend zu Hause abgebe und dass ich eigentlich neidisch auf sie bin, da sie z. B. eine tolle Freundin haben...
    Ich kann leider auch keine Selbsthilfegruppen etc. besuchen, da ich da Menschen treffen könnte, mit denen ich selbst beruflich zu tun habe, Klienten sozusagen....
    LG

  • Hallo und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum!

    Schwieriges Thema, Dir etwas zu raten. Allerdings sollte Dir auf Grund Deines beruflichen Backgrounds klar sein, dass die Leute in den SHG zum Einen dasselbe Problem haben wie Du und zum Anderen auch nur Menschen sind - wie Du. Und Menschen sind nunmal nicht ohne Fehler, Macken und Kanten.
    Und was ist menschlicher, als dass ein Mensch Hilfe sucht/braucht.
    Ich schrieb es mal in einem anderen Thread:

    Irgendwann ist es auch für den Helfer zu viel, nachdem er dem Sohn, der Tochter, dem Freund ... wem auch immer die 378ste Chance gegeben hat. Irgendwann braucht auch der Helfer Hilfe. Und das ist nicht nur bei Polizei, Feuerwehr etc so, sondern auch hier!!

    Denn ich persönlich glaube nicht, dass man sich nur mit Hilfe eines Forums aus dem Sumpf der Sucht ziehen kann a la Baron Münchhausen.

    Nichtsdestotrotz wünsche ich Dir viel Kraft und Erfolg und heiße Dich nochmals Willkommen!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo KeyNote,

    Ich habe es vor ein paar Wochen geschafft, länger nichts zu trinken...


    Dieser Satz macht m.E. das ganze Dilemma deutlich.

    Nicht nur du, sondern früher auch ich -und deshalb schreibe ich jetzt allgemein von "man"- also, man hat das Gefühl, etwas zu leisten, wenn man sich von einem Suchtmittel befreit. Stattdessen gönnt man sich etwas, nämlich Unabhängigkeit und Lebensqualität.

    Bis man diese Unabhängigkeit und Lebensqualität jedoch erreicht hat, geht es darum, ein mehr oder weniger langes Tal der Tränen -den Entzug- zu durchschreiten. Und dazu bedarf es m.E. weniger der Willenskraft als vielmehr einer gehörigen Portion Motivation. Und zwar nicht nur am Anfang, sondern längerfristig.

    Ich wünsche dir, dass du diese Motivation in diesem Forum findest.

    Ich persönlich habe den Absprung auch ohne Selbsthilfegruppe geschafft. Aber ich habe Unmengen von Berichten erfolgreicher Ex-Trinker im Internet gelesen. Durch diese Berichte erhielt ich meine Motivation bzw. steigerte sie sogar.

    Alles Gute und willkommen im Forum
    Bassmann

  • Hallo zusammen,
    danke für eure Antworten. Bassmann, hast du den Absprung auch alleine geschafft, also ohne dass jemand (in deinem Umfeld) von deinem Trinkproblem wusste? Das Komische ist, dass ich sogar recht genau sagen kann, warum ich trinke:
    - Umgang mit unangenehmen Gefühlen
    - Umgang mit Einsamkeit (ich habe viele Freunde, kann mich aber "innerlich" schlecht öffnen und auch schlecht Hilfe annehmen, bin daher trotz viel Gesellschaft innerlich allein)
    - Versagensangst (nach außen hin wirke ich stets erfolgreich und möchte nicht, dass diese Fassade "bröckelt" und Risse bekommt)
    - Bewältigung von Perfektionismus (wenn ich trinke, kann ich mich einen kurzen Moment so annehmen, wie ich bin und habe nicht das Gefühl, noch mehr tun zu müssen, um wertvoll zu sein, die innere Unruhe wird geringer, das Erfolgsstreben etwas abgebaut).
    Gestern Abend hab ich den Film "Wie ein Licht in der Nacht" geschaut und konnte mich total damit identifizieren, auch wenn die Hauptdarstellerin viel älter ist als ich. Möglicherweise gibt es ja noch mehr hier, denen es auch so geht wie mir und die ab und zu Lust auf Austausch haben.
    LG

  • Hallo und willkommen hier!

    Die von dir geschilderten Gründe für den Alkoholkonsum treffen auf eine Vielzahl von Alkoholikern zu. Da befindest Du dich geradezu in bester Gesellschaft.

    Es gibt sicherlich Herrschaften, die sich selbst aus der Sucht mit eisernem Willen nach entsprechend intensiver Befassung mit dem Thema Alkoholismus befreien konnten. Ich gehöre nicht dazu.

    Welchen Rat kann ich dir geben?

    Geh zur Suchtberatung und hol dir externen Sachverstand ins Haus. Nicht jeder, der dort erscheint, wird gleich in eine Therapie gepackt.

    Schau dir Fachliteratur zu diesem Thema an und zwar aus Sicht der Kranken, als auch der Therapeuten. Lies dich gründlich in die Problematik unseres Krankheitsbildes ein.

    Nimm Kontakt mit deinem Arzt auf und mach reinen Tisch.

    Am Anfang ist die Scham groß, jemand zu treffen, den man kennt. Keine Sorge, falls Du ein bekanntes Gesicht triffst, Du begegnest ausschließlich hochqualifizierten Facharbeitern unserer "Zunft".

    Diese Scham hatte ich anfangs auch, die verfliegt mit der Zeit.

    Gutes Gelingen.

    Gruß
    Rekonvaleszent

    Einmal editiert, zuletzt von Rekonvaleszent (11. November 2017 um 16:28)

  • Danke für das Willkommenheißen :)

    Ich lese gerade sehr viel zum Thema - u. a. Erfahrungsberichte.

    Ich bin sogar schon seit über 8 Jahren in Psychotherapie - sie wurde immer wieder verlängert, dann hatte ich mal ein Jahr Pause, dann hab ich sie wieder aufgenommen. Grund ist eine PTBS. Die Psychotherapie hilft mir in vielen Bereichen, bisher habe ich da aber noch nicht das wahre Ausmaß meines Trinkproblems thematisiert. So viel zum Thema "Ich kann mich nicht öffnen" - sogar bei der Therapeutin, die ich Jahre lang kenne, traue ich es mich nicht.

    Im Internet ist es was anderes, wenn ich den Gegenüber nicht sehe - aber so im "realen Leben". Ein mal war ich sogar in einer Suchtberatungsstelle - und die Beraterin war sehr abweisend.

    Ich werde es noch mal wieder alllein versuchen, am besten aber mit Unterstützung durch andere Betroffene.

    Schönen Abend

  • Ich glaub, die Formulierung zeigt gut, wie hin und hergerissen ich mich fühle. Ich will mich öffnen, aber kann nicht - außer online. Ab heute hatte ich mir Abstinenz vorgenommen und habe trotzdem vor ein paar Minuten das dritte Bier geöffnet.

  • Hallo KeyNote,

    wie ich bereits schrieb: Um aus dem Kreislauf der Sucht auszusteigen, bedarf es weniger der Willenskraft als vielmehr der Motivation.
    Worauf freust du dich denn bzw. was versprichst du dir an positiver Veränderung, wenn du nicht mehr trinkst?

    Bislang hast du nur positive Dinge über deinen Alkoholkonsum geschrieben wie z.B., dass er dir dabei hilft, mit negativen Gefühlen umzugehen.
    Wenn du also nicht mehr trinkst, wirst du diese Hilfe (wenn sie denn tatsächlich eine ist) verlieren. M.E. macht das nur Sinn, wenn du auf der anderen Seite etwas gewinnst, was den Verlust zumindest ausgleicht.

    Was ist das bzw. könnte das sein?

    Bassmann

  • Hallo Bassmann,

    dein Ansatz ist gut, mir fallen auf Anhieb einige positive Aspekte der Abstinenz ein: Besserer Selbstwert und sich nicht mehr "schwach und abhängig" fühlen, weniger Übelkeit, möglicherweise auch wieder mehr Kontakt zu alten Freunden, da ich mich da sehr zurückgezogen habe. Auf der anderen Seite steht mein permanentes Grübeln und meine innere Unruhe, die soll manchmal einfach ganz schnell weg. Auch fehlt es mir an intimeren Beziehungen - der Alkohol lässt mich das alles kurze Zeit vergessen. Ich bin oft hin und hergerissen, was den Alkohol angeht.
    Positiv anzumerken ist, dass ich es geschafft habe, nicht mehr zu rauchen (seit über zwei Jahren schon - und ich habe vorher 1-2 Schachteln / Tag geraucht). Jetzt kann ich mir überhaupt gar nicht mehr vorstellen, noch mal so an den Zigaretten zu hängen. Also irgendetwas ist in mir, das Süchte bekämpft - ich habe die Hoffnung, dass ich das langfristig auch mit dem Alkohol so schaffe.
    LG
    Schönen Abend


  • Hallo,

    ich bin neu hier. Habe mich eben auch vorgestellt. Dein Beitrag ist der erste den ich lese, wegen der Überschrift.

    Deine Erfahrung deckt sich sehr stark mit meiner. Ich "Funktioniere" bzw. "Funktionierte" bis November 2017... da entschloss ich "aufzuhören". Bei dir war der Grund eine Prüfung, bei mir mein erster "Gichtanfall (Gichtfuss).

    Ich bin runter von 100% auf 0% ... kurz darauf wollte ich doch mal wieder etwas trinken (die übliche Menge).

    Danach war ich das erste mal so unruhig, dass ich direkt ins Krankenhaus musste/wollte. Auch wegen der Angstzustände.

    Ich kannte das davor nicht ! Sonst war ich immer nur verkatert.

    Im Krankenhaus konnten Sie meine Unruhe mit einer Entgiftung lösen. Sie war beinahe vollständig weg !

    Dann wurde ich wieder Leichtsinnig. Habe nach 4-5 Wochen Abstinenz, wieder zugegriffen... es kam direkt danach wieder zu Unruhe, und zum Teil zu Panik. Ich bin erneut zur Entgiftung. Dort wird man aber nicht wirklich beraten.

    Jetzt am 24. Januar, nach weiteren 4 Wochen Abstinenz, ein erneuter Rückfall. Ich bin jetzt seit 7 Tagen nervös. Bin aber nicht wieder zur Entgiftung. Die ersten 3 Tage ging es mir miserable wie dir, jetzt legt es sich "langsam". Ich spiele aber ständig mit dem gedanken ein drittes mal zur Entgiftung zu gehen. Es ist dann deutlich einfacher als zuhause... die Unruhe verschwindet sofort (bei mir zumindest).

    Man darf danach nur scheinbar nichts mehr trinken. Sonst hat man sofort wieder diese Unruhe.

  • Man darf danach nur scheinbar nichts mehr trinken. Sonst hat man sofort wieder diese Unruhe.

    Wenn es so einfach wäre ...
    Man sollte auch etwas für sich tun. Zum Einen daraus lernen, was passiert, wenn man trinkt (Die Herdplatte ist heiss ...)
    Und sich zum Anderen Strategien zurechtlegen, wie man mit dieser Unruhe (Entzugserscheinungen) umgeht bis sie sich legen, OHNE wieder zu trinken.
    Und da kann z.Bsp. auch eine SHG helfen, wo man sich mit Betroffenen austauschen kann ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Man sollte auch etwas für sich tun.

    Hallo!

    Ich rate neben der Auseinandersetzung mit dem Thema Alkohol dazu, sich mit Dingen/Hobbies aktiv zu beschäftigen, die einen fordern, ablenken und Freude machen.

    Wie wäre es mit einem Sportprogramm/Fitnesstudio? Da kommt man gleich auf andere Gedanken und unter Leute.

    Gruß
    Rekonvaleszent

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