Neu hier und in der Gemeinde...

  • Hallo zusammen,

    ich bin neu hier und verunsichert. Das ist das erste Mal, dass ich mich mit meinen Trinkgewohnheiten ernsthaft auseinander setze – und das öffentlich. Bei vielen Beiträgen hier fällt es mir schwer, sie zu Ende zu lesen. Ich habe das Gefühl, vor einem Spiegel zu stehen. ..

    Ich bin 42 Jahre und rückblickend würde ich sagen, dass ich seit 20 Jahren meinen Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle habe. Die letzten 10 Jahre hatte ich aber ein Level, das konstant war und irgendwie funktioniert hat. 6 Flaschen Bier am Tag – beginnend mit dem ersten Feierabendbier um 18:00 Uhr. Alles gut. Ich und meine Frau sind seit 17 Jahren zusammen, wir haben 3 Kinder und beide gute Jobs. Ein ganz normales bürgerliches Mittelschichtendasein.

    Bei unserem letzten AI Urlaub im Oktober 2016 habe ich dann mit Tabus gebrochen, die mir bis dahin heilig waren. Vormittags am Pool das erste Bierchen. Seit dem geht es bergab. Seit ein paar Monaten starte ich nur noch alkoholisiert in den Tag. Natürlich geht das nicht spurlos an unserem Familien- und meinen Berufsleben vorbei. Bei 6 Flaschen Bier ist es auch nicht geblieben.

    In meinem Umfeld ist das Thema absolutes Tabu. Viele werden etwas ahnen aber niemand spricht mich an. Und auch ich habe bisher nichts unternommen, um mir helfen zu lassen. Gerade bin ich einfach nur froh, mich offenbaren zu können.

    Viele liebe Grüße ans Forum

  • Hallo online75,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum!

    Ich bin Mitte 40, männlich, Alkoholiker und seit ein paar Jahren trocken.

    Als ich Deinen Vorstellungstext gelesen habe dachte ich: Der hätte von mir sein können!

    Ich hatte eine ähnliche, eigentlich fast die gleiche Situation, wie Du sie von Dir beschreibst. Langjährig verheiratet, allerdings "nur" 2 Kinder, guten Job und viele Jahre lang mein Trinkniveau "im Griff". Es gab bestimmte Tabus - kein Alkohol vormittags z. B. war so eine Regel. Kein Alkohol, wenn ich noch Auto fahren muss war eine andere. Hat man die Regel erst mal gebrochen, dann ist es auch schon egal - so war's bei mir auch. Ich erinnere mich, dass ich nach der Zeitumstellung mal ein Bier kurz vor 12 Uhr getrunken habe - und mir gesagt hab: Eigentlich ist es ja schon fast 13 Uhr... Naja, mal abgesehen davon, dass ein normaler Mensch weder um 12 noch um 13 Uhr mit dem Trinken anfängt war das eine ganz schöne kranke Denkweise....

    Aber beim Alkoholiker funktioniert das Hirn leider nicht mehr so wie es sollte. Die Sucht dominiert einfach alles und es wird im Laufe der Zeit immer schlimmer. Noch kurz zu meiner "Karriere":
    Nach Jahren des Trinkens auf erst mal recht niedrigem Level ging es dann langsam nach oben so dass ich anfangen "musste" heimlich zu trinken. Da wusste ich natürlich längst, dass ich kein normals Trinkverhalten mehr habe - deshalb auch die Heimlichtuerei. Wieder vergingen Jahre, wo ich in etwa das von Dir beschriebene Niveau halten konnte, so 4 - 6 Bier im Schnitt. Dann ein paar Tabubrüche, ähnlich wie Du das beschreibst und schwupp war ich bei 8 - 10 Bier angelangt.

    Dazwischen natürlich immer mal Versuche zu kontrollieren oder dann auch ganz aufzuhören. Alles heimlich, alles selbstverständlich zum Scheitern verurteilt weil ich mich ja nicht zu meiner Krankheit bekannt habe. Nach jedem Versuch zu reduzieren bzw. aufzuhören (was durchaus auch mal ein paar Wochen funktioniert hat, wenn auch erkämpft), bin ich mit leicht erhötem Niveau wieder eingestiegen. Irgendwann waren es dann schon mal 12 Bier am Tag, irgendwann kam dann auch noch Wein dazu....

    Die Menge ist ja nun nicht entscheidend ob man süchtig ist oder nicht. Bei mir wurde aber bedingt durch die Menge auch äußerlich gut sichtbar, dass ich ein kranker Mensch war. Übergewichtig, aufgedunsen usw. Mein Umfeld machte sich Sorgen um mich - trotzdem konnte ich meinen Konsum noch geheim halten. Ich selbst merkte neben den äußerlichen Symptomen auch innerliche. Schmerzende Organe, ich konnte nicht mehr auf dem Bauch liegen usw. Trotzdem hörte ich nicht auf, ging nicht zum Arzt.

    Irgendwann konnte ich nicht mehr - nicht körperlich sondern psychisch. Ich outete mich und für sehr viele Menschen in meinem engeren Umfeld brach erst mal eine Welt zusammen. Für meine Frau und für meine Kinder aber auch für meine Eltern.... Das outen war entscheidend - ein weiterer heimlicher Versuch aufzuhören wäre wieder kläglich gescheitert. Ich habe dann sofort alles an Hilfe ergriffen, was mir in den Sinn kam. Ich ging schon am 2. Tag ohne Alkohol zu einer SHG, ließ mich beraten, war beim Psychologen und hatte auch noch andere Gesprächspartner. Ein großer Fehler im Nachhinein war, dass ich kalt entzogen habe - allerdings größtenteils aus Unkenntnis. Ich hatte zum Glück keine Probleme, bin auch zum Arzt aber erst spät, da war der körperliche Entzug schon vorbei.

    Solltest Du also gerade planen nichts mehr zu trinken - sei bitte so klug und sprich mit Deinem Arzt darüber. Kalter Entzug kann fürchterlich enden und man muss dafür nicht ein Niveau von 3 Flaschen Wodka pro Tag gehabt haben.

    Tja, ich kenne alles was Du so schreibst von mir selbst. Ich habe es geschafft auszusteigen - Du kannst das auch schaffen, wenn Du es wirklich willst. Wie das bei Dir funktioniert musst Du selbst heraus finden. Wenn Du bereit bist alles dafür zu tun, dann kannst Du es auch schaffen. Einfach ist es nicht - vor allem die Zeit nach dem körperlichen Entzug. Denn die eigentliche Arbeit hängt mit der Psyche zusammen.

    Schön das Du hier bist, schön, dass Du selbst erkannt hast, dass Du etwas unternehmen willst. Ich wünsche Dir einen guten Austausch hier im Forum. Wenn Du Fragen hast, einfach raus damit.

    LG
    gerchla

  • Hallo und willkommen im Forum!

    Du hast erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Das ist der erste wichtige Schritt in die richtige Richtung. Die Spirale der Sucht hat dich noch nicht in derart in den Abgrund gerissen, dass es heißt: Job, Familie und Führerschein sind allesamt weg.

    Auf meinem bisherigen Weg, unsere Ausgangslagen sind durchaus vergleichbar, haben mir geholfen:

    1.) Die Suchtberatung; kann man googeln in Kombination mit dem Wohnort.
    2.) Fachliteratur
    3.) Der Arzt

    Warnen kann ich nur vor dem "kalten Entzug" ohne ärztliche Begleitung. Das kann lebensgefährlich sein.

    Nimm einfach mal Kontakt mit der Suchtberatung auf. Dort sitzen Profis. Die helfen auch dir. Die klären mit dir den Entzug und mögliche Folgebehandlungen wie eine ambulante oder stationäre Therapie ab.

    Habe keine Scheu vor dem ersten Besuch dort. Du bist nicht der Erste mit einem offensichtlichen Suchtproblem. Es war für mich sehr erleichternd, dort einzuräumen, alkoholkrank zu sein. Denn das wusste ich schon lange Zeit vorher.

    Die Fachlektüre dient der weiteren Aufklärung deiner Person über die Tücken der Krankheit, damit Du nicht nur auf das Pferd der Suchtberatung setzt.

    Der Arzt gehört auch mit ins Boot.

    Und das Lesen in diesem Forum erweitert deinen Horizont ebenfalls und schärft deine Sinne.

    Ich wünsche dir gutes Gelingen.

    Es grüßt der seit knapp 2 Jahren abstinente
    Rekonvaleszent

  • Auch von mir ein etwas verspätetes HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Bei vielen Beiträgen hier fällt es mir schwer, sie zu Ende zu lesen. Ich habe das Gefühl, vor einem Spiegel zu stehen...

    Dieses Gefühl kenne ich auch sehr gut. Als ich vor einigen Jahren den (hoffentlich) letzten Anlauf genommen habe, um aus der Sucht auszusteigen, habe ich mir eine Selbsthilfegruppe (SHG) gesucht, um nicht so "alleine dazustehen". Und als ich die Schilderungen der anderen Gruppenmitglieder hörte ...
    Mittlerweile gehe ich auch seit einigen Jahren in die Entgiftungsstation von Krankenhäusern und stelle dort "meine" SHG vor. Und wenn ich mich danach mit einigen von den Leuten unterhalte und deren Schilderungen höre ...
    In meine SHG kommen ja auch des Öfteren - u.a. auf Grund der Krankenhausvorstellungen - "Neue". Und wenn die dann von ihrem Leben erzählen ...

    Wir sind alle einzigartig und haben alle unsere eigenen Erfahrungen gemacht. Und trotzdem ähnelt sich so Vieles.

    Lies Dich hier in Ruhe ein und durch und nimm Dir von den Erfahrungen, was Du meinst gebrauchen zu können. Wenn es nicht genug war - oder das "Falsche" - es ist noch mehr da ;)

    Und hab keine Angst, etwas "Falsches" zu sagen/schreiben. Ich glaube, es gibt nichts, was wir hier nicht schon hatten ;)

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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