Eine junge Liebe steht auf der Probe

  • Hallo zusammen,

    seit 4 Monaten kenne ich meinen neuen Freund und seit knapp 2 Wochen sind wir zusammen.
    Ich selber war 4,5 Jahre allein, er 5 Jahre. Ich werde 34, er ist 41 und lebt in Scheidung.

    Das Alkohol-Problem liegt bei ihm. Ich ahnte es und weiß es nun definitiv seit dem Wochenende:

    Vor ein paar Wochen (wir waren noch nicht zusammen) bemerkte ich das erste Mal eine Fahne und sprach ihn nach einigen Minuten drauf an. Es war ein Samstag vormittag und ich dachte noch "komm, der hat gestern Abend vielleicht nur gefeiert, beobachte es"... mir fiel nichts mehr auf und bei einem gemeinsamen Spaziergang konfrontierte ich ihn nochmal mit der Frage "Hast Du ein Alkohol-Problem? Den Depressiven und Alkoholiker hatte ich schon, den will ich nicht nochmal!" Er verneinte.

    Nun die Ereignisse vom letzten Wochenende:
    Freitags nach der Arbeit traf ich mich mit einer Freundin und wir waren danach verabredet. Da er mein Nachbar ist, sah ich, dass er daheim ist, aber er reagierte leider nicht auf Whatsapp, Anrufe usw. Betroffen ging ich selber ins Bett. Am nächsten Morgen kam er rüber und wir frühstückten zusammen. Es hieß, er wäre eingeschlafen und ich dachte mir nicht weiter dabei. Gegen 9Uhr ging er wieder rüber, denn er erwartete den Schornsteinfeger und kündigte sich für 11Uhr mit der Rückkehr an, denn wir wolllten den Tag zusammen verbringen. Pustekuchen...
    Ab 11:30Uhr klingelte ich mir die Finger wund, keinerlei Kontaktaufnahme war möglich, nichts.Mit großer Wut im Bauch rief ich gegen 15Uhr einen gemeinsamen Freund/Bekannten an und bat ihn um Hilfe. Anschließende Kurzfassung: Mein Freund meldete sich dann und bekam kein deutsches, klares Wort mehr raus und ich beschloss, ihn den Rausch ausschlafen zu lassen und fuhr zu einer Freundin.
    Am selbigen Abend besuchte ich dann auch noch seine Schwester, die ich bis dato nicht kannte. Es ist sehr traurig, unter diesen Umständen die Schwester und den Schwager kennenzulernen, aber ich fühlte mich sehr hilflos. Dort erfuhr ich, dass das seit Jahren ein Problem ist und wieder Nahestehende hilflos ist. Schuld gab die Schwester der Exfrau (sie habe ihm all die Jahre nicht gut getan, die Trennung usw.) und auch den Eltern, denn dort kriegt man immer Alkohol angeboten, auch wenn man mit dem Auto da ist. Er soll auch mal bei der Caritas gewesen sein, brach aber weitere Maßnahmen ab.

    Am folgenden Morgen rief ich ihn gleich an und erreichte ihn, eine Stunde später starteten wir einen 2stündigen Spaziergang. Die ersten 10-15 Minuten kam eine kontrollierte Trotzreaktion zum Vorschein. Sätze wie "Ich bin nur eingeschlafen... ich habe Dich nicht angelogen,ich habe nur etwas verschwiegen" gehörten dazu. Umgänglicher wurde er, nie laut oder böse.
    In aller Deutlichkeit sagte ich ihm, dass ich das nciht mitmachen werde. Ach was habe ich ihm alles gesagt...
    - dass er eine ernste Erkrankung hat
    - dass er Hilfe braucht
    - dass ich mich trennen werde, wenn das nochmal vorkommt
    - dass das Vertrauen kaputt ist
    - dass er mich versetzt hat
    - dass er mir nicht egal ist
    - dass sein Umfeld drunter leidet
    - dass er ein so liebenswerter Mensch sein kann
    - dass ich und mein Seelenheil ihm doch sonst so wichtig sei
    - dass er während den 5 Jahren Singlesein keinem Rechenschaft schuldig war, nun aber Verantwortung trägt und andere mit reinzieht
    - dass ich erwarte oder mir wünsche, dass er zum Arzt geht und/oder Gruppen nochmal anstrebt
    - dass ich im Falle einer ungewollten oder geplanten Schwangerschaft in seiner jetzigen Situation klare und harte Schritte unternehmen würde
    - usw.

    Er war sichtilich berührt und ihm war angeblich nie klar, dass er andere da mit reinzieht oder dass das irgend jemanden interessiert. Nach diesem Gespräch begleitete ich ihn noch zu einem Geburtstag, gestern trafen wir uns bei meinem Vater, um ihm zu seinem Geburtstag zu gratulieren. Und bei Antreffen mit meiner Familie wurde mir kotzschlecht...
    Wie schön ist das Gefühl, mit Stolz und Freude seinen neuen Partner zu betrachten, wenn er auf die Familie trifft. Doch diese Gefühl war mir gestern nicht vergönnt. Ich empfand Scharm und schämte mich schrecklich, "einen Alkoholiker zu schützen und ihn mit meiner Familie zu konfrontrieren", ich fühlte mich unwohl, als er mit meinem 2,5 Jahre alten Neffen spielte.
    Er ist friedlich, würde keiner Seele etwas tun, aber... Ich schäme mich so sehr, meiner Familie etwas vorheucheln zu müssen.

    Gestern Abend war ich dann bei meinem Hausarzt, nachdem ich tagelang nicht schlafen konnte und mein Magen nicht mitspielt. Da ich eine depressive Vorgeschichte, Trauerfälle und Traumatas und einen Reha-Aufenthalt im Sommer diesen Jahres hatte, sehe ich mich in Form von Rückschlägen gefährdet. Diese Geschichte tut mir nicht gut und ich habe Angst, dass alles, was ich mir seit Jahren unter Qualen wieder aufgebaut habe, ganz schnell wieder kaputt geht... Nach dem Besuch bei Hausarzt wählte ich den Entschluss, alles zu beenden und...

    ... wie ich lese, schaffen das viele nicht. Er war hier, ich habe ihm alles unter bitteren Tränen gesagt, auch vom Schamgefühl gegenüber meiner Familie usw. Er ließ mich reden, hielt die ganze Zeit meine Hand, versuchte zu trösten. Da saß der liebe Mann, in den ich mich verliebte und war einfach nur da.
    Die guten Vorschätze von Sonntag, über einen Arztwechsel und Therapie nachzudenken, legte er ab. Er hat z.Z. keine Kraft, "sich zu outen". Er hat wahnsinnige Probleme damit, sich und anderen die Wahrheit einzugestehen. Nur mir vertraut er, wie er sagt. Ich merke, dass mein ruhiges Zureden und das Ansprechen klarer Fakten bei ihm ankommt und auch schockt, aber... das Vertrauen ist kaputt. Schafft er es...? Ringt er sich dazu durch, sich Hilfe zu holen...?

    Nachdem ich gestern das erste Mal in seiner Wohnung war (und einen Schlag bekommen habe...), sagte ich ihm abschließend, dass wir mit absoluter, nicht verdienter Großzügigkeit meinerseits Silvester entscheiden, ob wir das Jahr 2016 gemeinsam starten oder nicht. Er weiß, was ich mir vorstelle und ich weiß, dass ich einen jahrelangen Alkoholiker nicht binnen weniger Tagen dazu bringen kann, aus freien Stücken Hilfe anzunehmen.

    Ich weiß, dass mir das nicht gut tut.
    Ich weiß, dass mein Therapeut nicht begeistert sein wird.
    Ich weiß, dass ich seine Anwesenheit genieße und er viele gute Seiten hat.
    Ich weiß aber auch, was da auf mich zukommt und ich nicht co-abhängig sein will.

    Auf Alkohol werde auch ich verzichten, Intimität oder einfaches Näherkommen will ich vermeiden oder einschränken (sofern ich das hinkriege, I hope so), ach... Ich weiß es nicht...

    Es war mir hilfreich, alles mal niederzuschreiben, aber ich fürchte, die Lösung kenne ich bereits.

    Über Antworten freue ich mich, alles Liebe, Eure Rike

  • Hallo Rike,

    erst mal - HERZLICH WILLKOMMEN - hier im Forum.

    Ich bin Alkoholiker, also kein Angehörigier. Aus meiner Sicht kann ich spontan nur sagen: Lass' Dich nicht auf eine Beziehung mit einem nassen Alkohliker ein.

    Aber mir scheint, Du weißt das alles selbst. Hast ja die Fakten klar skizziert und weißt ja eigentlich was richtig wäre. Tja, wenn da nicht die Gefühle wären....

    Es sind eben immer die beiden Gesichter, die Alkoholiker oft haben. Nüchtern und besoffen. Leider ist letzteres mit dem Andauern der Krankheit der Normalzustand. Dir jetzt eine "Musterlösung" zu geben traue ich mehr ehrlich gesagt nicht zu. Ich glaube das wäre vermessen von mir. Aber eine Chance hat Eure Beziehung aus meiner Sicht nur dann, wenn er SOFORT etwas gegen seine Krankheit unternimmt. D. h. Arzt aufsuchen, entziehen, Suchtberatung, ggf. dann eine Therapie. Das wäre aus meiner Sicht ein Grund, zunächst einmal zu ihm zu halten und ihn dabei zu unterstützen, dann das könnte ihm dann wirklich helfen und Kraft geben. Eure (gemeinsame) Zukunft hinge dann davon ab, ob er dauerhaft Abstinent leben kann/will oder nicht.

    Aber wie Du ja schreibst, hat er diese Option mangels Kraft schon abgelehnt. Ich glaube, dann solltest Du jetzt auf Dich schauen. Aber eigentlich weißt Du das ja schon.

    Drücke Dir die Daumen und wünsche Dir einen guten Austausch hier.

    LG
    gerchla

  • Hallo Rike

    Zitat

    Er hat z.Z. keine Kraft, "sich zu outen".


    Im Erfinden von Ausreden waren wir alle perfekt. :-[
    Sei erst mal froh, dass ihr getrennte Wohnungen habt, da kannst du abwarten, machen muss er.

    LG Gerd

  • Hi, Rike!

    Ich kann mich eigentlich nur Gerchla anschließen ...
    Bin selber von der Betroffenen-Fraktion und weiß, dass "keine Kraft" übersetzt eigentlich "ich will nicht" heisst.
    Und deshalb kann aus meiner Sicht die Lösung nur sein ...
    Aber


    Ich weiß, dass mir das nicht gut tut.
    Ich weiß, dass mein Therapeut nicht begeistert sein wird.
    Ich weiß, dass ich seine Anwesenheit genieße und er viele gute Seiten hat.
    Ich weiß aber auch, was da auf mich zukommt und ich nicht co-abhängig sein will.

    Also bleibt Dir ja eigentlich nur, Dir hier erst einmal alles von der Seele zu schreiben, um dann zu einem Entschluß zu kommen ...
    Und egal, wie dieser ausfällt - ich wünsche Dir viel Kraft!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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